Читать книгу Ursian und die unsichtbare Unterwelt - Ursina Schmid - Страница 8
2. KAPITEL Die Hexen der Walpurgisnacht anno 1304, 30. April
ОглавлениеAlljährlich treffen sich die Hexen aus der ganzen Welt, um zusammen die Nacht zu Walpurgis zu feiern. Wie jedes Jahr wird auch diesmal über die schaurigen Machenschaften der gesamten Hexenschar berichtet. Die Hexe jedoch, die den stärksten und mächtigsten Zauber anwenden kann, wird fortan die Hexenschar leiten und die Untaten der anderen überwachen. Dabei werden Bosheiten für das ganze nächste Jahr ausgeheckt. Seit nunmehr 150 Jahren ist es immer Crudelis, die den ehrenvollen Titel der Ober-Hexe der gesamten Hexenschar nicht mehr aus ihren Händen gibt. Nachdem Crudelis den Sieg errungen hatte, wurde ihr das Buch der sieben Todsünden ausgehändigt. Genau mit diesem Buch konnte sie ihre Macht noch verstärken, gerade so wie es noch keiner, auch nicht der schrecklichsten Hexe je gelungen ist.
Xantippe, die kleine nette, unscheinbare Hexe mit ihrer bunt geflickten Blümchenschürze und ihren auch für eine Hexe kleinen 140 cm ist die wohl zerstreuteste aller Hexen, sie liegt auf ihrer Wiese genau vor ihrer Höhle. Sie hat einen langen Grashalm im Mund und blickt verträumt den vorbeiziehenden Wolken nach. Sie bemerkt nicht einmal den langen Schatten, den ihre Freundin genau auf sie wirft, als sie neben ihr landet. Aurora betrachtet Xantippe eine Weile, doch dann kann sie nicht mehr an sich halten.
»Ha, ha, ha«, sprudelt es aus ihr heraus. »Du siehst aus, als ob du schon seit Wochen in diese Trance versunken wärst. Ha, ha, ha.«
Ganz Langsam und bedächtig kehrt Xantippe aus ihren Träumen in die Wirklichkeit zurück. »Oh, hallo, Aurora, bist du schon lange hier?«
»Nein, leider musste ich dich stören, du weisst doch, was heute für ein Tag ist?«
»Ah, ja, es könnte Mittwoch oder vielleicht doch schon Donnerstag sein?«, sagt Xantippe unbesonnen vor sich hin.
»Na, das kann ja noch heiter werden! Heute Nacht ist Walpurgisnacht! «
»Au weia, heute, bist du ganz sicher?«
»Also, wusste ich es doch, du hast es vergessen!«
»Nun ja, wäre möglich, aber nun weiss ich es ja und ich komme immer noch rechtzeitig zu der schönen Feier.«
Darauf seufzt Aurora: »Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall, wann hast du das letzte Mal mit einer der Hexen gesprochen?«
Xantippe schaut ganz belämmert aus der Wäsche. »Seit der letzten Walpurgisnacht nicht mehr, die Zeit verging aber auch wie im Fluge.« Darauf mehr zu sich selbst: »Was habe ich bloss getan, in diesem ganzen Jahr?«
»Jetzt sag bloss, dass du nichts mitgekriegt hast von dem ganzen Ärger?«
Zögernd antwortet Xantippe: »Nein, waruuuum solllllte ich?«
»Nun, Rana hat dich doch immer wieder aufgesucht während des Jahres. Ist dir denn nicht aufgefallen, dass sie nie bei dir erschienen ist?«
»Nein, aber jetzt, wo du es sagst, fällt mir auf, dass ich sie wirklich vermisst habe.«
Aurora atmet hörbar aus, bevor sie weitererzählt. »Unsere grosse Ober-Hexe, die mächtigste aller Hexen, ist ihr begegnet. Ancilla, die sich in der Nähe aufhielt, versteckte sich in einem Gebüsch und konnte von dort aus alles beobachten. Rana kam des Weges gelaufen und auf einmal, wie aus dem Boden geschossen, stand die grosse Ober-Hexe Crudelis vor ihr. Ancilla sagt, es sei schrecklich gewesen zu beobachten, wie sich Crudelis an Rana rächte, nur weil Rana die allerschönste Hexe von allen war.«
»Ja, das ist sie wirklich. Was heisst denn hier war? Du willst doch nicht sagen …« In Xantippes Augen bilden sich Tränen und sie vermag nicht mehr weiterzusprechen.
