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Die Enthüllungen

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Ich saß am Pool, legte den Kopf in den Nacken und machte mich über dem nächtlichen Südhorizont auf die Suche nach dem Sternbild des Skorpions. Obwohl ich, wenn ich gefragt würde, nicht in der Lage wäre es aufzuzeichnen, fiel es mir im Sommer nie schwer seine Konstellation unter den Millionen von Sternen am Firmament ausfindig zu machen. Es war ein unbewusstes Erkennen, wie das einer Pinguinmutter, wenn sie nach der Nahrungssuche zu ihrem Jungen in der Pinguin-Kolonie zurückkehrte. Heute Abend war ich ein Kind der Sterne, mit dem kindischen Wunsch, dass diese Nacht nie vorübergehen sollte. Die Sterne beschützten mich. Ihre Unendlichkeit hatte nichts Beängstigendes an sich. Unter ihnen fühlte ich mich so geborgen wie im Schoß der drei Gebäude um mich. So eins wie mit meinen Freundinnen. Sie waren ein Teil von mir, so wie ich ein Teil von ihnen war. Ich war glücklich. Die Welt mit all ihren Sternen war in mir. Ich fühlte mich eins mit dem Universum. Ich fühlte mich eins mit mir selbst. Ich schloss die Augen und überließ mich meinem Glücksgefühl. In meinem Kopf fing sich alles an zu drehen. Ich riss die Augen auf. Die Sterne brachten mich wieder an meinen Platz zurück. Ich war ihr Kind, heute Abend war ich ein Kind der Sterne. Nüchtern betrachtet hasste ich das Gefühl zu viel getrunken zu haben, zu merken, wie mir langsam die Kontrolle über mich selbst entglitt. Würde es helfen, wenn ich mich einfach vornüber in den Pool fallen ließe, oder würde es reichen den Kopf ins Wasser zu stecken? Aus Gründen der Einfachheit entschied ich mich für den Kaffee, den die anderen tranken, stieg die Stufen zur Pergola hinauf und setzte mich zu ihnen an den Tisch. Jemand hatte gute, dunkle Schokolade mitgebracht.

„Wo ist Frauke?“, fragte Stephanie.

„Die hat vorsorglich zwei der Anti-Kater-Pillen von ihrer holistischen Ärztin geschluckt und ist ins Bett gegangen. Wirklich erstaunlich, wie viel sie bei ihrer kleinen Statur verträgt. Früher hat sie nie so viel getrunken. Manchmal frage ich mich, ob wir sie nicht auf ihre Probleme ansprechen sollten. Dafür sind wir schließlich da“, meinte Anneliese und schaute in Trudis Richtung.

„Ich weiß nicht. Sie hat doch ihre Lebensberater und … ich weiß nicht“, verstummte Trudi.

„Vielleicht solltest du, als ihre beste Freundin, ihr erzählen, dass wir uns Sorgen machen“, fügte Anneliese hinzu.

„Jedenfalls war Frauke ganz schön in Fahrt. Fandet ihr nicht? Wie die den Koch angemacht hat … zum Glück hatten wir keine Männer hier, die wären heute Abend vor unserem Fraukelein nicht sicher gewesen“, scherzte Eva.

„Naja, vor dir auch nicht“, entfuhr es mir unter Einfluss des Alkohols schärfer als gewollt. „Ich verstehe nicht, wieso ihr die Männer immer so gnadenlos anmachen müsst. Ist es, damit ihr sie nachher umso härter fallen lassen könnt? Oder seid ihr etwa bereit, das zu halten, was ihr mit eurer Kleidung und eurem anzüglichen Getue versprecht?“

Ich wusste, ich war im Begriff, zu weit zu gehen, aber es gab kein Zurück mehr. Letztendlich hatte sie die Silikon-Titten, an denen sich mein Mann aufgeilte, um später seinen Dampf an mir abzulassen. Und ich? Ich hatte die Blow-Job-Falten!

„Werde erwachsen Katrin, es ist alles ein Spiel.“

„Spiele sind für Kinder“, entgegnete ich wütend und starrte Eva über die flackernden Kerzen an.

