Читать книгу Reiterhof Dreililien 5 - Alte Lieder singt der Wind - Ursula Isbel - Страница 6

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Schon bald stand Nofret zusammen mit anderen Mutterstuten und ihren Fohlen auf der kleinen Koppel beim Birkenwäldchen und teilte sich mit Rapunzel in die mütterlichen Pflichten. Nun bekam der Zwerg von zwei Seiten mahnende Püffe, wenn er zu übermütig wurde, dafür aber auch Milch und Zärtlichkeiten im Überfluß. Zwischen den beiden Stuten herrschte schönste Eintracht – es gab weder Streit um Besitzansprüche noch um Erziehungsfragen.

„Wenn das so weitergeht, wird aus dem Zwerg bald ein Paradehengst“, meinte Matty. „Ich hoffe bloß, ihm platzt nicht vorher der Bauch.“

Doch Mikesch erklärte lachend, von etwas Gutem bekäme man nicht so leicht zuviel, und so war es auch. Der Zwerg wuchs und gedieh mit unglaublicher Geschwindigkeit und genoß es offensichtlich, zwei Mütter zu haben. Und mit der Zeit hörten wir auf, ihn Zwerg zu nennen und tauften ihn statt dessen „Superman“.

Inzwischen wurden die Spätsommertage sacht und fast unmerklich zu Herbsttagen. Morgens gab es die ersten Bodennebel; sie wehten wie geisterhafte Schleier vom Waldsaum herüber und lagerten auf den Koppeln. Im Gras und in den Brombeerbüschen hingen die Fäden des Indianersommers, voll von Tauperlen, die in der Morgensonne glitzerten. Tagsüber jedoch war es noch warm, mit jenem klaren, stillen Himmel, wie man ihn nur im Herbst findet, mit dem schweren Geruch umgepflügter Erde und den abgezirkelten Schwärmen der Zugvögel, die sich auf ihren Weg nach Süden machten.

Nachts erwachte ich manchmal vom Plumpsen herabfallender Äpfel, die dann am nächsten Tag eingesammelt werden mußten. Die weniger schönen, verhutzelten oder wurmstichigen kamen nach Dreililien in die Futterkammer, wo sie für die Pferde gelagert wurden.

Pilze gab es auch in unseren Wäldern und auf den Wiesen – Champignons und Semmelstoppelpilze, Braunkappen und sogar noch Steinpilze. Doch die glücklichen Zeiten, in denen ich mit Jörn zwischen Schule und Stallarbeit zum „Schwammerlsuchen“ durch die Wälder gestreift war, waren vorüber.

Helge arbeitete nun in seiner Freizeit öfter im Gemüsegarten des Kavaliershäusls. Ich traute meinen Augen kaum, als ich eines Nachmittags von der Schule zurückkam und sah, wie er Kirstys Salatbeet umstach, dampfenden Pferdemist aus der Schubkarre lud und mit der Mistgabel über die Erde breitete.

„Wie hast du das bloß geschafft?“ fragte ich Kirsty, die gerade in der Küche saß und Kathrinchen davon abhielt, Spinat an die Zimmerdecke zu schleudern. „Der tut doch sonst nie, etwas freiwillig!“

„Meinst du Helge?“ Sie sah mich erstaunt an. „Ich glaube, du schätzt ihn da ein bißchen falsch ein, Nell. Er kam heute vormittag dazu, wie ich Mist von Dreililien holen wollte. Da hat er ganz einfach gesagt, er hätte heute seinen freien Nachmittag und würde für mich im Gemüsegarten arbeiten.“

„Einfach so?“ Ich starrte sie fassungslos an.

„Ja, einfach so. Das Angebot hab ich natürlich gern angenommen. Dafür kann er jederzeit zu mir zum Töpfern kommen, wenn er mag, und braucht auch für den Ton nichts zu bezahlen.“

Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Helge, der sich für gewöhnlich um nichts kümmerte als um seine eigene Person und notfalls noch um die Pferde, tat freiwillig etwas für einen anderen! Kirsty hatte wohl die richtige Art, mit ihm umzugehen, freundlich und ohne Vorurteile, Sie meinte weder, sie müßte ihn mit Samthandschuhen anfassen, nur weil er eine schwere Kindheit und Jugend hinter sich hatte und schon früh straffällig geworden war, noch ließ sie sich von seiner oft mürrischen, mißtrauischen Art einschüchtern oder reizen.

Eine halbe Stunde später lehnten die beiden am Gartenzaun und unterhielten sich über biologischen Gartenbau. Durch das offene Küchenfenster hörte ich einen Teil ihres Gesprächs mit und wunderte mich, wie gut Helge auf diesem Gebiet Bescheid wußte. Sie redeten von Kompostierung, Gründüngung, Kräuterjauche, der Bedeutung von Regenwürmern (die ich bisher nie für besonders bedeutsam gehalten hatte) und dem Zusammenhang zwischen Mondphasen und Pflanzzeiten.

Schließlich war ich so beeindruckt, daß ich den Kopf aus dem Fenster streckte und sagte: „Hör mal, Helge, woher zum Teufel weißt du das bloß alles?“

„Hab mich damit beschäftigt“, gab er herablassend zurück.

Ich verbiß mir eine grobe Entgegnung. Er hatte es noch immer nicht gelernt, normal und freundlich auf eine normale, freundliche Frage zu antworten. Hinter fast allem, was man zu ihm sagte, vermutete er einen versteckten Angriff auf seine Person. Dieses Mißtrauen saß so tief, daß es mir manchmal unausrottbar zu sein schien.

