Читать книгу Successfully downloaded: dich und andere Gemeinheiten - Ulrich Mertins - Страница 4

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Müde, aber halbwegs zufrieden stellte Elvira fest, dass sie wieder um die siebzig Anzeigen bindungswilliger Männer gelesen und bewertet hatte; ihre Suche nahm jetzt einen anderen Charakter an. Die Sehnsucht nach einem Mann stand nicht mehr ganz im Vordergrund, stattdessen war die Suche eine ganz normale Aufgabe geworden wie Zähneputzen, Kochen oder auch Unterricht machen in der Schule. Beinahe war es etwas wie Klassenarbeiten durchgehen: Prüfen, vergleichen, benoten. Eine Aufgabe, die erfüllt werden musste, ohne manchmal deren Wert oder Wirkung zu kennen, oder man hatte ihren Sinn inzwischen vergessen. Unter den siebzig war kein weiterer Treffer dabei gewesen, keiner, der ihr gefallen hätte. Sie hatte bereits zwei Versuche unternommen, sich vom Computer loszureißen und Abendbrot zu machen; Nicole musste auch bald zurück sein von ihrem Date mit dem etwas Unförmigen, der so unförmig nicht aussah – oder mit wem auch immer. Ach was, zehn schaue ich mir noch an, beschloss sie, als müsse sie Überstunden leisten. Die zehn Kandidaten waren schnell abgearbeitet, in nur fünf Minuten; ok, nochmal fünf andere, entschied sie für sich. Beim nächsten Durchgang waren es noch drei, und schließlich wollte sie sich noch einen einzigen Bewerber ansehen, mit den Gedanken bereits in der Küche.

Norbert. Er hatte kein Siegerlächeln, sah beinahe ernst aus und wirkte auf sie umso authentischer. Norbert sah auch gut aus, dunkelhaarig mit großen braunen Augen. Er arbeitete anscheinend als Gebietsleiter eines Autoherstellers und interessierte sich unter anderem für Kunst und – Geschichte. Ungewöhnlich für einen Autonarr, fand sie. Sein Blick war so intensiv – so verbindlich, verstehend, einfühlsam, warm und ganz und gar nicht der Typ Mann, der bestimmte, wo es lang ging -, dass sie ihn einige Sekunden anstarrte. Sollte sie abwarten, bis er sich bei ihr meldete? Vielleicht tat er das, vielleicht auch nicht. Frauen und Männer sind heute doch gleichberechtigt, überlegte sie, also nehme ich das selbst in die Hand. Sie nahm den Brief an Peter als Vorlage und wandelte ihn geringfügig ab. Als sie auf ‚Senden‘ drückte, ratterte das Schloss der Haustür; das musste Nicole sein.

„Was sind das für komische Typen an der Ecke?“, fragte Nicole, als sie sich ein paar belegte Brote machten.

„Was meinst du?“

„Drei, vier Typen. Gehen hier auf und ab, als warteten sie auf jemand, und glotzen blöd in die Landschaft. Ein Auto haben sie auch. Sehen irgendwie verdächtig aus. Mich haben sie nicht bemerkt.“

„Hm .. lass sie doch. Auf mich warten sie jedenfalls nicht. – Was hast du erlebt?“

„Dasselbe wollte ich auch gerade fragen. Heute siehst du nicht so trüb aus wie neulich. Was ist denn nun mit diesem Typen, den du heute getroffen hast?“

Hatte sie am Ende auch trüb ausgesehen, als sie noch mit Peter zusammen war? Elvira verdrängte den Gedanken.

„O …. Ja, es war ganz interessant. Das ist schon ein Mann, in den man sich verlieben könnte ….“ Aber nicht muss, dachte sie. „Wir wollen unsere Eindrücke erst mal sacken lassen.“

„Und wenn sie gesackt sind, was dann? Also, entweder brennt das Feuer von Anfang an, und du würdest ihn dir erkämpfen, falls er noch zögert – oder du lässt die Finger davon. Kompromisse, Vor- und Nachteile abwägen schon am ersten Tag wie beim Kauf eines Handys? Vergiss es.“

Elvira wunderte sich manchmal über die lebenskundlichen Ratschläge ihrer Tochter, die auch von einem alten Menschen hätten stammen können.

