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In das Eingehauste eindringen.

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In eingehauste, verschlossene, verwaiste, verschmierte, verwichste, verlauste, phantasierte Gedächtnisbuden, Paläste, Traumburgen, Buden aus Pappe, aus Wolken, aus Sünden, aus Gemeinheiten, Festen aus Stein.

Vergiss den Rat der Alten, selbst ist der Held heutzutage,

alles versuchen muss er, und alle Worte fragen.

Der Eindringversuch in das Gedächtnis ist Perforation des selbigen.

Parzival - unselbst ist dieser Held gewesen, er hat den Gral gesucht und sollte keine Fragen haben.

Hermann - du aber sollst Fragen haben, du sollst Erinnerungsmauern einreißen, du sollst ein braches Feld beackern, du sollst einen langen Weg gehen unter grimmigen Fratzen, du sollst dich quälen, brauchst keinen Posaunenschall, bleib in deinem Kämmerlein, du armes Würstchen, und verlass es doch, du Held, komm doch raus.

Addierst du deine wütend ausgerufenen Forderungen, sind es in der Summe bisher sechs Sätze. Der siebente Satz kann folgen, ist aufzuschreiben, soll lauten (hinter vorgehaltener Hand):

Hermann, du kannst nicht wissen, worauf du dich einlässt...

Lass den siebenten Satz so stehen, streite dich nicht, er stimmt in seinem unförmigen Sinn. Es ist eine Warnung. Der Sinn wird schon über dich kommen, wenn du das Eingehauste erstürmt hast und nicht über die Tat redest, sondern deine Worte lesen wirst. Die Ausspähtürme lass jetzt verwaisen, gehe in die Winkelgassen deines Gehirns... und... suche freies Feld.

Fühlst du dich provoziert? Brauchst du noch mehr Lockung?

Welcher Verführung folgt der, der ins Eingehauste eindringen will?

Du musst das Wagnis wollen und dich selber au fait setzen...

Dann ist es gut. Bist dann ein Held, und niemand hebt dich mehr aus dem Sattel. Der Held von heute hält Schwert und Schild im Schrank. Sammlerstücke. Staubwischen. Blankputzen muss er. Er führt kein Pferd zum Tjost, die Lanze übersieht er, die schönen Frauen nicht, er kauft sie nach Bedarf, er braucht nicht den Reitersieg, braucht kein blechernes Visier um einer Liebe willen. Die Waffenschmiede heißen Öffentlichkeit und Psychologie. Der Held von heute nutzt subtile Mittel: Geldmacht, Medienmacht, Öffentlichkeitsneugier spielen ihm in die Hände. Das sind die 24-Stunden-Zerstörer der Gegenwart.

Durchbeißen und Auftreten...Einsatz... musst du haben, können und beherrschen. Der heilige Gral ist ein Mythos, ist verdorben und verloren.

Ruhe dich aus und denke nach vorn, bevor du rückwärts denkst und dein Werk in die Form bringen willst.

Am siebenten Tag – so weiß es die Genesis-Legende (und das ist die Legitimation für deine Pause) - hat der HERR nachgedacht über sein Werk, er hat es wie ein Künstler skeptisch betrachtet, als wäre etwas noch hinzu zu fügen. Aber was? Eine Eiszeit, eine Krustenbildung, eine zweite, dritte, vierte Kontinentalverschiebung, noch einen Mond und noch eine Sonne für die andere Seite und noch einige Myriaden Mücken?

Es fehlte ihm vielleicht nur eine neue, eine bequemere Wolke zum Niedersitzen, die alte war durchgehustet. Pardon, der HERR..., denn er isst ja nichts, nicht mal eine Zwiebel, braucht er nicht zu husten und hat auch keinen Mundgeruch. Aber ausruhen musste er sich. Kein Ratgeber, kein Methodiker, kein Ernährungsberater stand ihm damals zur Seite...

Unfug, sagst du... Bitteschön.

