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Erster Zeitabschnitt in Cosways Leben
ОглавлениеDie Abfahrt Ihrer Majestät Schiff Albicorn wurde durch die ernste Krankheit des Kapitäns verzögert. Ein Mann, der keinen politischen Einfluss besaß, würde auf den bedenklichen Bericht des Arztes hin durch einen anderen Kommandanten ersetzt worden sein. Im vorliegenden Falle aber zeigten sich die Herren im Marineministerium als ein Muster von Geduld und Teilnahme Sie hielten das Schiff im Hafen zurück und warteten des Kapitäns Wiederherstellung ab.
Unter den jüngeren Offizieren in minder wichtigen Stellungen, die unter diesen Umständen an Bord nicht nötig waren und demgemäß leichten Urlaub erhielten, um auf dem Lande weitere Ordre abzuwarten, befanden sich auch zwei junge Männer im Alter von 22 und 23 Jahren, die unter den Namen Cosway und Stein bekannt waren.
Das Ereignis, durch das sie uns jetzt bekannt werden, nimmt seinen Anfang in einem bedeutenden Seehafen an der Südküste Englands und zeigt uns die beiden jungen Herren am Mittagstische in einem Privat-Zimmer ihres Gasthofes.
»Ich glaube, dass wir die letzte Flasche Champagner entkorkt haben« sagte Cosway. »Lass uns noch eine versuchen. Du bist der Schelle am nächsten, Stein. Schelle!«
Stein zog die Schelle, aber er machte seine Bedenken geltend. Er war der ältere von beiden und ein Muster von Besonnenheit.
»Ich fürchte, dass unsere Rechnung schrecklich aufläuft« sagte er. »Wir sind länger als drei Wochen hier gewesen —«
»Und wir haben uns nichts versagt« fügte Cosway hinzu. »Wir haben wie Fürsten gelebt. Kellner, noch eine Flasche Champagner! Wir haben unsere Reitpferde, unsere Wagen, die beste Loge im Theater und Zigarren, wie sie London selbst nicht liefern kann. Das heiße ich den höchsten Vorteil aus dem Leben ziehen. Probiere einmal die neue Flasche! Herrliches Getränk, nicht wahr? Warum hat denn nur mein Vater keinen Champagner auf seinem Familientische?«
»Ist dein Vater ein reicher Mann, Cosway?«
»Ich könnte es nicht sagen. Er gab mir nichts als das gehoffte Geld, als ich ihm Lebewohl sagte — und ich glaube sogar, er ermahnte mich beim Abschiede ernstlich, mit ihm recht sparsam umzugehen. ‚Du bekommst keinen Heller mehr‘, sagte er, ‚bis euer Schiff von seiner Fahrt nach Südamerika wieder zurückkehrt.‘«
»Dein Vater ist ein Geistlicher, Stein.«
»Ja, und was willst du damit sagen?«
»Nun, einige Geistliche sind reich.«
»Mein Vater ist keiner von diesen, Cosway.«
»Dann lass uns nicht mehr von ihm sprechen. Schenke dir selbst ein und reiche mir dann die Flasche.«
Anstatt dieser Aufforderung zu folgen, erhob sich Stein mit sehr ernster Miene und zog noch einmal die Schelle.
»Bitten Sie die Wirtin heraufzukommen« sagte er, als der Kellner erschien.
»Was willst du mit der Wirtin?« fragte Cosway.
»Ich wünsche die Rechnung.«
Die Wirtin — eine Frau Pounce — betrat das Zimmer. Sie war Witwe, von kleiner Statur, alt, wohlbeleibt und geschminkt.
Leute, die Charaktere studieren, wie solche im Gesicht ausgeprägt sind, würden Bosheit und List in ihren glänzenden kleinen schwarzen Augen und ein heftiges, rachsüchtiges Gemüt in den Linien ihrer dünnen roten Lippen wahrgenommen haben. Die beiden jungen Offiziere waren solch feiner Unterscheidungen nicht fähig und gingen daher in ihren Ansichten über Frau Pounce weit auseinander. Cosways sorgloser, heiterer Sinn gefiel sich in der Behauptung, dass er verliebt in sie sei. Stein hatte dagegen von Anfang an eine Abneigung gegen sie gefasst. Als sein Freund nach deren Grunde fragte, gab er eine merkwürdig dunkle Antwort.
»Erinnerst du dich jenes Morgens, als du im Walde die Schlange tötetest?« sagte er. »Ich fasste eine Abneigung gegen die Schlange.«
Cosway stellte keine weiteren Fragen an ihn.
