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Männer machen Fehler. Des Künstlerehemanns ersten entscheidungsvollen bedeuteten diese Tränen. Seinen zweiten beging Angelus Turian, indem er im vorgerückten Alter von 32 das Trommeln erlernte. Seinen dritten und letzten: die Reise nach Lipari. Doch diese drei Fehler waren nicht zu vermeiden. Sie vollzogen sich gewissermaßen selbständig, ohne einem göttlichen oder menschlichen Willen zu entspringen, wie die Ananke der alten Hellenen, der mit dem Begriff Zufall oder Geschick nicht beizukommen war; die unaufhaltsame Zwangsläufigkeit, die umherschleicht im Labyrinth menschlicher Beziehungen. Wäre einer der beiden Partner des Ehepaares Turian beim Schwimmen im Meer um Lipari in hilfloser Gegenwart des andern von einem Hai zerrissen worden, hätte man von sträflicher Unvorsichtigkeit sprechen können, von einem schlimmen Zufall oder einem tragischen Geschick. Daß jedoch das Herz eines Hais, das Herz allein, das Herz an und für sich – die Versuchung, die unschöne Floskel ›in Reinkultur‹ hinzuzusetzen, drängt sich auf –, das hingelieferte, das verlorene Herz eines Räubers eine solche Macht auf ein Menschenkind auszuüben vermögen würde …

Das verlorene Herz eines mit allen Salzwassern gewaschenen großen Räubers …

Die Baselstädter trommeln von klein auf. Geübt wird das ganze Jahr hindurch: nicht auf der Trommel, sondern auf dem ›Böcklein‹, einem Brett ohne Resonanzboden. Das heilige Kalbfell zu rühren gestattet ist erst von dem das Nahen der Fas’nacht kündenden, das ganze rechtsrheinische Kleinbasel elektrisierenden Augenblick an, da der Wilde Mann den Rhein herabgeflößt kommt. Eines unwinterlich milden Spätvormittags Ende Januar kam er auf einem von vier Stehrudern bewegten Floß, auf das eine Kanone montiert war, unter Böllerschüssen den Strom herabgeglitten; da kam er.

In der weiten Senke zwischen Jura, Schwarzwaldgebirg und Vogesen lagerte Hochnebel. Geklemmt in eine sich auf der Mittleren Rheinbrücke stauende, in Wintermäntel verpackte Menge, sahen die Turians ihn nahen.

Er stand in der Schiffsmitte. Sein Kopf war so groß wie der eines Bisons im falben Sonnenglanz, der durch den Hochnebel geisterte, grüngolden blinkend wie Bronze. Er trug einen ganzen Tannenbaum geschultert, als habe er ihn irgendwo gepflückt wie eine Blume. Hinter ihm stand ein Fähnrich mit der Zunftfahne, ein Trommler in der Rokoko-Uniform der Schweizergarde der Franzosenkönige; im Heck der Kanonier; über den vier Floßecken wippten die Ruderknechte.

Das Lulubé sagte: »Der gefällt mir.«

Es hatte sich, dem Kerubin eine Gasse schaffend, nicht ohne Ellbogen-Stoßkraft zum Brückengeländer durchgeschlängelt. Als das Floß nahe herangeglitten war, beugte Es sich weit über die steinerne Wehr, weiter als die übrigen Gaffer; Turian umfaßte besorgt die schlanke Taille. Der Wilde Mann, kurz bevor er zwischen den Brückenpfeilern verschwand, grüßte die Menge, indem er den Baum schwenkte und das Gesicht hob, ein gewaltiges und doch zu kleines, verglichen dem monströsen Schädel, ein embryonales, verschwommen in der Patina eines eben gehobenen Seeräuberschatzes.

»Wirklich, der gefällt mir.«

Alles drängte zum jenseitigen Brückengeländer hinüber, um zu begaffen, wie der Ankömmling an der Schiffslände des Klingentals empfangen wurde.

»Mir auch«, sagte Angelus, dem das Lulubé wieder einen aussichtsreichen Platz erkämpft hatte.

»Wieso dir auch?«

Die Frage, etwas atemlos, stoßhaft geäußert, begriff Angelus nicht recht. »Eh nun, diese unverändert aus dem Mittelalter überkommene Maske … und damals hinwieder aus vorchristlicher Zeit überkommene, pardon, aus vorgeschichtlicher, ebenso wie die Masken des Vogel Greif und des Löwen dort unten.«

»Löwen gibt’s heute auch«, sagte Frau Turian diesmal nebenhin.