Es gibt für den HERRN keinen Ratgeber, keinen Methodiker, keine neue Wolke, keine Welt. Der HERR ist alles in einem und hat geschaffen nach Laune, und schafft weiterhin, wie ihm gerade ist.

Am siebenten Tag aber ist ihm zum Ausruhen und zum Nachdenken gewesen.

Er hat nichts verbessert an seinem Werk, nichts zurückgenommen, nichts bereut. Er hat alles für gut befunden.

Einen Vergleich kann er nicht anstellen (Die Titanen hinterließen immaterielle Werte, Nachgesagtes, Angstgesänge, Phantasiereize für Unmündige).

Der HERR übergibt sein Werk dem kosmischen Markt, spricht ein paar Regeln aus und überlässt das Geschaffene sich selbst und den beiden da unten. Die sollen sich an die Regeln halten (weshalb eigentlich?).

Und wenn nicht, will er zornig strafen.

Sein Werk entspringt seiner (urgöttlichen) Inspiration: Gutes tun und den himmlischen Heerscharen drum herum ein wenig Abwechslung gönnen. Sie sollen am Tag X die Ausgewählten in die ewige Geschlechtslosigkeit treiben helfen. Bis dahin heißt es abwarten. Und solange, bis das Warten vorbei ist, herrscht in den Gefilden des HERRN die hedonistische Monokultur.

Du wirfst ein: Aber der Spielverderber?

Es gibt immer einen Spielverderber, einen Besserwisser, der sauer ist und nicht mitmacht, auf eigene Rechnung geht, weil er neidisch ist.

Der spinnt sich dann einen Schwachsinn aus...

Sicher, der HERR hätte den Engel nicht fallen lassen sollen. Er hätte den Engel nicht ausschließen sollen für tausend Jahre... und wie viele sollen es noch werden. Das Ende seiner Großzügigkeiten hat er nicht überschaut in seiner Allmacht. Der HERR denkt eben nicht voraus, er denkt von der Hand in den Mund, weil er ewig ist. Ewigkeit ist keine Zeit. Ewigkeit schließt prognostisches Denken aus. Die Zukunft aber ist ein lockender Stachel.

Den Stachel spürt der Gefallene und löckt wider ihn.

Den HERRN löckt nichts. Er sieht den Tag und durchschaut die Nacht auf Erden, während bei ihm in seiner Raumzeitlosigkeit alles gleich bleibt. Der HERR kann niemals neugierig sein, keine Abenteuer begehen, keine Lust befriedigen. Er kennt nichts, er weiß alles. Er weiß von keiner Eigenschaft. Er kennt die Moral nicht. Er ist sich seiner Ewigkeit gewiss.

Das ist doch langweilig...

Ich bin nicht der HERR, ich will es nicht sein.

Ich bekomme bei dem siebenten Satz Gänsehaut. Die Falten auf meiner Stirn nehmen zu, mein Antlitz fällt ein, der Schweiß rinnt, die Augen beginnen zu flackern. Was soll eigentlich der beschissene Vergleich mit dem Parzival? ... Der hat auf den Rat seiner Mutter gehört und auf die Weisheiten eines Einsiedlers. Zwei fatale Ratgeber.

Parzival, der Athlet aus einer bewaldeten Hinterprovinz, reitet diagonal durch Europa und schlägt auf alles, was er nicht versteht. Er beherrscht die Gewalt besser als jeder andere. Er hat dem Schwert vertraut und nicht seinem Kopf.

Provinz heißt immer Gewalt und geringer Geist. Basic instinct des flachen Landes. Woher komme ich?

