Читать книгу Der Schimmel im Moor - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 8

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»Professor Hiller«, sagte Mrs Abercrombie dramatisch, »ich fürchte, ein Wolf sitzt vor meiner Haustür!« Ihre Stimme zitterte. »Ich traue mich nicht mehr hinaus! Vielleicht sollte ich die Polizei rufen?«

Bei dem Wort »Wolf« rastete etwas in meinem Kopf ein. Während mein Vater noch verwirrt von seinem Laptop aufsah, sprang ich aus dem Sessel hoch, den ich mit meinen nackten Füßen entweiht hatte, und rief: »Das ist kein Wolf, sondern ein Hund. Vergessen Sie das mit der Polizei, ich kümmere mich schon um ihn!«

Widerstrebend trat sie zur Seite, den Blick weiter auf meinen Vater gerichtet, ganz ängstliches Weibchen und so, als wäre er Sankt Georg, der Drachentöter.

Der Hund musste mir nachgeschlichen sein, ohne dass ich es bemerkt hatte; oder er hatte meine Spur aufgenommen und bis hierher verfolgt. Hunde haben ja wunderbare, unbegreifliche Fähigkeiten, sich zurechtzufinden. Jedenfalls saß er da in Mrs Abercrombies putzigem, sauber aufgeräumtem Vorgarten wie der Wolf im Märchen von Rotkäppchen. Als er mich durch die Tür kommen sah, stand er auf und wedelte mit dem Schwanz – ja, er wedelte wirklich, diesmal war ich sicher.

»Da sehen Sie’s!«, hörte ich Mrs Abercrombie im Hintergrund zwitschern. »Ein Wolf! Er ist bestimmt irgendwo aus einem Wildpark entflohen, ach, Professor, ich habe solche Angst! Holen Sie Ihre Tochter zurück, o mein Gott, gleich wird er sich auf sie stürzen!«

Was mein Vater erwiderte, verstand ich nicht, aber ich erkannte am Ton seines Gemurmels, dass er sie zu beruhigen versuchte. Langsam ging ich über den Gartenpfad auf den Hund zu. Er musste über die Pforte gesprungen sein, denn sie war geschlossen.

Ich erwartete, dass er mich nur bis auf ein paar Schritte an sich heranlassen und dann zurückweichen würde, doch jetzt schien er mir zu vertrauen.

»Ragni!«, rief mein Vater. »Pass auf! Vielleicht hat er die Tollwut!«

Ich schüttelte nur den Kopf. Als ich ihn erreicht hatte, wedelte er noch immer leicht und wandte den Blick nicht von meinem Gesicht. Ich kniete nieder und streckte die rechte Hand aus. Keine Sekunde lang fürchtete ich, er könnte mich beißen. Ich war sicher, dass er mir nichts tun würde.

»Du hast mich also gefunden«, murmelte ich. »Kluger Hund! Ist es okay, wenn ich dich anfasse?«

Scheu schob er die Schnauze vor und beschnupperte meine Hand. Seine Augen, so dicht vor mir, waren faszinierend, von einem bläulichen Grau, durchscheinend wie Mondstein. Ich hob sacht die Hand und begann, seine Stirn zu streicheln. Dabei redete ich unaufhörlich beruhigende, liebevolle Worte, alles, was mir gerade in den Sinn kam.

Mit gespitzten Ohren lauschte er und ließ dabei zu, dass ich ihn weiter berührte. Seine Ohren waren verklebt und mit schlecht verheilten Wunden bedeckt, auf seiner Nase war dicker Schorf. Er trug kein Halsband, nur ein schmutziges, abgewetztes Stück Seil, das lose um seinen mageren Hals hing.

An dem Ruck, der durch den Körper des Hundes ging, merkte ich, dass mein Vater aus dem Haus getreten war, noch ehe ich seine Schritte auf dem Pflaster hörte. Der Hund wich zur Seite, duckte sich im Schutz eines Eibenstrauchs.

»Er tut nichts«, sagte ich über die Schulter. »Er ist nur total verängstigt.«

Mein Vater nickte. Er liebt Tiere, genau wie ich. »Armer Kerl«, murmelte er. »Wie kommt er ausgerechnet hierher?«

»Das erzähl ich dir später.« Ich richtete mich auf und sagte dabei leise zu dem Hund: »Keine Angst, vor ihm brauchst du nicht wegzulaufen.« Um zu zeigen, dass wir zusammengehörten, legte ich die Hand auf den Arm meines Vaters.

Jetzt mischte sich Mrs Abercrombie wieder ein. Sie stand noch immer auf dem Vorplatz, bereit, sich ins Haus zu retten und die Tür zuzuschlagen.

»Scheuchen Sie doch endlich dieses Tier weg!«, rief sie mit schriller Stimme. »Ich will ihn nicht auf meinem Grundstück haben! Er soll hier verschwinden!«

Beim Klang ihrer Stimme zuckte der Hund zusammen. Ich drehte mich um und sagte: »Nein, er braucht Hilfe. Ich werde ihn nicht wegjagen.«

Mein Vater seufzte. Er kannte mich und sah mir wohl an der Nasenspitze an, dass ich es ernst meinte und dass eine Konfrontation mit Mrs Abercrombie dicht bevorstand.

Er ging zum Haus zurück und sagte beschwichtigend: »Tut mir Leid, Mrs Abercrombie. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Dieser Hund ist vollkommen harmlos, er hat vermutlich seinen Herrn verloren. Meine Tochter wird sich um ihn kümmern und herausfinden, wohin er gehört. Sie hat schon als Kind immer verletzte Tiere und aus dem Nest gefallene Vögel mit nach Hause gebracht.«

»Aber nicht in mein Haus, das verbitte ich mir!« Mrs Abercrombies mädchenhaftes Gezwitscher verwandelte sich immer mehr in eine Art Keifen. »Ich will diesen Hund nicht hier haben; er hat sicher Ungeziefer und Bakterien und verschmutzt meine Teppiche. Und wer garantiert mir, dass er nicht plötzlich um sich beißt?«

Der Hund sah zwischen mir und dem Vorplatz hin und her. Ich hätte schwören können, dass er verstand, worum es ging. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und legte die Hand auf seinen Kopf. Er zuckte nicht mehr zurück, ließ es sich ruhig gefallen, als hätte er beschlossen, sich mir nun ganz anzuvertrauen.

»Regen Sie sich doch bitte nicht auf!«, erwiderte mein Vater genervt. Er hasste Szenen. Ich wusste, er wünschte nichts mehr, als in Ruhe gelassen zu werden und wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren.

Ich griff nach dem Strick, der um den Hals des Hundes hing. Ohne zu zögern, folgte er mir über den Gartenpfad. Mrs Abercrombie stand nun halb hinter meinem Vater, die Hand am Türknauf. Sie würde mich und den Hund nicht zusammen ins Haus lassen, so viel war klar.

Ich sagte: »In Ordnung, dann suche ich mir eben irgendwo anders eine Unterkunft. Bed & Breakfast-Häuser gibt’s hier genug. Und bestimmt auch Leute, die Tiere nicht für stinkende, gemeingefährliche Monster halten.«

Damit machte ich kehrt und ging zur Gartenpforte, den Hund an meiner Seite. Dass ich barfuß war, merkte ich erst später.

Der Schimmel im Moor

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