»Also hör zu, es trug sich folgendermassen zu: Crudelis begrüsste Rana mit folgenden Worten. ›Wo gehst du hin? Rana?‹ Darauf antwortete diese: ›Geh mir aus dem Weg, du hässliche Kröte, nur weil du die Ober-Hexe bist, musst du dich hier nicht so aufplustern.‹ Und Ancilla, die dies alles mit anhörte, wäre beinahe in Ohnmacht gefallen vor Schreck. Crudelis, die wegen dieser ungehörigen Bemerkung ganz grün im Gesicht wurde, sagte zuckersüss: ›Nun, du scheinst keine hohe Meinung von der obersten aller Hexen zu haben?‹ ›Ja, ich habe schon immer auf mich selbst gehört und das wird sich wegen dir bestimmt nicht ändern!‹ Ancilla traute ihren Ohren nicht, was hatte Rana bloss vor, dass sie Crudelis dermassen provozierte? Doch genau in diesem Moment nahm Crudelis ihren Zauberstab und verhexte Rana mit folgenden Worten: ›Rana, Rana, ut ranam.‹ Darauf wurde Rana zu einem hässlichen Frosch.«
Xantippe, auf einmal hellwach: »Aber es gibt doch keinen Zauber, den wir gegeneinander anwenden können!«
Aurora: »Ja, das haben wir alle gedacht, aber offensichtlich ist es Crudelis nun doch gelungen, mächtiger zu werden als wir uns das je vorstellen konnten. Einige versuchten, denselben Zauber bei ihren Artgenossinnen anzuwenden, doch zum Glück ist es keiner gelungen. So, jetzt beeil dich, wir sind sehr spät dran.« Aurora ruft ihren Besen und macht sich sofort auf den Weg.
Xantippe muss erst noch ihren Besen suchen, da fällt ihr doch tatsächlich der Zauberspruch, mit dem sie den Besen zum Fliegen bringt, nicht mehr ein. Ratlos steht sie auf ihrer Wiese. Ancilla dachte sich schon etwas Ähnliches und schiesst aus heiterem Himmel wieder zurück: »Dachte ich’s mir doch, du hast schon wieder den einfachsten Zauber vergessen!«
»Ja«, gibt Xantippe klein bei. Da ruft Aurora: »Scopae, vola!« Mit diesen Worten entschwindet sie wieder in den Lüften. Gefolgt von Xantippe.
Gerade als Xantippe und Aurora auf die Wiese fliegen, können sie wieder die merkwürdigsten Dinge beobachten. Ein Hase sitzt da, wie versteinert, Büsche fangen wie aus heiterem Himmel Feuer, Steine kullern ohne Grund bergaufwärts, um dann mit einem riesigen Getöse wieder hinunter zu preschen. Aber auch Hexen werden auf einmal vom Besen ihrer Konkurrentin angegriffen. Dieser ganze Tumult macht auf Xantippe keinen Eindruck, sie sammelt als einzige Blumen und bindet diese zu einem Haarband.
Die anderen Hexen werden sofort auf Xantippe aufmerksam und treiben ihren Schabernack mit ihr. Gerade als sie eine Margerite pflückt, zischt ein greller Blitz knapp oberhalb ihres Rückens vorbei. Und doch noch nahe genug, um eine ihre feuerroten abstehenden Locken zu erwischen, welche mit einem Zisch schmilzt, es riecht sofort nach verbranntem Haar.
