Читать книгу MidlifePunks - Uschi Ballboa - Страница 5
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
Оглавление„Hey du Sack, lass mich SOFORT wieder rein!“ Ich stehe für mich selbst überraschend nackt vor unserer Haustür und weiß nicht ob es gerade jetzt eine gute Idee ist, hier überhaupt so einen Lärm zu machen, wenn ich es nicht anstrebe entdeckt zu werden. Ich tipple von einem Fuß auf den anderen und versuche, mit bloßen Händen so viel wie möglich von meinem Körper zu bedecken. Dabei spähe ich ständig durch die Glasscheibe, die ich am liebsten kaputt hauen würde. Ich kann gar nicht richtig nachvollziehen, wie ich hier gelandet bin. Ich wollte eigentlich nur unter die Dusche gehen und musste vorher nochmal eben Pipi machen. „Von Pipi machen hast du nichts gesagt“, weist mich Rio zurecht, als er hektisch ins Badezimmer stürzt. Das stimmt, denn ich habe gesagt, „ich geh jetzt gleich duschen“, damit er die Möglichkeit hat, vorher selbst aufs Töpfchen zu gehen. Dass ich alles in Reihenfolge genau anmelden muss, war mir neu und daher antworte ich auch augenrollend: „Oh sorry, na klar! Ist ja gar kein Problem. Ich kann ja auch eben draußen pinkeln.“ Ich ließ mich liebevoll vom Klo ziehen und in den Flur drücken. Der Weg zur Haustür war dann nicht mehr weit und ehe ich mich versah, ging die Haustür schon wieder zu. Und nun stehe ich nackend vor der Tür. Sowas hat man nun von sowas. Nach gefühlten Stunden höre ich seine Stimme, „bist du auch schon fertig?“ und die Tür öffnet sich wieder. Ich springe gerade noch rechtzeitig in unsere Wohnung bevor Frau Meier von nebenan sich wie üblich um diese Uhrzeit auf den Weg zum Postkasten macht. Die Tür haue ich hinter mir zu, die Glasscheibe wackelt verdächtig und ich frage ihn erst mal, was er denn für einen beschissenen Auftrag an diesem Morgen hat. „Wieso? Du hast doch gesagt, du kannst auch draußen pinkeln.“ „Meinst du nicht, dass du es da als Mann einfacher hättest?“ „Ich musste aber wirklich dringend ganz groß“, sagt er. Das ist natürlich ein Argument, wenn auch in der Tat ein ganz beschissenes. Ich werde sicherheitshalber eine Outdoor-Fußmatte besorgen. Man weiß ja nie, was einem mit Rio passiert.
Den Rest des Tages habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hat es ein paar Mal versucht, weil er wohl im Nachhinein festzustellen, dass er es womöglich doch ein wenig übertrieben haben könnte. Aber mehr als „Geh doch kacken!“ wollte einfach nicht aus mir heraus. Solche Späße kann er mit Muckern machen, aber nicht mit mir.
„Haben wir uns wieder lieb?“, fragt er am nächsten Morgen. „Kommt drauf an“, sage ich, „kannst du dich denn so entschuldigen, dass ich dir auch glaube, dass sowas nicht nochmal vorkommt?“ „Ich glaub schon“, meint er. Ich warte einen Moment, bevor ich nachhake „Und? Willste auch?“ „Ich entschuldige mich hochoffiziell bei dir und verspreche hiermit, dass ich dich niemals wieder nackt vor die Tür stelle“, er deutet eine Verbeugung an und sieht mir fest in die Augen. Ich überlege, ob ich das wirklich glauben kann. Die halbe Verbeugung dazu lässt mich zögern. „Vielleicht kann ich das ja irgendwie wieder gut machen“, versucht er nachzulegen. Jetzt wird es spannend. „Wie soll das denn gehen?“, frage ich. „Ich könnte dir doch bei deiner Weiber-Band helfen“, seine Hände wedeln vor Begeisterung auf und ab, „ich bin ein toller Bandcoach!“ Boah, bitte nicht. Das soll doch mein männerfreies Hobby werden.
„Wir haben ja noch nicht mal einen Namen!“, versuche ich das Thema zu vertagen, weil ich ihm ja auch nicht sagen will, dass ich da so gar keinen Bock drauf habe. „Ja und? Wo ist das Problem? Meine eigene Band, die ich noch nicht mal in Aussicht habe, hat auch noch keinen Namen und trotzdem mache ich Musik“, argumentiert er. Ich gehe mal davon aus, dass er offenbar wirklich ein tiefes Bedürfnis hat, was wieder gut machen zu wollen. „Das ist schon so gut wie geregelt“, weiß ich mich elegant aus der Affäre zu ziehen.
