Читать книгу Quentin, der Abenteurer - Undino Woitrowitz - Страница 8
ОглавлениеMärz – April.
Die alte Dampflok
Nachdem Quentin und Walter den Lindenbaum in letzter Sekunde gerettet hatten, ging Quentin jeden Tag zum Baum. Er kletterte hoch auf seine Bretter und wartete gespannt, ob die Stimme wieder zu ihm sprechen würde. Doch der Baum blieb stumm. Vielleicht hatte er nur in höchster Not geredet?
Auch Walter traf Quentin nicht mehr. Er hatte sich nach der Rettungsaktion mit einem warmen Lächeln und den Worten verabschiedet: „Wir werden uns bestimmt wiedersehen.“
Seitdem fühlte Quentin sich wunderbar beschwingt.
Anfang März war Quentins Oma zu Besuch. Die ganze Familie brachte sie am Nachmittag mit dem Auto zurück zum Bahnhof. Als der Zug mit der Großmutter davonrollte und Quentin hinterherwinkte, sah er auf einem Abstellgleis eine schwarze Lokomotive, etwas größer als ein Traktor. Aufgeregt zeigte er dorthin. „Was ist denn das da hinten für eine Lok?“
„Weiß nicht“, antwortete sein Vater gelangweilt.
Quentin war begeistert. Er liebte Eisenbahnen, und Dampfloks wie in den Wildwestfilmen hatten es ihm besonders angetan. „Die möchte ich mir angucken!“ Schon lief er los.
„He, Quentin, stopp!“, rief seine Mutter ihm streng hinterher. Doch Quentin ließ sich nicht bremsen. Am Ende des Bahnsteigs schaute er kurz nach rechts und links, dann kletterte er eine Treppe hinunter zu einem geteerten Weg über die Gleise. Seine Eltern und Nina rannten hinterher.
Aus der Nähe zeigte sich, dass die Lokomotive sehr alt und heruntergekommen war. Der Lack blätterte an vielen Stellen ab, der Rost drängte durch, überall waren Beulen, Schrammen und Schmutz.
„Bist du verrückt, über die Gleise zu laufen?“, schimpfte die Mutter los.
Aber der Vater beruhigte sie. „Wenn wir schon hier sind, können wir uns das Ding ja mal ansehen.“ Er schaute auf ein kleines Schild unten am Führerhaus. „Baujahr 1902. Die ist über hundert Jahre alt.“
„Voll cool!“ Quentin stieg zum Führerhaus hoch. „Eine echte Dampflok. Hier wurden die Kohlen reingeworfen! Mit der möchte ich mal fahren!“
Quentins Mutter herrschte ihn an: „Runter da! Das ist bestimmt total dreckig!“
„Nicht drauf rumklettern!“, ermahnte plötzlich ein Mann, der auf die Lok zulief. Er hatte Arbeitskleidung der Bahn an und einen gelben Bauarbeiterhelm auf dem Kopf. „Die steht hier nicht zum Angucken“, sagte der Mann schroff. „Die kommt morgen auf den Schrott. Gehen Sie sofort vom Bahngelände runter, hier dürfen Sie gar nicht hin.“
Nina war zufrieden: „Ja, ab auf den Müll mit dem Ding.“
Quentin war enttäuscht. „Warum denn auf den Schrott?“
„Die ist längst kaputt“, erklärte der Mann von der Bahn. „Die hat hier jahrzehntelang im Schuppen gestanden, weil keiner wusste, wohin damit. Jetzt hat sie jemand gekauft, um das Metall auszuschlachten.“
Traurig schaute Quentin auf die alte Lok. „Schade. Sooo schlecht sieht die doch gar nicht aus.“
Quentins Vater zuckte mit den Achseln. „Da kann man nichts machen.“
Die Mutter stimmte zu: „Die ist hinüber.“ Dann gingen alle zurück zum Auto und fuhren nach Hause.
Am nächsten Tag lief Quentin nach den Hausaufgaben wieder zum Waldrand und setze sich auf den Baum. Eine Weile schnitzte er mit seinem Taschenmesser vor sich hin, da hörte er plötzlich wieder die dumpfe Stimme.
