Читать книгу Reiterhof Dreililien 2 - Die Tage der Rosen - Ursula Isbel - Страница 4
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ОглавлениеAls wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, sagte mein Vater plötzlich: „Du bereust es doch nicht, Elinor?“
Ich wußte, was er meinte. Bereute ich es, daß ich mit ihm von München aufs Land übersiedelt war, in Kirstys kleines Haus, weg von allem, was vorher mein Leben ausgemacht hatte?
Ich schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte ich.
Ein heller Schein ging über sein Gesicht. Ihn brauchte ich nicht erst zu fragen, ob er den Umzug bereute. Für ihn war eine alte Sehnsucht in Erfüllung gegangen. Er hatte sich ja schon immer gewünscht, auf dem Land zu leben; und ich hatte ihn nie glücklicher gesehen als in diesen vergangenen Monaten. Freilich, es war nicht nur das Landleben. Es war auch Kirsty, die ihn glücklich machte – vor allem sie.
Dieser Gedanke, der mir noch vor kurzem so unerträglich gewesen war, tat nun nicht mehr weh. Ich hatte Kirsty gehaßt und als meine Feindin betrachtet. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich lange allein mit meinem Vater gelebt, bis Kirsty kam. Noch jetzt erinnere ich mich gut an meine Furcht, sie könnte mir meinen Vater wegnehmen, könnte diese für mich wichtigste Beziehung zerstören, so daß ich plötzlich ganz allein war. Und diese Furcht hatte mich böse und verzweifelt gemacht, hatte bewirkt, daß ich mich gegen Kirsty verhärtete.
Jetzt aber begriff ich, daß mein Vater mich noch immer liebte, daß er sowohl mich als auch Kirsty lieben konnte. Ich hatte in Kirsty sogar noch eine Freundin dazugewonnen, jemanden, auf den ich mich verlassen konnte, der mich verstand.
Auch zwei andere Freunde hatte ich durch diesen Umzug aufs Land gewonnen – ich konnte mir keine besseren wünschen...
Wir fuhren durch Rosenheim, kamen dann an der alten Mühle vorbei, waren endlich wieder auf dem offenen Land, wo die Kühe auf den Berghängen weideten und das Korn schon gelb wurde.
Sommerland, dachte ich und atmete unwillkürlich auf. Die Luft, die durch die geöffneten Wagenfenster strich, trug uns den Duft von Heu und Blumen zu, den ich so liebte.
Auch mein Vater holte tief Atem. „Jetzt sind wir bald wieder zu Hause“, sagte er.
Ja, es war ein Nachhausekommen, obwohl wir doch nur für einen Tag in München gewesen waren, um eine kranke Tante zu besuchen. Als wir am frühen Morgen von der Autobahn auf den Mittleren Ring gefahren waren, als ich die ersten Häuser von München sah, hatte ich nicht wie jetzt dieses Gefühl gehabt, heimzukommen, obwohl ich doch fünfzehn Jahre meines Lebens in dieser Stadt verbracht hatte.
Jetzt aber, als wir uns Mariabrunn näherten, dachte auch ich, daß ich hier zu Hause war; und die Kirche, die in der Ferne auf dem Hügel stand, kam mir vertrauter vor als das Münchner Mietshaus, in dem ich aufgewachsen war.
Wir fuhren nicht den etwas kürzeren Weg nach Dreililien, der schon vor dem Dorf an einem Wildbach vorbeiführt, sondern die besser ausgebaute Zufahrtsstraße über den Schmiedberg. In Mariabrunn läuteten die Abendglocken. Wir mußten anhalten und warten, bis ein Bauernjunge seine Kuhherde über die Straße trieb. Das Läuten der Kuhglocken mischte sich mit dem Abendgeläut.
„Wie in einem Heimatfilm“, sagte ich halb spöttisch, halb liebevoll.
Als die Straße wieder frei war, fuhren wir weiter, hinaus aus dem Dorf, den Höhenweg zwischen frisch gemähten Wiesen hinauf. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung am Waldrand. Ein Pferd kam zwischen den Bäumen hervor, einen Reiter auf dem Rücken.
„Sieh mal“, sagte mein Vater, „ist das nicht Matty?“
Ich erwiderte: „Ja, Matty auf Hazel.“
Im gleichen Augenblick sah uns auch der Junge auf dem Pferd. Er beschattete die Augen mit der Hand, winkte dann und ritt näher.
Mein Vater bremste. Rasch sagte ich: „Fahr nur voraus, ich steige aus. Ich glaube, Matty will mit mir reden.“
Er nickte, und ich öffnete den Wagenschlag. Reiter und Pferd waren jetzt schon halbwegs über die Wiese geritten. Mein Vater fuhr wieder los.
Mit ein paar Galoppsprüngen war Hazel am Straßenrand, hielt schnaubend an, senkte den Kopf und wieherte zur Begrüßung, wie es ihre Art war. Matty schwang sich aus dem Sattel.
Matty von Dreililien... Ich wußte nicht, wen ich lieber mochte, ihn oder seinen Bruder. Eigentlich hegte ich für die beiden ganz verschiedene Gefühle. Ich hatte jeden auf seine Art gern. Matty war fast wie ein Bruder für mich, während Jörn...