„Nur, weil du nicht mitspielen willst, kannst du nicht diejenigen kritisieren, die es tun. Wir haben Spielregeln.“

„Wer bestimmt die Spielregeln? Sind sie allgemein gültig? Und besagen sie auch, dass die Männer die ihr aufgeilt, sich nicht zu Hause an ihren armen Frauen abreagieren sollen.“

„Arme Frauen! Wie prüde du dich anhörst.“

Wenn ich eines nicht bin, dann ist es prüde, hätte ich Eva am liebsten ins Gesicht geschleudert.

„Katrin, es ist überall um uns herum im Fernsehen, in den Zeitungen, auf der Straße … wir leben im Zeitalter des Sex, falls du es noch nicht bemerkt hast!“

„Ja, und im Zeitalter der Äußerlichkeiten. Sind wir nicht auf dem besten Weg, uns von den hoch entwickelten Lebewesen, die wir sind, von der von uns erschaffenen, kulturellen Umwelt auf ein tierisch, sexuelles Etwas reduzieren zu lassen?“

Vielleicht war Klaus, das Etwas, das mich fickte, am Ende das Opfer unserer Zeit, ständig aufgegeilt zum einen durch die Medien, zum anderen durch die Weiber um ihn herum, kurz, ein gebeutelter reizüberfluteter Mann, dem seine Hormone den Rest gaben?

„Interessanter Punkt“, warf Anneliese ein.

– Oje, hatte ich laut gedacht?

Ich konnte Anneliese ansehen, dass sie die Diskussion zwischen Eva und mir genoss. Warum sagte Stephanie nichts? Stephanie war die Emanzipierteste von uns allen. In ihrer Studentenzeit hatte sie bahnbrechende Autorinnen der feministischen Bewegung gelesen, angefangen von Simone de Beauvoir über Betty Friedan bis hin zu Kate Millett. Doch jetzt war sie gänzlich in den Anblick der Zuckerdose vor ihr auf dem Tisch vertieft.

„Schau Katrin: Jeder Mann, dem ich begegne, schaut mir als Erstes in den Ausschnitt und erst danach ins Gesicht.“

Wie um ihre Aussage zu bekräftigen, beugte sich Eva nach vorne, um mir einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté zu gewähren.

„Und was war mit Martin?“

„OK, es gibt Ausnahmen.“

„Du provozierst es. Wenn du nicht wolltest, dass die Männer dir auf die Ti… Brüste schauten, würdest du dich anders anziehen. Begreif doch, Eva, du hast es nicht nötig. In meinen Augen bist du eine selbstbewusste, liebenswerte Frau mit Grips, die sich nicht über ihre Ti… Brüste definieren muss.“

„Aber Katrin, du verstehst nicht, es ist überall um uns herum. Und wenn man über die vierzig ist, muss man sich etwas einfallen lassen, um nach wie vor dazu zu gehören.“

„Du meinst, wie zum Beispiel einen Boob-Job.“

Eva zuckte zusammen. Sie faltete die Hände über der Brust, wie um sie vor solchen rüden Anschuldigungen zu schützen.

„Du kannst das vermutlich nicht nachvollziehen“, sagte sie leise. „Meine Eltern waren ganz einfache Leute. Mein Vater war Müllkutscher. Meine Mutter hat in der Zahnradfabrik gearbeitet. Sie hatte zu Hause nicht viel zu melden. Ich war ihr einziges Kind. Ich sollte es einmal besser haben. Mit meinem Aussehen würde ich es weit bringen, hatte mein Vater immer betont. Und glaube mir, in meiner Welt war das Aussehen wichtig“, schnaubte Eva. Sie hatte sich in Fahrt geredet. „In der Schule hat mich der Mathelehrer vor dem Durchfallen bewahrt. Er war frisch von der Uni und ein kleines bisschen in mich verliebt. Wir hatten diesen Deal … Und nach der Schule war ich es, die unter den sechs Bewerberinnen den Ausbildungsplatz zur Reisekauffrau bekommen hat. Ich hatte beim Vorstellungsgespräch dieses weit ausgeschnittene T-Shirt getragen. Mein Chef … ach, egal.“ Eva schüttelte ihre bunten Haare aus dem Gesicht und blitzte mich an. „Und warum, denkst du, haben wir ein gut laufendes Reisebüro?“

„Weil dein Mann und du verdammt hart dafür arbeiten. Deshalb. Und das hat nichts mit der Tiefe deines Ausschnitts oder der Form deiner Zähne zu tun“, erklärte ich nachdrücklich.