„Heda, Quentin!“
Quentin erschrak, obwohl er darauf gehofft hatte. „Hallo“, antwortete er erfreut.
Langsam und respektvoll sprach die Stimme: „Meinen allerverbindlichsten Dank. Ihr habt das Leben mir bewahrt.“
„Gerne. Das war echt klasse.“
„Falls ich dir mal helfen kann: Ich werde alles tun, was meine Macht erlaubt.“
Quentin lachte. „Glaube ich nicht, dass du mir helfen kannst.“
„Auf die Probe könntest du mich stellen“, forderte die Stimme ihn heraus.
Doch Quentin meinte: „Nein, ich glaube nicht, dass ein Baum überhaupt einem Menschen helfen kann.“ Da fiel ihm die Dampflok ein. „Halt, vielleicht doch. Am Bahnhof steht eine alte Dampflok. Cooles Ding. Die soll verschrottet werden. Echt schade.“
Die Stimme fühlte mit Quentin. „Fürwahr, das ist betrüblich. Ihr Menschen werft halt alte Sachen gerne weg.“
Stimmt, dachte Quentin. Und ihm fiel ein passender Artikel aus dem Grundgesetz des Rheinlands ein:
„Kann man da nichts machen?“, fragte Quentin erwartungsfroh.
„Oh ja. Man wirft sie eben nicht hinfort.“
„Die Lok ist aber verkauft und soll heute auf den Schrott“, sagte Quentin zerknirscht.
„Vielleicht begehrt jemand die Lok, doch weiß er nicht, dass es sie gibt?“
„Wer könnte sich denn dafür interessieren?“, wollte Quentin wissen.
„Es gibt doch reiche Leute in der Stadt“, munterte die Stimme ihn auf. „Zum Beispiel die mit ‘ner Fabrik.“
„Aber wer genau?“
„Frag doch deinen Herrn Papa.“
„Ach, mein Vater …“, seufzte Quentin. „Der hat mal wieder gesagt, man kann nichts machen.“
„Na, dann ahnst du wohl, wen ich zu fragen rate“, sprach die Stimme mit sehr warmem Ton.
„Gute Idee! Ich fahre zu Walter.“
An Walters Türknauf hing ein Schild: „Bin im Garten.“ Quentin öffnete die Holztür neben dem Haus – und blieb überwältigt stehen. Vor ihm lag ein wahres Blumenmeer aus Weiß, Lila und Gelb. Walter hatte einen sehr großen Garten, in dem gerade zahllose Krokusse und Schneeglöckchen in voller Blüte standen. Als Walter Quentin sah, rief er fröhlich „hallo!“, und ging auf ihn zu.
Rechts und links am Rande des Gartens standen geräumige Käfige mit Tieren. Aus einem blickten kecke Kaninchenaugen, in einem anderen flatterten bunte Wellensittiche. In einem großen Vogelkäfig saß regungslos eine Elster auf dem Boden. „Was ist mit der?“, fragte Quentin neugierig.
„Die hat sich am Flügel verletzt“, erklärte Walter bekümmert. „Ich päpple sie gerade auf – hoffentlich klappt das.“
Walter erzählte, dass er einige seltene Tiere besaß. Deswegen hatte er glücklicherweise auch die Feldhamster für die Rettung des Lindenbaumes. Die beiden setzten sich an einen Gartentisch, und Walter bot Quentin eine Limonade an. „Was führt dich zu mir?“
Quentin berichtete von der Dampflok am Bahnhof. Walter überlegte sogleich, was die beiden tun könnten. „Das ist natürlich ein schwieriger Fall. Wir müssten jemanden finden, der sie dem Schrotthändler wieder abkauft.“
„Aber wer?“
„Wir könnten eine Anzeige in die Zeitung oder ins Internet setzen“, schlug Walter vor.
