Читать книгу Cork, noch mehr Mord - Ursula Schmid-Spreer - Страница 7

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Es war einer dieser hektischen Tage gewesen, an denen man zwar arbeitete wie besessen, aber nichts vorwärtsging. Jeder wollte etwas von Erin Sullivan. Sie konnte es sich nicht erlauben, grantig zu sein oder gar ihren Launen nachzugeben. Im Gastgewerbe war man auf Gäste angewiesen. War man unfreundlich, kamen sie nicht mehr wieder – und das machte sich im Geldbeutel bemerkbar. Besonders schlimm war es an Samhain. Da schienen die Leute alle guten Manieren zu vergessen. Hinter der Maske von diversen Gnomen, schwarz gekleideten Hexen oder anderen Kostümen führten sie sich wild auf. Das hatte nichts mehr mit Abschrecken der Geister in einer Anderswelt zu tun. Das war einfach schlechtes Benehmen. Sie konnte von Glück reden, dass der Pub nicht demoliert worden war. Erin war nicht nur für sich alleine verantwortlich, sie beschäftigte fünf feste Mitarbeiter und einige Aushilfskräfte. Es war ein hartes Erbe, das der Vater ihr vermacht hatte. Mallow war ein kleiner Ort im Südwesten Irlands, rund 35 Kilometer nördlich der Stadt Cork. Wie gerne wäre sie damals in eine größere Stadt gegangen: vielleicht Dublin, oder auch nur nach Cork. Aber nein, sie musste in der Metzgerei helfen.

Ihre jüngere Schwester Donna nahm das Recht für sich in Anspruch, eine Künstlerin zu sein. Verhätschelt und verzärtelt, das war sie schon immer gewesen. Dads Liebling, während Erin schon früh in der Metzgerei und auch im Wirtshaus helfen musste. Donna durfte ihren Hobbys nachgehen. So kam es, dass sie bereits in der 4. Generation das Gasthaus »Green Flower« führte. Heute wollte Erin nur noch nach oben in ihre Privatwohnung gehen und sich ins Bett legen, ihre Ruhe haben und schlafen. Samhain hatte ihr mehr zu schaffen gemacht, als sie zugeben wollte. Bevor sie wegdämmerte, fielen ihr die Worte ihres ehemaligen Lehrers ein. Samhain markiert den keltischen Jahreskreis, den Beginn der dunklen Jahreszeit. Ende Oktober, Anfang November würde sich das Tor der anderen Welt öffnen. Ein neues Jahr würde beginnen. Da sich die Menschen vor bösen Wesen fürchteten, mussten diese vertrieben werden. Nur der Tod war in der Lage, neues Leben zu erschaffen. Erin drehte sich ächzend um. Warum musste immer so übertrieben werden? Eine als Hexe verkleidete Person war auf einmal in ihrer Küche gestanden und hatte sie erschreckt. Wütend war ihr Kellner John dazwischen getreten. Die verkleidete Person hatte er am Kragen gepackt und vor Erin hingeschubst. Die Hexe entpuppte sich als verkleideter Mann. Er trug eine grüne Plastikfolie und hatte sich Efeu um Haare, Kopf und Hals gewickelt.

»Ich habe ihn beim Klauen erwischt«, hatte John gemeint. »Ich rufe die Garda.«

Dagegen waren die Samhain-Bräuche ja direkt noch harmlos. Jetzt setzte sich Erin im Bett auf, ließ den Tag Revue passieren. Drei junge Mädchen hatten Apfelschalen über die Schulter geworfen. Aus der Form, wie die Schalen gefallen waren, wollten sie Anfangsbuchstaben erkennen. Das sollte wohl der neue Partner sein.

Normalerweise schaute sie immer noch bei ihrem Vater ins Zimmer, bevor sie schlafen ging, wenn sie unter dem Türspalt Licht sah. Der alte Herr hatte sich vollkommen ins Privatleben zurückgezogen. Solange er seine Zigarren rauchen konnte, täglich seine Sausages mit extra scharfem Senf bekam, war er friedlich. Heute war alles still. Erin überließ es ihrem Oberkellner John, die Kasse zu machen und abzuschließen. John war schon viele Jahre bei der Familie und zuverlässig.

