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Sommerferienluft

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Wir stehen noch eine Weile am Koppelzaun und sehen Sammeli und Franzi beim Grasen zu.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, könnten wir ja morgen oder übermorgen gemeinsam in der Mitte der Koppel Drähte spannen“, schlägt Mick vor. „Anfangs ist es sicher ganz gut, wenn eure Lady ihre eigene Weide hat und unsere Ponys ebenfalls.“

Genau das hat Großvater Max auch gesagt. „Die Pferde müssen erst mal Abstand haben und sich aneinander gewöhnen“, hat er uns vorgestern am Telefon geraten. „Man sollte sie nicht sofort zusammen auf eine Koppel lassen. Außerdem braucht Lady ihre Ruhe nach der Operation. Ihr Bein muss richtig heilen können.“

Dani nickt. „Morgen ist Samstag, das ginge. Wir müssen nur erst Chris fragen, ob er Zeit hat, mit uns zum Baumarkt zu fahren.“

Chris, das ist unser Vater.

„Holzpflöcke haben wir jede Menge“, füge ich hinzu. „Aber wir brauchen noch ein paar Rollen von dem grünen Draht.“

Mick meint, seine Mutter würde das schon erledigen. „Wir kommen nach dem Mittagessen vorbei und bringen den Draht gleich mit“, sagt er. „Wenn wir die Rücksitze umklappen, müssten wir die Rollen im Kofferraum unterbringen können. Habt ihr einen Meterstab? Dann messe ich gleich mal aus, wie viel Draht wir brauchen.“

Emma läuft los, um den Meterstab aus dem Werkzeugkasten zu holen. Ihre Zöpfe fliegen. Emma ist das einzige Mädchen weit und breit, das Zöpfe trägt. Und das, obwohl sich immer wieder Leute darüber lustig machen. Jungs vor allem. „Zopfige Gretel“ ist nicht der schlimmste Spitzname, den sie ihr nachrufen. Doch Emma kann sich wehren. Sie schreit allerhand Grobheiten zurück und boxt und kratzt und beißt, wenn es sein muss.

Emma findet ihre Frisur jedenfalls schön. Irgendwie sieht sie auch ganz witzig aus mit den dicken Zöpfen und dem Scheitel in der Mitte. Es passt zu ihrem herzförmigen Gesicht und den runden, braunen Augen, die wie Kirschen glänzen. Manchmal trägt Emma auch nur einen dicken Zopf, der ihr mitten über den Rücken fällt.

Emma wird später bestimmt mal sehr hübsch, viel hübscher als ich. Wenn ich in den Spiegel schaue, finde ich, dass ich irgendwie langweilig aussehe mit meinen Haaren, die einförmig rötlichbraun sind. Immerhin habe ich die dunklen Augen meiner Großmutter Emily geerbt. Sie war Großvater Max’ Frau. Im Sonnenlicht haben sie einen grünen Schimmer und meine Wimpern sind dicht und schwarz. Darauf bin ich stolz.

Emma gibt Mick den Meterstab. Atemlos sagt sie: „Lasst ihr mich jetzt mal auf den Ponys reiten?“

Klar, dass sie das gern möchte. Ich würde auch gern wissen, wie es ist, auf dem Rücken eines Ponys zu sitzen. Doch ich denke, dass Franzi und Sammeli sich erst mal ein bisschen eingewöhnen müssen. Und genau das sagt Jonas auch:

„Heute lieber nicht. Wir lassen sie besser erst mal in Ruhe grasen“, antwortet er. „Damit sie sich bei euch eingewöhnen können, verstehst du?“

Dani und ich sehen uns an. Ich weiß, er wartet genau wie ich darauf, dass Emma jetzt das Gesicht verzieht und ihren üblichen Spruch ablässt: Ist mir doch egal, trotzdem!

Zu unserer Verwunderung bleibt sie ruhig und nickt sogar. Wahrscheinlich kommt es daher, weil sie Jonas mag. Ich merke das an der Art, wie sie ihn ansieht. Sie will einen guten Eindruck auf ihn machen, das ist klar.

Mick und Dani messen die Koppel aus. Mick schreibt Zahlen auf einen Zettel. Dann zeigen wir Jenny, Jonas und Mick unseren Hof. Zuerst führen wir sie zu dem kleinen Teich, den Chris und Dani im letzten Jahr angelegt haben.

Leider haben sich dort keine Frösche und Lurche angesiedelt, wie wir dachten. Dani meint, dass sie nicht an einem Ort leben wollen, wo dauernd zwei Katzen herumschleichen. Doch ab und zu schwirren Libellen über die Wasserfläche und lassen sich auf den Schwertlilien nieder. Auch Bienen, Hummeln und Schmetterlinge kommen, um zu trinken.

Jonas ist ganz verliebt in unsere Zwerghühner. Er sagt, sie sehen genauso aus wie auf einem Bild in einem Kinderbuch, das er mal hatte.