Quentin schüttelte den Kopf. „Das dauert zu lange. Gestern sagte der Mann von der Bahn, die Lok soll morgen zum Schrott – also heute!“
„Hm.“ Walter überlegte weiter. „Solche Loks sind ja durchaus noch in Betrieb. Sie fahren kleinere Strecken für Urlauber …“ Seine Miene hellte sich auf. „Vielleicht könnte hier auch eine Museumsbahn für Touristen fahren! Vom Bahnhof zum See, in die Berge und zurück. Da hätten bestimmt eine Menge Leute Spaß dran.“
Quentin war begeistert. „Mir würde das total viel Spaß machen!“ Er dachte an das, was die Stimme am Baum ihm geraten hatte. „Vielleicht kauft sie einer, der viel Geld hat und eine Fabrik?“
„Hm, ja, ein Unternehmer“, sinnierte Walter. Er zog die Lippen nach vorne und die Augenbrauen nach unten. Dann starrte er auf die Flasche Limonade vor ihm auf dem Tisch. Sein Kopf begann zu nicken. Plötzlich weiteten sich seine Augen und er sprang vom Stuhl auf. „Breuer! Vielleicht der Breuer!“
„Gebräu-Breuer?“
„Ja, genau der!“, jubelte Walter. „Ich hab gehört, die mögen Kinder und sind zugänglich.“ Die Firma Breuer kannte jeder in der Stadt. Es war eine der größten Fabriken im Ort, sie stellten Saft und Limonade her.
„Warte einen Moment, Quentin.“ Walter lief ins Haus. Nach einer Weile kehrte er schick angezogen zurück, in einem engen und leicht verschlissenen dunkelgrauen Cordanzug. Dazu trug er eine grüne Krawatte mit gelben Blümchen drauf.
„Du siehst lustig aus“, fand Quentin. Er fühlte sich an einen Märchenfilm im Fernsehen erinnert, wo ein Stallknecht die Gewänder eines Prinzen anziehen musste.
„Das Beste, was ich habe“, grinste Walter.
„Und ich?“, fragte Quentin fordernd. „Hast du Haargel?“
Walter lachte. „Nein. Aber wir können deine Frisur mit etwas Seife in Form bringen. Komm, lass uns zu Breuer fahren, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Das Bürohaus der Firma Breuer war sehr ungewöhnlich: Rund, außen fast vollständig aus Glas, und nach oben hin lief es schmal zu. „Das sieht ja aus wie eine riesengroße Flasche!“, staunte Quentin. Er zählte neun Stockwerke unterhalb des Flaschenhalses. Ihm war nicht so recht klar, was genau Walter vorhatte. „Mit wem wollen wir hier denn sprechen?“
„Wer von Hans etwas will, sollte nicht zu Hänschen gehen“, erwiderte Walter verschmitzt. Schwungvoll drückte er die breite, gläserne Eingangstür auf. Hinter einem wuchtigen Tresen saß der Pförtner, dem Walter betont freundlich einen guten Tag wünschte.
„Wohin möchten Sie denn?“, fragte der Mann. Es klang so wie: „Haben Sie sich verlaufen?“
Walter legte sein freundlichstes Lächeln auf. „Zur Geschäftsführung, bitte.“
Der Pförtner war amüsiert. „Haben Sie einen Termin?“
Nun flötete Walters Stimme geradezu. „Nein, aber wir möchten sie unbedingt etwas fragen.“
„Unbedingt!“, rief Quentin dazu.
Der Pförtner stand von seinem Stuhl auf und schaute über den Tresen hinunter zu Quentin, den er bislang gar nicht gesehen hatte. „Soso, unbedingt zur Geschäftsführung. Worum geht es denn?“
Da hatte Quentin einen Geistesblitz. Ihm fiel ein Wort ein, das sein Vater neulich verwendet hatte. Er wusste nicht genau, was es bedeutete, aber er hatte das Gefühl, dass es hier die Tür öffnen könnte. Quentin hielt die Hand neben den Mund und sagte mit unterdrückter Stimme, gerade so laut, dass es der Pförtner verstehen konnte: „Wir haben eine Geschäftsidee!“ Dabei schaute er besorgt nach rechts und links, so als würde er nicht wollen, dass es jemand anders hört.