Eva lächelte traurig.

„Ich wusste du würdest es nicht verstehen.“

Wie hatte ich mich gerade noch mit der Welt und meinen Freundinnen so eins fühlen können, wenn unsere Welten so verschieden waren? Eva war in eine Welt hineingeboren und erzogen worden, in der die Spielregeln eindeutig von den Männern aufgestellt worden waren. Es war wichtig gewesen gut auszusehen. Ich war in einem Akademikerhaushalt groß geworden. In unserer Familie zählten die sogenannten inneren Werte. Waren ich und meine Familie in der Minderheit? Was war schlimmer: Wie Eva ein wunderschön anzusehender Apfel zu sein, von dem keiner wusste, dass er im Inneren am verfaulen war, weil ihn alle immerzu bewundernd ansahen und keiner ihn probieren wollte? Oder wie ich, das verrunzelte Äpfelchen, das super lecker schmeckte, was jedoch auch keiner wusste, da keiner es ansah und es erst recht keiner probieren wollte? Waren nicht in beiden Fällen die inneren Werte des Apfels verloren? Würde nicht die Lösung des Problems, darin bestehen, neue Spielregeln aufzustellen. Waren wir dies nicht unseren emanzipatorischen Vorkämpferinnen schuldig? Spielregeln, die unter anderem besagten, dass wir nicht spätestens alle zwei Tage die Beine breit zu machen brauchten.

„Ich kenne den Grund, warum Frauke sich einen Spaß daraus macht, die Männer aufzugeilen“, bekannte Trudi und durchbrach somit das Schweigen, das um den Tisch herum entstanden war. „Aber ich weiß nicht, ob ich es euch sagen kann.“

Hatte Trudi Tränen in den Augen?

„Alles, was hier gesagt wird, bleibt unter uns“, meinte Anneliese ernst. „Das weißt du doch.“

Sie warf Trudi einen aufmunternden Blick zu. Trudi biss auf ihrer Unterlippe herum und wir anderen sahen ihr dabei zu.

„Also gut“, fing sie zögernd zu reden an. „Als sie ziemlich betrunken war, hat Frauke mir einmal erzählt, ihr Vater hätte manchmal so komische Spielchen mit ihr gespielt. An das meiste könnte sie sich nur vage erinnern, sie wäre noch sehr klein gewesen. Er hätte sie nicht in direktem Sinne missbraucht …“

Trudis Worte schlugen bei mir ein wie eine Bombe. ‚Er hätte sie nicht direkt missbraucht‘? Ich hatte ihren Vater vor einem Jahr bei Fraukes Vierziger-Party kennengelernt. Auf der Einladung hatte damals gestanden, wir sollten in einem sexy Outfit auftauchen. Klaus hatte sich schon gefreut, in seiner Tanga-Badehose gehen zu können. Ein altes ausgeleiertes Ding, das hinten wie vorne gleich wenig verbarg. Ich hatte es ihm glücklicherweise ausreden können. Schlussendlich hatte er seine alte krachlederne, kurze Hose angezogen, seine bayrische Tante hatte sie ihm zum Achtzehnten geschenkt. Die obersten zwei Knopfreihen hatte er nicht mehr zubekommen, daher hatte der Latz auf eine etwas obszöne Art nach unten gehangen. Am Oberkörper war er bis auf das Lederhosengeschirr nackt gewesen. Ich war in Ermangelung einer besseren Idee so hingegangen, wie ich aus der Dusche gekommen war. Ein kleineres Badehandtuch hatte ich um den Kopf, ein größeres locker um den Körper geschlungen. Von außen betrachtet hatte es so ausgesehen, als würde mir das Handtuch jeden Moment von der Brust gleiten. Aber natürlich hatte ich es von innen mit zahllosen Sicherheitsnadeln so festgesteckt, dass es sich keinen Millimeter bewegte. Selbst Klaus‘ spätere Auswickelversuche auf der Tanzfläche hatten ihm nichts anhaben können.