»Morgen ist auch noch ein Tag, ich will jetzt einfach an nichts mehr denken müssen.«

Sie hatte sich ins Bett fallen lassen, die Nachttischlampe ausgeknipst und sich auf ihre Einschlafseite gerollt. »Sausages gehen aus, die muss ich morgen gleich als Erstes ordern, das darf ich nicht vergessen«, waren neben dem Samhain ihre letzten Gedanken, bevor sie sich dem wohligen Gefühl des Einschlafens hingab.

Es war noch dunkel, als sie aufwachte. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an und sie spürte, dass sie zur Toilette musste. Barfuß tapste sie in Richtung Bad, ohne Licht anzumachen. Schlaftrunken ging sie weiter in den Gastraum, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Nur das schwache Licht einer Laterne leuchtete in das Lokal. Erins Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Es roch seltsam.

Sie wollte gerade einen großen Schluck aus der Wasserflasche nehmen, machte aber einen Satz auf die Seite. Vor ihr stand jemand, den Rücken gekrümmt, das Gesicht nach unten gebeugt. Mit einem erneuten Satz rückwärts schrie sie vor Schreck auf. Was war hier los? Es kostete sie Überwindung, das Licht anzuknipsen. Ein Mann war da – in gebückter Haltung. Das Gesicht lag auf dem Rost.

Hellwach war Erin nun. Nicht zum ersten Mal beglückwünschte sie sich, dass sie auf einem stationären Telefon beharrt hatte. Wie oft kam es vor, dass sie ihr Mobiltelefon irgendwo hinlegte und es dann nicht gleich fand. In der Gaststube sollte so etwas nicht vorkommen. Man musste immer wieder mal telefonieren, ein Taxi oder den Krankenwagen rufen oder die Garda – so wie jetzt.

Der Kommissar wirkte trotz der frühen Stunde – drei Uhr – hellwach. »McCarty« hatte er sich kurz vorgestellt, ohne Titel, ohne Schnörkel, nur »Wo ist die Leiche?«

Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es von Menschen in weißen Overalls, die gewichtig Spuren sammelten.

Erin war fassungslos. Sie identifizierte den Toten als ihren Oberkellner John Walter. Er war mit aller Gewalt auf den heißen Rost gedrückt worden. Längsrillen hatten sich tief in sein Gesicht eingebrannt. Auch die Hände waren schwarz, gerade so, als hätte sich John am Gitterrost festgekrallt. Zu seinen Füßen lag eine Stahlbürste.

»Wahrscheinlich wollte er den Grill noch sauber machen. Ich habe das nicht mehr geschafft. Ich fasse es nicht. Wer kann so etwas getan haben? Hat es vielleicht mir gegolten?«

»Wie kommen Sie darauf, Mrs. Sullivan?«

»Ich habe heute früher Schluss gemacht, weil ich so kaputt war, Samhain hat mich geschafft. Ich habe John gebeten, den Rost zu reinigen und die Kasse abzurechnen. Er war damit auch für das Zusperren des Ladens verantwortlich. Ich mache das sonst normalerweise. Vielleicht wollte jemand die Kasse klauen oder mich …?« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

McCarty winkte einem jungen Mann. Leise sprach er, sodass Erin nichts verstand.

Er wandte sich wieder Erin zu: »Das können wir ausschließen. Die Tasche mit den Einnahmen ist gefunden worden. Hm, erzählen Sie mir etwas über Ihren Oberkellner.«

»Er war sehr zuverlässig. Meine rechte Hand. Er hat bei meinem Vater in der Metzgerei gelernt.«

»Er wusste also, wie man Ihre berühmten Sausages macht«, fiel McCarty schmunzelnd ein.

»Stimmt, die meisten Zutaten kannte er, aber alles wusste er auch nicht. Mein Vater war da sehr vorsichtig. Ich bin mir aber sicher, dass John unser Geheimrezept nie verraten würde. Es ist Tradition in unserem Haus, dass die Rezeptur in der Familie bleibt. Und John war so etwas wie ein Familienmitglied für uns.«

Als der Kommissar die Augenbraue hochzog, fuhr Erin fort.