»Aber keine Greifsvögel mehr, die, schätze ich, aus der Erinnerung an Dinosaurier –«

»Und wilde Männer auch nicht mehr«, wurde er unterbrochen.

»Pardon?«

»Es gibt heute keinen wilden Mann mehr – wie den.«

Dem Angelus lag auf der Zunge, zu sagen, daß sich unter dessen Maske seines Wissens der Apotheker Gigon aus der Unteren Rebgasse verberge. Er ließ es ungesagt.

Der Wilde Mann sprang auf den Kai, wo ihn der Vogel Greif und der Löwe erwarteten, jeder mit seinem Tambour und seinem Zunftfähnrich nach mittelalterlichem Zeremoniell, und die drei Fabelwesen rückten unter Getrommel auf die Rheinbrücke, wo Stadtpolizisten mit den altmodisch hohen Bobby-Helmen der Londoner Polizei den Verkehr gestoppt und die graue Menge der Gaffer in Wintermänteln hatten Spalier bilden lassen. Und die drei, vornweg die Fahnenträger, hinter sich die Trommler, umgaukelt von den ›Ulis‹, Harlekins, die für Kleinbasels Waisenhaus sammelten, rückten zur Jochkapelle, einem auf der Brückenmitte errichteten kleinen Gotteswachturm, in dessen Verlies kein ewiges Licht brannte, denn die Humanistenstadt gehörte zu den frühen Blüten der Reformation.

Und vor der Jochkapelle, aus dem gleichen rosabraunen Jura-Sandstein errichtet wie das Münster, das, verschwommen im falb durchgoldeten Dunst, vom hohen Großbasler Ufer herübergrüßte (zumal es auf einem Uferhügel thront, ist seinen Türmen die Aura des Grüßens zu eigen), tanzten die drei, jeder ein Solo zum Wirbeln seiner Trommel, zuerst der Fabelmann, dann die beiden Fabeltiere.

»Sauglatt«, preßte das Lulubé ein um das andere Mal hervor, »sauglatt, maximal!« Da tanzte er, der Wilde Mann. Die ›Verse‹, kunstvoll-rabiate Variationen eines Trommelmotivs, die sein Tambour mit dem Rokoko-Dreispitz auf den ›Kübel‹ wirbelte, seine schräg hängende lange Landsknechtstrommel, hatten nichts an sich von Rokoko. Das grollte übern Rhein wie Urwaldtamtam, das Rufen einer afrikanischen Buschtrommel, und der Wilde Mann mit dem Riesenhaupt aus versumpftem Gold, dem bewegungslosen Metallgesicht, schwang den gepflückten Tannenbaum im unheimlich retardierten, heftig akzentuierten Takt. Wälzte sich vorgeduckt um seine Achse in gewaltigen Sprüngen, die die Schwerkraft zu überlisten schienen – daß er nicht fiel, war ein Wunder –, stets geduckt, das Erzgesicht dicht überm Asphalt, fast so, als tanze er waagrecht.

Das Beifallklatschen, Bravorufen der grauen Menge dankte ihm.

»Olé, olé!« kreischte das Lulubé plötzlich, so wie’s in der Arena von Pamplona die Stierkämpfer zu bejubeln gelernt hatte. Auch dies kleine Brückenfest lebt von stark gebliebener Tradition, doch ohne daß Metzelei im Spiel wäre, dachte Turian in der Aufwallung einer mitteleuropäisch temperierten, fast lieblichen Zufriedenheit, die alsbald einen sachten Schock erleiden sollte …

Darauf tanzte der Vogel Greif, und die Verse, die sein Tambour trommelte, hielten einen noch langsameren Takt ein, und der Tänzer, maskiert mit einem hohen, schwarz schillernden Aufsatz, einem kleinen Vogelkopf auf zweimeterlangem Hals – so etwas wie ein überlebensgroßer Vogel Strauß mit einem Kropf –, Gesäß, Beine, Füße in eine Hülle aus orangenem Glanzleder geschnürt, mit langem Schweif und großen Fußkrallen, tanzte betont tapsig auf der Stelle (wobei er sich durch zwei unten in die Hals-Attrappe gebohrte Gucklöcher orientierte), und der unproportioniert kleine Vogelkopf schaukelte dabei hoch oben hin und her. Nach dem Endstreich des Trommlers verbeugte er sich plump, zugleich vorsichtig, gleichsam scheu im Beifallsklatschen, wobei sein geschwänzter Lederhintern nach Großbasel wies – scheu, wie verirrt aus einem anderen Jahrhunderttausend. Dann tanzte der Löwe.