...An der gedanklichen Stelle stutzt Hermann, ihn durchfährt ein kleiner Schrecken, noch einmal nässt ein Schweißausbruch seine Kleider. Es bedarf keiner großen geistigen Anstrengung, sich klar zu machen, dass er selbst einer bewaldeten Hinterwelt entläuft, heraus will, zu suchen, was er nicht beschreiben kann, zu kurz sind seine Fühlungen außerhalb der Berge, zu manifest der hohe Lattenzaun, den nicht mal die Hühner überfliegen sollen. Weniger als 50 Kilometer misst Hermanns Weltendurchmesser mit einem spitzen Kirchturm im Mittelpunkt des Seins, von dem immer die Tageszeit abzulesen ist und die Turmuhr die Stunden schlägt, einem Magneten gleich die Welt zusammenhält, und seine Fragen kurz bleiben bis sie ab einem gewissen Lebensalter verstummen werden, weil sie unnötig geworden, dem schlurfenden Einerlei im Wege stehen, so gesehen in einem Maße unbeantwortet bleiben, weil alles sich selbst beantwortet hat und nichts noch nie besprochen worden ist, so dass der Eindruck entsteht, friedlich und gleitend und geregelt ist die Welt, und nichts kann anders sein als Heimat und nur das Fernsehen zeigt in den Abendnachrichten die Welt bombengrausam, im mittleren Osten, wo man keine Scherze macht, und auf dem Balkan schnell zum Messer greift, die müssen doch alle keine Sitten haben. Oder die des Parzival.

War da nicht einmal der Franz-Joseph Strauß aus der anderen Welt, dem der Wort schnitzelnde TV-Kommentator Karl-Eduard die Lust zu einem neuen Krieg unterjubelt, worüber du an jenem einen Abend, noch nicht Mann, nicht mehr Kind, vor dem Einschlafen im Bett heulst vor Angst, die gute, deine gute Welt zu verlieren, eine schlechte kennst du nicht, eben nur die mit den 50 Kilometern Durchmesser, aber am liebsten hast du eine mit zehn Kilometern, die ist mit dem Fahrrad abzufahren von einem Kornfeld bis zum Feldweg da hinten am nächsten Kilometer mit den Süßkirschen am Wegesrand, auf denen du, wie die Stare es tun, dich niederlässt, wenn du es schaffst herauf zu klettern, den kleinen Wanst zu sättigen bis zum Abendbrot, wo es Schmalzstullen und Harzer Käse gibt, Leberwurst liegt in harter Pelle und braune Bierwurst in dicken Scheiben und rosa salzige Metwurst auf dem grauen Mischbrot vom Bäcker an der Kirche, das du auf dem Weg von der Backstube bis nach Hause, bis zur Haustür, zweimal herunterfallen lässt auf die tausendfach begangenen Steine, am Milchladen vorbei über die Pflastersteine aus Schlacke, die hinter Hohnstädter seinem Laden kein Straßenkehrer mehr von Kuhfladen und Pferdeäpfeln reinigt, und Blutwurst gibt es, die isst die Mutter – nein, die hat der Vater sich und den unmündigen lebenden Teilen der Familie verboten – es geht auch so, wenn hin und wieder ein Teller mit Leinöl und Pellkartoffeln und Quark zur Erntezeit und am Wochenende Hackepeter, Salz und Pfeffer und Senf (Mostrich) den Ausgleich schaffen für das verbotene Stück fremden Blutes, das der HERR zu genießen verboten haben soll.

