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Auf den Spuren der Evolution oder die genetische Präferenz für Süßes
Dass wir Menschen dem süßen Geschmack regelrecht verfallen können, hat vor allem auch evolutionsbedingte Gründe. Diese genauer zu betrachten, lohnt sich, wenn wir einen Weg finden wollen, mit der „Süße des Lebens“ wieder konstruktiver umzugehen.
Es gibt laut Evolutionsforschung zwei angeborene Geschmackspräferenzen, nämlich „süß“ und „umami“, was mit „schmackhaft, würzig, wohlschmeckend oder fleischig“ übersetzt werden kann. Süß wird bereits von allen Neugeborenen automatisch geliebt. Die Geschmäcker „bitter, stark salzig, sauer und scharf“ werden von Kleinkindern vorerst abgelehnt – und das aus gutem Grund.
Süße bedeutet sichere Energie
„Süß“ wird auch als „Sicherheitsgeschmack der Evolution“ bezeichnet, denn es existiert kaum etwas in der Natur, das süß UND giftig ist! Mit der Vorliebe für Süßes geht der Mensch zuerst einmal auf Nummer sicher: Er weiß, dass er sein Leben mit dieser Nahrung nicht gefährdet. Vorrangig schmecken Lebensmittel mit sehr hoher Energiedichte süß. Auch das sicherte von jeher das Fortbestehen der Art. Der Konsum von Süßem stellte also stets rasch viel Energie zur Verfügung. Diese Präferenz ist heute immer noch im Hirnstamm, in tiefen Hirnregionen, gespeichert und daher bereits beim Neugeborenen vorhanden.
Die natürliche und direkteste Süße finden wir seit jeher in sonnengereiften Früchten und Honig. Diese Nahrungsmittel zählen übrigens, wenn in entsprechender Qualität und Dosis verzehrt, bis heute zu den wertvollsten Quellen von essenziellen Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen.
Im Gegensatz dazu stellt die Geschmacksqualität „bitter“ in der Natur oft eine Gefahr dar. Viele giftige Pflanzen schmecken bitter. Der saure Geschmack bedeutet häufig, dass Früchte noch nicht reif oder andernfalls die Nahrung bereits verdorben ist. Beides ist dem Fortbestehen einer Art wenig zuträglich und es überrascht daher nicht, wenn diese Erinnerungen in unseren Zellen dafür sorgen, dass „bitter“ oder „sauer“ keineswegs zu den ersten favorisierten Geschmäckern gehören.
Der Geschmack „umami“ zeigt eine tierische oder pflanzliche Eiweißquelle an, also einen weiteren essenziellen Bestandteil einer gut versorgenden Ernährung. Dies erklärt, warum auch „umami“ von Kindesbeinen an bevorzugt wird.
Muttermilch schmeckt süß.
Das Essverhalten der schwangeren Mutter prägt kulinarische Vorlieben des Kindes.
Geschmacksprägungen während der Schwangerschaft und Stillzeit
Geschmacks- und Geruchssinn entwickeln sich beim Fötus bereits im zweiten Schwangerschaftsmonat und das Essverhalten der Mutter während der Schwangerschaft prägt bereits früh kulinarische Vorlieben des Kindes. Bereits ab dem dritten Monat nimmt das ungeborene Kind den Geschmack des Fruchtwassers wahr. Die Wissenschaft nennt dies „In-utero-Programmierung“. Eine besonders einseitige oder aber sehr vielfältige Ernährungsweise prägt das spätere Essverhalten bzw. die Vorlieben des Kindes. Dieser Effekt setzt sich nach der Geburt über das Stillen fort.
Muttermilch setzt sich aus den Geschmacksrichtungen „umami“ und „süß“ zusammen. Der Geschmack „umami“ ergibt sich aus den enthaltenen Proteinen, die Süße stammt vom enthaltenen Milchzucker. Die emotionale Koppelung der erfahrenen Nestwärme mit diesen Geschmäckern macht uns im späteren Leben also noch ganz besonders empfänglich für „süß“ und „umami“.