Und ich hatte mich den halben Abend lang angeregt mit einem Mann unterhalten, der gerne mit kleinen Mädchen herummachte, und dem es nichts ausmachte, wenn dieses kleine Mädchen seine eigene Tochter war – Hilfe! Auch jetzt, als ich an die Geburtstagsfeier zurückdachte, konnte ich es nicht glauben: Ich hatte mich zusammen mit einem Kinderschänder über das Motto der Party und die vielen leicht bekleideten Partygänger mokiert! Fraukes Vater hatte in seiner Bundfaltenhose mit Hemd und Krawatte genauso fehl am Platz gewirkt wie ich. Aus diesem Grund waren wir miteinander ins Gespräch gekommen. Ich erinnerte mich, ich hatte ihn als einen distinguierten, völlig asexuellen, älteren Herrn eingestuft. Nicht ein einziges Mal hatte er auf meine bloßen Schultern oder meinen Badehandtuchausschnitt geschielt. Er hätte früher an einem humanistischen Gymnasium als Lateinlehrer gearbeitet. Auch heute würde er noch täglich Virgil oder Homer lesen, hatte er mir erzählt. Ich konnte es nicht fassen, hatte ich mir bisher zu Unrecht etwas auf meine gute Menschenkenntnis eingebildet?

„Sie findet es prima, die Männer anzumachen. Sie lässt sie jedoch nicht echt an sich heran. Irgendwie ist es als würde sie an ihnen Rache verüben“, mutmaßte Trudi. „Deshalb sind Lothar und sie bereits seit einiger Zeit bei einer Eheberatung.“

„Ach wie, du meinst, Frauke hat auch bei ihrem Mann Schwierigkeiten Nähe zuzulassen?“, fragte Anneliese.

Trudi nickte stumm und schaute in ihr leeres Weinglas als könnte sie dort eine andere Antwort finden.

„‘Schwierigkeiten Nähe zuzulassen‘, das hatten wir doch letzthin in einem Buch“, fiel mir ein. „Entsinnt ihr euch an diesen Sprachwissenschaftler, der zu einer Konferenz nach Italien ging, den Mund nicht aufbekam und nicht einmal seiner Tochter von seinen Problemen erzählen konnte?“

„Du meinst ‚Perlmanns Schweigen‘ das ist wie der ‚Nachtzug nach Lissabon‘ auch von Peter Bieri?“, half Stephanie nach.

„Genau, und dieser Perlmann war höchst depressiv und keiner hat es bemerkt“, meinte Eva, die sich mit Depressionen bei Männern, oder um präzise zu sein, bei denen ihres Mannes, bestens auskannte.

„Frauke nimmt Antidepressiva“, offenbarte Trudi.

„Wie, und dazuhin trinkt sie so viel?“, entfuhr es Stephanie. „Das ist nicht gut.“

Ich war geschockt. Frauke tat mir leid. Sie war die erste aus unserer Gruppe, von der ich erfuhr, dass sie Antidepressiva nahm. Sie sollte nicht die Einzige bleiben.

Zum Glück hatte Frauke nicht gehört, wie ich sie noch vor wenigen Minuten in denselben Topf mit Eva geworfen hatte, was das Anmachen von Männern betraf. Trotzdem nahm ich mir in meinem angedudelten Zustand vor, mich morgen bei ihr zu entschuldigen.

„Ich weiß nicht, ob eine Eheberatung das Richtige ist. Um Fraukes emotionalen Block zu behandeln, müsste sie …“, hob Anneliese an, wurde aber von Stephanie unterbrochen.

„Ich denke, den beiden könnte eine Eheberatung helfen.“

Wurde Stephanie rot, oder täuschte ich mich.

„Du hörst dich an, als wüsstest du, von was du redest“, bohrte ich nach.

Stephanie wurde definitiv rot.