Da ist also der HERR wieder im Spiel. Warum macht er denn so etwas und woher weiß der Vater um dieses blutende Geheimnis? Die Tischplatte biegt sich nicht von den Gaben der täglichen Arbeit, die mit einem Gebet am Anfang, als es noch ging, und du noch daheim bleiben willst, andächtig beäugt, und gierig dann verschlungen werden, geschmatzt mit Tee verdünnt und genießbar im Schlund versinken, einen gesunden Schlaf zur Folge haben, in der Welt ist alles in Ordnung, und wiederkehrend sind ihre Verrichtungen, vom Pinkeln an die Hauswand bis zum abendlichen Abnehmen der Eier von den Nestern der Hühner. Und die Füße sind am Wochenende dran, mit Wasser gereinigt zu werden, da ist die Schüssel frei und das siedende Wasser kommt von der Herdplatte, dampft in das kalte, und die Füße werden wohlig rot vom heißen gesalzenen Wasser und der Kernseife. Morgen früh gibt es frische Strümpfe. Die Provinz, so wird dir klar, ist in dir verwachsen, unauslöschbar dein körperlicher und seelischer Teil, da kann Dresden auffahren nach Leibeskräften und dir andeuten, wonach du fahndest und dir aus Büchern erdichtet hast, es soll kein Gral mehr sein, es soll deine Seele erweitern. Und die erstrebte Bildung hungert in dir noch mit ihrem Verknüpfungsdrang zu einer Freiheit, weg von den Entscheidungen anderer über dich. Dort, dort irgendwo, liegt das unbekannte Terrain. Du willst selbst sein, das sagt sich so leicht, wie die Menschwerdung des Affen sich so leicht sagt, bloß ist der Affe nie Mensch geworden und du willst werden, wovon du nichts weißt aber davon redest und es öffentlich sagst und es umschreibst mit einer Phrase die gewaltig klingt und bei anderen Staunen erzeugt und bei manchem Zuhörer der Finger gleich an die Stirn geht, der will sich doch nicht selbst...

Nimm dir schwarzen Tee aus der Dose und brühe ihn auf. Zwei Teelöffel, leicht gehäuft auf einen halben Liter Wasser und lange ziehen lassen. Die Samoware aus der Sowjetunion sind in Mode gekommen, heißes Wasser auf den Sud, etwas Zucker je nach Gewohnheit, und dir wird es besser gehen. Tee kannst du dir leisten, armes Schwein von Student... In die Nacht hinein über den Büchern hocken und dösen, weil du nicht einschlafen willst, hundemüde aber nicht einschlafen. In den Schädel geht nichts rein, Bauzeichnungen anfertigen gerade noch, eine mathematische Gleichung auflösen schon nicht mehr. Das ist kein Heimspiel in Dresden.

Öffnend das Fenster

Erblicke ich

Sternenklar den Himmel.

Befreit aus dem Bücherwald

Sauge ich die Nacht.

Mein Atem flieht,

Protuberanzen gleich,

Sichtbar um meinen Schatten.

Du hast den schwarzen Tee getrunken aus dem neuen chinesischen Porzellan. Du hast dir als erstes Porzellan aus China gekauft, eine winzige Kanne und zwei winzige Tassen, verpackt in Papier und Pappe aus Deutschland-DDR. Du hast kein Geld in der Tasche, aber du kaufst Porzellan aus der eckigen Volksrepublik China. Der Kaufladen für Haushaltwaren liegt versteckt in einer Seitenstraße am Wasaplatz in Dresden. Reißzeug wäre für dich wichtiger gewesen. Und das Lehrbuch für Mathematik.

Tee trinken!... dümmlich verkleisterndes Markenzeichen des Studentendaseins, wortreich geboren an den Zäunen der Schrebergärten, im letzten Sommer beim Ernten der Stachelbeeren. Die Nachgeburt der Träume ausgekotzt, samstags, in die Gosse geworfen, in die Straßengräben, die Jauchegruben, den Rest abgepinkelt in dem stinkenden Pissoir des Kulturhauses auf dem städtischen Anger. Die Kumpels brachten ihre Weiber bis vors Haus... Die schafften das. Einer hat mit einer in der Garage gevögelt und den Motor laufen lassen. Er ist verröchelt, ist jetzt ein toter Schwanz.

Wo es doch so schön war für einen Moment.

Den kann man nicht benennen.

Die Garage ist nebenan gelegen, keiner hört die Geräusche.

Was schreiben die dem auf den Grabstein?

Hätte er Tee getrunken, schwarzen Tee, aus einer eckigen chinesischen Kanne, aus der eckigen Volksrepublik China, lebte er noch.

Tee ist nichts für die Kumpels des Bergbaus und der Baustellen.

Bier ist gut.

Und Schachtschnaps.