In diesem Moment fliegt die grosse Ober-Hexe Crudelis mit einem ohrenbetäubenden Lärm auf die Wiese und fordert alle auf, am Feuer Platz zu nehmen. Die Hexen versammeln sich wie geheissen um das Feuer in der Nacht zu Walpurgis, als ein Getuschel durch die Reihen geht. »Hast du schon gehört? Heute wird die schlechteste Hexe verbannt und darf erst wieder in den Kreis eintreten, wenn sie etwas Gigantisches vollbracht hat, das sogar Crudelis beeindrucken soll.«
»Bist du dir ganz sicher? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ausgerechnet die schlechteste Hexe so etwas zustande bringt.«
»Ja, und falls sie es nicht schafft, wird sie endgültig aus unserem Kreis ausgeschlossen und muss fortan bei diesen stinkenden Kreaturen leben.«
»Du meinst … die Menschen? Das ist ja entsetzlich, da wird mir ganz übel.«
»Lass bloss Crudelis dein Gejammer nicht hören, du weisst ja, was die Grosse Ober–Hexe, die Unbesiegbare, für eine Macht hat, sie ist die Besitzerin des Buches der mächtigsten Zauberkünste, der sieben Todsünden.«
»Wer ist denn nun eigentlich die schlechteste Hexe?«
»Was?« Laut lacht die Hexe heraus. »Das weisst du nicht?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Dann lass dich überraschen, du wirst gleich sehen.«
So tuscheln die Hexen rund um das Feuer. Es entsteht beinahe eine kleine Feststimmung, alle freuen sich, der zu erwartenden Bestrafung der schlechtesten Hexe beiwohnen zu können.
Auf einmal ertönt ein Donnern, begleitet von einem tiefen Grollen, die Erde erbebt spürbar mehrfach hintereinander, diese Ereignisse lassen alle Hexen zusammenfahren und aufhorchen. Für einen kurzen Moment herrscht Totenstille. Jetzt erleuchtet eine Fülle aus Licht die Wiese, diese ist zudem in unheimlichen Nebel gehüllt. Selbst der mutigsten Hexe stockt der Atem. Das unheimliche Getöse will nicht mehr verklingen. Als Crudelis zu sprechen beginnt, ist es sofort mucksmäuschenstill und alle schauen beklommen in die Runde. Selbst der Donner hat aufgehört.
Ein grausiges Lachen ertönt, jetzt, da absolute Ruhe eingekehrt ist, läuft auch der abgeschlagensten Hexe noch ein Schauer über den Rücken. Da plötzlich ertönt wieder Donnergrollen, Blitze und meterhohe Feuerschwaden erleuchten den Platz auf der Wiese am Berg taghell. Doch im nächsten Moment ist es stockdunkel, die Hexen können die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Durch einen stockdicken Nebel, der sich nur sehr langsam wieder zu heben beginnt, sieht man die Umrisse einer Hexe. »Ha, ha, ha, was seid ihr doch für ein feiges Pack!« Crudelis ist die mächtigste aller Hexen, sie ist so böse, dass sich alle vor ihr fürchten, selbst die Hexenschar, nie ist man vor ihren Wutausbrüchen sicher. Sofort kehrt erschreckende Stille ein, statt des Lärms, der vorher noch herrschte, könnte man jetzt eine Stecknadel fallen hören. Aurora läuft es eiskalt den Rücken hinunter, ehrfürchtig sieht sie sich das Schauspiel an.
Crudelis lacht ihr hässlichstes Lachen, das durch Mark und Bein dringt. Und jetzt erhebt sie ihre markdurchdringende Stimme im Hintergrund: »Wir sind nicht zusammen gekommen, um zu feiern, setzt euch auf eure Plätze.«
Alle Hexen beeilen sich sofort, dem Befehl der grossen Crudelis nachzukommen. Keine sagt mehr ein Wort und alle schauen betreten zu Boden.
