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Das Virus der ansteckenden Blutarmut der Pferde – eine alte Biowaffe?

Der französische Tierarzt Lignee beschrieb 1843 (!) erstmals ein anämisches Krankheitsbild der Pferde. 1904 stellte die französischen Mediziner Carre und Valle fest, dass diese Erkrankung ansteckend und nicht heilbar sei und über Blut oder Urin im Futter übertragen werden konnte.

1905 begannen deutsche Tierärzte auf Weisung der preußischen Regierung mit der Erforschung dieser Erkrankung. Als Ursache der Erkrankung wurde ein hitzeempfindliches Virus festgestellt und zum Schutz gegen die Ansteckung halbstündiges Erhitzen der zu desinfizierenden Gegenstände auf 56°Grad empfohlen.

Unter experimentellen Bedingungen wurde nachgewiesen, dass Insekten die Viren übertragen, die dann in infizierten Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin, Samen oder Milch enthalten sind. Überträger können sein: Pferdebremsen, Wadenstecher, Kriebelmücken und Moskitos.

Wie wir heute wissen, handelt es sich bei dem Virus, das die für Pferde meist tödlich verlaufende Anämie auslöst, um ein Retro-Virus. Das HIV-Virus könnte mit ihm verwandt sein.7,8

Dieses Virus der Pferdeanämie wurde während des 1. Weltkrieges als Biowaffe eingesetzt. Pferdebestände des Gegners, die ein wichtiges Transport- und Angriffsmittel waren, zu infizieren, war für Militärs eine große Verlockung. Berichte über diese Erkrankung fallen deshalb widersprüchlich aus, weil die meisten Autoren Tiermediziner im Dienste der Regierung oder des Militärs waren. Ihnen war es in erster Linie daran gelegen, den Verdacht, die Krankheit sei vorsätzlich ausgelöst worden, von ihrem jeweiligen Auftraggeber abzulenken.

Auf deutscher Seite erkrankten gegen Ende des 1. Weltkrieges in Pferdelazaretten Militärpferde und deren Pfleger an diesem Virus. Die sprunghafte Ausbreitung ließ auf vorsätzliche Verbreitung schließen.

Anfang 1917 trafen einige der kranken Pferde im Pferdelazarett Tilsit ein, damals Ostpreußen, wo sie jedoch nach kurzer Zeit wegen Hinfälligkeit und intermittierenden Fiebers geschlachtet werden mussten. Einige Wochen später erkrankten 143 Pferde im Pferdelazarett Buk in der Nähe von Posen, damals Preußen, an der ansteckenden Blutarmut der Pferde. Das Berliner Reichswehrministerium bedauert in einem Merkblatt, dass noch nicht feststehe, auf welche Weise die natürliche Ansteckung zustande gekommen sei.

Mitten in Friedenszeiten, im Februar 1925, entstand dann im Reichswehrministerium in Berlin eine Denkschrift über die Verwendung von Krankheitskeimen als Kampfmittel im Krieg. Dieser militärpolitische Vorstoß gibt Aufschluss darüber, was am Ende des Krieges bereits praktiziert und später im geheimen weiterbetrieben wurde: Die Erkrankung von Pferden, die in Wirklichkeit als Virusproduzenten gehalten wurden, um dann geschlachtet zu werden, wurde meist als Folge von Infektionen durch ungereinigte Impfnadeln bezeichnet.

Es kam zu einer Virusproduktion für den nächsten Krieg: Größter und wichtigster Produzent des Virus der tödlich verlaufenden Pferdeanämie im Deutschen Reich waren die Behringwerke in Marburg. Je näher der 2. Weltkrieg heranrückte, desto größer erschien der Bedarf an EIAV-haltigem Serum und desto mehr Pferde wurden in den Pferdeanstalten geschlachtet. Das Serum war nicht etwa ein Immunisierungsmittel, sondern ein Kampfmittel, mit dem man gegnerische Pferde zu infizieren gedachte.

