Читать книгу Griechen besiegen Perser bei Salamis! - Ulrich Graser - Страница 7
Оглавление+++ Salamis – sicher geglaubter Sieg der Perser +++
Xerxes, König der Perser, Herrscher über das größte und mächtigste Reich der bekannten Welt, richtet sich an diesem Morgen im späten September mit seinen engsten Mitarbeitern auf dem Aigaleos-Hügel ein, um sich das Spektakel der Seeschlacht vor der Insel Salamis zu gönnen. Er erwartet nichts anderes als einen großartigen Erfolg seiner Flotte. Einen strahlenden Sieg, ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für die Überlegenheit seiner Vielvölkerarmee gegen diese armseligen Griechen. Eigentlich eine reine Formsache. Doch dann kommt alles ganz anders, und der König muss es mit ansehen.
Xerxes auf dem Höhepunkt seiner Herrschaft
Nach dieser entscheidenden Seeschlacht würde Xerxes den Rest des kleinen Landes rasch unterwerfen. Die Niederlage von Marathon wäre vergessen, die Ägäis endgültig persisches Einflussgebiet, in dem der Wille des Großkönigs Gesetz ist. Viele neue Gaben flössen in die Schatzkammern von Susa. Xerxes könnte endlich nach Asien heimkehren und dort nach dem Rechten sehen. Auch innenpolitisch hätte der König die Hand frei: Mit der Eroberung Athens und der Eingliederung des ägäischen Raums könnte er alle jene persischen Großen mundtot machen, die noch immer an seiner Legitimation als Nachfolger des Dareios zweifelten. Dieser Tag markierte den bisherigen Höhepunkt einer knapp sechsjährigen Herrschaft.
Doch entgegen seinen Erwartungen wurde Xerxes Zeuge, wie die armseligen Griechen in dem Gewässer zu seinen Füßen die persische Flotte Schiff um Schiff rammten, versenkten, enterten, vertrieben, vernichteten. Xerxes sah zu, wie die phönizischen, die persischen, die ionischen Schiffe in seinen Diensten verzweifelt die Flucht ergriffen, wie sie versuchten, der tödlichen Wirkung der Rammsporne der griechischen Trieren zu entkommen, wie sie sanken, kippten, hilflos auf dem Wasser trieben. Einen ganzen Tag lang währte die Demütigung des »Königs der Könige«. Danach hatte er genug. Xerxes trat den Rückzug nach Asien an. Sollte sein Feldherr Mardonios im kommenden Jahr die Sache militärisch zu Ende bringen. Xerxes jedenfalls würde seinen Fuß nie wieder auf europäischen Boden setzen.
Ein Wendepunkt – aber für wen?
War Salamis damit zum Wendepunkt geworden? Diese Frage ist nicht so einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Ganz sicher bedeutete der unerwartete Ausgang der Seeschlacht einen Wendepunkt für den Krieg des Xerxes gegen Griechenland. Der Sieg der Griechen widersprach jeder Wahrscheinlichkeit. Die hellenische Flotte war vermutlich nur etwa halb so groß wie die des Königs. Die Griechen des Festlands konnten zu dieser Zeit von Ausnahmen abgesehen noch nicht als geübte Seefahrer bezeichnet werden. Die fanden sich eher in den Reihen des Xerxes. Die Ionier – Griechen auch sie, aber gezwungenermaßen in Diensten der Perser stehend – galten gemeinsam mit Phönizier n und Ägyptern als die besten Seeleute. Schon seit vielen Jahren kämpften sie mit den Dreiruderern, den Trieren. Die Griechen im Mutterland dagegen, vor allem die Athener, hatten gerade erst begonnen, eine Kriegsflotte aufzubauen. Nicht nur zahlenmäßig, auch taktisch und manövriertechnisch stand sie am Beginn ihrer Entwicklung. Das wussten nicht nur die Hellenen selbst, sondern natürlich auch die Perser. Die Strategie des Xerxes war darauf ausgerichtet, die schiere quantitative und im Fall der Flotte auch qualitative Überlegenheit in einen vollständigen militärischen Sieg umzumünzen. Gelänge dies, könnte in Griechenland und im ägäischen Raum keine Entscheidung mehr ohne den König getroffen werden. Jede ernst zu nehmende Flotten- oder Truppenkonkurrenz wäre ausgeschaltet. Für Xerxes war dieses Ziel schon mit Händen zu greifen. Doch es entglitt ihm Ende September 480 v. Chr. im letzten Augenblick. So gesehen wendete sich die Geschichte am Abend der Schlacht bei Salamis tatsächlich.