»John wurde uns vor Jahrzehnten schon von einer staatlichen Einrichtung empfohlen. Er hat seine Jugend dort verbracht. Seine Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Aber spielt das eine Rolle?«, fragte sie gereizt.

»Aber natürlich! Wir müssen so viel wie möglich über das Opfer erfahren. Oft lässt sich daraus ein Motiv ableiten. Erzählen Sie weiter.«

»Nun, er hat sich gut angestellt, war pünktlich und zuverlässig. Mein Vater war sehr von ihm angetan. Er war ja erst 14 und man konnte ihn leicht lenken. Er wurde so etwas wie sein Ziehsohn, nachdem mein Vater nur Töchter hat.«

»Höre ich da einen leichten Unterton heraus? Warum arbeitet Mr. Walter nicht mehr in der Metzgerei?«

»Er wollte mal was anderes machen, kann ich auch verstehen.«

»Und da hat er den Oberkellner für Sie gemacht. Hat er das gelernt?«

»Nein, er kann gut mit Zahlen umgehen und hat Charme den Gästen gegenüber. Ich meine ›hatte‹ Charme.« Erin brach ab und schniefte in das Taschentuch, das ihr der Kommissar hinhielt.

»Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, aber Sie müssten morgen in die Pathologie kommen, um noch einige Formalitäten zu erledigen. Bis dahin wissen wir auch, wie er gestorben ist, denn auf dem Rost ist er sicher nicht zu Tode gekommen. Ihren Vater und ihre Schwester hätte ich auch gerne gesprochen. Richten Sie den beiden doch bitte aus, dass sie ebenfalls morgen ins Kommissariat kommen sollen.«

Erin nickte. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Sie musste es ihrem Vater sagen, am besten gleich. Der alte Herr schlief sowieso nicht mehr, sie hatte ihn an der oberen Treppe gesehen. Bei dem Lärm, den die Leute von der Spurensicherung gemacht hatten, wäre selbst ein Stein aufgewacht.

So ging Erin schwer atmend die Treppen hoch, klopfte kurz am Zimmer ihrer Schwester, wartete ein »Herein« erst gar nicht ab und öffnete mit Schwung die Tür.

»Steh auf, Schwester, und tu nicht so, als wenn du tief schlafen würdest. Du hast alles ganz genau mitbekommen.«

Ein rot gefärbter Lockenkopf kam unter der Bettdecke hervor. »Das war ja auch nicht zu überhören.«

»Und du bist kein bisschen neugierig, was vorgefallen ist? Das passt gar nicht zu dir«, sagte Erin spöttisch. »Dein heiß geliebter John lag mit dem Gesicht zuerst auf dem Rost. Das hat verdammt hässlich ausgesehen, das kann ich dir sagen.«

Ein Wehlaut erklang. »John!«

»Ja, tu nicht so scheinheilig. John ist tot, mausetot, und jetzt?«

»Wie kannst du nur so herzlos sein, du eifersüchtige Schlange. Mich hat er geliebt, nicht dich!«

»Das meinst auch nur du! Jedem Rock hat er hinterhergesehen, auf seine Sausagemasche sind alle reingefallen. ›Ich kenne das Geheimrezept der Sullivan Sausage‹«, äffte Erin ihn nach, »und dann hat er sich mit den Weibern verabredet. Und da, das kannst du mir glauben, haben sie sich bestimmt nicht über unsere Wurst unterhalten. Meine gute Kinderstube verbietet mir zu sagen, was er mit dem Würstchen …«

»Schweig!«, hörten sie eine herrische Stimme von der Tür her. »Wenn ich gewusst hätte, dass meine beiden Töchter nichts anderes zu tun haben, als sich über John zu zerfetzen, hätte ich schon früher eingegriffen.«

Beide Damen schwiegen betreten. Mit zerzaustem Haar, in langen Unterhosen und einem T-Shirt bekleidet, stand der alte Sullivan im Zimmer seiner jüngeren Tochter Donna.

