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EIN BRIEF VON BRUNO KREISKY

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Es war am 23. Juni 1985. Ich war zu dieser Zeit Chefredakteur beim ORF-Hörfunk und sortierte meine Post. Unter den Briefen fand sich auch einer mit dem Absender Bruno Kreisky. Das war etwas ungewöhnlich, hatte ich doch mit Kreisky seit seinem Rücktritt als Kanzler im Jahr 1983 keinen Kontakt mehr. Der Inhalt des Briefes war so, dass ich zunächst an eine Fälschung dachte. »Sehr geehrter Herr Redakteur!« stand da. »Sehr geehrter« war allerdings mit Kugelschreiber durchgestrichen. Dann hieß es weiter: »Ich lese soeben den vollen Wortlaut Ihres Gespräches mit Finanzminister Vranitzky und bin über die Niederträchtigkeit Ihrer Fragen entsetzt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich mit Ihnen in Zukunft nichts mehr zu tun haben will. Das wird Ihnen sicher beim Generalintendanten sehr nützen, bei allen anständigen Menschen schaden. Eine Fotokopie meines Briefes geht mit gleicher Post an die sozialistischen Mitglieder der Bundesregierung.«

Die Vorgeschichte: Ich hatte am vorhergehenden Samstag Finanzminister Franz Vranitzky für die Sendereihe »Im Journal zu Gast« interviewt. Anlass war die kurz nach seiner Bestellung zum Finanzminister erfolgte Ankündigung Vranitzkys, dass man beim Schuldenmachen im Budget nicht mehr so weitermachen könne wie bisher. Das wurde allgemein als Abkehr von der bis dahin von Kreisky forcierten Politik des deficit spending bewertet. (Dass Vranitzky als Finanzminister und später auch als Bundeskanzler diese Ankündigung nicht einhalten konnte oder wollte, steht auf einem anderen Blatt). Ich stellte in meinem Interview mit Vranitzky die naheliegende Frage, ob man nicht schon früher beim Budget hätte sparen müssen. Vranitzky hütete sich allerdings, Kreisky in den Rücken zu fallen, meinte nur, das gelte für die Zukunft.

Ich fragte einige Male nach und das Interview ging auf Sendung. Es wäre wahrscheinlich der Vergessenheit anheimgefallen, hätte nicht Kurier-Kolumnist Sebastian Leitner eine giftige Glosse Richtung Kreisky geschrieben: »Unser neuer Finanzminister Vranitzky hat im ›Journal zu Gast‹ bewiesen: Er weiß, dass zwei mal zwei vier ist. Kreisky hat das bekanntlich nie gewusst.« Kreisky las die Glosse, bekam einen Wutanfall, verlangte vom Büro Vranitzky eine Abschrift des Interviews und diktierte dann den zitierten Brief. Bevor ich diese Hintergrundgeschehnisse in Erfahrung gebracht hatte, war ich ziemlich unsicher, ob sich da nicht jemand einen Scherz erlaubt hatte, ob der Brief also echt war. Die Diktion schien mir doch etwas ausgefallen.

An einem der nächsten Tage traf ich im Parlament den mir gut bekannten Verkehrsminister Ferdinand Lacina, der einige Jahre Bürochef von Kreisky gewesen war. Lacina warf einen Blick auf den Brief und bestätigte: »Der Brief ist echt. Der ist auf der Schreibmaschine von Kahane geschrieben. [Der Unternehmer Karl Kahane war ein Freund Kreiskys, dessen Büro dieser nach seinem Ausscheiden aus der Politik benützen konnte.] Solche Briefe hat er früher öfter diktiert. Aber da hat er noch ein funktionierendes Büro gehabt. Die haben wir nicht abgeschickt.« Einige Tage später, wenn Kreiskys erste Wut verraucht war, wurde dann ein etwas sanfterer Brief abgeschickt. Ähnliches berichten auch andere Mitarbeiter aus dem Umfeld Kreiskys. Die Wut Kreiskys hatte natürlich nur vordergründig mit meinen Interview-Fragen zu tun. Kreisky war erbost, dass Bundeskanzler Fred Sinowatz den von ihm eingesetzten Finanzminister Herbert Salcher durch Franz Vranitzky ersetzt hatte. Die Ankündigung Vranitzkys, die Schuldenaufnahme zurückzufahren, konnte Kreisky nur als Kritik an seiner Politik verstehen. Statt Vranitzky bekam allerdings ich die Hiebe.


Der erboste Brief war der letzte Kontakt des Alt-Bundeskanzlers zu mir. Vorher hatte ich Kreiskys politische Tätigkeit von seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 1967 bis zu seinem Ausscheiden aus der Politik 1983 als Journalist begleitet – mit vielen Gesprächen und Interviews für Zeitungen und für das ORF-Fernsehen. Der Beruf des Journalisten war mir allerdings nicht in die Wiege gelegt worden, es war vielmehr ein steiniger Weg dorthin.

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