Der Pförtner lachte – und griff zum Telefon. „Okay, du bist pfiffig, ich gebe dir eine Chance.“ Er wählte eine Nummer und sprach dann in den Hörer: „Frau Tipling, ich habe hier einen jungen Geschäftsmann mit einer Idee und einen älteren Herrn, die zur Direktorin wollen. Hat sie zufällig gerade Zeit? Codewort Kundenextra.“
Quentin hörte, dass eine Frau antwortete. Dann erklärte der Pförtner: „Glück gehabt. Sie werden gleich abgeholt.“
Kurze Zeit später kam eine nette Dame und führte Quentin und Walter zum Fahrstuhl. Sie fuhren nach ganz oben. Quentin spürte sein Herz aufgeregt pochen. Sie konnten tatsächlich zur Direktorin! Er schaute zu Walter hoch. Der warf ihm einen Blick zurück, aus dem Quentin las: „Das kann doch jetzt nicht wahr sein!“
Die Geschäftsführerin war eine großgewachsene Frau. Sie begrüßte Quentin und Walter an der Tür zu ihrem Büro überaus freundlich. Die beiden setzten sich vor einem breiten Schreibtisch auf zwei Stühle. Vorne rechts auf dem Tisch stand ein goldener Pokal mit ganz vielen eingravierten Herzchen drauf. Auf dem Sockel las Quentin: „Unternehmerin mit Herz 2020“.
„So!“, lachte Frau Breuer laut. „Ich hab gehört, du hast eine Geschäftsidee, mein Junge! Dann schieß mal los.“
„Am Bahnhof steht eine alte Dampflok!“, sprudelte Quentin hervor. „Die soll auf den Schrott. Aber mit der könnte man noch total schöne Sachen machen.“
Walter fügte hinzu: „Wir hatten die Idee, dass jemand die Lok reparieren und als Touristenattraktion einsetzen könnte.“
Frau Breuer nickte. „Aha. Kann ich gut verstehen. Als kleines Mädchen fand ich Dampfloks auch ganz toll.“
„Ich glaube, die würden Sie auch jetzt noch toll finden“, meinte Walter. „Man müsste sie nur etwas aufmöbeln.“
„Die Lok könnte zum See fahren, dann in die Berge und wieder zurück …“, erklärte Quentin. „Damit wollen bestimmt viele Leute fahren.“
„Und an jedem Wagon steht der Name Ihrer Firma“, malte Walter aus. „Wäre das nicht eine fantastische Werbung für Sie?“
Frau Breuer lehnte sich zurück in ihren Sessel. „Keine schlechte Idee … Eine gute Idee … Die Marketingabteilung hat so was doch auch vorgeschlagen.“ Sie beugte sich wieder nach vorne, stütze sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch und lachte fröhlich: „Eine sehr gute Idee!“ Sie griff zum Telefon und wählte eine Nummer. „Herr Rödel, kommen Sie doch bitte mal.“ Sie legte wieder auf und erläuterte: „Das ist mein persönlicher Assistent.“
Ein jüngerer Mann, der eine Brille mit dicken schwarzen Rändern trug, trat ins Zimmer. Mit fester Stimme erklärte Frau Breuer ihm: „Die Herrschaften regen an, dass wir eine alte Dampflok kaufen, die am Bahnhof steht. Wir machen sie für Touristen wieder flott. Wann können Sie sich die Kiste ansehen?“
Herr Rödel wischte durch seinen elektronischen Terminkalender. „Nächste Woche Montag vielleicht …“
„Die Lok soll aber heute auf den Schrottplatz!“, drängte Quentin.
Da schüttelte Herr Rödel den Kopf. „Heute geht nichts mehr, gar nichts.“
„‚Geht nicht‘ gibt’s hier nicht!“, fuhr Frau Breuer unwirsch dazwischen. „Was ist denn gerade so wichtig?“
Herr Rödel war irritiert. „Die Besucher aus Japan kommen doch gleich …“
„Na, mit den Samurais werden Frau Tipling und ich schon fertig“, rief Frau Breuer fröhlich. „Fahren Sie mal zum Bahnhof, jetzt gleich. Und nehmen Sie jemanden von der Technik mit, der sich ansieht, ob die Lok noch zu retten ist. Am besten Herrn Müller.“
Nun zuckte Herr Rödel so heftig zusammen, dass ihm fast die Brille von der Nase fiel. „Aber … aber …“, stotterte er, „also gut, zum Bahnhof. Sofort.“
In einem so großen, eleganten Auto war Quentin noch nie gefahren. Er saß hinten mit Walter. Herr Rödel saß am Steuer, neben ihm der Techniker. „Früher habe ich bei der Bahn gearbeitet“, erzählte Herr Müller. „Sogar mal als Lokführer. Ich bin sehr gespannt auf die Lok.“
Als sie am Bahnhof einparkten, stand vor der Dampflok ein Güterwagen. Ein Schwerlastkran war kurz davor, die Lokomotive darauf zu heben. „Was passiert damit?“, fragte Herr Rödel einen Mann mit einer Baseballkappe, der neben dem Kran stand.