»Nun, meine jungen Helden« rief Frau Pounce, die immer laut, immer heiter und immer zutraulich gegen ihre Gäste war, »was wünschen Sie denn von mir ?«
»Nehmen Sie ein Glas Champagner, mein Liebchen« sagte Cosway, »und lassen Sie mich versuchen, ob ich meinen Arm um Ihre Taille legen kann. Das ist alles, was ich von Ihnen wünsche.«
Die Wirtin ließ diese Bemerkung unerwidert vorübergehen. Obgleich sie zu beiden gesprochen hatte, blieben doch ihre kleinen, listigen Augen von dem Augenblicke ihres Eintritts an auf Stein haften. Instinktmäßig erkannte sie den Mann, der sie nicht leiden mochte — und sie wartete bedächtig auf Steins Antwort.
»Wir sind eine Zeitlang hier gewesen« sagte dieser, »und Sie würden uns verpflichten, Madame, wenn Sie uns die Rechnung geben wollten.«
Frau Pounce öffnete mit einem Ausdruck unschuldiger Überraschung weit die Augen. »Ist der Kapitän wieder gesund und müssen Sie heute abend an Bord gehen?« fragte sie.
»Nichts von alledem!« warf Cosway dazwischen. »Wir haben keine Nachricht von dem Kapitän und gehen heute abend ins Theater.«
»Aber« wiederholte Stein, »wir wünschen die Rechnung zu haben, wenn es beliebt.«
»Gewiss, verehrter Herr« sagte Frau Pounce, indem sie plötzlich eine ehrerbietige Miene annahm. »Aber wir sind drunten sehr beschäftigt und hoffen, dass Sie uns heute abend nicht drängen werden.«
»Natürlich nicht!« rief Cosway.
Frau Pounce verließ augenblicklich das Zimmer, ohne auf eine weitere Bemerkung von Cosways Freund zu warten.
»Ich wünschte, wir wären in ein anderes Haus gegangen« sagte Stein. »Merke dir, was ich sage, diese Frau will uns betrügen.«
Cosway äußerte seine abweichende Meinung in der freundlichsten Weise. Er füllte das Glas seines Freundes und bat ihn, doch von Frau Pounce nicht solche böse Dinge zu reden.
Aber das gewöhnlich so sanfte Gemüt Steins schien nun einmal erregt zu sein; er beharrte auf seiner Ansicht. »Sie ist unverschämt und neugierig, wenn sie nicht geradezu unredlich ist« sagte er. »Was für ein Recht hat sie, dich zu fragen, wo wir zu Hause wohnten; und welches unsere Vornamen seien; und wer von uns der ältere sei, du oder ich? O ja — das ist alles ganz schön gesagt, dass sie nur ein schmeichelhaftes Interesse für uns zeige! Ich vermute, sie zeigte ein schmeichelhaftes Interesse für meine Geschäfte, als ich ein wenig früher wie gewöhnlich aufwachte und sie in meinem Schlafzimmer mit meiner Brieftasche in der Hand erwischte.«
»Glaubst du, dass sie im Begriffe war, die Brieftasche der Sicherheit wegen einzuschließen? Sie weiß ebensogut, wie viel Geld wir bekommen haben, als wir selbst. Jeder Pfennig, den wir besitzen, wird morgen in ihrer Tasche sein. Aber es hat auch sein Gutes — wir werden genötigt sein, das Haus zu verlassen.«
Selbst dieser zwingende Grund vermochte nicht, Cosway zu einer Erwiderung zu bringen. Er nahm Steins Hut und überreichte ihn seinem prophetischen Freunde mit der äußersten Höflichkeit.
»Es gibt nur ein Mittel für eine solche Gemütsverfassung wie die deinige« sagte er. »Komm mit mir ins Theater.«
Am nächsten Morgen um zehn Uhr befand sich Cosway allein am Frühstückstische. Es wurde ihm gesagt, dass Herr Stein ausgegangen sei, um einen kleinen Spaziergang zu machen, und bald wieder zurück sein werde. Als er sich zu Tische setzte, bemerkte er auf seinem Teller ein Kuvert, das augenscheinlich die Rechnung enthielt. Er ergriff es, überlegte einen Augenblick und warf es dann uneröffnet wieder hin. In demselben Augenblick stürzte Stein in großer Aufregung ins Zimmer.