Das war eine weitaus vertrautere Erscheinung. Denn Löwen gibt’s noch im Atomzeitalter, da hat Es schon recht, dachte Turian. Der Tambour des Löwen schlug ein viel rascheres Tempo als seine Vorgänger an. Wie die als Gardist der Franzosenkönige uniformiert, wirbelte er ein Allegro hin, das seinem Kostüm angemessener schien, ein Menuett fast, und der Löwe, auf Raubtierhaftigkeit oder Wüstenkönigsallüre keinerlei Wert legend, in Zivil gewiß ein flotter Walzertänzer, hüpfte im Dreivierteltakt, eingenäht in zimtfarbenen Pelz, der keinem Löwen abgezogen war, eher aus gefärbten Angorakatzenfellen zusammengeflickt, eine zottige Larve übergestülpt, die ihn auch als sehr struppigen, mähnigen, bärtigen Naturmenschen, in den die Motten geraten sind, hätte ausweisen können. Hüpfte ganz aufrecht im Halbkreis, eine Pranke graziös erhoben, mit zierlichen Pas, auch er darauf achtend, daß sein Rücken dem Großbasler Ufer zugekehrt bleibe.

Dann trommelten die drei Tambouren unisono, und es tanzten Wilder Mann und Vogel Greif und Löwe selbdritt, und das Bravogeschrei der gritzgrauen, vor der Ausdruckskraft dieser Masken gesichtslos gewordenen Menge flatterte mit dem Flug aufgescheuchter Möwen über den blaßgold vermummten Rhein. Aber das bewegungslose Embryogesicht im gewaltigen Bronzeschädel, der wackelnde Greifschnabel, das urbane Löwenmaul, alle drei Tänzer achteten peinlich darauf, stets dem Kleinbasler Ufer zugewandt zu bleiben: traditionelle Lokalfehde, jahrhundertealtes Schmollen zwischen Klein- und Großbasel war da im Spiel.

»So etwas hätte man heiraten sollen«, hörte Turian Es plötzlich sagen, etwas atemlos und stoßhaft wie immer, wenn das Lulubé in Gemütsbewegung geriet.

»Was? Das Löwentier? Oder den Vogel Greif«, war Angelus zu scherzen bemüht.

»Den Wilden Mann!«

Nun konnte er sich’s nicht versagen, trocken zu spaßen: »Ah, den. Wenn du’s wünschst, mach ich dich mit ihm bekannt, es ist der Apotheker Gigon aus der Unteren Reb-«

»Kerubin! Du verstehst mich nicht«, kreischte Es gepreßt ins Beifallsjohlen. »Wenn du mich eines Tages nicht mehr siehst, dann weißt du’s.«

»Was?«

»Daß ich dir durchgebrannt bin mit einem wilden Mann, der zu Schiff aus Vineta kam.«

»Es schwelgt in seiner Künstlerphantasie«, sagte er begütigend, als die Menge sich auseinanderwälzte. Doch verspürte er flüchtige Schluckbeschwerden.

Ach, die jahrhundertealte Schmollerei zwischen dem östlichen Klein-, dem westlichen Großbasel. ›Ost-West-Konflikt, den wir schon immer gehabt haben.‹ Nun war es so, daß Angelus Turian dem zu bescheidenem Wohlstand ›verarmten‹ Zweig einer Großbasler ›Geldpatrizier‹-Familie entsprossen war, jener kastenbewußt gebliebenen Bürger- und Händleraristokratie, die heute die eine Art Monopolstellung behauptende chemische Industrie der Stadt lenkt, ›D’Albanesen‹ genannt nach der St. Albanvorstadt, in der dieser Geschäftsadel nach wie vor residiert: während das Lulubé einer Kleinbasler Kleinbürgerfamilie entstammte, die sich von Fuhrknechten zu Teilhabern einer Möbeltransportfirma emporgerackert hatte. – Nachdem in Pamplona dem Kerubin unversehens einige Tränen in den rosigen Bart gesickert waren, trachtete er die Scharte auszuwetzen. Er trat der ›Guten Meinung‹ bei, einer von einem Halbhundert Cliquen, in der das Lulubé längst als Trommelgenie verehrt wurde. Zwei Jahre lang übte er abends im Cliquenlokal am ›Böcklein‹. Dann ward er zum erstenmal für würdig befunden, den ›Morgenstreich‹ mitzutrommeln. Und da geschah es denn, daß ihm zu Beginn der schemenhaften Parade auf den verlarvten Kopf zugesagt wurde, er könne nicht; für einen Mann fast immer ein unliebsamer Vorwurf.