„Die kommt zum Schrott. Habe ich gekauft.“
„Was haben Sie dafür bezahlt?“, wollte Herr Rödel wissen.
„’n Appel und ’n Ei. Abtransport und Auseinandernehmen kosten fast so viel wie das, was ich fürs Metall kriege.“
Der Techniker schaute sich derweil die Lokomotive an. Herr Rödel rief ihm zu: „Schäng, was meinst du, in welchem Zustand ist die Lok?“
Aufmunternd rief Herr Müller zurück: „Auf den ersten Blick nur schmutzig und etwas rostig. Die wichtigen Teile scheinen tadellos zu sein – von außen besehen.“
„Wir möchten Ihnen die Lok abkaufen“, sagte Herr Rödel entschlossen zu dem Mann mit der Baseballkappe.
Der Mann schaute Herrn Rödel ungläubig an und erwiderte trocken: „Das soll wohl ein Witz sein.“
Herr Rödel lächelte. „Ich bin von der Firma Breuer.“
Nun riss der Mann erstaunt die Augen auf. „Ach?! Dann könnten wir uns wohl einig werden.”
Herr Rödel wechselte noch ein paar Worte mit dem Mann, dann zückte er sein Handy. „Rödel hier. Frau Breuer, das geht klar, wir kaufen die Lok.“
Die Direktorin antwortete so laut, dass Quentin alles mithören konnte: „Wunderbar, Rödel. Auf Sie ist Verlass. Sie kriegen es doch bestimmt auch hin, dass die Lok mit ein paar Wagons bis zum Stadtfest startklar ist?“
Diesmal zuckte Herr Rödel so stark zusammen, dass ihm seine Brille von der Nase rutschte. „B-bis zum … Stadtfest?“, stotterte er entsetzt. „Ende April – das sind gerade mal acht Wochen!“
„Genug Zeit für Sie!“, lachte Frau Breuer gelassen. „Vergangenes Jahr haben Sie doch auch von einem Tag auf den anderen die Riesenhüpfburg aus Amerika rangeschafft.“
Ende April klingelte bei Quentins Familie das Telefon. Der Vater ging ran, hörte dem Anrufer zu und zog ein immer erstaunteres Gesicht. „Warten Sie mal“, bremste er und rief ins Haus: „Kommt mal alle her! Da ist ein Herr Rödel von der Firma Breuer am Apparat!“
Quentin, die Mutter und Nina liefen ganz gespannt herbei. Der Vater stellte den Lautsprecher ein, damit alle mithören konnten.
„Wir haben die Dampflok repariert und die Bahnstrecke in die Berge wieder instand gesetzt“, erklärte Herr Rödel durchs Telefon. „Quentin hatte ja diese hervorragende Idee. Nächsten Samstag beim Stadtfest wird die Bahn eingeweiht, und Sie sind eingeladen, als Ehrengäste mitzufahren.“
Alle standen da und wussten nicht, was Sie sagen sollten. „Sind Sie noch dran?“, fragte Herr Rödel am anderen Ende der Leitung.
„Ja … ja“, stammelte Quentins Vater. „Wir hatten in der Zeitung gelesen, dass da demnächst eine Museumsbahn fahren soll … Also, ja, wir sind natürlich gerne dabei.“
Herr Rödel erklärte noch, wann und wohin die Familie kommen sollte, dann verabschiedete er sich. Völlig entgeistert legte der Vater den Hörer auf. „Was hast du denn da angestellt?“
Als wäre es das Normalste von der Welt, erläuterte Quentin: „Och, wir waren bei Gebräu-Breuer und haben die Direktorin gefragt, ob sie die Dampflok kaufen und reparieren will.“
Die Mutter war ebenfalls baff. „Bei … der Direktorin?“
„Und wer ist ‚wir’?“, fragte der Vater erstaunt.