»Ha, ha, ha, was seid ihr doch für Ungeziefer, keinen Mumm in den Knochen. Wie sollen wir eine böse Hexenschar bleiben, wenn nur noch Jammerlappen in unserer Runde sitzen?« Crudelis hat eine besonders hässliche Visage, auf ihrer grossen hakenförmigen Nase thront eine riesengrosse dunkelbraune Warze, aus der ein dickes schwarzes Haar, das die Länge von 3 cm hat, herausragt. Ihre Augen sind grasgrün und sehr klein und bei näherem Hinsehen erinnert der Blick von Crudelis an den einer Schlange. Wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlt, werden die Augen zu kleinen Schlitzen, dann gilt es definitiv, die Flucht zu ergreifen. Dazu ist ihre Stimme grollend tief und triefend vor Hass und Zorn. Ihre Stirn wird fast vollkommen von dem schwarzen Zauberhut überdeckt, die Haut ist aschfahl. Ihre Hände sind übersäht mit Warzen und die knorrigen Finger sind so lang und dürr, dass sie an brüchige Äste erinnern.
»So, ich habe euch etwas sehr Trauriges mitzuteilen.« Mit ihren grasgrünen Augen mustert sie jede der Hexen aufmerksam, bis ihre Augen auf die kleine Xantippe fallen. Die kümmert sich offensichtlich nicht um Crudelis, denn sie bindet gerade ein Blumenband, das sie sich um den Kopf legt. Crudelis wird wegen dieser Ungehörigkeit ganz grün im Gesicht. »Was tust du da!!!!! Hexen machen keine Blumenkränze oder benehmen sich sonst so gewöhnlich wie du!!!«
Da Xantippe wieder völlig in Gedanken ist, bemerkt sie nicht, dass sie angesprochen – oder muss man sagen, angezischt wird. Da fliegt schon ein greller Feuerball so knapp an ihrem Ohr vorbei, dass sie die Hitze noch spüren kann. »Ja aber …«
»Still! Duuuu sprichst nur, wenn du gefragt wirst!!«
Es herrscht Totenstille. Keine der Hexen macht auch nur die geringste Bewegung. »Also, beantworte meine Frage!!«
»Was hast du denn gefragt?«
Crudelis wird ganz grün im Gesicht: »Na, für dich nehme ich mir später noch Zeit!!«
Damit lässt sie Xantippe für den Moment stehen und beginnt mit ihrem Anliegen. »Also, heute wird die schlechteste Hexe aus unserem Kreis ausgeschlossen, bis zu dem Tag, an dem sie einen Zauber gegen eine oder mehrere von uns gefunden hat. Falls dies je der Fall ist, wird von uns bestimmt, an wem sie den Zauber demonstrieren darf. Also, nun zu euren Untaten während des letzten Jahres.« Der Reihe und ihrer Machtstellung nach erzählen die Hexen, was sie im letzten Jahr alles an Unfug getrieben haben. Crudelis gibt sich ruhig und gelassen, lobt sogar die eine oder andere für ihre besondere Untat. Wenn eine Hexe keine so schlechte Tat vorzuweisen hat, dann tadelt sie dieselbe sofort schonungslos.
Dann, als letzte fällt die Reihe auf Xantippe, noch von ihrer einzigen Freundin angestachelt: »Sag einfach etwas, auch wenn es nicht stimmt, du bist eine Hexe und somit musst du nicht die Wahrheit sagen, auch lügen kann bei uns ein Vorteil sein.«
So beginnt Xantippe zu erzählen: »Ich habe mich angestrengt. Aber ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich etwas Böses tun soll und deshalb habe ich immer wenn ich böse Gedanken hatte, eine gute Tat begangen.«
Crudelis wechselt bereits mehrfach die Gesichtsfarbe, von Weiss zu Grün und umgekehrt, fragt aber zuckersüss: »Was hast du denn für gute Taten vollbracht?«