Das Etikett (Originaltext) klebt auf einer Seite der Flasche:

Steuerfreier

T r i n k b r a n n t w e i n

32 Vol.-%

Weiterverkauf durch den Verbraucher

nicht gestattet

Abgabe an den Verbraucher ohne Flasche

durch Umfüllen, mit Flasche gegen

Hinterlegung von 0,40 M

L e i h f l a s c h e !

Eigentum des Herstellerbetriebes

1 Liter 1,60 M ausschl. Flasche

TGL 8247

Pfandbeitrag 0,40 M

KONSUM – SPIRITUOSENBETRIEB

Allstedt (Helme)

IV-21-1 Pt G o2-81 10000 (1349)

Macht mutig und lebensdurstig. Das erzählst du so nebenbei... Ich weiß, du bist neugierig, wie der das Weib in die Garage gekriegt hat... Ganz einfach, weißt du, sie war genauso besoffen wie er. Und haben beide nichts mehr gemerkt.

Jetzt drehst du den Kopf zur Seite, weil dir das nicht rein will in deinen Schädel. Du glaubst, man kriegt die Weiber nur mit Charme ins Bett. Da gibt es Typen, sage ich dir, die ziehen eine Schau ab und dann gehen sie am Ende doch leer aus, weil den Weibern eben etwas an solchen Typen fehlt. Das musst du herauskriegen, es gibt kein probates Mittel dafür.

Wie kannst du nur den Tee so kurz ziehen lassen... Aufpeitschung der Nerven statt Aufmunterung. Lass ihn mindestens zehn Minuten ziehen in dem rostigen Ei...

Was sagst du?

Du willst schreiben, mit Methode und Vorausschau.

Willst du noch mal fragen... Ach so, also jetzt keine Weiber mehr.

Drauf los, schreib... Alles eine Sache der Laune, der Wutlaune, der Gemütsstimmung. Wer die Schreibmethodik nicht beherrscht, weiß nicht, wie und an welcher Stelle er zu beginnen hat. Er wird Bastler oder Künstler.

Der nüchterne Methodiker kennt die Mittel. Er ahnt das Ergebnis, weil er auch Psychologe ist, wenigstens ein mäßiger Psychologe, etwas davon geht auch, es geht um die Perforation...

Unter welcher Laune beginne ich meine Gedankenverwertung, fragt Hermann und antwortet sich halblaut: Ich weiß es nicht oder weiß es doch, ich habe nur Ungefähres im Sinn...

Das Ergebnis wird nicht die geöffnete Tür des Hauses sein, durch die ich schreite, um erneut in die Welt zu spazieren.

Das Ergebnis kann beliebig werden: die irdische Endstation, das Sublimat, das Schafott, das Tagebuch, das Manuskript, das Zeugnis, die neue Erkenntnis, eine Traumdeutung, eine Heirat, der Selbstmord, ein höherer Dienstgrad, der, endlich, der Parteieintritt, der Diebstahl, der Standpunkt, die Erinnerung an, die Wahrheit, ein weiterer Text, eine andere Eitelkeit, die Enttäuschung...

Dem dabei vergangenen Verlorengegangenen ist nachzutrauern.

Und auf die Grabplatte ist zu meißeln: Verloren beim Siegen über das Selbst- Ich. Großbuchstaben, dunkler Marmor, Lebensdaten.

Das gemeißelte Wort, das geschriebene Wort ist näher an der Wahrheit.

Eine unwiderlegbare Behauptung. Eine andere, bessere Wahrheitsnähe ist nicht zu beweisen. Die andere Wahrheitsnähe ist das Erlebte im Kopf, allein stehend, unwiederholbar, einmalig unter den Milliarden Menschen. Das soll Wahrheit sein? Wieviel davon ist Täuschung, Verwechslung?

...Schräge Gedanken...

Nüchtern, wie aus einem Protokoll wird das aufgeschriebene Wort verlesen. Also sprach Z..., Ich verkündige Euch..., Werte Gemeinde..., Liebe Genossinnen und Genossen...