»Nachrichten, welche dich wundern werden« rief er. »Der Kapitän ist gestern abend angekommen. Die Ärzte sagen, dass die Seereise seine vollständige Wiederherstellung bewirken werde. Das Schiff segelt heute noch ab — und wir haben den Befehl, uns innerhalb einer Stunde an Bord zu melden. Wo ist die Rechnung?«
Cosway zeigte auf sie. Stein nahm sie aus dem Kuvert. Sie bedeckte zwei Seiten eines ungeheuer langen Streifens Papier. Die Gesamtsumme war mit Linien in roter Tinte schön verziert. Sten sah nach ihr und gab dann Cosway schweigend die Rechnung. Diesmal war selbst Cosway in Bestürzung. In unheimlicher Stille zogen die beiden jungen Männer ihre Brieftaschen hervor, rechneten ihr bares Geld zusammen und verglichen das Ergebnis mit der Rechnung. Ihre gesamten Mittel betrugen etwas mehr als ein Drittel der Forderung der Wirtin.
Der einzige Weg, der sich darbot, war nach Frau Pounce zu schicken, um ihr die Verhältnisse auseinanderzusetzen und ihr auf der noblen Geschäftsbasis des Kredits einen Vergleich vorzuschlagen.
Frau Pounce erschien und war prächtig in ein Promenadenkostüm gekleidet. War sie im Begriffe auszugehen oder war sie gerade nach dem Gasthofe zurückgekehrt? Nicht ein Wort entschlüpfte ihr, sie wartete mit ernster Miene, um zu hören, was die Herren wünschten.
Cosway, darauf vertrauend, dass Frau Pounce ihm bisher ihre Gunst zugewendet hatte, bot ihr den Inhalt ihrer beiden Brieftaschen an und teilte ihr die traurige Wahrheit mit. »Das ist alles Geld, was wir haben« sagte er zuletzt. »Wir hoffen, dass Sie damit einverstanden sind, den Rest Ihres Guthabens in einem Wechsel auf drei Monate in Empfang zu nehmen.«
Frau Pounce antwortete mit einem Ernst in Wort und Miene, der für Cosway und Stein ganz neu war.
»Meine Herren, ich habe für Ihre Pferde und Wagen bares Geld an Miete bezahlt« sagte sie; »hier sind die Quittungen der Mietspferdehalter, die dies nachweisen. Ich nehme niemals Wechsel an, wenn ich nicht im voraus ganz sicher bin, dass sie auch bezahlt werden. Ich bestreite, dass Sie eine Überforderung in der gestellten Rechnung nachweisen können und erwarte, dass Sie Zahlung leisten, ehe Sie mein Haus verlassen.«
Stein sah nach seiner Uhr. »In dreiviertel Stunden« sagte er, »müssen wir an Bord sein.«
Frau Pounce war ganz seiner Ansicht. »Und wenn Sie nicht an Bord sind« bemerkte sie, »so werden Sie vor ein Kriegsgericht gestellt und vom Dienste entfernt werden, und Ihr guter Ruf wird fürs ganze Leben zu Grunde gerichtet sein.«
»Verehrteste Frau, wir haben keine Zeit nach Hause zu schicken, und kennen in der Stadt niemand« erklärte Cosway. »Nehmen Sie um Gottes willen unsere Uhren und Juwelen und unser Gepäck und lassen Sie uns gehen.«
»Ich bin kein Pfandleiher« sagte die unbeugsame Dame. »Sie müssen entweder Ihre unbestreitbare Schuld mir in richtigem Gelde bezahlen oder —«
Sie machte eine Pause und blickte nach Cosway. Ihr wohlgenährtes Gesicht heiterte sich auf — zum erstenmal zeigte sich ein anmutiges Lächeln auf demselben.