„Ich, wir, Christoph und ich“, stotterte sie herum, „waren auch einmal, ich meine …“

„Wie, ihr ward auch einmal bei einer Eheberatung?“, fragte Eva ungläubig nach und bekam große Augen. „Ich dachte immer, nach Anneliese hättest du die beste Ehe von uns allen. Zumindest hast du dich immer so angehört.“

Kämpfte Stephanie mit den Tränen?

„In jeder guten Ehe, gibt es eine Zeit der Probleme. Ich hatte Tage, da hat es mich schon alleine aufgeregt, wie Günther ins Frühstücksbrötchen gebissen hat“, gab Anneliese zum Besten.

Ihre Bemerkung erzielte jedoch nicht den gewünschten Effekt. Keiner lachte. Im Gegenteil, Stephanie brach in Tränen aus, Eva und Trudi machten bestürzte Gesichter, und ich hatte inzwischen das dumpfe Gefühl, die Hauptverantwortliche für die dramatische Wende zu sein, die unser sorglos-netter Abend genommen hatte.

„Christoph hat eine … er hat eine Freundin“, brachte Stephanie unter Schluchzen hervor.

Wir schwiegen betroffen.

„Es geht bereits seit einiger Zeit. Sie, sie ist alles, was ich nicht bin. Sexy, klein, …“

Der Rest ging in ihrem haltlosen Schluchzen unter. Anneliese erwachte als erstes aus ihrer Starre und nahm Stephanie spontan in die Arme.

Wiederum legte ich den Kopf in den Nacken. Ich war aus den Sternen gefallen. Ihr Glanz zerfloss zusammen mit den Tränen auf meinen Wangen. Ich fühlte mich schuldig, und die Sterne standen kalt und zu weit weg am Nachthimmel. Sie konnten mir nicht mehr helfen. Ihr vielversprechendes Funkeln, das mir eben noch ein Gefühl von Harmonie und Einigkeit vermittelt hatte, war zu einem kalten, abstoßenden Glänzen geworden. Ich war nicht mehr eins mit ihnen, nicht mehr mit der Welt und auch nicht mit meinen Freundinnen. Ich fühlte mich schuldig. Wegen meiner Beharrlichkeit waren Frauke und ihre Probleme bloßgestellt worden, und wegen mir war Stephanie nun ein hilflos schluchzendes Bündel in Annelieses Armen. Ich hätte alles auf sich belassen sollen.

Wie oft hatte ich mir am dritten Abend gewünscht, Klaus hätte eine Freundin, eine, die er zweimal die Woche durchziehen konnte. Gewiss der Gedanke war aus Wut über den sexuellen Druck entstanden, den er an solchen Abenden auf mich ausübte. Laut geäußert hatte ich diesen Wunsch bisher noch nie. Ich werde mich auch in Zukunft davor hüten, Klaus diesen Freibrief zu geben. Auch wenn ich wusste, dass Klaus eine Frau ohne weiteres mindestens fünfmal die Woche durchziehen konnte, ohne dabei größere Gefühle für sie zu haben. Erfuhr ich das nicht regelmäßig am eigenen Leib? Ebenso regelmäßig wie sich Klaus und ich alle dreiundzwanzig Tage, wenn ich mich wieder in meinem absoluten Hormon- und auch sonstigen Formtief befand, über unsere oder hauptsächlich meine sexuellen Schwierigkeiten unterhielten. Leider ist es mir in den vergangenen sechzehn Jahren zu besagter Zeit des Monats noch nie gelungen, ihm erstens meine fehlende Lust auf Sex so nahe zu bringen, dass er sie verstand, und ihm zweitens zu vermitteln, sie nicht persönlich zu nehmen, sondern sie einfach als das hinzunehmen, was sie war: eine temporäre, meist vier Tage währende Un-Lust. Aber vielleicht lag eben darin mein Denkfehler? Vielleicht sollte Klaus es sehr wohl persönlich nehmen. Wieder kam mir Juttas Ausspruch in den Sinn. Es war wie ein Singsang. Die Männer wissen gar nicht, wie einfach sie es haben könnten. Die Männer wissen gar nicht, wie einfach …

„Sich einfach eine von den Laborantinnen in seinem Zahnlabor anzulachen, weil er sich vernachlässigt fühlt, seit die Kinder da sind, finde ich eine billige Ausrede“, regte sich Anneliese nun auf.