Liebe Hörer: hier ist die Europawelle, das Freie Radio, der Soldatensender, Radio Luxembourg, Sender 904 Berlin... Sie hören die Hitparade, das Hörspiel..., das Wunschkonzert des Berliner Rundfunks, die Übertragung aus dem Rundfunksaal in der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide...

Ach, das laute Reden.

Es verstört die nachfolgenden Gedanken. Sie finden den Weg nicht mehr und kein Nachdenken folgt auf das Gebrüll der Membranen.

Das Erinnerte aber verkümmert, wenn es nicht aufgeschrieben wird.

Das Erinnern ist Wagnis.

Bitte keine Erinnerungen!

Vielleicht ein Zurückdenken, ein Zurückdenken in die geglaubte Vergangenheit, das ist erträglicher.

Hol das Tagebuch aus der Schublade, leg es auf den Tisch, lies nach.

Dein Gekrakel der Vergangenheiten... in Worte gehüllte Selbstsucht, Selbstversuch. Rechtfertigungen in saugenden Schlingarmen der trüben Wasser, an hellen Tagen verwunden. Ins Gelächter des Bierschaums gespuckte Entschuldigungen aus dem privaten Beichtstuhl, Geheimnis mit aufgepflanztem Penis, durchgerannt und abgeprallt und neuer Anlauf.

Vor den Augen ein samtener Vorhang... nicht wehtun... die Sinne täuschen wollen. Und du schreibst vor langer Zeit auf A4 bürokratisch (also nicht Tagebuch, das ist kleiner), langweilig, nüchtern, täuschend, was dich bewegt, halbwahr... (...du weißt die Wahrheit nicht):

...Ich werde versuchen heraus zu finden, welchen Umständen ich gegenüber stand, die mich vielleicht zu dem machten, der ich heute bin und dem ich täglich ins Gesicht schaue. (Lächerlich, es werden doch nur Annahmen sein, dass ich so bin, wie ich mich sehe)

Die Erwartung vor mir selber ist voller Neugier. (Meinetwegen. Jovial. Das kann jeder sagen)

Ich wage das Vorhaben. Das abwertende Lächeln, das ich mir am Anfang selber gestatte, das werde ich vergessen. Es werden Vermutungen sein, die ich anstellen werde und von denen ich glaube sagen zu können, dieses oder jenes, dieser Mensch oder jene Sache hat mich beeinflusst und geformt. (Sein bestimmt Bewusstsein – die Sozialisierung beginnt eben von außen)

Ich bin geworden, wie die zurückliegende Zeit es erlaubte, wie es Sitte und Gebrauch war und ich die Dinge meiner Umgebung annahm. Es hat für mich keine andere Zeit zur Verfügung gestanden. (Welche Zeit ist gemeint, die Sommerzeit, die Mitteleuropäische?)

Anderes zu suchen, kam mir nicht in den Sinn. Mein Gedächtnis wird Unmengen an Erinnerungsvorrat anbieten. Was werde ich davon auswählen, wie viel wird verdrängt sein und wie viel wird für immer vergessen bleiben? Was wird meiner kritischen Feder standhalten (Papier hält stand) und allen Gegenfragen widerstehen? (Ah! Ein dialektischer Ansatz)

Worüber werde ich nicht schreiben? Es wird Gründe geben für die Rücksicht auf andere und auch Anlässe, Verletzungen zu scheuen.

Ich werde mein Gedächtnis achtsam behandeln. (Dann wird es nur ein halbherziges Wagnis)

Ich werde mich mit der Tatsache abfinden müssen, dass Nebensächlichkeiten und Unwesentliches am meistens auf Erwähnung drängen. (Das weißt du also schon vorher. Hermann, bist Du ein Hellseher?)

Die Nebensächlichkeiten und das Unwesentliche sind die ersten unter den aufkommenden Gedankenbildern, wenn ich mich Jahre zurück fallen lasse in jene Zeit, die nur wenige Jahre dauerte, etwa fünf oder sechs, die ich mit wenig Verstand durchhetzte, dass ich heute noch erstaunt darüber bin, keinen, zumindest keinen für mich erkennbaren Schaden angerichtet zu haben. (Wo kein Kläger, da kein Richter)

Diese Zeit ist mir in einem erstaunlichen Maße gegenwärtig geblieben, weniger ihre Fakten als die Revolten und Umbrüche in meinem Inneren. (Spielst du den unbeteiligten Beobachter?)