„Ach?“, nun ist er verwundert, „was denn genau?“ „Fast alles eigentlich“, lüge ich und fühle mich ein bisschen schlecht, „trotzdem Danke für dein Angebot. Ich gebe es den Mädels weiter und wenn wir doch eine Hilfe brauchen, sagen wir Bescheid.“ Ich bin innerlich wohl doch noch ein bisschen sauer, obwohl es eigentlich ganz nett von ihm ist. „Und wie geht’s euch?“, will Gertrud wissen, als sie das nächste Mal anruft und wir einen neuen Termin für die Weiberband ausmachen wollen. Ich überlege kurz, ob ich das wirklich erzählen soll und entscheide mich für: „Geht so, wir hatten ein paar Probleme mit unserer Haustür.“
„Uschi and the G.Points”, haue ich raus, als die Weiberband erneut zusammensitzt, um einen Namen zu finden. „Boah nee, dann doch lieber Menstru-Action“, Gloria ist immer für eine Überraschung gut. Erst dagegen und jetzt doch dafür. Auch der Rest der Bande scheint nicht sonderlich glücklich. Verstehe ich gar nicht, ist doch ein prima Name! Außerdem ist da ein cooles ‚and the’ drin. Alle sitzen mit dem üblichen Sektchen in der Hand und gucken mich erwartungsvoll an. Wenn mich auf der Arbeit Kollegen so angucken, dann weiß ich, ich sollte am besten jetzt selbst eine Entscheidung fällen, damit das Rumgeeiere endlich ein Ende findet. „Dem G.Punkt wird doch generell viel zu wenig Beachtung geschenkt“, nehme ich neuen Anlauf, „und wir haben alle einen.“ „Meinen hat noch keiner gefunden“, berichtet Gabby. Alle lachen. „Okay“, lasse ich mich breit schlagen, „dann vertagen wir das noch mal.“ Die Meute ist bockig. Das mit dem Durchsetzen lief bei mir auch schon mal besser. „Was haben wir noch auf dem Zettel?“, frage ich? Gertrud rattert runter. Jede sollte sich darum kümmern, jemanden zu finden, der einem auf dem zugeteilten Instrument was beibringt, damit wir irgendwann zusammen spielen können. Das gestaltet sich offenbar schwieriger als gedacht, denn die angesprochenen Profis zweifeln offenbar sehr stark an der Umsetzbarkeit unseres Plans. Sowas frustriert. „Für dich ist das ja auch ganz einfach du hast ja zumindest schon jemanden“, stellt Gerda fest. „Wen denn?“, ich bin erstaunt. „Rio natürlich“, ach ja klar – ich habe ja einen Musiker zuhause, der sich mit sechs Saiten auskennt. Da sollten vier Saiten wirklich kein Problem darstellen. „Stimmt ja! Dann kann er mir doch auch helfen“, frohlockt Gertrud, „fragst du ihn mal?“ Jetzt muss ich also doch damit rauskommen, dass Rio seine Hilfe bereits angeboten hat. Aber die haben ja keine Ahnung, was da auf sie zukommt. Ich sehe uns vor meinem inneren Auge schon alle nackt vor einem Proberaum stehen, weil wir nicht schnell genug waren. „Wir wollen Rio! Wir wollen Rio!“, die Mädels sind komplett von der Rolle und wischen all meine Bedenken vom Tisch. Es ist also beschlossene Sache, dass Rio unser Bandcoach sein soll. Oh Gott! Ich bin schon jetzt kurz davor wieder auszusteigen.