Tja, so einfach ging es eben auch. ‚Wer es zuhause nicht oft genug bekommt, sucht es sich woanders‘, war Klaus‘ Ausspruch in solchen Situationen. Hatte ich das wirklich gerade gedacht? Verwundert schüttelte ich den Kopf. Wie kam ich dazu, Christophs Partei zu ergreifen?

„Es sind auch seine Kinder“, entrüstete sich Trudi. „Und im Übrigen hätte ich von ihm erwartet, dass er für deine Situation mehr Verständnis aufbringt. Du arbeitest Vollzeit, hast zwei Kinder und hast letztes Jahr deine Mutter verloren.“ (Trudi hatte zu diesem Anlass ein besonders geschmackvolles Grabgesteck gemacht.)

Enthemmt vom Alkohol, hatte ich das dringende Bedürfnis, die Sache auf Juttas Punkt zu bringen. Nicht zuletzt vermutete ich in Stephanie eine zukünftige Verbündete. Denn ich wusste zufälligerweise recht genau, dass sich ihr Mann so gut wie nie um die Kinder kümmerte.

„Trudi hat Recht, wen wundert es da, dass du dich in einem Dauerzustand der Erschöpfung befindest und abends im Bett nicht noch Miss Wonderful spielen kannst.“

Die Art und Weise, wie sich Stephanies Schluchzen intensivierte, schien meine Aussage zu bestätigen.

„Diese Scheiß-Männer wollen doch immer nur das Eine. Und wir sind ihnen Wurst“, murmelte Eva.

Waren diese Worte wirklich aus Evas dick über die Ränder geschminktem Mund gekommen? Ich frohlockte. Wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet in Eva eine weitere Verbündete finden würde?

Um halb drei trugen wir die leeren Weinflaschen und unsere Gläser in die Burg hinein. Um Stephanies Enthüllung besser verkraften zu können, hatten wir noch einmal zwei Flaschen geköpft. Wir waren Zeuginnen einer maßlosen Traurigkeit geworden, hatten unsere Freundin nach Kräften getröstet, sie wechselseitig in die Arme genommen und ihr versichert, sie wäre eine ganz, ganz tolle Frau, und ihr Mann ein Idiot, wenn er dies nicht sehen könnte. Zu guter Letzt sanken die Buchclubdamen körperlich und seelisch erschöpft in ihre Betten.

Ich konnte nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl auf einem sich zu schnell drehenden Karussell zu sitzen. Ich stand auf und schlich nach draußen. In keinem der drei Häuser brannte mehr Licht. Der Mond musste spät aufgegangen sein. Er stand als Sichel am Himmel. Ein warmer Wind strich durch die Weinblätter der Pergola. Ich streifte die dünnen Träger meines Nachthemds von den Schultern, ließ es zu Boden gleiten, wollte elegant wie eine Hollywood-Diva darüber hinweg steigen, verfing mich mit dem Fuß im Stoff, stolperte, schrie und schlug mir das Knie auf. Ich hinkte zum Poolrand, setzte mich und versuchte in tiefen, gleichmäßigen Zügen ein- und auszuatmen. Eine Welle der Übelkeit drohte mich zu überspülen. Nach einiger Zeit sah ich mich von oben dort sitzen, eine bläulich-weiße Frauenfigur wie auf einem Rubensgemälde. Die Brüste unter den runden Schultern, exquisit von Form, nicht zu groß und nicht zu schwer, darunter der Bauch gewölbt (möglicherweise auch gebläht), die weißen Schenkel dick und satt auf der steinernen Poolumrandung. Vom Knie tropfte es dunkelrot-schwarz ins Wasser. Ich beobachtete wie die Rubensfrau vornüber sank, und für den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, was mit ihr geschah, ehe mich das kalte Wasser zur Besinnung brachte. Prustend tauchte ich auf und klammerte mich wie eine Ertrinkende am Poolrand fest. Ich hörte Schritte, leise, wie von Katzenfellschuhen.