Es geht nicht nur ums nackte Überleben
Für die Griechen, soweit sie sich als Kampfgemeinschaft verbündet hatten, standen am Morgen vor der Schlacht nicht nur das nackte Überleben und die politische Unabhängigkeit auf dem Spiel – Spartas Rolle als militärische Vormacht wäre ins Wanken geraten, hätte das Heer des Xerxes den Weg auf die Peloponnes gefunden. In Athen hätte ein persischer Sieg das seit Jahren gegen große innere Widerstände verfolgte Konzept des Strategen Themistokles, die Entscheidung auf dem Meer zu suchen, auf Jahrzehnte hinaus diskreditiert. Bei Marathon hatten zehn Jahre zuvor die Hopliten, die Bürger in Waffen, die Perser geschlagen – weitgehend ohne fremde Hilfe. Eine Niederlage vor Salamis und von der schönen neuen Flotte Athens wäre wenig übriggeblieben. Statt dessen wurde die Flottenpolitik zur Grundlage des raschen Aufstiegs Athens. Attikas Zukunft lag nun auf dem Wasser, während sich Sparta, der wichtigste Partner im Abwehrkampf, auf seine traditionelle Rolle als Landmacht konzentrierte. In dieser Hinsicht markiert Salamis weniger einen Wendepunkt der Geschichte, vielmehr beschleunigte der glückliche Ausgang der Schlacht eine Entwicklung, die Jahre zuvor mit der Entscheidung Athens zum Flottenbau begonnen hatte. Salamis wirkte gewissermaßen als Katalysator, der den Selbstbehauptungswillen Athens entfachte.
Der Hellenenbund schafft die Wende
Ein Wendepunkt war der Sieg bei Salamis in jedem Fall im griechischen Abwehrkampf gegen die Perser. Im Spätsommer 480 hatte Xerxes den größten Teil Griechenlands unterworfen, zahlreiche Städte und Heiligtümer zerstört. Er besetzte und zerstörte das von seinen Einwohnern verlassene Attika samt Athen und wähnte sich schon am Ziel. Doch nun stand er unter Schock. Mardonios, der erprobte Feldherr und Cousin des Königs, sollte im folgenden Jahr die Griechen doch noch schlagen – zu Land, nicht mehr auf dem Wasser. Bekanntlich ging aber auch diese Schlacht bei Plataiai verloren. Fürs erste hatten die Griechen die Persergefahr abgewendet, mehr noch: Sie schüttelten ihre defensive Haltung ab und gingen zu offensiven Aktionen im Machtbereich des Gegners über.
Perserkriege prägen Griechenlands Entwicklung
Die weitere Entwicklung Griechenlands stand ganz unter dem Eindruck der erfolgreich bestandenen Perserkriege, die sich in der Ägäis und in Asien noch über drei Jahrzehnte hinzogen. Dieses Erfolgserlebnis prägte nicht nur die Lebenswirklichkeit der beteiligten Städte und ihrer Bürger im Inneren wie in ihren Beziehungen zueinander. Das kulturelle Gedächtnis der gesamten Antike unterlag der Wirkmächtigkeit des athenischen Einflusses. So bestimmt die spezifisch europäisch-griechische Sichtweise noch heute unser Bild von den damaligen Ereignissen.