„Harte Worte ….. aber du hast Recht. Ich werde ihn besser abhaken. Er hat mich auch an Stefan erinnert. Stefan ganz am Anfang. Zu klebrig, besitzergreifend, nimmt mir die Luft zum Atmen.“

Sie erzählte ihrer Tochter die Einzelheiten des Treffens, die ihren Redefluss mit Kopfschütteln und wischenden Handbewegungen garnierte; dann war sie selbst an der Reihe.

„Kevin ist süß. Ich glaube, die Nuss ist fast geknackt. Zumindest hat sie einen Riss bekommen. Wenn du ihn näher kennst, fragst du dich sofort, warum du dich nicht früher für ihn interessiert hast. Aber … na ja, er hat irgendwo Recht …. Leute, die nicht so viel reden, gelten bei den anderen als leicht bescheuert oder - im günstigsten Fall – langweilig oder hochnäsig.“

„Dann war wenigstens dein Date ein voller Erfolg. Aber du siehst so ernst dabei aus. Passen irgendwie nicht zusammen, dein Blick und deine Liebesgefühle.“

„Äh …. ach nichts. Nichts.“

„Hängt das eventuell mit dem Samstag neulich zusammen, wo du weg warst und mir partout nicht sagen wolltest, wo du hingehst?“

Sie hatte den Eindruck, Nicole habe sich seit diesem Tag verändert. Unvorteilhaft. Das häufige Leuchten in ihren Augen, wenn sie sich über oder auf etwas freute oder sich einfach nur wohlfühlte, war verschwunden. Fühlte sie sich nicht wohl?

„Ach, lassen wir das jetzt. Nur eines noch: Sie haben doch ein paar Typen von deiner Schule gefeuert. So Neos. Die wissen, dass du das warst. Sie kennen deinen Namen.“

„Na und? Du meinst sicher diesen Mirko und seine Kumpane. Natürlich kennen die meinen Namen.“

„Und jetzt …. Also, es kann sein, dass die irgendwas planen …. Genaues weiß ich natürlich nicht ….“

„Was? Steckst du mit denen etwa zusammen?“

„Hab ich nur so aufgeschnappt, deine Tochter ist ja nicht blöd. Mirko habe ich ein paar Mal im Center gesehen beim Sport. Unsere Adresse habe ich aber nie erwähnt, wozu auch – er ist doch nicht so mein Typ. Bisher weiß auch niemand, dass ich deine Tochter bin, wegen des anderen Namens.“

Nicole fühlte sich tatsächlich unwohl, und ihre Mutter spürte das.

„Was hast du denn genau aufgeschnappt?“

„Nee, eigentlich nichts …. ist bloß so eine Vermutung.“

Elvira atmete tief aus. Was bedeutete das nun wieder? Sie hatte keine Lust, das durchzukauen und ihrer Tochter jedes Wort aus dem Mund zu ziehen. Nicht heute, nicht jetzt.

„Ach Mädchen, lassen wir das auf sich beruhen vorerst …. Ich habe den Kopf voll mit anderen Sachen.“

Sie sahen noch eine Krimifolge – Elvira sah Castle so gern, weil er geistreich und witzig war und er und die Inspektorin sich immer näher kamen – und gingen schlafen. Elvira lag bereits eine Viertelstunde im Bett, als sie plötzlich das Gefühl hatte, ihre E-Mails checken zu müssen; konnte doch sein, dass Norbert sich bereits gemeldet hatte. Am Feierabend hatten die meisten Menschen doch Zeit für so etwas. Elvira, du bist durchgeknallt, eine Sklavin des Computers, waren ihre Gedanken, als sie sich in ihr Postfach einwählte. Sie erkannte seine Nachricht sofort.