»Nun, zum Beispiel half ich alten Damen über die Strasse oder habe kleinen Kinder die Katzen von den Bäumen runtergeholt, die meiste Zeit jedoch habe ich die Wolken beobachtet, wie sie am Himmel entlang ziehen. Ach ja, und einmal hat mich jemand sogar mit einem Goldstück belohnt für meine gute Tat.«
Als Crudelis dieses Goldstück, das Xantippe mit einer unbeschreiblichen Freude in die Luft streckt, sieht, wird ihr sofort speiübel. Unter gewaltiger Anstrengung fragt sie zuckersüss: »Von wem hast du das bekommen?«
»Es war eine nette ältere Dame, ich glaube sie hiess Imelda Proof.«
Das genügt Crudelis und sie schmettert los: »Imelda Proof? Imelda Proof?« Crudelis spuckt die Worte aus, begleitet von grüner schleimiger Galle, die sofort das Gras der Wiese versengt. »Weisst du denn nicht, dass sie unsere erklärte Todfeindin ist?« Ungläubig schüttelt Crudelis den Kopf, die anderen Hexen stecken die Köpfe zusammen und tuscheln, somit entsteht eine ungewollte Unruhe auf der Wiese. Crudelis schmettert einen ihrer berühmten Blitze in die Runde, wobei sie Ancilla an der Stirn trifft und diese schreiend durch den Kreis rennt. »So, jetzt gehst du und vergräbst das Goldstück. Du musst diesen Ort mit einem schrecklichen Zauber belegen, dass nie eine andere Hexe die Möglichkeit hat, dieses Goldstück auszugraben oder sonst irgendwie in die Finger zu bekommen. Mach das du sofort aus unserem Kreis verschwindest, du kannst erst wieder zu uns zurück kommen, wenn du etwas wirklich Gigantisches gezaubert hast!«
»Warum?«, setzt Xantippe an, wird jedoch sofort barsch von Crudelis unterbrochen. »Geh!!!! Oder ich verwandle auch dich in einen Frosch!!!! Wage es ja nicht, zu uns zurückzukehren, ohne eine wirklich böse Tat begangen zu haben!«
Angstvoll packt Xantippe ihren Besen und macht sich schnellstens davon.
Die Hexen starren weiter wie gebannt auf die böse Ober-Hexe. »Wagt es ja nicht, mit so einem Goldstück bei mir aufzutauchen. Jede, die sich auch nur in die Nähe von dieser verrückten Imelda Proof« (sie spuckt die Worte richtiggehend aus) »befindet, wird ein so schreckliches Schicksal erleiden, wie ihr es euch in den schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen könnt. Das ist mein letztes Wort.«
Damit beginnt sie mit ihrem mächtigen Zauber. Das Feuer der Walpurgisnacht erreicht sofort die zehnfache Höhe, Rauch und Nebel steigen gleichzeitig in den Himmel und verdunkeln diesen für einen langen Moment. Die gemeinen Hexen, die sich ums Feuer gedrückt haben, verstecken sich feige im angrenzenden Gebüsch. Denn alle hören von Ancilla, wie Crudelis die schöne Rana ohne mit der Wimper zu zucken in einen Frosch verwandelt hat. So manch eine ist dem Frosch während des Jahres begegnet. Aber keine konnte oder wollte die schöne Rana zurückverwandeln.
Xantippe fliegt verdrossen ihres Weges und überlegt fieberhaft, wo und wie sie das Goldstück vergraben könnte. Da findet sie einen Ort, der ihr selbst so gut vorkommt, dass selbst sie von sich selbst überrascht ist.
Als sie das Goldstück nun endlich vergraben hat, belegt sie den geheimen Ort mit einem Fluch: »Relegare aeternitas«, der, wie sie selber nicht weiss, sehr, sehr mächtig ist, so dass selbst der grösste aller Zauberer Mühe hätte, dieses Goldstück wieder auszulösen.
Nachdem sie mit ihrer Handlung fertig ist, wird sie sofort wieder zu einer richtigen Hexe und beginnt ihre neue Aufgabe, die ihr Crudelis gestellt hat, wahrzunehmen.