»Versucht noch etwas zu schlafen, wir müssen morgen zur Garda und da brauchen wir unsere Kraft«, wandte sich Erin an Vater und Schwester.

Erin und Donna waren sich nur äußerlich ähnlich. Sie waren vom Wesen her grundverschieden. Erin bodenständig, Donna mehr der künstlerische Typ. Ian McCarty, Hauptkommissar bei der Garda County Cork, erkannte das auf den ersten Blick. Der alte Herr an ihrer Seite wirkte zwar gebrechlich, aber sein rotes Gesicht ließ viel Willenskraft erkennen. McCarty wies mit der geöffneten Hand auf die Besucherstühle in seinem Büro und bat die drei, Platz zu nehmen.

»Mr. John Walter ist stranguliert worden, während er wahrscheinlich gerade den Gitterrost reinigte. Unter seinen Fingernägeln befanden sich Seifenlauge und Partikel eines Putzschwämmchens, das mit Eisenspänen versetzt war. Er trug keine Handschuhe.«

Ian beobachtete fasziniert das Mienenspiel der Anwesenden. Es reichte von Bestürzung über Trauer zu Unbeweglichkeit.

»Können Sie mir etwas dazu sagen? Haben Sie etwas gehört?«

Alle drei schüttelten den Kopf.

»Nun gut, dann darf ich Sie bitten, meiner Kollegin zu folgen, um den Toten endgültig zu identifizieren. Kein schöner Anblick; er ist mit dem Kopf auf den heißen Gitterrost gedrückt worden. Bitte halten Sie sich zu meiner Verfügung, falls ich noch Fragen habe.«

»Du lässt sie einfach gehen?« Ians Partner und Kollege schüttelte den Kopf. Er hatte vom Nebenzimmer aus alles gehört und konnte die Familie Sullivan ausgiebig beobachten.

»Ich will sie ein bisschen schmoren lassen, vielleicht auch in Sicherheit wiegen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Samhain nichts damit zu tun hat. Ich glaube auch nicht, dass John das Zufallsopfer einer verkleideten Hexe war. Einer von den drei Sullivans wars, da bin ich mir sicher. Es ist niemand von außen reingekommen und hat diesen Oberkellner umgebracht.«

»Er hatte doch viele Frauengeschichten. Vielleicht hat er nicht einmal vor verheirateten Frauen haltgemacht?«, warf der Assistent ein.

»Das schaut mir eher nach einer Affekttat aus«, ließ sich Ian nicht aus dem Konzept bringen. »Der Zeitpunkt war wohl günstig. Also auf, Recherchearbeit, Nachbarn befragen, schnüffeln eben.«

Zwei Tage später hatte Ian McCarty einen Packen Papier auf dem Schreibtisch liegen. Mit seinem Kollegen ging er die einzelnen Punkte noch einmal durch. »Ich hatte wieder einmal recht – ruf die drei Sullivans an, sie sollen heute Nachmittag in die Garda kommen.«

Sichtlich nervös und angeschlagen saßen die beiden Damen Erin und Donna vor ihm. Mister Sullivan war blass, seine Augen flackerten.

*

Ian hielt kurz inne. Seine drei Kollegen hatten ihn kein einziges Mal während seiner Erzählung unterbrochen.

»Die Befragungen haben ein interessantes Bild ergeben. In vielen Familien gibt es Leichen im Keller; nie wird darüber gesprochen. Und dann kommt es zur Katastrophe. Es ist nicht immer das, wonach es aussieht. Ihr werdet überrascht sein, wer letztendlich John Walter umgebracht hat und warum.«

*

»Ich fange mit Ihnen an, Erin. Eigentlich wollten Sie etwas anderes machen, aber die Tradition hat Sie verpflichtet, das Geschäft zu übernehmen. Sie haben sich all die Jahre nie getraut, Ihrem Vater zu sagen, dass Sie Vegetarierin sind und die Sausages nicht einmal riechen können. Es ekelt Sie richtig davor. Nur mit Mühe konnten Sie John davon abhalten, dass er Sie an Ihren Vater verpetzt.«

