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Zwei Seelen – ach! – in unserer Brust

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Münsterland und Christentum

Der einzige Führer, dem wir uns je mit Haut und Haaren verschrieben haben, der in unseren Sagen weiterlebt und bis heute unser Herz wärmt, ist der Sachsenherzog Widukind. Aus ganz besonders hartem Holz geschnitzt, hat er sich mit List und – wie hier bereits mehrfach erwähnt – mit einer gewissen, in unserem Landstrich nicht unüblichen Halsstarrigkeit immer wieder den Unterwerfungsversuchen Karls des Großen widersetzt.

Der mittlerweile bekannte Kartäuser-Mönch Werner Rolevinck schreibt, dass unser Herzog der härteste aller Gegner war, mit dem der Frankenkönig je zu tun gehabt habe: »Widukind war der tapferste Gegner Karls. Unermüdlich war er tätig, und kein anderer unter der Sonne hat dem König so schwer zu schaffen gemacht wie er.« Natürlich schwillt dir vor Stolz die Brust, wenn so von deinem Fürsten gesprochen wird. Einerseits.

Andererseits fangen damit unsere Probleme erst an, die wir Nachfahren mit ihm haben. Denn emotional ganz auf der Seite des sächsischen Heiden stehend, müssen wir, die christlich Nachgeborenen, moralisch der Seite des Sachsenschlächters Karl zuneigen, der am Ende unsere Vorfahren unter das Dach eines Großreiches mit christlicher Staatsreligion zwingen konnte. Das ist der Grund, warum wir in unseren Sagen mit sehr gespaltener Zunge von unserem Fürsten singen: Einerseits loben wir den enormen Widerstand und die herrlichen Großtaten unseres Herzogs, deren größte andererseits darin bestand, klein beizugeben und sich dem christlichen Glauben zu unterwerfen. Kein Wunder, dass der äußerst grausam geführte Krieg Karls gegen die Sachsen im Nachhinein in einem sehr milden Licht erscheint.

Der auch Weking genannte Widukind verkleidet sich – so geht die Sage – nach den jahrelangen fränkisch-sächsischen Auseinandersetzungen als Bettler, um in das Lager der Franken zu gelangen. »Denn hier, meinte der königliche Bettler, könne er am unbeachtetsten den gepriesenen Karl schauen, wenn er in der Mitte seiner Helden und Gewaltigen aus dem Gotteshause trete. Als er nun, hart an die Pforte gelehnt, sich hinüberbiegt und hineinblickt in die geweihte Wohnung, da soll ihn vom Altare das Jesuskind angelächelt haben. Und hier, sagt man, sei ihm zuerst der Gedanke entstanden, auch wohl ein Christ zu werden. Als dann Karl heraustrat, ist ihm die hohe Gestalt und der gewaltige Gliederbau des fremden Bettlers aufgefallen, und er hat wohl geahnet, wer es sei. Weking aber ist in Frieden und in tiefen Gedanken zu den Seinen heimgekehrt.«

Man spürt sofort, dass hier zwei ganz Große sich auf den ersten Blick ganz doll lieb haben. Sie spiegeln einander ihre Ebenbürtigkeit und sehen, dass der einzige Unterschied zwischen ihnen der unterschiedliche Glaube ist. Aber das ist kein Nachteil. Es bedurfte geradezu dieses Gegensatzes, um dem christlichen Glauben insgesamt zum Sieg zu verhelfen. Hören wir hierzu noch einmal unseren Kartäuser Rolevinck, der nahezu enthusiastisch schreibt: »Den Ruhm, mein liebes Sachsenland, hast du Gott dem Allmächtigen zu verdanken, daß du von keinem anderen besiegt werden konntest als von diesem Manne! Niemand anders hätte dich läutern, bilden, im Glauben erleuchten und festigen können als der Fürst, der alle andern weit überragte an Macht und Reinheit, an Frömmigkeit und Edelmut, an Tapferkeit und Wissenschaft, an Gottesfurcht, Weisheit und Heiligkeit.« Das ist Hegel pur, weit vor Hegel: Widukind ist die fleischgewordene Antithese, die zur Verwirklichung des göttlichen Heilsplans unumgehbar notwendig gewesen war.

Zumindest in der idealisierten Form. In Wirklichkeit rumort es in unserem Gemüt seit jenem Tag im Jahre 785, an dem Widukind in Attigny zum Christenmenschen getauft wurde und mit ihm alle Westfalen den neuen Glauben annahmen. Denn eines liegt ganz offen zutage: Die münsterländische Seele ist ein Ort, dem weder mit der Fackel der Vernunft noch mit dem Zauberglanz des Glaubens beizukommen ist. Sie will immer nur selbst – von innen her – leuchten. Das ist der Kern unserer Querschädeligkeit. Deshalb haben sich die hegelschen Gegensätze in uns auch zu keiner höheren Einheit harmonisieren lassen.

Finden wir Spuren dieses Kampfes nicht auch in der Dichterin Seele, als sie begann, ihr »Geistliches Jahr« zu verfassen? So unterschiedlich und »schwankend in sich selbst« die Gedichte dieser Sammlung auch sind, so drücken sie doch eines immer wieder und in immer anderen Worten aus: erhebliche Glaubenszweifel. Es scheint, als tue sich hier jemand schwer damit, seinen münsterländischen Querkopf auszuschalten und die überlieferte christliche Lehre unhinterfragt anzunehmen. Das Ergebnis ist das mit sich kämpfende, also leidende Ich.

Ein Ich allerdings, das bei weitem nicht allein ist in seinem Kampf. Dies machen vier für das Gesamtkonzept der Gedichtsammlung äußerst bedeutsame Verse deutlich. Die junge Dichterin schreibt: »Meine Lieder werden leben, / Wenn ich längst entschwand, / Mancher wird vor ihnen beben, / Der gleich mir empfand.« Unsere Dichterin sieht sich mit ihren Glaubenszweifeln also nicht allein auf weiter Flur. Heute nicht und auch in unabsehbare Zukunft nicht, denn wie gesagt: »Meine Lieder werden leben, / Wenn ich längst entschwand.«

Damit ist der weitere Weg unserer Seele vorherbestimmt: Nie und nimmer wird sie je wieder zur Ruhe kommen. Beide – der altheidnische und der neuchristliche Münsterländer – kämpfen auch weiter ihren ewigen Kampf und werden ihn kämpfen bis ans Ende der Tage.

Querschädel, Regenlöcher, Schlodderkappes

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