Ich vermeide die Wortkombination emotionale Erfahrungszeit. Das will gleich aufgeschrieben werden. Es erscheint mir einfach, schwer zu entschlüsselnde Verhaltensweisen mit Emotionen zu kaschieren. (Meint: ersetzten durch Ideologie)

Vielleicht finde ich bessere Deutungen. Vielleicht werde ich darüber hinweg gehen und die Momente besserer Einsichten (ungenaues Qualitätsmerkmal) gar nicht bemerken und andere werden mich hinführen. Die Fakten von einst sind mir Vehikel geworden, mit dem ich zurückkehre und vor manchen immateriell gebliebenen geistigen Orten, meinen Erinnerungsbildern, still stehe. (Helm ab zum Gebet, Lieb’ Vaterland...)

Ich werde die wie beiläufig auftauchenden Fragen nicht überhören, die mich zum Innehalten auffordern. (Vernünftig, damit hört die Beliebigkeit auf und es wird langsam interessant)

Dann suche ich nach den Gründen, warum ich pausiere. Wahrscheinlich ist es der Zweifel an der Objektivität meiner Erinnerungen und die Unsicherheit, ob ich mir nicht zuviel vornehme. „Wohnt dir der Zweifel Haus bei Haus, das schlägt der Seele bitter aus... Der Zweifel ist des Wankelmuts Geselle...“.

(Parzival-Prolog, Fassung W. Mohr)

(Oha, Zweifel an dir selbst...?)

Ich will korrekt sein und bleiben und den Verführungen widerstehen, die die Jahrzehnte meinem Gedächtnis aufgebürdet haben: Wandlungen, Verfärbungen, Erinnerungslücken, Fremdeinwirkung, Gefühle, Erlebnisse, Täuschungen, Geheimnisse, Versagen, Freude... Die Reihe der Bürden ist verlängerbar. Sie bedrücken und entschwinden und folgen keinem Regelmechanismus. (Sagt der Methodiker und der Analytiker zugleich)

Mein Kopf wird angegriffen von der eigenen negierenden Artillerie. Keine Chance. Was verursachte den Beschuss?

Vernetzungen werden zerstört in meinem Gedächtnis? Ich suche nach neuen Worten, von denen ich mir erhoffe, Vorgänge des Bewusstseins beschreiben zu können. Und ich will die Tatsachen und Erscheinungen der Vergangenheit verstehen, die dem Bewusstwerden vorausgingen, und in mir gegenwärtig werden. (Noch einmal materialistisch: Das Sein bestimmt das Bewusstsein...)

Und was werde ich machen mit den Trugbildern, den vielfachen Erzählungen über ein und dieselbe Sache, welche die eigene Erinnerung an das Tatsächliche zu verschütten drohen, wie Stille Post Legenden bilden und zu fröhlichen Kalauern werden. (Das geschieht bei dir nicht)

... Ende des Zitats.

Ende deiner waghalsigen, trotzigen, dummen, auf zwei Seiten laufgelisteten Motivationen und flotten Vorsätze eines unbedarften munteren Geistes. Nichts davon wird gelingen. Das geschriebene Wort ist näher an der Wahrheit...

Wer hat das gesagt? Du selber.

Denke es richtig zu Ende: Das geschriebene Wort ist nicht näher an der Wahrheit, es kann ihr näher sein. Das geschriebene Wort wird gern und zuerst als Wahrheit gesehen und verwendet, weil es beschreibt, was eine Wahrheit sein kann und im Fall eines Irrtums oder einer Lüge nur ungültig ist.