Industrielle Prägungen
Zur ohnehin von der Natur vorgegebenen Präferenz im Säuglingsalter kommen heutzutage jedoch auch künstlich verursachte Prägungen aufgrund von Flaschennahrung hinzu. Die erste industriell hergestellte Säuglingsnahrung kam bereits im 19. Jahrhundert auf den Markt, vorerst als „Suppe für Säuglinge“, später in Pulverform, schon bald mit Kondensmilch und anderen Zusatzstoffen versetzt. Heute ist Baby-Flaschennahrung ein hochkomplexes Hightech-Produkt aus dem Labor. Man versucht, mit zahlreichen lebensmitteltechnologischen Vorgängen die Zusammensetzung der Muttermilch bestmöglich nachzuahmen und reichert diese gerne mit allerhand Zusatzstoffen – allen voran Zucker und Aromastoffen – an.
Negative Auswirkungen von Flaschennahrung oder warum Stillen so wichtig ist
Gestillte Babys sind gesündere Babys.
Zahlreiche Studien und Untersuchungen zeigen, dass sich das Stillen von Babys langfristig auf vielen Ebenen positiver auf die Gesundheit auswirkt als das Zuführen von industriell hergestellter Flaschennahrung.
So weiß man, dass gestillte Babys statistisch gesehen die gesünderen Babys sind. Auch ist das Risiko, später übergewichtig zu werden oder an Diabetes zu erkranken, bei nicht gestillten Kindern höher als bei gestillten. Stillen schützt und stärkt Kiefer und Zähne des Kindes und hat eine Schlüsselrolle beim Aufbau einer gesunden Darmflora. Später auftretende Allergien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und jede Menge Darmprobleme können von einer fehlenden Stillerfahrung begünstigt werden.
Aber nicht immer ist es möglich, dass Mütter ihre Kinder stillen. Gesundheitliche oder andere Gründe zwingen viele Frauen, auf das Angebot der Industrie zurückzugreifen. Gerade in diesen Fällen ist es wichtig, genau auf die Produktauswahl zu achten und die möglicherweise entstehenden Defizite anders auszugleichen.
Muttermilch hat immer noch eine wesentlich differenziertere Geschmackszusammensetzung (über die Nahrung der Mutter) als Flaschenmilch. Kinder, die gestillt wurden, sind daher im Regelfall vielfältigen Geschmäckern gegenüber aufgeschlossener als Kinder, die mit Flaschennahrung aufgezogen wurden.
Sogenannte Pre-, Start- oder 1er-Nahrung wird bereits unmittelbar nach der Geburt statt Muttermilch verabreicht: Das darin enthaltene Eiweiß aus der Kuhmilch wird an jenes aus der Muttermilch angepasst.
Pre- oder Startnahrung enthält, so wie Muttermilch, als Kohlenhydrat ausschließlich Milchzucker. So weit, so gut. Die sogenannte 1er-Nahrung hingegen enthält zusätzlich glutenfreie Stärke, die die Milch etwas andickt, was einen sättigenden Charakter verleihen soll. Zudem darf diese Babynahrung laut Lebensmittelgesetz bereits weitere Zuckerarten wie Maltose, Maltodextrin oder Glukosesirup enthalten. Wer beim Einkauf hier also nicht genau achtgibt, beginnt bereits unmittelbar nach der Geburt des Kindes, die Weichen für einen erhöhten Zuckerkonsum zu stellen und die erste und natürlich angeborene Vorliebe für Süßes um ein Vielfaches zu verstärken.
Für Babys ab dem siebten Monat kann im Handel 2er-Nahrung erworben werden und für Babys ab dem zehnten Monat 3er-Nahrung. Diese Flaschenmilch ist der Muttermilch nicht mehr ganz so ähnlich und wird aus diesem Grund erst für ältere Babys – in Kombination mit Beikost – empfohlen.
Die sogenannte Folgenahrung darf neben verschiedenen Zuckerarten auch künstliche Aromen wie Vanillin oder Bananengeschmack enthalten. Damit wird schon im zarten Babyalter die Vorliebe für (künstliche) Geschmäcker geprägt, die der Lebensmittelindustrie später satte Umsatzzahlen garantiert.
Es ist nicht immer gleich erkennbar, dass wir mit Zucker gemästet werden und das hat auch mit den vielen unterschiedlichen Namen und Bezeichnungen von Zucker zu tun, der sich hinter folgenden Begriffen verbirgt: Saccharose (das ist der klassische Haushaltszucker), Glukose, Maltose, Maltodextrin, Glukosesirup oder glutenfreie Stärke.
