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PUBLIC UNDERSTANDING OF SCIENCE

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In den 1970er-Jahren schreckten nicht nur aufmüpfige Studentinnen und Studenten, sondern auch zivilgesellschaftliche Bewegungen die Welt der Akademie auf. Bürgerinnen und Bürger protestierten gegen pannenanfällige Atomkraftwerke und prangerten die Verschmutzung der Umwelt an. Für beides sei die fortschrittseuphorische und technikgläubige Forschung mitverantwortlich. Plötzlich fanden sich die Wissenschaftler in einer Rolle wieder, die ihnen ganz und gar nicht behagte: der des Dr. Frankenstein, der Leben zerstört.

Die Wissenschaften und ihre Institutionen reagierten: Sie riefen die moderne Wissenschaftskommunikation ins Leben – diese entstand erst in den 1980er-Jahren. Dass sie auf die Zustimmung der Öffentlichkeit angewiesen sind, haben Schweizer Wissenschaftler allerdings schon viel früher bemerkt. Bereits ab 1922 erschien die Schweizerische Hochschulzeitung (SHZ), die – zunächst noch unter dem Namen Hochschul-Nachrichten – von der Vereinigung Schweizerischer Hochschuldozenten, dem Verband der Schweizerischen Studentenschaften und der Schweizerischen Zentralstelle für Hochschulwesen herausgegeben wurde. Zwischen 1970 und 1987 wurde die Zeitung unter weiteren Namen publiziert, zuletzt als Die Synthese.21

Ihr Chefredaktor war lange Jahre der konservative Wissenschaftshistoriker Eduard Fueter, zuletzt Dozent für internationale Forschungsorganisation an der ETH Zürich. In den 1930er- und 1940er-Jahren beschäftigte sich das Blatt beispielsweise mit der Geistigen Landesverteidigung, der militärischen Organisation und den schweizerischen Mundarten. Die SHZ war ein frühes und eigenartiges Produkt einer Wissenschaftskommunikation ohne Wissenschaftspopularisierung, das indes wissenschaftspolitisch bedeutsam war. Herausgegeben von wissenschaftlichen Gremien, wendete sich die Zeitschrift an ein Publikum, das diesen Gremien nahestand. Die ausserakademische Öffentlichkeit gehörte nicht zur Zielgruppe. Was die SHZ machte, würde heute über die Kommunikationsstellen der Wissenschaftsverwaltung und der Hochschulen abgewickelt.

Wie die Historiker Antoine Fleury und Frédéric Joye bemerken, verständigten sich in der SHZ Akademiker über die Rolle der Wissenschaften in der Schweiz. Über das Blatt wurde die Gründung des Schweizerischen Nationalfonds im Jahr 1952 vorangetrieben. Die sich engagierenden Forscher waren davon überzeugt, dass ihnen eine grosse Bedeutung in der Gesellschaft zukomme und dass «sie ihren Elfenbeinturm verlassen und sich an den Bemühungen um nationalen Zusammenhalt beteiligen mussten». Die Plädoyers gingen oft in die Richtung, dass Hochschulen, Unternehmen, Politik und Bundesbehörden sich einander annähern müssten, um Ausbildung und Forschung zu unterstützen und den akademischen Nachwuchs zu sichern – und dass die Behörden dies zu wenig täten.

Der Physiker Alexander von Muralt, der Begründer des SNF, schrieb 1946: «Das ganze Volk muss die Überzeugung haben, dass die Förderung der Wissenschaft notwendig ist und im Gesamtinteresse liegt. […] Wenn jeder Bürger, jeder Unternehmer und jeder Parlamentarier überzeugt werden kann, dass von der Förderung der Wissenschaft die Kultur unseres Landes und von dieser die wirtschaftliche Wohlfahrt abhängt, so wird auch die nötige Opferfreudigkeit sich einstellen. Es bedarf also einer Aufklärungsaktion, die aber nicht Aufgabe der Bundesbehörden sein kann, sondern die von den Hochschulen ausgehen muss.»22 Alexander von Muralt forderte Jahrzehnte vor der demokratischen Öffnung der Hochschulen nichts weniger als eine Wissenschaftskommunikation avant la lettre – eine Wissenschaftskommunikation, die auf Aufklärung, Überzeugung und Politik setzte. Zu vermuten ist, dass von Muralt, auch wenn er vom «ganzen Volk» sprach, doch eher nur die Mittelschichten und nur die Männer im Blick hatte.