Gedanken sind auch wahr, nur eben nicht körperlich für alle fassbar und erst ihre Fixierung ins Geschriebene macht sie für alle erkennbar. Schreibst du Gedanken auf... gelingt es dir, die richtigen Worte zu finden, den Unterschied zu minimieren, der Wahrheit nahe zu kommen...? Eine Annäherung erreichst du im Unendlichen. Asymptotisch.

Kein Ende im Kopf.

Einmal ansprechen, abwarten, formulieren, die ursprünglichen Bilder festhalten. Die innere psychische Instanz fordert ihre Erledigung.

Und dann war alles gar nicht so gewesen, war doch anders und kommt nicht mehr zurück. Kann nicht zurück gerufen werden, um neu, genauer, deutlicher, richtiger, echter, wahrhafter zu werden.

Wer an das Gedächtnis greift, erlebt die Enttäuschung. Der muss die Entzauberung hinnehmen und fühlen, wie das Ursprüngliche zerstiebt.

Das Einst degeneriert, friert ein, säuft ab, kriegt schlechte Leberwerte.

Der aber liest auf beschriebenen Blättern den neuen Zauber. Schwarze figürliche Krakel, Buchstaben, Codizes. Und ungetrocknete farbenfrische Bilder in den Metaphern der neuen Moden, neuen Übersetzungen. Das Erinnerte durchfährt die zeitgeistige Willkür, durchkämmt die gemeißelten Gedanken und nimmt neue Macht über die Seeleninstanzen.

Feindselig, prunkend?

Welch kalter Abstand. Das weißt du doch!

Er nicht. Die Fremden nicht.

Aber nichts sagen, nichts hergeben, nicht lachen, nicht frohlocken, nicht hecheln, nicht schämen, nicht nicken? Scheiß auf die Wahrheit.

Schweigend könnte Geschichte anders entstehen.

Geschichten.

Das Gedächtnis behält alles für sich, bis es verstummt.

Vor deiner Amnesie musst du zum Melken bereit sein.

Eitler Kerl, gib’s endlich her, bevor es verstaubt.

Hast du den Verstand schon verloren?

Das Gedächtnis ist ein persönlicher und ein schöner Zustand, ohne Öffentlichkeit, solange nichts gesagt wird und nur nach Innen erinnert wird. Es ist ein geiziger Zustand, du bist ein schamloser Geheimnisträger, du bist ein uninteressanter Zeitgenosse, ein Spötter, ein Verspotteter, ein verriegeltes Arsenal. Auch ein Arsenal falscher Bilder...

Doch wenn alle so, wäre die ganze Welt schweigend.

Wo wir doch den Mund haben, die Schrift können.

Versuchen willst du es vor deiner Verbrennung.

Zwei Seelen wohnen, ach...

...und nun wird gejammert: Das Gedächtnis verliert, die schönen Farben erblinden, aus Groß wird Klein, aus Wahr wird Unwahr, es war nicht, hieß soundso, geschah früher, sondern dort, hier, woanders, falsch, verzerrt, verschweigen.

Der abgeblasste Zauber?

Was ist damit?

Ach ja, der Zauber. Er ist die Unvollkommenheit der Berichtsworte, eine Entweihung. Schöner reden erst macht’s möglich.

Dem Gedächtnis nicht wehtun? Doch wehtun.

Dem Gedächtnis die Einsamkeit nehmen. Die Phantasieverlorenheit beenden, Auferstanden aus Ruinen und den Hirnen zugewandt.

Entferne Schleier, entweihe Mythen, beseitigte Täuschungen, wage Störungen, defloriere unberührte Vergangenheiten. Einen Stent implantieren, einschieben von ganz unten!

Und es ist niemand, der dagegen spricht.

Der würde sich an die Stirn tippen und meinen: Der da hat einen Riss in der Birne.

Seit langem wabern solche Gedanken über dem Eingehausten im verwunschenen Land.

Es liegt weit, weit weg, ziemlich weit. Ein verschwundenes Land. Untergegangen. Nicht mehr auffindbar.

Die Villa in der Oskarstraße

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