Auf dem Dach der Remise turnen die Handwerker herum. Ein Maurer bricht gerade ein Loch aus der Mauer, dort, wo ein neues Fenster eingefügt werden soll. Er ist total mit rotem Ziegelstaub bedeckt und pfeift unentwegt vor sich hin.

Die Pflümlis – so nenne ich die drei Pflaumers insgeheim – finden alles schön: unser Haus mit dem geschnitzten Balkon, die Tomatenstauden, die am Zaun wachsen, den alten Hühnerstall, die Obstbäume mit den grauen Flechten auf den Stämmen, die Schwalbennester unterm Dach, Danis Baumhaus im Kirschbaum, das von Jahr zu Jahr baufälliger wird, und den klaren Bach, der unser Grundstück zum Bärentalwald hin abgrenzt. Sogar den Komposthaufen beim Gemüsegarten, auf dem Schnecken herumkriechen, finden sie gut.

„Hier stand früher ein großer Stall“, erzähle ich, als wir am rückwärtigen Teil des Hauses vorbeikommen. „Da, wo die vielen Fenster sind.“

Und Dani fügt hinzu: „Unsere Eltern haben den Stall umgebaut. Chris hat jetzt seine Praxis drin. Er ist Heilpraktiker.“

„Dann war das mal ein Bauernhof?“ fragt Jenny.

„Nein“, sagen Dani und ich gleichzeitig. Dani erklärt: „Unser Rösslehof war vor über hundert Jahren eine Poststation. Eine Art Gastwirtschaft, wo die Postkutscher Halt gemacht und ihre Pferde gewechselt haben, und wo die Fahrgäste zu essen und zu trinken bekamen und übernachten konnten.“

„Habt ihr den alten Stall noch gekannt?“ will Jonas wissen.

Dani schüttelt den Kopf. „Er ist kurz nach meiner Geburt umgebaut worden“, sagt er.

Als wir zum Fahrradschuppen kommen, sitzt unsere Mutter Kathi bei den Himbeerstauden und malt. Für Dani, Emma und mich ist es nichts Besonderes, dass unsere Mutter Malerin ist. Aber die Pflümlis sind sehr beeindruckt, das merkt man. Bewundernd sehen sie sich das Bild auf der Staffelei an.

Es ist erst halb fertig und zeigt unseren Schwarzwaldhof mit dem tiefgezogenen Dach, den Kletterrosen an den Wänden und den hängenden Fuchsien auf dem Balkon.

„Ist das schön!“ sagt Jenny andächtig. „Dass Sie so was können!“

Kathi lächelt. „Ehrlich gesagt, kommt es mir schon fast zu den Ohren raus, immer das Gleiche zu malen. Den Rösslehof habe ich bestimmt schon dreißigmal gemalt. Aber Bilder von Schwarzwaldhäusern sind halt sehr beliebt bei den Touristen.“ Sie seufzt ein bisschen. „Und schließlich muss man ja auch Geld mit der Pinselei verdienen. In der Galerie in Bad Säckingen gehen Bilder von Schwarzwaldhäusern weg wie die warmen Semmeln.“

„Könnten Sie nicht auch mal Sammeli und Franzi malen?“ fragt Jonas schüchtern.

„Sicher“, erwidert Kathi. „Ich werd’s zumindest versuchen. Pferde sind allerdings nicht leicht zu malen.“

„Das Bild von Lady ist aber sehr schön geworden“, sage ich.

„Hm, na ja. Es hält sich so in Grenzen. Ihr Hals ist darauf zu kurz geraten“, meint Kathi.

Unsere Mutter ist eigentlich nie richtig zufrieden mit dem, was sie malt. Immer findet sie einen Haken daran, etwas, das besser gemacht werden könnte. Auch wenn andere das kaum jemals merken.

„Habt ihr Mick, Jenny und Jonas schon etwas zu trinken angeboten?“ fragt sie jetzt. „Einen Saft oder Milch vielleicht?“

Nein, das haben wir natürlich vergessen.

Gemeinsam gehen wir zum Haus. Auf der Koppel stehen die Ponys im lichten Schatten unter den Obstbäumen. Sammeli knabbert an Franzis Ohr. Beide wedeln heftig mit den Schweifen, denn schon summt ein Schwarm Fliegen um sie herum.

In der Ferne rauscht der Bach. Die Handwerker hämmern in der Remise und Emma schnattert auf Jenny und Jonas ein. Dani und Mick unterhalten sich darüber, dass man hier im Schwarzwald Halbedelsteine finden kann – Bergkristalle und Amethyste und Rosenquarz.

Ich werfe einen Stock für August. Er holt ihn, bringt ihn zurück und legt ihn mir vor die Füße. Dann sieht er erwartungsvoll zu mir auf, spitzt sein linkes Ohr und bellt.

Ich weiß, was das bedeutet. Wieder schleudere ich den Stock über die Wiese, so weit ich kann. Die Schwalben zwitschern und düsen über unsere Köpfe. Es riecht nach Sommerferien.

Nelly - Sommerwind und Hufgetrappel

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