„Martin?“

„Katrin?“

Sie hätte nicht schlafen können und als sie hier draußen einen Schrei gehört hätte, wäre sie aufgestanden, um nachzusehen, ob es eventuell Stephanie wäre, die Hilfe bräuchte, erklärte Anneliese und zog mit großer Selbstverständlichkeit ihr Nachthemd aus und stieg über die Leiter in den Pool. Ihre neugierige Frage, wieso ich gedacht hätte, dass sie Martin wäre, ließ ich unbeantwortet und schilderte anstatt dessen, wie ich mir das Knie aufgeschlagen hatte. Die Wunde wäre nicht tief und würde schon nicht mehr bluten, versicherte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte, wollte aber um keinen Preis vor Annelieses Augen, Blutbad hin oder her, aus dem Pool steigen.

„Arme Stephanie“, fuhr Anneliese fort, „wie sie so erzählt hat, habe ich mich gefragt, ob das nicht erste Anzeichen einer beginnenden Menopause sein könnten.“

„Stephanie ist erst 42.“

„In dem Alter hat es bei mir angefangen“, hickste Anneliese. „Manchmal wusste ich allen Ernstes nicht, wie ich das Mittagessen auf den Tisch bringen sollte. Und mit Sex hatte ich wirklich gar nichts mehr am Hut.“ Anneliese hickste wieder. „Doch zum Glück gibt es heutzutage so kleine Tablettchen.“

„Tablettchen?“, echote ich.

Konnte es sein, dass es der Pharmaindustrie mittlerweile gelungen war hinter Klaus‘ Rücken, ein Viagra für Frauen auf den Markt zu bringen? Kaum zu glauben.

„Hormontabletten, HET“, führte Anneliese aus.

„Und die nimmst du seit du 42 bist? Das sind … das macht zwölf Jahre“, kalkulierte mein alkoholumnebeltes Hirn.

„Elf, hicks, und ich habe nicht vor, sie in nächster Zeit abzusetzen, obwohl mir mein Frauenarzt dazu rät, wegen der erhöhten Krebsgefahr. Bei meinem letzten Besuch hat er mir erzählt, es gäbe da auch so eine kleines Tostesteron-Spirälchen, das man sich einsetzen lassen könnte, damit einem der Biss nicht verloren ginge.“

Beißen?? Ich lutschte immer.

„Und du, du bist immerhin auch schon 44. Wie ist das bei dir?“

Trotz meiner Angetrunkenheit widerstand ich der Versuchung, Anneliese von Klaus 2-Tage-Regel zu erzählen. Denn diese Dinge vertraute man nicht einmal seinem Tagebuch an, geschweige denn seiner besten Freundin.

„Ich halte es mit Fontane“, antwortete ich.

„Was hat der gute, alte Fontane mit deinem Sexleben zu tun?“, kicherte Anneliese.

„Das, nun das ist ein weites Feld“, gluckste ich.

Anneliese bestand darauf, mir den Vortritt zu lassen. So graziös das verletzte Knie und meine breiten Hüften es auf der engen Leiter zuließen, stieg ich aus dem Pool. Als ich endlich mit meinem frisch verarzteten Knie im Bett lag (ich hatte noch ein verknittertes Pflaster aus Kleinkindertagen in meiner Handtasche gefunden), dachte ich, vorsichtshalber mit offenen Augen, über die dritte und letzte Enthüllung des Abends nach. Anneliese negierte seit elf Jahren ihre Menopause. Kein Wunder, sah sie keinen Tag älter aus als zweiundvierzig. Aber war das, was Anneliese mit ihren Hormontabletten tat, im Prinzip nicht dasselbe, was Eva mit ihren Titten gemacht hatte? Wollten nicht beide ewig jung und ewig sexy sein? Vielleicht sollte ich einen Verein gründen: ‚In Anmut Altern‘, kurz ‚IAA‘. Ich nahm mir fest vor, den Damen dieses Konzept morgen ein wenig näher zu bringen.

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