Читать книгу Nelly - Sommerwind und Hufgetrappel - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 6

Nur mal ausnahmsweise

Оглавление

Die Mittagszeit ist vorbei.

Emmas Gesicht taucht zwischen den Jasminsträuchern auf.

„Sie kommen!“ schreit sie. „Ich hab sie gesehen! Gleich sind sie da!“

„Wird aber auch Zeit“, brummt Dani. „Du nervst einen total mit deiner Hopserei und dem Geschnatter.“

„Sie wollten um zwei kommen. Und jetzt ist es schon zehn nach“, sagt Emma, als würde das erklären, warum sie schon seit einer Stunde wie ein angestochener Floh herumspringt.

„Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!“ krächzt Kukirol, unser Papagei. Er sitzt auf dem Fensterbrett und trippelt von einem Bein aufs andere. Emma hat ihn mit ihrer Aufregung angesteckt. Ich bin heute auch nicht gerade die Ruhe in Person.

Von der Remise hört man Hämmern und das durchdringende Geräusch eines Bohrers. „Sssiii-ssiii-rrumm, rrumm“, macht es. Jetzt mischt sich das Getrappel von Pferdehufen in den Lärm, leicht und melodisch. In meinen Ohren klingt es wie Musik, nur schöner.

Wir stehen auf der kiesbestreuten Zufahrt: Dani, Emma und ich; ich heiße Nelly. Unser Schäferhund August ist auch dabei. Ich halte ihn am Halsband fest. Schon sehe ich das größere der beiden Ponys auftauchen, die Norwegerstute Sammeli mit Jenny auf dem Rücken. Dann folgt Franzi, das Shetlandpony. Franzi ist fast so klein wie Jonas, der ihn reitet.

Meine Augen suchen Mick. Er kommt mit dem Rad hinterhergefahren. Nur Frau Pflaumer ist nicht dabei, die Mutter von Mick, Jenny und Jonas.

August wedelt mit dem Schwanz. Ich lasse ihn los. Er macht einen Bogen um die Ponys, die ihm wohl noch ein bisschen unheimlich sind, und begrüßt Mick. Mick hat einen Draht zu Hunden, das merkt man gleich. Und natürlich zu Pferden.

Kukirol flattert in die Küche. Pferde mag er nicht. Wahrscheinlich ist es ihr Geruch, der ihm gefährlich vorkommt. Das Fell der Ponys glänzt. Sammeli ist sandfarben, mit semmelblonder Mähne. Franzi ist braun, mit einem kräftigen Kopf und einer kleinen Blesse. Sie sehen wohlgenährt und gepflegt aus.

Sacht streiche ich mit der Hand über Sammelis runden Bauch und denke an das Fohlen, das sie im Herbst zur Welt bringen soll. Sie hat so eine weiche Nase, fast so samtweich wie Lady, und eine strubbelige, rauhe Mähne.

Sammeli schnuppert an meiner linken Jeanstasche, in der Haferkekse stecken. Ich gebe ihr zwei davon. Gleich drängt sich auch Franzi vor, schiebt sein Maul mit den silbrigen Tasthaaren neben das von Sammeli und bekommt die restlichen beiden Plätzchen.

Emma hat natürlich Zuckerstücke dabei, obwohl Großvater immer sagt, dass Zucker nicht gut für Pferde ist.

„Du, das dürfen sie nicht haben!“ erklärt Jenny auch sofort, aber Sammeli hat den Zucker schon verschluckt. „Hast du nicht ein paar Karotten oder einen Apfel?“

„Ausnahmsweise“, sagt Emma und gibt Franzi blitzschnell das zweite Zuckerstück. „Bloß heute, nur mal ganz ausnahmsweise.“ Das ist typisch Emma. „Ausnahmsweise“ ist eines ihrer Lieblingsworte.