Der Cavaliere Casanova de Seingalt hatte, nach einem Besuch in Basel um 1762, notiert: »Die Basler scheinen mir alle an einer Art Verrücktheit zu leiden. Es wird daraus auch gar kein Hehl gemacht. Mir wurde erzählt, daß sie, soweit sie vermögend sind – und es gibt dort viele vermögende Bürger –, sommers ein Bad nahe dem unfernen Müllheim aufsuchen, wo sie von ihren seltsamen Anwandlungen genesen. Nach Basel zurückgekehrt, fangen sie indes alsbald wieder zu spinnen an.« F. Nietzsche, der ein Jahrhundert später in Basel als Philologie-Professor amtierte, erwähnte das ›Selbstmörderklima‹, dem die Stadt am Strom zeitweilig ausgesetzt sei. (Angelus’ Urgroßmutter, eine ›D’Albanesin‹, hatte den Professor Nietzsche gekannt. Einmal von ihrem Urenkel befragt, ob sie eine besondere Erinnerung an den Dichter-Philosophen bewahrt habe, hatte die fast Neunzigjährige lange reglos nachgesonnen und darauf nur dies gemeldet: ›Er war ein miserabler Tänzer.‹) – Wie nah bekanntlich Genie und Irrsinn beieinanderwohnen, hat Nietzsches Leben bewiesen. Im ›Morgenstreich‹, mit dem fünf Tage und vier Stunden nach dem Verrauschen des katholischen Karnevals der Welt einziger protestantischer beginnt, lassen die Basler, die sich das Jahr über stockzivil gaben, ihrer Sparte genialischer Verrücktheit zwar nicht freien Lauf: vielmehr exerzieren sie ihn im gleichen Schritt und Tritt.

Nacht; noch kein Dämmerhauch. Regnichte lichtlose Frühe, durch die der Rhein sich schemenhaft wälzt wie Hellas’ Totenfluß Acheron. Kurz vor vier sind alle Lichter erloschen. Da brennt keine Straßenlaterne; alle Fenster verdunkelt.

Ringsum in der Stadt sind sie angetreten vor ihren Cliquenlokalen, in Reih und Glied, vom Bauch der Trommler baumelt quer der ›Kübel‹, die lange Landsknechtstrommel. Irrlichternder Schein kleiner Kopflampen, wie Bergleute sie tragen, und bunter ›Steckenlaternen‹ huscht über die Gespensterkompanien hin, während Sänftenträger Riesenlaternen schultern gleich erleuchteten Hütten aus buntbemaltem Glas. Morgen werden sie in uniformen Masken durch die Stadt marschieren, wie das neue ›Sujet‹ jeder Clique es befiehlt. Zum Morgenstreich aber trägt man ›Charivari‹, trägt jeder, was er will, eine Larve vom Vorjahr oder sonstige Vermummung, und die Pfeifer halten die Pikkolo-Querpfeifen bereit, und den Trommlern baumelt der schweigende Kübel vom Bauch. Vorn der Pfeiferzug, dann der Tambourmajor, dann der Trommlerzug, so warten sie auf das Marschsignal, den Schlag der vollendeten vierten Stunde. Gedämpfte knappe Gespräche, dumpf unter mächtigen Larven, Dämonenfratzen, ins Kolossale geschwollene Elsässer-Bauernnasen, Fötusgesichter, Männer in Weibs-, Mädchen in Mannslarven, Tiermäuler, Wechselbälge …

Die Aktiven der ›Guten Meinung‹ warteten in Reih und Glied vor dem Cliquenlokal. Das Lulubé trug ein gewaltiges, violett schillerndes Eberhaupt, bestückt mit einem ausgedienten elsässischen Feuerwehrhelm. Angelus, daneben postiert, war verlarvt in eine gleichermaßen überwirkliche Weinsäuferfratze, auf deren – mittels einer Taschenlampe durchleuchteten – Burgundernase ein zweites Gesicht gewachsen war: das süße Antlitzchen eines Botticelli-Engels.