Kirsty sagte in ihrer ruhigen Art: „Eigentlich ist das ein Thema, über das wir alle Bescheid wissen müßten — besonders die Bauern. Sonst werden wir eines Tages an den Giften sterben, die in unserer Nahrung sind, und der chemische Dünger wird alles Leben in unseren Böden vernichten. Es ist schlimm genüg, daß wir uns nicht gegen den sauren Regen schützen können. Wer weiß, wie lange unsere Wälder hier noch gesund sein werden. Und wie seine Wirkung auf Obst und Gemüse ist und damit wiederum auf uns, wird sich wohl erst in vielen Jahren heraussteilen. Die Gifte, mit denen wir so sorglos umgehen, haben eine schleichende Wirkung. Es ist nicht so wie bei verdorbenem Fisch, wo einem schon nach ein paar Stunden übel wird. Da weiß man, daß es am Fisch gelegen hat; von unseren chemieverseuchten Nahrungsmitteln aber wird man meist erst viele Jahre später krank.“

Irgendwie fühlte ich mich angegriffen – vielleicht, weil ich selbst auch nicht zu den Leuten gehörte, die sich mit biologischem Anbau beschäftigen. „Aber was soll man denn dagegen tun?“ fragte ich. „Nicht jeder hat Zeit oder Lust, sein eigenes Gemüse anzubauen, und in den Städten müssen die Leute kaufen, was ihnen angeboten wird.“

,,Müssen sie nicht“, sagte Helge. „Wenn die Verbraucher vorsichtiger und mißtrauischer wären, wenn sie sich informieren und bestimmte Waren einfach nicht mehr kaufen würden – zum Beispiel Kopfsalat, der ja nachgewiesenermaßen voller Gift ist, oder Eier aus Legehennenbatterien, würden es sich die Hersteller schon überlegen, ob es nicht besser ist, sich umzustellen, als auf ihrem Zeug sitzenzubleiben. Die Verbraucher haben doch allein durch Kaufen oder Nichtkaufen große Macht – nur nutzen sie sie eben nicht.“

„Aha“, sagte ich aufgebracht. „Und wo soll man sich darüber informieren, was schädlich ist und was nicht?“

„Es gibt da eine Menge Bücher“, erklärte Kirsty besänftigend. „Die kann man überall kaufen oder bestellen, wenn man nur will. Wir haben übrigens auch so ein Buch im Wohnzimmerregal stehen. Du kannst es gern lesen, wenn du willst.“

Ich unterdrückte die Bemerkung, daß ich genug anderes um die Ohren hätte. Außerdem kämpfte ich bereits seit kurzem mit der Umstellung auf vegetarische Kost, weil Matty mich überzeugt hatte, daß es sich mit meiner Tierliebe nicht vereinbaren ließ, Fleisch zu essen. Also murmelte ich nur etwas Undeutliches.

Zum Glück kam Hopfi in diesem Augenblick dahermarschiert, glühend vor Tatendrang. Hopfi war unsere Hilfe aus dem Dorf, die gelegentlich auch auf Dreililien arbeitete. Wenn Hopfi auftauchte, um Fenster zu putzen, Böden zu schrubben und im Haus das Unterste zuoberst zu kehren, gab es weder Zeit noch Ruhe für lange Gespräche; da vertrollte man sich am besten nach Dreililien – oder umgekehrt ins Kavaliershäusl, wenn sie gerade auf dem Hof arbeitete und die Ferienreiter versorgte –, in den Wald oder ins Dorf. Nicht einmal im Garten war man vor ihr sicher, weil sie unversehens mit dem Ausklopfer auftauchen konnte und anfing, Teppiche zu klopfen, daß es nur so staubte.

Sonst waren es geruhsame Tage ohne große Aufregungen oder allzuviel Trubel, in denen schon die ersten Vorbereitungen für den kommenden Winter begannen: Heu und Obst wurden in den Speicherräumen und Futterkammern gelagert, Zäune ausgebessert, Fenster abgedichtet und ein Stück morscher Stallboden ausgebessert. Kirsty füllte die Regale der Speisekammer mit Gläsern voll Holundersaft, Marmelade und Birnenkompott; sie sammelte die Samen von Kapuzinerkresse, Malven, Feuerbohnen und Sonnenblumen ein, trocknete Blumensträuße und Küchenkräuter und breitete grüne Tomaten auf den Fensterbrettern aus, damit sie nicht dem ersten Frost zum Opfer fielen.

Auf Dreililien wurden Dachrinnen und Kaminbleche gestrichen, um sie vor Rost zu sichern. Mikesch, Sepp und Helge hackten Brennholz, und aus den Wäldern erklang von früh bis spät das Geräusch der Motorsägen.

Die Dunkelheit brach nun schon früh herein, doch tagsüber war es sonnig und warm, mit leuchtenden Herbstfarben und den Berggipfeln hinter den Wäldern, die zum Greifen nahe schienen.

Das war Anfang Oktober. Noch ahnte ich nicht, daß diese sonnigen Herbsttage in der verträumten, friedlichen Abgeschiedenheit unseres Tales eine Art Ruhe vor dem Sturm waren.

Reiterhof Dreililien 5 - Alte Lieder singt der Wind

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