„Das habe ich mit dem alten Walter gemacht“, erklärte Quentin vergnügt. „Erst haben wir uns am Lindenbaum getroffen, und dann war ich auch mal bei ihm zu Hause.“
Seine Mutter erschrak. „Du darfst doch nicht einfach so in das Haus von einem fremden Mann gehen!“
„Weiß ich. Aber Walter ist für mich kein Fremder mehr. Der ist schwer in Ordnung.“
„Kommt denn dieser alte Walter auch mit zu unserem unerwarteten Eisenbahnausflug?“, wollte der Vater wissen.
„Weiß ich nicht. Walter hat Herrn Rödel gesagt, es reicht, wenn er meine Telefonnummer hat.“
Der Vater runzelte die Stirn. „Na, dann bin ich mal gespannt.“
Am nächsten Samstag fuhr die Familie zum Bahnhof. Nina wollte zuerst nicht mit. Sie war unglaublich neidisch, dass Quentin das geschafft hatte. Die alte Dampflok war herausgeputzt, dass Quentin sie kaum wiedererkannte. Sie war neu angestrichen, pechschwarz. Aus dem Schornstein stieg dünner Rauch auf. Hinten waren drei dunkelgrüne altmodische Wagons angehängt, voll mit wichtigen Leuten aus der Stadt und von der Zeitung.
Vorne, im Wagon direkt am Führerhaus, durfte sich Quentin mit seiner Familie hinsetzen, zusammen mit Frau Breuer, Herrn Rödel und der Bürgermeisterin.
„Erfüllt die Lok denn Ihre Erwartungen?“, fragte Herr Rödel beflissen seine Chefin.
Frau Breuer wog den Kopf hin und her und erwiderte trocken: „Nein, eigentlich nicht.“
Herr Rödel schluckte entsetzt. Doch Frau Breuer lachte herzlich und klopfte ihm mit der Hand auf die Schulter. „Das übertrifft meine Erwartungen, Rödel!“ Dann wandte sie sich zu Quentin: „Hast du denn deinen alten Freund nicht mitgebracht?“
Quentin zuckte mit den Achseln. Wo war Walter?
Aus dem Führerhaus lehnte sich Herr Müller, der Techniker der Firma Breuer. „Es geht los. Quentin, willst du die Lok anlassen?“
Quentin gingen die Augen über, und er bekam seinen Mund nicht mehr zu. „Was? Ich?“ Begeistert sprang er aus dem Wagen heraus und kletterte vorne ins Führerhaus. Herr Müller wies ihn an, einen Hebel umzulegen. Mit einem lauten Pfeifen blies die Lokomotive Dampf in die Luft. Dann huschte Quentin schnell wieder zurück in den ersten Wagon. Zischend und keuchend setzte sich die Lok in Bewegung und fuhr immer schneller. Fröhlich winkte Quentin den Leuten zu, die am Bahnsteig standen.
„Quentin!“
Aufgeregt suchte Quentin mit den Augen die Menschenmenge ab, wer nach ihm gerufen hatte. Da stand Walter! Er schwenkte seinen rechten Arm und lachte ihm zu: „Keine Angst vor großen Tieren!“
Quentin wusste, dass Walter die Firmendirektorin und die Bürgermeisterin meinte. Er strahlte und winkte zurück. „Nein, bestimmt nicht!“
Frau Breuer lobte: „Das war wirklich eine hervorragende Idee von dir, Quentin!“ Die Bürgermeisterin nickte eifrig.
„War gar nicht so richtig von mir“, antwortete Quentin bescheiden.
„Von wem denn?“, fragte die Direktorin. „Von dem Herrn Walter?“
„Nö, von einem, der noch nie in seinem Leben mit dem Zug gefahren ist“, erklärte Quentin geheimnisvoll und winkte in Richtung des Waldrandes, wo der Lindenbaum stand.