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Mein Vater folgte uns. Auf der Straße holte er uns ein.

»Ragni!«, sagte er. »Verdammt noch mal, was ist das jetzt wieder für ein Durcheinander?«

Ich ging einfach weiter, und der Hund folgte mir, als wäre das für ihn die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ich kann nichts dafür«, erklärte ich. »Ich bin ihm heute begegnet, er ist mir zugelaufen. Er braucht Hilfe. Hätte ich ihn wegjagen sollen? Wenn er beim Tierarzt war und gebadet ist, ist er völlig in Ordnung. Schuld ist bloß diese Tussi mit ihrem süßlichen Gelaber und ihren Kisschen und Deckchen und all dem sentimentalen Kitsch. Wenn der Hund nicht dort bleiben kann, hab ich in ihrem Haus auch nichts mehr verloren.«

»Du meinst, irgendjemand wird dich aufnehmen, so verwahrlost, wie das arme Geschöpf aussieht?«

Ich verdrängte die Zweifel, die mich beschlichen. »Sicher. Nicht jeder ist so herzlos und borniert. Und ich kann für meine Unterkunft selbst bezahlen. Schließlich hab ich noch das Geld, das ich für Griechenland gespart hatte.«

Mein Vater fasste mich an der Schulter. »Unsinn, Ragni. Natürlich zahle ich für deine Unterbringung, darum geht es doch nicht. Also hör zu, wir kehren jetzt um und steigen ins Auto und suchen gemeinsam nach einem Quartier, in Ordnung? Oder nein, wir fahren gleich mal zur Polizei, vielleicht hat sich der Besitzer des Hundes ja längst gemeldet.«

Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, der arme Kerl hat’s nicht gut gehabt da, wo er war. Er ist entweder ausgesetzt worden oder weggelaufen. Merkst du nicht, wie verängstigt er ist? Und halb verhungert dazu.«

Der Hund sah zu mir auf. Es war, als wollte er mir etwas sagen.

Mein Vater seufzte. »Heißt das, dass du ihn behalten willst? Dass das nicht geht, weißt du genau. Wir haben keinen Garten; und so ein großer Hund gehört nicht in eine Stadtwohnung.«

»Alles geht, wenn man nur will«, sagte ich. »Jedenfalls bringe ich ihn nicht zu seinem alten Besitzer zurück. Und ins Tierheim kommt er auch nicht – nur über meine Leiche!«

»Herr im Himmel!« Das Gesicht meines Vaters war so verzweifelt, dass es fast schon komisch wirkte. »Warum muss dieser arme Tropf ausgerechnet dir über den Weg laufen?«

»Weil er mich gebraucht hat. Das ist ganz einfach Schicksal.«

»Dann lass uns jetzt wenigstens mit ihm zum Tierarzt fahren.«

»Morgen«, sagte ich. »Heute soll er erst mal Ruhe haben und sich an mich gewöhnen. Wenn ich ihn jetzt zum Tierarzt bringe, denkt er womöglich, ich will ihn irgendwelchen weiß gekleideten Zombies ausliefern.«

»Na gut, vielleicht hast du Recht.« Mein Vater sah genervt, aber auch voller Mitleid auf den Hund nieder. »Wir suchen jetzt erst mal ein Zimmer für euch, damit du nicht auf der Straße übernachten musst.«

Er überlegte kurz. »Liegt nicht bei Mrs Abercrombie in der Diele ein Fremdenverkehrsprospekt? Darin müssten auch die örtlichen Bed & Breakfast-Adressen verzeichnet sein. Warte hier, ich bin gleich zurück.«

Ich nickte, zugleich erfreut und verblüfft über diesen bei ihm so ungewöhnlichen Anfall von praktischem Menschenverstand.

»Bring auch ein paar von meinen Sachen mit, ja?«, sagte ich. »Meinen Pyjama und das Zahnputzzeug und frische Unterwäsche und all so was. Und die Tennisschuhe. Sie stehen unterm Bett. Alles andere können wir morgen holen.«

Während er sich eilenden Schrittes entfernte, kniete ich neben dem Hund nieder, im Schutz eines Gebüschs zwischen zwei Gartengrundstücken, und legte den Arm um ihn. Unter seinem struppigen Fell waren alle Rippen zu spüren.