Nach Plataiai dauerte es über achtzig Jahre, bis persische Soldaten sich wieder in Griechenlands Nähe blicken ließen. Salamis und Plataiai sind deshalb in einem Atemzug zu nennen. Doch ohne den Seesieg von 480 hätte es 479 keine Entscheidungsschlacht an Land gegeben. Ein Erfolg der Perser bei Salamis hätte für die Einwohner der meisten Städte, die sich nicht unterworfen hatten, Tod oder Deportation, zumindest aber politische Unselbstständigkeit bedeutet. Welche Entwicklung würde Griechenland in diesem Falle genommen haben? Hellas als persische Satrapie? Der Feldzug des Xerxes traf die Griechen just zu einer Zeit, als in Athen und anderen Stadtstaaten (Poleis) die Tyrannis überwunden und die alte Adelsherrschaft zurückgedrängt war zugunsten einer Beteiligung breiterer Schichten an der Politik. Themistokles ist für uns der bekannteste Exponent jener Strömung. Die Teilhabe am Staat förderte auch das Interesse an dessen Schicksal. Themistokles verstand es, die Athener davon zu überzeugen, dass eine große Flotte für ihr Überleben notwendig sei. Der von der Bürgerversammlung beschlossene Flottenbau war damit eine Sache aller Athener, auch und vor allem solcher Schichten, die aufgrund ihrer Armut bis dahin weitgehend vom politischen Leben ausgeschlossen waren. Als Ruderer wurden sie dringend benötigt. Mittels Muskelkraft erwarben sie sich ein Mitspracherecht in öffentlichen Angelegenheiten.
Grundstein für innergriechischen Dualismus
Der Sieg über die Perser beförderte ohne Zweifel die Entwicklung Athens zur vollen Demokratie und ermöglichte erst den Aufstieg zur zweiten griechischen Großmacht. Salamis legte damit auch den Grundstein für den Antagonismus zwischen der Landmacht Sparta und der Seemacht Athen, der schließlich im Peloponnesischen Krieg zum Ausbruch kam, fünfzig Jahre nach dem gemeinsamen Sieg über die Perser. Im Windschatten seiner Großmachtpolitik rückte Athen zum unbestrittenen kulturellen Zentrum der antiken Mittelmeerwelt auf. Philosophie, Drama, bildende Kunst, Naturwissenschaft und Rhetorik – was in jener Zeit und danach in Athen gedacht, geschrieben, geschaffen wurde, ist bis heute grundlegend für Europa. Wäre es das auch, hätte Xerxes im September 480 bei Salamis obsiegt?
Perser stoßen an ihre Grenzen
Für die Perser war die Niederlage schmerzlich, teuer und im Hinblick auf mögliche Aufstände unterworfener Völker gefährlich. An ihrem Status als Weltmacht änderte sich jedoch nichts. Mit Salamis endete jedoch die nahezu ungebremste Expansion. Das erste Weltreich der Geschichte war nach sieben Jahrzehnten des Wachstums buchstäblich an seine Grenzen gestoßen – Europa ließ sich nicht auf Dauer halten. Der Hellespont, aber auch die Dynamik der politischen Entwicklung in der Ägäis erwiesen sich als unüberwindliche Hindernisse für deren Eingliederung in den persischen Machtbereich. Eine ähnliche Erfahrung hatte schon Xerxes’ Vater und Vorgänger Dareios gemacht, als er 513 v. Chr. den Skythen erfolglos durch die ukrainische Steppe nachjagte. Das Projekt Griechenland ließ sich dagegen zunächst besser an, waren doch viele Hellenen allzu gern bereit, die Oberhoheit des Großkönigs anzuerkennen, wenn sie nur in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und ihren griechischen Nachbarn damit ein Schnippchen schlagen konnten. Die Kleinstaaterei und traditionelle Uneinigkeit der Griechen kostete sie letzten Endes beinahe die Selbstständigkeit. Unter dem Druck einer bis dahin unbekannten Kriegsmaschinerie stellten aber einige wenige ihre Differenzen hintan und rauften sich immer wieder zusammen – so auch in den dramatischen Stunden vor der Schlacht bei Salamis.
Kyros, der Begründer des persischen Reiches, drehte sich womöglich im Grabe herum. Seine erste Begegnung mit den Griechen lag gerade einmal rund fünfundsechzig Jahre zurück. Hier setzt unser Rückblick auf die Vorgeschichte von Salamis ein: Wie kam es dazu, dass der »König aller Könige« höchstpersönlich an der Spitze eines gigantischen Heeres und einer riesigen Flotte in das kleine Griechenland an der Peripherie seines Reiches einmarschiert – und sich dann auch noch eine äußerst blutige Niederlage einhandelt?