Diese Art von Kommunikation wird heute etwa vom Netzwerk Future, einem Verbund von Hochschulen, Wissenschaftlern und Politikerinnen, oder von Swissuniversities betrieben, der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen – mit dem Unterschied, dass heute Kommunikationsprofis am Werk sind, wo von Muralt das Engagement seinesgleichen vorschwebte. Man kommt nicht umhin, den ideologischen Charakter seiner Zeilen zu bemerken – ideologisch in dem Sinne, dass das Eigeninteresse der Akademiker als das Interesse aller beziehungsweise das Nationalinteresse ausgegeben wird. Denn selbst wenn man konzediert, dass die Wissenschaften eine tragende Rolle spielen: Mit welchem Recht behauptet der Professor, dass das ganze Volk überzeugt davon sein müsse, die Förderung der Wissenschaft sei notwendig? Mit gleichem Recht könnte der Landwirt behaupten, dem der Nutzen von Wissenschaft und Forschung ganz und gar nicht einleuchtet, dass die Förderung der Landwirtschaft im Interesse des ganzen Landes sei. Womit er nicht unrecht hätte.

Die 1980er-Jahre also markieren die Geburtsphase der modernen Wissenschaftskommunikation. 1985 veröffentlichte die Royal Society of London, die ehrwürdige, 1660 gegründete Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreichs, den «Bodmer Report», der das aus heutiger Sicht paternalistische Konzept des «Public Understanding of Science» begründete: Der Wissenschaftler erklärt dem Laien die Welt.23 Die Motivation war in etwa die gleiche wie die von Muralts: Die Wissenschaften brauchen für ihre Existenz mehr gesellschaftlichen Support. Aber die Bedingungen hatten sich geändert. Neben der Forschungsskepsis waren – zumindest in England – PR-Organisationen entstanden.

Die Annahme der Royal Society war einfach: Weil die Bürgerinnen und Bürger zu wenig über Naturwissenschaften und Technik Bescheid wüssten, seien sie gleichgültig oder feindlich eingestellt, dabei wären sie doch im Grunde sehr wohl wissbegierig. Es erginge sowohl der Nation als auch den Individuen besser, wenn die Öffentlichkeit ein vertieftes Verständnis von Wissenschaft hätte. Daher seien die Wissenschaften und namentlich die Statistik besser im Schulunterricht zu verankern, die Lehrer gründlicher auszubilden und die Bibliotheken besser zu finanzieren, und es brauche mehr wissenschaftliche Vorträge für interessierte Personen und vor allem für die Kinder. Die Royal Society plädierte indes nicht für ein schönfärberisches Wissenschaftsverständnis – und schon gar nicht einfach für «Fact News»: «Understanding includes not just the facts of science, but also the method and its limitations as well as an appreciation of the practical and social implications.»24 Die Grenzen der Wissenschaft aufzuzeigen heisst zu sagen, was sie dank welchen Methoden kann, aber auch, was sie nicht kann.

Der «Bodmer Report» nahm die Medien ins Visier: Sie müssten mehr über die Wissenschaften berichten. Einfach sei das jedoch nicht: «The scientific community and the media work in very different ways and are, on the whole, often ignorant of each others’ procedures and constraints.»25 Um dies zu ändern, schlug die Royal Society vor, dass die Chefredaktoren ihre Journalisten ermuntern sollten, mehr wissenschaftliche Themen in ihre Berichte einzubauen. Und zweitens müssten die Wissenschaftler lernen, mit Journalisten zu kommunizieren. Sie dürften diese Aufgabe nicht delegieren. Die Royal Society sprach Klartext – so klar, ist zu vermuten, wie ein Wissenschaftler zu einem Journalisten sprechen müsste: «In the past, professional scientists have mostly delegated to others the task of communicating science to the public. Within the scientific community there is still often a stigma associated with being involved in the media. Such attitudes are not appropriate. Given the importance of public understanding of science and the extent to which scientists must be democratically accountable to those who support their training and research through public taxation, it is clearly a part of each scientist’s professional responsibility to promote the public understanding of science.»26 Jede Doktorandin und jeder Doktorand, hält der «Bodmer Report» fest, müsse die wesentlichen Punkte ihrer respektive seiner Arbeit einem breiten Publikum erklären können. Dieser Punkt ist hervorzuheben: Der Bericht kommt zwar zum Schluss, dass alle wissenschaftlichen Institutionen gute PR-Organisationen haben sollten, nimmt jedoch den einzelnen Wissenschaftler in die Pflicht. Die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation obliegt ihm. Authentisch erklärt er der Öffentlichkeit, was Sache ist.

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