Wir sehen zu, wie Mick, Jenny und Jonas die Sattelgurte lösen und den Ponys die Sättel abnehmen. Man merkt den Sätteln an, dass sie schon älter sind, aber sie sind gepflegt und sauber. Wir legen sie auf die Hausbank.

„Ihr könnt sie vorerst im Fahrradschuppen unterbringen“, sagt Dani, „bis die Remise fertig ausgebaut ist.“

„Großvater lässt beim Umbau auch einen kleinen Raum als Sattelkammer abteilen“, füge ich hinzu. „Dann haben wir Platz für Pferdedecken und Putzzeug und alles, was wir so brauchen.“

August läuft hinter uns drein, als wir die Ponys auf die Weide bringen. Das Gras ist hoch und dicht; die Stellen, die Lady abgeweidet hat, sind schon kaum mehr zu sehen. Um diese Jahreszeit wächst das Gras wie verrückt, man kann fast beim Sprießen Zusehen.

Sammeli und Franzi bleiben ein paar Minuten lang dort stehen, wo wir sie hingebracht haben. Dann düsen sie plötzlich los. Zuerst Franzi. Er rast über die Wiese, kreuz und quer, macht komische Bocksprünge, wirft den Kopf hoch und buckelt und springt mit allen vier Hufen gleichzeitig in die Luft.

Sammeli folgt ihm etwas langsamer. Dann kommt auch sie richtig in Fahrt: Sie flitzt zwischen den Obstbäumen durch, dass Grasbüschel um ihre Ohren fliegen, mit hoch erhobenem Schweif. Wir sehen zu und lachen und lachen.

Am meisten lacht Jenny. Sie gluckst richtig, kichert wie ein Schlumpf und verzieht den Mund von einem Ohr zum anderen. Ich darf sie gar nicht länger ansehen, sonst könnte ich mich nur so kringeln.

Mick sagt: „Jetzt sind sie glücklich. Fast drei Wochen haben sie in diesem muffigen Mühlenhof gestanden und die Köpfe hängen lassen. Sicher denken sie, sie wären im Paradies gelandet.“

Nachdem sie sich richtig ausgetobt haben, wälzen sich die Ponys im Gras und fangen dann unter einem der knorrigen Apfelbäume zu grasen an. Franzi verschwindet bis zum Bauch in den Blumen und den Grashalmen.

Ein Kuckuck ruft aus dem Bärentalwald. Wir hören ihn ausnahmsweise, denn in der Remise ist jetzt alles still. Wahrscheinlich machen die Handwerker gerade ihre Nachmittagspause.

„Ist das schön bei euch!“ sagt Jonas, der mit seinem Bürstenhaarschnitt und der Stupsnase wie ein Igel aussieht. „Mann, ihr habt’s gut!“ Er ist ungefähr so alt wie Emma, aber ich glaube, dass er viel vernünftiger als sie ist. Emma kann ausgesprochen lästig sein. Natürlich ist sie auch ganz lieb, aber das kommt eher selten vor.

„Unsere Mutter fährt heute Abend mit dem Auto vorbei und bringt einen Teil von Sammelis und Franzis Sachen“, sagt Mick. „Hoffentlich ist euch das recht.“

„Im Fahrradschuppen können wir schon noch etwas Platz schaffen“, meint Dani. „Wenn’s nicht gerade ein Lastwagen voll ist.“ Mick schüttelt den Kopf. „Nur das Notwendigste. Die Futtersäcke bringen wir vorerst noch bei uns im Keller unter. Aber das Putzzeug, die Eimer und ihre Decken. Und die Trensen und Halfter, die braucht ihr.“

Ich sage: „In drei bis vier Wochen ist der Stall sicher fertig, dann könnt ihr alles hier verstauen.“

„Und eure Lady kommt am Montag aus der Tierklinik, stimmt’s?“ fragt Mick und sieht mich mit seinen goldbraunen Moorwasseraugen an. Schön, dass er sich das gemerkt hat!

Nelly - Sommerwind und Hufgetrappel

Подняться наверх