Verehrte Elvira,

ich danke Ihnen vielmals für Ihren warmherzigen Brief und das Interesse, das Sie mir entgegenbringen. Ihre Anzeige muss ich übersehen haben, denn sonst hätte ich mich sofort bei Ihnen gemeldet. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle …

Er war zwei Jahre älter als sie, hatte einen Sohn, der im Ausland lebte, und er sei von seiner Frau verlassen worden. Ein echtes Schicksal, dachte sie, sympathisch – authentisch eben. Sein Beruf mache ihm Freude, er liebe Autos, und von einem eigenen Wagen der von ihm vertretenen Marke habe er schon als Schuljunge geträumt.

… Aber der Beruf allein macht auch nicht glücklich, doch wem sage ich das – Ihnen wird es bestimmt ähnlich ergehen. Ich habe mit meinen Frauen – wie soll ich sagen – kein Glück gehabt; drei ernste Beziehungen gab es insgesamt in meinem Leben, aus der ersten stammt mein Sohn. Die letzte Frau, mit der ich verheiratet war, hat sich vor drei Monaten verabschiedet. Sie mögen vielleicht nach den Gründen hierfür fragen; gute Frage, eine Antwort weiß ich bis heute nicht. Und jetzt? Das Internet ist eine feine Sache, ich verkaufe jedes Jahr eine ganze Reihe Oldtimer im Netz. Aber Partnersuche – ich komme mir dabei so unbeholfen vor; funktioniert so etwas überhaupt? Der größte Teil des Tages geht mit Arbeit drauf, ich habe nur noch selten Gelegenheit, jemand auf sozusagen natürliche Weise zu treffen. Ich finde die Suche auf diesem Portal …. Einerseits ist es sehr schön, eine Riesenauswahl gewissermaßen; auf der anderen Seite aber auch ziemlich entwürdigend, wie das Blättern in einem Katalog. Man sieht sich die eine oder andere an und legt sie wieder zurück an ihren Platz – wie einen Apfel auf dem Markt, an dem man ein paar dunkle Stellen gefunden hat. Dass er wahrscheinlich sehr gut schmeckt, interessiert da schon gar nicht mehr. Na ja, die Frauen werden mit den Männern ähnlich verfahren. Dabei hat doch jeder hier sein eigenes Schicksal, seine eigene Geschichte, sein Recht auf ein bisschen Glück; der eine sieht für einen Betrachter vielleicht nicht so vorteilhaft aus, für einen anderen kann er wunderschön sein. Und das Innere sieht man auf den Bildern sowieso nicht. Jeder Mensch ist einzigartig …

Sentimentale Gans, schimpfte sie mit sich, als sie merkte, dass ihre Augen feucht wurden.

… Und nun haben Sie mir die Arbeit abgenommen und mir geschrieben. Der Apfel ist mir sozusagen vom Baum direkt vor die Füße gefallen. Ich freue mich sehr. Ja, was nun? Im „normalen“ Leben, also wenn man sich gleich persönlich trifft, würde ich fragen, ob wir uns treffen wollen – vielleicht zum Essen, oder wir gehen an der Elbe spazieren. Wozu hätten Sie Lust? Aber dieser Brief soll jetzt keinen Druck auf Sie ausüben, Sie können bestimmen, ob, wann und wo wir uns sehen. Es ist alles möglich. Für heute verbleibe ich mit herzlichen Grüßen und der Sehnsucht, wieder von Ihnen zu hören.

Norbert (oder sogar schon „Ihr Norbert“? – pardon, ich will wirklich keinen Druck ausüben)

Klang nach vollendeten Umgangsformen; eine Rarität. Jetzt war sie so aufgeregt, dass an Schlafen kaum zu denken war; sie versuchte es trotzdem, während eine innere Stimme ihr zuflüsterte, dass Norbert die beste Wahl sei.

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