In der Sekunde, da vom Turm der nahen Martinskirche hernieder der vierte Glockenschlag verklang, intensiv nachzitternd in der feuchten Lichtlosigkeit, kommandierte die feste Stimme des Tambourmajors: »Den Morgenstreich! Vorwärts! Marsch!«

Im ganzen Stadtinnern hob zur selben Sekunde das Pfeifen und Trommeln an, daß es hohl durch die alten Gassen fistelte und knatterte. Durch die Gassen, in denen noch ein Stück jenes verschollenen Deutschlands fortlebte, das im Reich deutscher Nation, im Reich der unentwegten Kriege pulverisiert worden war. Nachdem sie den Morgenstreich zweimal auf der Stelle gepfiffen, getrommelt hatten, setzten sich sämtliche Cliquen gleicherzeit in Marsch, um im bedrohlich langsamen, getragenen Gleichschritt zum gemeinsamen Ziel der Schemenparade vorzurücken, zum Marktplatz.

Auf dem Rheinsprung geriet die ›Gute Meinung‹ in eine Stockung. Unten, über die Rheinbrücke, schaukelten die Riesenlaternen überm Troß der Schimären. Das Turian-Paar trommelte Schulter an Schulter, eine Welle im Meer des Massengetrommels.

Plötzlich hörte der Eber-mit-dem-Feuerwehrhelm zu trommeln auf, fuhr sich unter die Larve.

»Was ist, Lulubé?« raunte Turian unter der seinen hervor.

»Ich weine«, drang’s als stoßhaftes Schluchzen aus dem Eberhaupt.

»Du weinst?« Wegen einer Kindheitserinnerung, fiel Turian jäh ein; wegen der Erinnerung an die Fasnacht, in der Lulus bezechter Vater der Mutter mit dem Trommelschlegel ein Auge ausschlug …

»Viele weinen unter ihren Larven beim Morgenstreich. Wußtest du das nicht?«

»Nein.«

»Vor Glück«, drang es selig verschnupft aus dem Eberhaupt. Nach dem Endstreich eines weiteren Verses kam die Frage: »Weinst du, Kerubin?«

»Ich?« Unter Turians überwirklicher Weinsäuferfratze erstickte ein Kichern. »So schön es ist – weinen? Ich denke nicht dran.«

»In Pamplona hast du daran gedacht!« zischte der Eber auf die Gefahr hin, wegen des kommentwidrigen Gesprächs von dem zuhinterst linksaußen marschierenden Trommelchef angefahren zu werden.

Angelus schwieg und trommelte, nun mit großer Aufmerksamkeit darauf konzentriert, die oft schwierigen Vers-Variationen zu bewältigen. So rückte die ›Gute Meinung‹ bis zum Marktplatz vor. Plötzlich befiel ihn die Vorstellung, es werde alle über den Markt tosende, aufundabschwellende Brandung des Durcheinander-Tamtams gelenkt von der Leitwoge eines Trommelns.

Dem seiner Frau.

Sie hatten soeben den berühmten Arabi-Marsch beendet. Wieder zischelte es aus dem Eberhaupt, stoßhaft, doch überdeutlich für Turians Ohr:

»Du kannst nicht trommeln! Wärst du aus Kleinbasel, könntest du’s vielleicht. Aber du bist ja nicht einmal aus der Alban-Vorstadt. Woher bist du eigentlich, Kerubin? Bist du überhaupt von dieser Welt? Oder bist du ein Engel – wie der, der auf deiner Weinsäufernase lächelt?«

Angelus war bemüht, den Dialog, der ihn mit eins, ja, gefährlich deuchte, abzubiegen. Ein Fasnachtsbrauch: das ›Intrigieren‹; unter der Larve hervor foppt man die andern mit verstellter Stimme.

»Mein bester Wildsaukeiler«, quiekte er mit einer Fistelstimme, »auch Engel können musizieren.«

»Vielleicht Harfe«, fauchte der Eber. »Trommel nie! Wer kann, kann; wer nicht kann, kann nicht!«

Im Frühherbst desselben Jahrs reiste das Paar nach Lipari hinab.

Das Herz des Hais

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