Babynahrung enthält oft Zucker.
„Mere-Exposure-Effekt“ oder „Was der Bauer nicht kennt …“
Aber nun nochmals zurück zur Entstehung unserer Geschmacksvorlieben. Gemäß dem sogenannten „Mere-Exposure-Effekt“ lieben wir einzelne Speisen deshalb, weil wir sie regelmäßig gegessen haben. Wenn man Kindern also gesunde Lebensmittel möglichst oft anbietet, greifen sie – auch in späteren Jahren – gerne und oft dazu.
Andersherum heißt das: Wer schon früh daran gewöhnt wird, vorrangig Süßes zu essen, wird auch im Erwachsenenleben ein größeres Verlangen nach Süßem haben.
Eine Speise, die gut vertragen wird, wird vom Organismus auch als „sicher“ abgespeichert und daher wieder verlangt. „Ich esse, was ich kenne“, ist hier das Motto. Wer sich langfristig auf diese frühe Entwicklungsstufe begibt, gehört später zum Kreis jener, deren Essensphilosophie durch den Glaubenssatz „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“ eingeschränkt wird. Einseitigkeit und Fehlernährungen sind dadurch vorprogrammiert.
Spezifisch sensorische Sättigung
Damit wir unseren Körper aber auch mit der Vielfalt an Nährstoffen versorgen, hat die Natur das Prinzip der spezifisch sensorischen Sättigung vorgesehen: Wurde eine Speise gerade verzehrt, kann eine kurzfristige Ablehnung dagegen entstehen. So soll verhindert werden, dass ständig das Gleiche gegessen wird. Dieser Prozess verläuft bei Kindern übrigens wesentlich langsamer als bei Erwachsenen. Es kann vorkommen, dass Kinder tagelang das Gleiche essen wollen. Die Kombination aus spezifisch sensorischer Sättigung und „Mere-Exposure-Effekt“ ist evolutionär gewinnbringend: Sie sorgt für maximale Lebensmittelsicherheit und minimales Mangelerscheinungsrisiko.
Geduld bei Neophobie
Neophobie ist die Aversion (vorrangig bei Kindern) gegen das Probieren neuer Lebensmittel oder Speisen. Oft geben Eltern zu rasch auf, wenn Kinder (manchmal auch bereits bekannte) Lebensmittel ablehnen. Den Gipfel erreicht dieses Verhalten im Alter von zwei bis sechs Jahren; danach nimmt es nach und nach ab und stabilisiert sich im Normalfall im Erwachsenenalter.
Expertisen zeigen, dass Kinder manchmal erst nach zehn- bis 20-maligem Angebot ein neues Lebensmittel annehmen. Die Devise lautet also: Wiederholen, wiederholen, wiederholen – und auf ein vielfältiges und breites Lebensmittelangebot achten.
Wer aus Bequemlichkeit seinen Kindern bald nur mehr das vorsetzt, was sie „von Anfang an“ mögen, begünstigt ein sehr einseitiges Essverhalten, das Zuckersucht und hochkalorischen Lebensmitteln wie Brot und Nudeln rasch den Vortritt lässt.
Aber auch im Erwachsenenalter lohnt es sich, immer wieder zu überprüfen, ob uns ein Lebensmittel, das wir nicht zu mögen scheinen, doch noch überzeugt. Geschmacksvorlieben ändern sich mit den Jahren und wer neugierig bleibt, kann sein Lebensmittelrepertoire auch bis ins hohe Alter erweitern.
Nicht alles wird beim ersten Probieren gemocht.
Welche Schlüsse können wir aus der Evolution ziehen?
Die Vorliebe für den süßen Geschmack ist uns also angeboren. „Süß“ vermittelt Sicherheit und Geborgenheit und wird vor allem dann benötigt, wenn viel (körperliche) Energie zur Verfügung gestellt werden soll. Die eigentliche süße Geschmacksprägung, die in unserem Hirnstamm gespeichert ist, geht von der natürlich vorkommenden Süße in Lebensmitteln aus. Wir finden diese einerseits in kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie vollwertigem Getreide, in Milchprodukten wie Milch, Sahne (Obers) oder Butter sowie in einer ernährungsphysiologisch besonders wertvollen Lebensmittelgruppe, nämlich in reifem Obst und Gemüse.