Die Forschung des deutschen Militärs über die ansteckende Blutarmut der Pferde zielte auch schon frühzeitig auf die Übertragung des Virus auf Menschen. Bereits gegen Ende des 1. Weltkrieges war ein erster Versuch in diese Richtung offenbar gelungen, denn es gab Warnungen vor dem Verzehr ungekochten Pferdefleisches. Der Veterinärmediziner der militärischen Veterinärakademie in Berlin äußerte sich kryptisch. Er gab an, er selbst sei mit dem Erreger der ansteckenden Blutarmut infiziert worden. Anlass der Infektion sei eine Verletzung mit einer Impfnadel gewesen oder versehentliches Aufsaugen infektiösen Blutes in den Mund beim Pipettieren. Als äußere Zeichen der Erkrankung nennt Dr. Luers anhaltenden Durchfall mit Blutbeimengungen, Schwäche, Kopfschmerz, beidseitige Gürtelrose und die Verminderung weißer Blutkörperchen. – Bei einem ähnlichen Krankheitsbild würde heute AIDS diagnostiziert werden. Die Gürtelrose ist ein Hinweis auf eine starke Immunsuppression.

In einer Reihe von Staaten war man sich schon damals durchaus bewusst, dass das Virus der ansteckenden Blutarmut der Pferde auch eine Ansteckungsgefahr für Menschen mit sich bringen würde. In Deutschland wurde bereits 1922 durch Reichsgesetz bestimmt, dass das Fleisch von anämischen Pferden vor dem Verzehr zu kochen oder zu dämpfen sein. Französische Mediziner warnten eindringlich vor EIAV-infizierten Seren aus Impfstoffgewinnungsanstalten.

Bei der Eroberung von Äthiopien und Eritrea durch Italien 1935 und 1936 wurde wahrscheinlich die ansteckende Blutarmut der Pferde eingesetzt. Der italienische Tierarzt Guidi hatte eine Ausbildung u. a. an der Tierärztlichen Hochschule Hannover erhalten.

Japan, das zusammen mit Deutschland und Italien zu den Achsenmächten des 2. Weltkrieges zählte, hatte an der Erforschung von Biowaffen ein besonders starkes Interesse: 1938 stattete eine Delegation deutscher Militärärzte Tokio einen offiziellen Besuch ab. Zwei Jahre später, Japan war auf deutscher Seite in den Krieg eingetreten, erfolgte ein Gegenbesuch in den Marburger Behringwerken. Der Delegationschef Prof. Osamo Hatta nannte es dort eine Freude und Ehre, dass wir Hand in Hand sowohl politisch als auch wissenschaftlich Fortschritte für die Neuordnung der Welt anstreben könnten. Tomasada Masuda, einer der ranghöchsten Verantwortlichen des japanischen Biowaffenprogramms, hatte sich in den Jahren 1932 bis 1934 zu Studienzwecken in Berlin aufgehalten. Ein Jahr später nahm er als Leiter des Forschungszentrums Einheit 100 in Harbin, in der von Japan besetzten chinesischen Provinz Mandschurei, seine Untersuchungen über die ansteckende Blutarmut der Pferde auf. Eine der Aufgaben des Projektes bestand darin, das Immunsystem von Chinesen und Japanern hinsichtlich unterschiedlicher Reaktionsweisen auf Krankheitserreger zu untersuchen. Bei den Versuchen, die zur Vorbereitung dieser Einsätze durchgeführt wurden, sollen mindestens 3.000 Kriegsgefangene und Zivilisten als menschliche Versuchskaninchen missbraucht und ermordet worden sein. Mitte 1942 waren die Gewässer an der Grenze der Sowjetunion vermutlich erheblich mit dem Virus der ansteckenden Blutarmut verseucht.

Im internationalen Militärtribunal für den Fernen Osten urteilten die Siegerstaaten über Kriegsverbrechen japanischer Militärs und Politiker. Japans biologische Kriegführung war nicht Gegenstand dieser Verhandlung. Diese schien nicht strittig und ist offiziell nie näher untersucht worden. Wissenschaftler, die im Biowaffenprogramm Japans führende Positionen eingenommen haben, vermittelten ihre Kenntnisse auf Betreiben von General McArthur den USA und blieben straffrei. Die Versuche an kriegsgefangenen US-Staatsbürgern, die die Regierung der USA von Gesetzes wegen hätte verfolgen müssen, wurden ebenfalls nicht geahndet.

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