Читать книгу Baltrumer Bitter - Ulrike Barow - Страница 5
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ОглавлениеEine Dose voller Würmer. Dunkle Leiber mit Borsten und Kiemenbüscheln, die sich umeinander wanden. Wunderbar. Frisch aus dem Wattenmeer. Gerade hatte Immo sie vorbeigebracht. Enno Lohmann schraubte zufrieden den Deckel auf den Behälter. Billiger konnte er an die Köder gar nicht rankommen, auch wenn Immo manchmal versuchte, den Preis hochzuschrauben. Einen Cent pro Wurm hatte er mit dem Jungen abgemacht, und nun wollte der Schnösel doch tatsächlich fünf Cent haben. Pro Wurm! So dicke hatte er es schließlich nicht, auch wenn er der Bürgermeister dieser Insel war. Das Leben war nun mal nicht billig hier. Was sollte er tun? Selbst auf Ködersuche gehen? Undenkbar. Nicht er. Liebevoll strich er über seine Lieblingsangel.
Als Lohmann vor die Tür des Rathauses trat, lief ihm Schweiß über die Stirn. Noch immer war es schwül. Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr die Strandmauer entlang zu seiner Lieblingsbuhne. Sorgsam klappte er den Hocker auseinander und ließ sich vorsichtig darauf nieder. Zwei waren bereits unter ihm zusammengebrochen. Keine Qualität mehr heutzutage. Er hatte keine Lust, schon wieder einen neuen im Baumarkt zu besorgen.
Zwei Stunden später gab er es auf. Eine mickrige Meeräsche, die den Wurm nicht wert gewesen war, hatte er aus dem Wasser geholt. Er packte zusammen und schaute auf die Uhr. Ein Bier käme ihm jetzt gerade recht. Die Alte Liebe würde offen haben.
»Mach mal ’n Helles«, begrüßte er den Mann hinter der Theke. Er stellte seine Angel vorsichtig an die Wand und schob einen Barhocker davor. »Damit mir da keiner rankommt.«
»Musst du gut drauf aufpassen, Enno«, stimmte ihm der Wirt zu und ließ das Bier durch den Hahn laufen. »Wenn die mit ihrer neuen Partei richtig loslegen, dann wirste demnächst ganz viel Zeit zum Angeln haben.«
»Was für eine Partei?«, fragte Lohmann erstaunt.
»Der Steenken und ein paar weitere Insulaner wollen dir den Kampf ansagen. Habe ich zumindest gehört. Genaues weiß ich nicht. Aber dass die mit der jetzigen Regierung hier nicht einverstanden sind, das habe ich schon mitbekommen.«
»Wieso weißt ausgerechnet du das? Von wem hast du diese Neuigkeit? Erzähl!«
»Tut mir leid. In meinem Job bin ich nun mal Geheimnisträger. Aber es ist wohl klar, dass sich so was an der Theke als Erstes rumspricht. Bist doch oft genug mit deinen Kumpels dabei.«
Lohmann wurde wütend. Nicht nur, dass er seine Felle schwimmen sah; die Worte dieses Mannes ließen jeden Respekt vermissen. Und das, obwohl er und seine Freunde hier Stammkunden waren. Er war versucht, ein Geldstück auf die Theke zu werfen, entschied sich dann dagegen.
»Schreib’s auf den Deckel«, sagte er knapp. Er leerte sein Glas mit kräftigem Zug, ohne ein einziges Mal zu schlucken. Dann nahm er seine Angel und drehte sich noch einmal kurz zu dem Mann hinter der Theke um, der betont unaufgeregt ein Weizenbierglas polierte. »Pass bloß auf, du Würstchen. Mach dich nicht unbeliebt. Noch gilt mein Gesetz auf dieser Insel. Und dazu gehört auch die Überwachung der Sperrstunde.«
Ohne den Wirt noch eines Blickes zu würdigen, rauschte Lohmann auf direktem Weg in seine Dienstwohnung. Die war zwar ungemütlich, aber wenigstens wartete dort keiner mit dummen Sprüchen auf ihn. Die Zeiten waren vorbei, seitdem seine Frau ihn verlassen hatte und wieder in Oldenburg wohnte. An einem späten Nachmittag vor zwei Jahren hatte sie ihre Koffer gepackt und die letzte Fähre genommen. Erst am nächsten Morgen hatte er ihr Verschwinden bemerkt. Er war in die Küche gekommen und hatte feststellen müssen, dass das Frühstück nicht fertig war. Der Gedanke daran ärgerte ihn heute noch.
Ungewohnt nachlässig warf Lohmann seine Angel aufs Bett. Er musste seinen Posten behalten. Wo sollte er sonst hin? Nirgendwo konnte er so einen lauen Lenz schieben und derart ungestraft seinem Hobby nachgehen. Er wollte nicht wieder am Festland in die Fesseln einer strengen Amtsbürokratie geraten. Das hatte er nicht verdient.
Er musste dringend etwas unternehmen.