Erin schlug betreten die Augen nieder. Ganz fest presste sie die Lippen aufeinander. Man sah deutlich, wie sie ihre Schultern straffte und selbstbewusst sagte: »Und daraus leiten Sie ein Mordmotiv ab? Lächerlich!«

»Sie waren ganz froh, dass Ihr Vater diesen John, trotz seiner dunklen Vergangenheit, damals als Lehrling einstellte. So mussten Sie wenigstens keine Metzgerlehre machen. Allein der Gedanke, Tiere schlachten zu müssen, das viele Blut, all das verursachte Ihnen Ekelgefühle.« Kommissar Ian McCarty sah Erin fest an. Dann wandte sich sein Blick zu Aaron Sullivan. »John war anfänglich dankbar und sehr gefügig. Irgendwann einmal muss diese Dankbarkeit in Hass umgeschlagen sein. Was war der Auslöser? Haben Sie ihn schikaniert, Mr. Sullivan? War das der Zeitpunkt, als Sie ihn wissen ließen, dass er nur ein Angestellter für Sie war und dass er nichts, aber auch gar nichts zu erwarten hatte?«

Aaron Sullivan schnappte hörbar nach Luft. Auch seine Töchter sahen ihn entgeistert an.

»Aber Daddy«, meinte Donna, »du wolltest ihm doch die Metzgerei überschreiben, nachdem Erin und ich sie nicht haben wollten.«

Der alte Herr sagte noch immer kein Wort. Er machte nur »pfff«.

»Und Sie, Donna«, fuhr Ian unbeeindruckt fort, »Sie hatten alle Freiheiten, die Sie nur wollten. Sie durften sich Ihrer brotlosen Malkunst widmen. Nur, der Herr Papa hat Ihnen den Geldhahn zugedreht, als sich herausstellte, dass Ihre Bilder unverkäuflich waren. Sie sollten endlich mal einen Abschluss machen – den haben Sie nämlich immer vor sich hergeschoben – und nicht nur sein sauer verdientes Geld ausgeben.«

Donna sog die Luft durch die Nase, atmete prustend aus, sah ihre Schwester schuldbewusst an.

»Sie hätten also alle drei ein Motiv. Ich habe überlegt: Erin, Sie haben sich ein bisschen was auf die Seite gelegt. Hätte John gepetzt, wäre das für Sie kein Weltuntergang gewesen. Außerdem waren Sie sich sicher, dass Sie Ihrem Vater zu wertvoll waren, als dass er die Metzgerei und den Pub dann aufgegeben hätte.« Ian wandte sich an Donna. »Sie konnten Ihren Vater schon immer um den Finger wickeln. Und Sie wussten, wenn Sie dem alten Herrn ein bisschen schmeichelten, dann hätte er schon wieder ein Scheinchen locker gemacht. Ja, somit bleiben nur noch Sie übrig, Mister Sullivan.«

Erschrocken sahen die beiden Damen ihren Vater an.

»Erpressen wollte er mich, der Saukerl«, schrie Aaron Sullivan unbeherrscht los. »Erpressen, mein Sausagerezept wollte er an die Konkurrenz verkaufen. Seit Jahrzehnten ist es im Familienbesitz, und dieser hergelaufene Kerl, dem ich eine Ausbildung und Arbeit gegeben habe, der wollte mich erpressen. Außerdem hat er meine Töchter gegeneinander ausgespielt. Und hinter ihren Rücken hat er es mit jedem Rock getrieben. Die Gelegenheit war günstig, als er da so am Herd stand. Ein Liedchen hat er sogar gepfiffen. Ich konnte nicht anders handeln, Herr Kommissar.«

Sullivan wurde abgeführt. Seine Töchter verließen zutiefst betroffen das Büro.

*

»Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich tief seufzte und den Aufkleber ›erledigt‹ auf die Akte Wurstmord gestempelt habe«, sagte Ian.