»Was könnte ich tun, damit ich Crudelis beeindrucken kann?« Sie stellt sich selbst diese Frage und ganz in diese Gedanken versunken schlendert Xantippe des Weges. Sie ist so in ihre neue Aufgabe vertieft, dass sie den Anblick, der sich direkt vor ihren Augen abspielt, um ein Haar nicht bemerkt hätte. Genau vor ihr auf dem Weg stehen fünf Zwerge, die sich über einen Maulwurf bücken. Sie kann ihr Glück nicht fassen, sofort ist sie hellwach, jetzt kommt Leben in die kleine Hexe und sie streckt ihre Arme aus, um mindestens einen Zwerg oder noch besser, gleich alle fünf Zwerge zu fangen. Doch leider bemerken auch die Zwerge, dass sich ihnen eine Hexe nähert. Und so misslingt es Xantippe kläglich, auch nur eines dieser sonderlichen Geschöpfe in die Hände zu kriegen.
Wie von Geisterhand lösen sich alle Zwerge in Luft auf. Plupp, plupp, plupp, einer nach dem anderen verschwindet, zuerst steigen sie allesamt in eine riesengrosse Seifenblase, dann platzt dieselbe, es ist nichts mehr zu sehen und die Zwerge bleiben verschwunden.
Da hat Xantippe eine Idee, wie sie Crudelis und alle anderen Hexen beeindrucken könnte. Ein unheimliches Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht breit. Wie wundervoll diese Idee ist, was sie damit alles erreichen kann, vor ihr liegt jedoch noch eine Menge Arbeit, bis sie ihren Plan vollenden kann. Ganz erfreut und voller guter Dinge fliegt sie auf ihre kleine Wiese, dort beginnt sie sofort mit einem für sie sehr ungewöhnlichen geschäftigen Treiben. Für sich denkt sie: »Ganz egal wie lange ich dafür brauche, ich werde es schaffen.«
Wochenlang steht Xantippe in ihrer Hexen-Küche und versucht, ihre Idee umzusetzen. Sie braut einen Zaubertrank nach dem anderen und quält sich selbst über mehrere Tage und Nächte hinweg.
Ihre Gedanken verweilen nur noch bei dieser einen Aufgabe und niemand bekommt sie während dieser Zeit zu sehen. Nach 70 qualvollen Tagen atmet Xantippe auf. Endlich hat sie ihr Ziel erreicht. Bevor sie ihren Triumph ausspielen kann, legt sie sich einen Moment hin, um noch einmal darüber zu schlafen. Im Traum erscheint ihr eine böse Warnung, sie muss sich selber vor dem Trank schützen. Noch einmal sieben Tage und dann ist sie am Ziel ihrer Träume. Den Trank, den sie für sich selber bereitet hat, stellt sie neben den Eingang der Höhle. Jetzt ist es ein leichtes, ihren Plan auszuführen. Ohne weiter nachzudenken spricht sie den fürchterlichsten aller Zaubersprüche. »Transitus, omnis, venefica, nanus, undec, dracos.« Sie nimmt den Trank und macht sich auf einen langen Flug. Xantippe breitet den Trank über der gesamten Welt aus. Als sie mit ihrem Besen zu der Höhle zurückkehrt, sieht sie, wie der Drache Zacko auf ihrer Wiese herumhüpft. Gerade als Xantippe im Sturzflug auf ihre Wiese stürmt, muss sie mitansehen, wie Zacko den Krug mit dem für sie selbst bestimmten Trank, der zum Gegenmittel gegen den Fluch, den sie jetzt auf der ganzen Welt verteilt hat, bestimmt war, in die Hände nimmt. »He du da, sofort fallen lassen oder ich verbanne dich in alle Ewigkeit!«
Verstohlen schaut der Drache in die verbotene Höhle, da trinkt er auch schon den Trank, den Xantippe für sich selber zubereitet hat. »Ah, habe ich einen Durst, dieser Schluck, damit kann ich meinen Durst ein wenig löschen.« In einem gierigen Zug leert er den ganzen Topf. Beim Schlucken sieht Zacko grüne und gelbe Blitze vor den Augen. »Au weia, das war ja schon schlecht! Ach, wieso kann ich denn nichts stehen lassen.« Mit diesen Worten fällt Zacko in einen tiefen, sehr lange dauernden und traumlosen Schlaf.
Von Xantippe ist nur noch ein letzter verklingender und schwächer werdender Schrei zu hören und danach herrscht Totenstille.