Auch von hier aus sah man die Burg von Ricruin hoch über den Gassen und Dächern. Über dem Dunst des späten Nachmittags schien sie gleichsam zu schweben wie ein Schloss in den Wolken.

»Es kommt alles wieder in Ordnung«, flüsterte ich. »Wart nur, wir finden einen guten Platz, wo dich keiner wegjagt. Und ich lasse nicht zu, dass dir noch irgendjemand etwas Böses antut.«

Der Hund sah mich an und winselte leise. Ich wusste, das war seine Art zu antworten; und vielleicht auch, mir sein Leid zu klagen.

Zehn Minuten später war mein Vater wieder bei uns. Er atmete heftig. »Mrs Abercrombie hat versucht, mich in ihre Wohnung zu ziehen und mir ihren Standpunkt klar zu machen«, erzählte er. »Sie ist wirklich eine unangenehme Person. Falls wir etwas Passendes finden, ziehe ich vielleicht auch um; dann zahle ich ihr eben den Rest der Miete. Sie wird mich nicht mehr in Ruhe lassen, wenn du nicht da bist.«

Er hatte den Prospekt mitgebracht. Wir fanden mehr als zwanzig Adressen von Übernachtungsmöglichkeiten mit Frühstück, dazu Hinweise, ob Haustiere erwünscht waren oder nicht. Unter dem Strich blieben noch fünf Adressen von hundefreundlichen Vermietern. Ich tippte mit dem Finger auf den letzten Eintrag und sagte: »Das klingt gut, finde ich. Das sehen wir uns an!«

Das Haus hieß The Wings. Was mir besonders gefiel, war der Straßenname: Woodland Cove. Das klang nach Waldrand; es schien genau das zu sein, was wir brauchten.

Auf der Rückseite des Prospektes gab es eine kleine Übersichtskarte von Glengarth. Darauf fanden wir Woodland Cove ohne Probleme; es war ein kleiner Seitenweg jenseits der High Street, der in einer grün schattierten Zickzacklinie endete – vermutlich ein Symbol für die Hügel und Bergketten.

»Na gut, fahren wir hin«, sagte mein Vater. Doch ich dachte, der Hund könnte noch zu ängstlich sein, um in ein fremdes Auto zu steigen. Vielleicht war er ja überhaupt noch nie in einem Wagen gewesen. Was wussten wir schon von den Erfahrungen in seiner Vergangenheit?

»Lass uns zu Fuß gehen«, schlug ich vor, während ich meine Schuhe anzog. »Es ist bestimmt nicht weit von hier. In diesem Ort gibt’s keine großen Entfernungen. Aber du brauchst nicht mitzugehen, ich komme schon allein klar.«

Dann aber war ich froh, dass er darauf bestand, uns zu begleiten. Die Chance, dass wir in The Wings oder irgendwo sonst aufgenommen wurden, war mit meinem Vater bedeutend besser als ohne ihn, das wusste ich. Er wirkte einfach Vertrauen erweckender als ich, schon allein wegen seines Alters.

Unaufgefordert tappte der Hund neben uns her die steil abfallende Straße hinunter. Erst jetzt merkten wir, dass er leicht hinkte. Es war die rechte Hinterpfote.

»Vielleicht hat er sich einen Muskel gezerrt«, sagte mein Vater. »Oder er hat sich einen Dorn in die Pfote getreten. Zum Tierarzt muss er jedenfalls, und zwar bald. Höchstwahrscheinlich hat er Flöhe und vielleicht auch Würmer.«

»Okay, morgen«, erwiderte ich. »Eins nach dem andern, nicht, Mac?«

Der Hund hob den Kopf; er sah mich an und wedelte mit dem Schwanz. Ich streichelte seine Stirn.

»Du nennst ihn also Mac?«, fragte mein Vater lächelnd.

»Ja«, sagte ich. »Der Name ist genau richtig für einen schottischen Hund.«

Der Schimmel im Moor

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