Cosway starrte sie in unverhohlener Verwirrung an. Verwirrt wiederholte er ihre letzten Worte. »Wir müssen entweder die Rechnung bezahlen« sagte er, »oder was?«
»Oder« antwortete Frau Pounce, »einer von Ihnen muss mich heiraten.« Scherzte sie? War sie berauscht? Oder war sie von Sinnen? Nichts von all dem. Sie war vollständig Herrin ihrer selbst, und ihre Erklärung war ein Muster von klarer und überzeugender Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse:
»Meine Stellung hier hat ihre Unannehmlichkeiten« fing sie wieder an. »Ich bin eine alleinstehende Witwe; es ist bekannt, dass ich ein ausgezeichnetes Geschäft und erspartes Geld habe. Die Folge davon ist, dass ich von einer Schar geldgieriger Lumpen zu Tode gequält werde, die mich heiraten wollen. In dieser Lage bin ich Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Selbst wenn ich nicht wüsste, dass die Männer es nur auf mein Geld abgesehen haben, wäre doch nicht einer unter ihnen, den ich zu heiraten wagen würde. Er möchte sich als Tyrann erweisen und mich schlagen, oder als Trunkenbold, und mich beschimpfen, oder als ein Spieler, der mich zu Grunde richtet. Wie Sie sehen, ist es zu meiner eigenen Sicherheit und Ruhe nötig, dass ich mich für verheiratet erklären und den Beweis dafür durch einen Heiratsschein erbringen kann. Ein Herr aus gebildeter Familie, der eine angesehene Stellung zu gewähren hat und an Jahren so viel jünger ist als ich selbst, dass er nicht daran denkt, mit mir zusammenzuleben — das wäre so ein Ehegatte, der mir passte! Meine Herren, ich bin eine vernünftige Frau. Ich würde darauf eingehen, mich von meinem Gemahl an der Kirchtür wieder zu trennen, und nachher niemals wieder versuchen, ihn zu sehen, oder ihm auch nur zu schreiben. Ich würde, wenn nötig, nur meinen Heiratsschein vorzeigen, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben. Ihr Geheimnis würde ganz sicher bei mir aufgehoben sein. Ich kümmere mich nicht im geringsten um Sie, so lange Sie meinem Zweck entsprechen.
Was sagen Sie dazu, dass einer von Ihnen in dieser Weise meine Rechnung bezahlt? Ich bin bereits für den Altar gekleidet und der amtierende Geistliche hat Nachricht erhalten.
Ich ziehe Herrn Cosway vor« fuhr das schreckliche Weib in grausamster Ironie fort, »weil er mich bisher mit Aufmerksamkeit behandelt hat. Die Heiratserlaubnis, die ich vor vierzehn Tagen in dieser Voraussetzung erwirkt habe, ist auf seinen Namen ausgestellt. So weit geht meine Vorliebe für Herrn Cosway. Aber das hat nichts zu sagen, falls Herr Stein seinen Platz einnehmen will. Er kann unter seines Freundes Namen aufgerufen werden. O ja, er kann es! Ich habe meinen Rechtsanwalt befragt. So lange als Braut und Bräutigam darin übereinstimmen, können sie unter einem beliebigen Namen getraut werden, und die Ehe ist rechtsgültig. Sehen Sie nochmals auf Ihre Uhr, Herr Stein. Die Kirche ist in der nächsten Straße. Nach meiner Berechnung haben Sie gerade noch fünf Minuten Zeit, sich zu entschließen. Ich bin eine pünktliche Frau, meine lieben Jungen, und werde auf die Minute wieder zurück sein.« Sie öffnete die Tür, zögerte einen Augenblick und kehrte in das Zimmer zurück.
»Ich hätte sagen sollen« fing sie wieder an, »dass ich Ihnen am Schlusse der Feierlichkeit mit der quittierten Rechnung ein Geschenk machen werde. Ich werde Sie mit allem Gelde, das Sie in der Tasche haben, in meinem eigenen Boote auf das Schiff bringen lassen und Ihnen einen Korb mit guten Esswaren mitgeben. Danach habe ich mit Ihnen nichts mehr zu schaffen. Sie können Ihren eigenen Weg zum Teufel gehen.«
Mit diesem Abschiedssegen verließ sie die beiden.
Nachdem sie so in die Falle der Wirtin geraten waren, blickten sich die beiden Opfer in bedeutsamem Schweigen einander an. Ohne hinreichende Zeit, um den Rat eines Rechtskundigen einzuholen, ohne Freunde auf dem Lande und ohne die Möglichkeit, Offiziere ihres Ranges auf dem Schiffe anzusprechen, hatten sie allerdings nur die Wahl zwischen einer Heirat und dem Verderben.«
Stein machte einen Vorschlag, der eines Helden würdig war.
»Einer von uns muss heiraten« sagte er. »Ich bin bereit, mich dafür herzugeben.«
Cosway kam ihm an Großmut gleich.
»Nein« antwortete er. »Ich war es, der dich hierher brachte und dich zu diesen höllischen Ausgaben verleitete. Ich muss dafür büßen und ich will es auch.«
Ehe noch Stein Einwendungen machen konnte, waren die fünf Minuten vorüber. Pünktlich erschien Frau Pounce wieder in der Tür.
»Nun?« fragte sie, »wer soll es sein, Cosway oder Stein?«
Cosway trat so sorglos wie immer vor und bot ihr seinen Arm.
»Nun denn, Fettklümpchen« sagte er, »komm und lass dich heiraten!«
In weiteren fünfundzwanzig Minuten war Frau Pounce eine Frau Cosway geworden, und die beiden Offiziere befanden sich auf dem Weg zum Schiffe.