Читать книгу Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften - Ulrich Wackerbarth - Страница 13
c) Komplexität schafft Machtspielräume
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Der seinerzeitige Vorsitzende des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Senats des Bundesgerichtshofs, Volker Röhricht, hat das Hauptproblem des heutigen Gesellschaftsrechts festgehalten.[1] Es sei zu kompliziert und müsse einfacher werden. Und damit meinte er nicht nur die oben beschriebene Tatsache, dass unterschiedliche Rechtsgebiete auf ein- und denselben Sachverhalt einwirken, sondern allein die Regeln des Gesellschaftsrechts selbst, die nicht nur im AktG und GmbHG stehen (sog. „black letter law“), sondern durch Richterrecht fortgebildet und durch tausende Details selbst unübersichtlich geworden sind.
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Durch komplexe, detaillierte Regeln entsteht – angesichts der unüberschaubaren Vielfalt des Lebens – neben den von den Regeln erfassten Sachverhalten fast automatisch eine noch größere Vielzahl von Lebenssachverhalten, die von den detaillierten Regeln gerade nicht unmittelbar erfasst werden. Gerade im Gesellschaftsrecht ist das aber besonders gefährlich: Denn die Lebenssachverhalte, die von einer Regelung nicht erfasst sind, lassen den handelnden Personen dann automatisch Freiräume. Die Behandlung derartiger Lebenssachverhalte außerhalb des Tatbestands einer Norm ist dann ja ungeklärt. Zwar besteht u.U. die Möglichkeit, die jeweilige Regel analog anzuwenden, aber ob das tatsächlich geschieht, ist jedenfalls bis zu einer Richterentscheidung unsicher.
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Hinter ungeklärten Rechtsfragen verbirgt sich im Gesellschaftsrecht meist seine schon aktuelle Ausfüllung durch bloße Macht. Geklärte Rechtsfragen kann man auch als Machteinschränkung begreifen, so dass Recht und Macht ein Gegensatzpaar bilden.
Beispiel:
Vorstands-Doppelmandate im Konzern (siehe Rn. 125). Nach Hüffer/Koch[2] sind diese rechtlich zulässig, aber „nicht problemfrei“. Sie sind aber weder im dogmatischen Ansatz noch im Ergebnis bewältigt. § 88 Abs. 1 S. 2 AktG schreibt vor, dass ohne Einwilligung des Aufsichtsrates ein Mitglied des Vorstand nicht zugleich Mitglied des Vorstands einer anderen Gesellschaft sein darf. Man stelle sich folgende Situation vor. Eine AG (X-AG) hat 60 % der Anteile an einer anderen (Tochter-)T-AG: Der Vorstand der X-AG bestellt den Aufsichtsrat der T-AG, dieser bestellt den Vorstand der T-AG. Kann als Vorstand der Tochter ein Mitglied des Vorstands der X-AG bestellt werden? Der Aufsichtsrat der Mutter sagt „Ja, das würde der Mutter nur nützen.“ Der Aufsichtsrat der Tochter sagt ebenfalls „Ja“, denn sonst droht ihm der Vorstand der Mutter mit seiner Abberufung. Also scheint die Doppelmitgliedschaft rechtlich möglich.
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Dahinter steht eine zunächst nicht offensichtliche Problematik. Unterstellt, der Doppel-Vorstand erfährt von einem guten Geschäft für die Tochter, das aber auch ein gutes Geschäft für die Mutter wäre. Er kann dieses Geschäft nun für die Mutter abschließen (dann erhält sie 100 % des Gewinns aus diesem Geschäft) oder für die Tochter (dann erhält sie nur 60 % des Gewinns). Was wird er wohl tatsächlich tun?
Wenn also gesagt wird, die Rechtsfrage der „Doppelmandate im Konzern“ sei „nicht problemfrei“, dann hat sich möglicherweise ein bestimmtes Interesse (nämlich das der Muttergesellschaft) bereits tatsächlich durchgesetzt. Das Geschäft wird im Beispiel tatsächlich mit der Mutter zustande kommen, auch wenn es der Vorstand nach den konkreten Umständen eher für die Tochter hätte abschließen müssen (vgl. zur sog. Geschäftschancenlehre Rn. 72 ff.). Hätte er letzteres getan, hätte auch die 40 %ige Minderheit in der Tochter von diesem Geschäft profitiert. Stattdessen geht sie leer aus.