Читать книгу Halbschnäbler - Ulrike Korte - Страница 6
Zum derzeitigen Stand der Taxonomie
ОглавлениеObwohl Vertreter der Halbschnabelhechte überall auf der Welt in den tropischen Meeren und auch in Süßgewässern zu Hause sind, gibt es unter ihnen nur wenige, die keine Eier legen, sondern lebende Junge zur Welt bringen. Es handelt sich dabei um die in den Süßgewässern Südostasiens vorkommenden lebendgebärenden Halbschnabelhechte der drei zur Familie Zenarchopteridae gehörenden Gattungen Hemirhamphodon, Dermogenys und Nomorhamphus.
Es ist noch nicht geklärt, ob dieser 2011 von H.-G. Evers gefundene Halbschnäbler vielleicht der „echte“ Nomorhamphus towoetii ist. Dann wäre die bei uns unter diesem Namen verbreitete Art, die bisher in der Natur nicht wieder aufgefunden werden konnte, eine andere noch nicht beschriebene Art. Fundort: Balambano-Fluss, Sulawesi. Foto: H.-G. Evers
Hemirhamphodon sind Weichwasserfische, die einen ganz anderen ökologischen Lebensraum besetzen als die Vertreter aus den Gattungen Dermogenys und Nomorhamphus und sich entsprechend auch in Morphologie und Biologie deutlich von diesen unterscheiden.
Die Schwestergattungen Dermogenys und Nomorhamphus hingegen sind so eng miteinander verwandt, dass man die eine Gattung nicht vorstellen kann, ohne auch im gleichen Atemzug die andere Gattung mit zu erwähnen, und selbst Taxonomen fällt es schwer, sich hier auf allgemein verbindliche gattungstrennende Unterscheidungsmerkmale zu einigen.
Die Gattung Dermogenys wurde bereits 1823 durch KUHL & VAN HASSELT beschrieben, erst knapp hundert Jahre später erfolgte die Erstbeschreibung der Gattung Nomorhamphus durch WEBER & DE BEAUFORT (1922). Bis heute können wir, was die Systematik der lebendgebärenden Halbschnabelhechte anbelangt, nur auf zwei umfassendere Überarbeitungen zurückgreifen: BREMBACH (1991) und DOWNING MEISNER (2000). Wurde seit Einführung der beiden Gattungen als Unterscheidungsmerkmal einfach darauf Bezug genommen, ob der Fisch einen lang ausgezogenen oder nur einen verkürzten Unterkieferfortsatz hatte – Tiere mit Schnabel wurden der Gattung Dermogenys zugeordnet, Tiere ohne oder mit verkürztem Schnabel der Gattung Nomorhamphus –, wurden mit fortschreitender wissenschaftlicher Methodik weitere morphologische und meristische Kriterien herangezogen, um die Gattungszugehörigkeit zu bestimmen. Eine vergleichbare Entwicklung gab es z. B. auch bei den in der Aquaristik bekannten Xiphophorus-Arten: Tiere mit Schwert wurden zu den Schwertträgern, Tiere ohne Schwert zu den Platys gezählt, wohingegen es nach heutigem Erkenntnisstand durchaus auch Schwertträger ohne Schwert geben kann.
Während BREMBACH (1991) bei seinen taxonomischen Untersuchungen keine zuverlässigen gattungstrennenden Merkmale gefunden hat, zieht DOWNING MEISNER (2000) für die Einteilung in die beiden Gattungen und auch für die Artenbestimmungen innerhalb der Gattungen histologische und osteologische Merkmale heran – hier vor allem Bau und Struktur der zum Begattungsorgan umgewandelten Afterflosse (Andropodium) des Männchens. Bei der Zuordnung zu den einzelnen Gattungen wie auch bei der Beschreibung der in den einzelnen Gattungen vereinten Arten finden wir mehr Divergenzen als Übereinstimmungen, wobei berücksichtigt werden muss, dass nicht alle Taxonomen auf den gleichen Fundus an Untersuchungsmaterial zurückgreifen konnten. Weitere zukünftige Revisionen würden im Zeitalter der DNA-Analysen sicherlich wiederum zu einigen abweichenden Ergebnissen führen.
Wussten Sie schon?
Die im Mantano- und Towuti-See auf Sulawesi lebenden, ebenfalls lebendgebärenden Seehalbschnäbler-Taxa megarrhamphus und weberi, die bei BREMBACH (1991) in der Gattung Dermogenys, bei DOWNING MEISNER (2000) dagegen unter Nomorhamphus aufgeführt werden, scheinen eine Übergangsform darzustellen. Sie besitzen auffallend lange Schnäbel und zeigen noch das an bestimmte Laichzeiten gebundene Fortpflanzungsverhalten ihrer gemeinsamen eierlegenden marinen Vorfahren. Dagegen reproduzieren sich Nomorhamphus und Dermogenys das ganze Jahr hindurch. Die Eier dieser Seehalbschnäbler sind sehr dotterreich, sodass hier die Ernährung der Embryonen allein aus dem Dottervorrat sichergestellt ist, während Nomorhamphus-Embryonen ohne einen solchen Dottervorrat auskommen müssen und in ihrer Entwicklungszeit auf eine fortwährende Nahrungszufuhr aus dem mütterlichen Organismus angewiesen sind.