Es war eine Weile still am Tisch. Dann ergriff Daniel das Wort. »Nach außen hin ist oft eitel Sonnenschein.«

Und Mick ergänzte: »Und drinnen herrschen Abgründe.«

»Prost«, sagte Kevin und erhob sein Glas. »Wisst ihr eigentlich, warum man Kürbisse aushöhlte, damit sie wie Fratzen aussehen?«

Die anderen lachten, schüttelten verneinend den Kopf.

»Dann habe ich eine schöne Legende für euch«, ergriff Daniel erneut das Wort. »Hört zu! Sie geht auf Jack O’Lantern zurück. Jack der Hufschmied war ein schlimmer Trinker, jeden Abend saß er in der Dorfkneipe. Auf einmal stand der Teufel neben ihm, das soll am 31. Oktober gewesen sein. ›Es ist Zeit‹, sagte der Teufel, dass ich dich in die Hölle hole.

Jack war sehr gewitzt, überlegte fieberhaft, wie er dem Teufel ein Schnippchen schlagen könnte. So bat er ihn um ein letztes Glas Bier. Als Gegenleistung würde der Teufel dann seine Seele bekommen.

Der Teufel ließ sich auf den Handel ein. Der Wirt wollte sich das Bier natürlich bezahlen lassen, aber der Teufel hatte kein Geld. So verwandelte er sich in höchster Eile in ein Geldstück.

Jack trug immer ein Silberkreuz in seiner Tasche und steckte blitzschnell die Münze dazu. Somit war der Teufel gefangen und konnte nicht mehr entfliehen.

Jack war nicht dumm, er wollte, dass ihn der Beelzebub zehn Jahre in Ruhe ließ. Außerdem sollte ihn der Teufel zum reichsten Hufschmied weit und breit machen.

Der Teufel kam am Abend des 31. Oktober genau nach zehn Jahren wieder und forderte die Seele ein. Jack hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie er dem Höllenfürsten erneut ein Schnippchen schlagen könnte. So bat er ihn um einen letzten Apfel, den ihm der Teufel vom Baum pflücken solle. Er wäre nicht mehr so beweglich und er, der Teufel, wäre doch behände. Dieser hegte keinen Argwohn, kletterte auf den Baum. Schnell ritzte Jack ein Kreuz in die Rinde. So war der Widersacher abermals gefangen. Diesmal handelte John aus, dass er ihn und seine Seele bis in alle Ewigkeit in Ruhe lassen würde.«

»Das ist eine schöne Geschichte«, sagte Mick. »Aber was hat das jetzt mit den Fratzen im Kürbis zu tun? Was ist die Moral von der Geschichte?«

»Die gibt es natürlich. Darum erzähle ich euch noch den Schluss. Jack war kein guter Mensch. Er log und betrog seine Freunde, seine Familie und auch seine Kunden. Als seine Zeit gekommen war, klopfte er an die Himmelstür. Dort aber wurde er abgewiesen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als doch zum Teufel zu gehen. Der war ihm aber immer noch böse, weil er ihn so reingelegt hatte, und verweigerte ihm den Eintritt. Es war kalt und finster. Und man sollte es nicht glauben, der Teufel hatte ein klein wenig Mitleid mit Jack. Damit er nicht so frieren musste, warf er ihm ein Stück Kohle zu. Das konnte er aber nicht in der bloßen Hand tragen. Er hatte als Proviant eine Rübe dabei. Der Teufel höhlte sie ihm aus, schnitt eine Fratze und legte die Kohle hinein. Irische Einwanderer haben den Brauch mit nach Amerika genommen. Aus Samhain-Tradition wurde Halloween und aus einer Rübe ein Kürbis, der nunmehr als Symbolfigur gilt. Das Licht, das in den ausgehöhlten Kürbis gestellt wird, soll an Allerseelen leuchten.«

»Ah, ich verstehe«, sagte Mick, der aufmerksam zugehört hatte. »Die Moral von der Geschichte ist, dass die ruhelosen Seelen, die weder in den Himmel noch in die Hölle dürfen, herumirren und somit ihre Sünden abbüßen.«

»Yes«, sagten die drei im Chor. »Have a spooky Halloween!«

Cork, noch mehr Mord

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