Ich streichelte Hazel. Matty sagte atemlos: „Du, heute ist endlich ein Brief gekommen!“
„Was?“ Ich ließ die Hand sinken. Hazel puffte mich energisch. Offenbar war sie der Meinung, daß ich sie nicht ausreichend begrüßt hatte. „Ein Brief? Hast du ihn hier? Zeig her!“
„Jörn hat ihn“, erwiderte Matty und strich sein blondes Haar zurück, das er seit einiger Zeit wachsen ließ. „Aber er klingt gut. Ich meine, er ist nett geschrieben, richtig sympathisch. Der Typ heißt Mikesch – komischer Name übrigens. Er behauptet, daß er mit Pferden aufgewachsen ist. Er hat Tiermedizin studiert, aber nur ein paar Semester. Dann mußte er das Studium abbrechen, und jetzt ist er arbeitslos und sucht nach einem Job, der ihm Spaß macht. Er schreibt, er braucht nicht viel Geld; Hauptsache, er hat Unterkunft und Verpflegung. Das Stadtleben stinkt ihm, schreibt er.“ Matty holte Atem.
„Herrje“, sagte ich, „das klingt ja zu schön, um wahr zu sein! Alles genau richtig! Aber kann dieser Mikesch denn auch Reitunterricht geben?“
„Klar, hab ich das nicht gesagt? Er ist schon als ganz kleiner Junge geritten. Später hat er sogar bei einigen Jugendturnieren Preise gewonnen. Aber darauf ist er jetzt nicht mehr besonders stolz, schreibt er, weil...“
Wir begannen am Straßenrand entlang weiterzugehen, und Hazel folgte uns mit schleifenden Zügeln. Während Matty weiter von dem Brief erzählte, hörte ich mit halbem Ohr zu und dachte dabei, daß wir unserem Ziel nun vielleicht ein Stück näher waren. Einen Reitlehrer zu finden, war ein wichtiger Teil unseres Plans – und von diesem Plan hing eine ganze Menge ab. Nicht nur für mich, sondern vor allem für Matty und Jörn und für die Pferde ihres Vaters.
Matty und Jörn Moberg lebten mit ihren Eltern auf dem alten Gutshof Dreililien, gleich in unserer Nachbarschaft. Zum Hof gehörte ein Gestüt mit vielen Pferden. Zu Beginn dieses Sommers, nicht lange nach meinem Umzug aufs Land, war plötzlich die Katastrophe über uns hereingebrochen: Herr Moberg hatte Jörn und Matty eröffnet, daß er den größten Teil seiner Pferde verkaufen wollte, weil das Gestüt nicht mehr genug Geld einbrachte.
Die beiden waren verzweifelt gewesen, und ich mit ihnen, obwohl ich doch erst kurze Zeit hier lebte. Da war mir der Einfall gekommen, auf Dreililien eine Reitschule einzurichten und während der Ferien Jugendliche als zahlende Gäste aufzunehmen, die Reiten lernen wollten. Dafür waren auf Dreililien ja alle Voraussetzungen gegeben : gute Pferde, genug Platz im Gutshaus, eine herrliche Umgebung, Koppeln, Wiesen, Wälder, ein Weiher zum Baden...
Nach langem Hin und Her hatte Herr Moberg schließlich eingewilligt, den Versuch zu wagen; doch nur unter der Bedingung, daß wir Selbst alle anfallenden Arbeiten übernahmen und einen Reitlehrer fanden, der nur ein geringes Gehalt forderte.
Jetzt war der erste Schritt getan: Wir hatten in einer alternativen Münchner Zeitung eine kleine Anzeige aufgegeben, und es sah ganz so aus, als hätten wir diesen Reitlehrer auf Anhieb gefunden.
„Du hörst ja nicht richtig zu“, sagte Matty vorwurfsvoll in meine Gedanken hinein.
„Doch, tu ich schon“, versicherte ich hastig. „Aber du, wenn dieser Mikesch jetzt vielleicht ein ganz komischer Kauz ist, einer, der nicht hierher paßt oder nicht gut zu den Pferden ist oder...“
Wir wechselten einen Blick. Mattys Gesicht wurde ernst. „Das hab ich mir auch schon überlegt“, sagte er. „Wir müssen ihn uns vorher natürlich gründlich ansehen, das ist klar. Jörn will Mikesch heute abend anrufen, wenn das Telefonieren nicht so teuer ist. Er lebt in einer Wohngemeinschaft in München. Wir machen gleich einen Termin mit ihm aus, wann er herkommen kann.“ „Hoffentlich klappt’s!“ sagte ich inbrünstig. „Wenn ja, könnten wir sofort an ein paar Reisebüros schreiben. Und Anzeigen in die Zeitung setzen, damit wir gleich für die Wochenenden Reitschüler bekommen.“
Matty starrte vor sich hin. „Manchmal kommen mir schon Zweifel, ob wir’s schaffen, Nell“, murmelte er. „Das ist nämlich alles gar nicht so einfach. Schon Erwachsene haben oft Schwierigkeiten, sich mit einer Reitschule über Wasser zu halten. Und wir haben doch überhaupt keine Erfahrung mit solchen Sachen!“
Die gleichen Bedenken waren mir auch schon gekommen, aber ich hätte es ihm gegenüber nicht zugegeben. „Du bist ein schwarzseherischer Miesepeter!“ sagte ich freundschaftlich. „Klar, daß Leute Schwierigkeiten kriegen, die eine Menge Miete bezahlen müssen und Angestellte haben, die hohe Gehälter fordern, und die noch dazu das ganze Futter für die Pferde teuer kaufen müssen. Das ist doch hier alles anders! Es wird bestimmt klappen, du wirst schon sehen!“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Matty.