Dieser Halbschnäbler wird von BREMBACH als Nomorhamphus ravnaki, von DOWNING MEISNER als Nomorhamphus brembachi geführt Foto: L. Gogulski
Wenn es zwischen den jeweiligen taxonomischen Studien und auch bis heute in der wissenschaftlichen Welt immer wieder einmal lange Zeit still um diese Fischgruppe geblieben ist, so nicht etwa deshalb, weil damit alles geklärt wäre und die Experten sich einig geworden sind, sondern weil sich wegen der unübersichtlichen Formenvielfalt und wahrscheinlich noch zu erwartender Neufunde niemand so recht mit den Aufräumarbeiten in der Systematik beschäftigen möchte.
Vor diesem Hintergrund ist es fast schon verständlich, wenn manch versierter Aquarianer, der fortwährend auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist und es nach langjähriger Erfahrung gelernt hat, sich nicht mehr von Aura oder Stigma seiner jeweiligen Pfleglinge beeindrucken zu lassen, sich wegen der undurchsichtigen Verwandtschaftsverhältnisse nicht auf diese Tiere einlassen möchte. Wer holt sich schon gerne jemanden ins Haus, von dem man noch nicht einmal so richtig weiß, wie er heißt? Bedingt durch das Fehlen einer unumstrittenen Taxonomie gibt es kaum Informationen zu Haltungserfahrungen, und woher soll es umgekehrt Haltungsberichte geben, wenn sich nur wenige Aquarianer mit der Pflege dieser Fische befassen?
Die Seehalbschnäbler, eine ursprünglichere Form der Halbschnäbler, werden von BREMBACH zur Gattung Dermogenys, von DOWNING MEISNER zu Nomorhamphus gestellt; hier die beiden Arten megarrhamphus (links) und weberi (rechts) Fotos: H.-G. Evers
In Anbetracht dieses Sachverhalts habe ich es vorgezogen, auf die Beschreibung einzelner Arten zu verzichten und stattdessen auf die im Literaturanhang aufgeführten wissenschaftlichen Arbeiten zu verweisen. Da die Gattung Nomorhamphus kein weites Verbreitungsgebiet hat und die Lebensansprüche der einzelnen Arten sich weitgehend ähneln, stellen sie auch annähernd die gleichen Ansprüche an eine artgerechte Pflege im Heimaquarium. Auf Besonderheiten bei bestimmten Arten, soweit sie uns heute schon bekannt sind, werde ich an den entsprechenden Stellen hinweisen. Die im Text verwendeten Artbezeichnungen sind entweder dem Handel entnommen, oder es handelt sich um innerhalb unserer Arbeits- und Interessengruppe für lebendgebärende Halbschnabelhechte verwendete Namen (siehe „Weitere Informationen“). In dieser Interessengemeinschaft, die aus einer Arterhaltungsgruppe für Nomorhamphus towoetii hervorgegangen ist, haben sich engagierte Aquarianer und Wissenschaftler zusammengefunden, um die hochinteressante Biologie der lebendgebärenden Halbschnäbler zu erforschen.
Pärchen von Nomorhamphus ravnaki/brembachi Foto: L. Gogulski
Nomorhamphus towoetii, den ich neben anderen Nomorhamphus-Arten nun schon seit über zehn Jahren halte, steht auf der Roten Liste der IUCN und gilt als eine der bezüglich Pflege heikleren Nomorhamphus-Arten. In dieser Art finden sich gewissermaßen alle Empfindlichkeiten der Gattung vereint und auf die Spitze getrieben. Sie wurde 1972 von LADIGES als dritte Nomorhamphus-Art (nach N. celebensis und N. hageni) beschrieben. Ihrer Erstbeschreibung liegen Aufsammlungen aus der im Jahre 1932 von Woltereck durchgeführten Wallacea-Expedition zugrunde. Bisher sollen Tiere speziell dieses Typus nicht wieder beobachtet worden sein.
Ich werde, anders als üblich, meine Pflegeempfehlungen für Nomorhamphus an dieser Art orientieren und aufzeigen, warum ein Fisch, der eigentlich unter Beachtung bestimmter Haltungserfordernisse ein idealer und ausdauernder Aquarienpflegling sein könnte, in den Ruf geraten ist, in Haltung und Nachzucht schwierig zu sein. Manche Vorgaben mögen sich im Nachhinein als etwas übertrieben für weniger sensible Arten erweisen, aber in Anbetracht der zurzeit noch herrschenden Unsicherheit nicht nur bei der Artenbestimmung, sondern auch bei der Artenbezeichnung, ist diese Vorgehensweise für den Anfänger eine sinnvolle Hilfe, um Verluste und Enttäuschungen zu vermeiden. Er kann sich nach dem Erwerb der Tiere nämlich oftmals nicht sicher sein, was genau er nun eigentlich im Aquarium schwimmen hat.
So schwierig es ist, die taxonomischen Klippen auf Art- und auf Gattungsebene zu umschiffen, weil sich hier noch vieles im Fluss befindet, so eindeutig ist es für uns als Aquarianer, dass Dermogenys und Nomorhamphus in einem Ratgeber für eine erfolgreiche Haltung nicht gemeinsam abgehandelt werden können. Beide Gattungen stellen trotz ihrer sehr engen Verwandtschaft von ihrer Entwicklungsgeschichte her ganz andere und manchmal sogar gegensätzliche Anforderungen an ihren Lebensraum.
Ein weiteres Pärchen aus dem Formenkreis um Nomorhamphus celebensis/towoetii Foto: D. Bork