„Die sind doch richtig scheiße – alle beide!“, meckert Rio unzufrieden, als er die Treppe runter ins Wohnzimmer kommt. Er arbeitet an zwei neuen Liedern gleichzeitig und keins der beiden stellt ihn zufrieden. Ich bin gerade vom Bandtreffen nachhause gekommen. „Lass mal hören“, sage ich, während ich mir die Jacke ausziehe und meine von Gertrud gefertigte Band-Auftragsliste erst mal neben dem Telefon ablege. Ich höre mir beide Lieder an und finde sie sensationell. Nicht nur die Musik, sondern auch die Texte. Sowas würde ich auch gerne mit den Mädels machen. „Den Dreck haue ich in die Tonne“, scheint ihn meine Meinung gar nicht zu interessieren, „ich bin eh mehr der englische Typ.“ „Neeeeeeein“, schreie ich und haue ihm den Unterarm vom Tisch, bevor er den Lösch-button erreichen kann. Er ist mächtig erschrocken, bin ich doch sonst immer die ruhigere von uns beiden. Puh, gerade noch rechtzeitig. Ich erkläre mein ungestümes Verhalten damit, dass er nun unser Bandcoach sein soll und wir doch prima die Lieder übernehmen könnten, usw. „Wenn ihr so einen Dreck machen wollt, bitteschön.“ Na jetzt mal nicht frech werden, denke ich mir, freue mich aber, dass er die Finger von der Maus lässt. Ich gehe wieder runter, schnappe mir meine Liste und streiche Punkt 2 und 5 (Bandcoach? / Lieder?). So langsam kommt doch Schwung in die Sache. Rio hat unsere erste Probe auch schon angesetzt: In einer Woche geht’s los. Dann wöchentlich immer am Montagabend. Da können wir alle. Rio hat die Idee, es dann in der Musikschule zu machen, wo er arbeitet, weil es dort auch Instrumente und eine Gesangsanlage gibt, die wir nutzen können. Kosten sind auch für jeden überschaubar, daher wird das genauso eingetütet. Wie aufregend. Dann ist es soweit. Let the show begin.
„So Mädels, dann wollen wir mal“, Rio schließt die Tür zum Unterrichtsraum auf. Wir waren viel zu früh da und standen eine gefühlte Ewigkeit vor Raum 13.
Alle waren aufgeregt am Plappern bis ein kleines Mädchen mit ihrer Mama an uns vorbei die Treppe hochgehen wollte. „Guck mal Mama, die sind schon sooo alt und müssen noch in die Schule.“ Freches Ding, die Kleine. Find ich gut, so war ich auch. Aber tatsächlich fallen wir in der Musikschule auf, vor allem durch unsere Lautstärke und die gute Laune. Letzteres scheint hier unter argwöhnischer Beobachtung zu stehen, das merkt man direkt wenn man rein kommt. Hier ist die steife Klassik zuhause und alles andere höchstens mal zu Besuch. Komisch, dass die Rio noch nicht rausgeschmissen haben – der müsste mindestens doppelt so viel auffallen wie wir. „Habt ihr schon einen Namen?“, fragt Rio zu Beginn. Wir schütteln den Kopf. „PERSPEK-DIVEN“, gibt er ungefragt seine spontane Idee zum Besten. Ha! Jetzt wird er gleich sehen, wie es ist, gegen eine fünfköpfige Weiber-Wand zu laufen. Und dann kommt’s: Wir stimmen ab und außer mir ist niemand dagegen. Ich habe doch gewusst, dass das keine gute Idee ist, Rio in MEIN Hobby zu lassen. Band-Demokratie kann gehörig nach hinten losgehen. Ich streiche also auch Punkt 1 (Bandname?) von meiner Liste und los geht unsere erste Stunde. „Bis zum nächsten Mal überlegt ihr euch, was genau euer Ziel ist“, sagt der Rio-Lehrer am Ende der Stunde. „Oh toll, Hausaufgaben“, Gerda fühlt sich in junge Jahre zurückversetzt und hat offenbar vergessen, dass Streber früher auch schon was für weniger auf die Mütze gekriegt haben. „Nein“, erklärt der Rio-Lehrer, „eure Hausaufgabe ist natürlich, das zu üben, was ich heute gezeigt habe. Euer genaues Ziel will ich wissen, damit ich planen kann, bis wann ich euch wie fit kriegen muss.“ Ich habe gemerkt, dass ich einen Weg finden muss, meinen Freund Rio und den Lehrer Rio als zwei verschiedene Personen zu sehen. Sonst geht das hier nicht lange gut. Ich musste bereits heute mehrmals wirklich sehr schwer atmen, weil er mir auf den Zeiger ging. Das scheint aber nur meine persönliche Befindlichkeit zu sein, denn die anderen Mädels sind hellauf begeistert. Wir sind auf der Rückfahrt und haben im Auto heiße Diskussionen, wie unser Ziel aussehen soll. „Ich wäre gerne Vorband von Jan-Delay, wenn er im nächsten Jahr in die Stadthalle kommt“, sprudelt es aus der sonst eher stillen Gloria heraus. Huch! Das ist nicht nur ein sehr konkretes, sondern auch ein ziemlich hohes Ziel für den Anfang, wie ich finde. Mal gucken, was Rio dazu sagt, ich jedenfalls möchte ihm das nicht sagen.
Schließlich versucht er bereits sein ganzes Leben lang auf so eine große Bühne zu kommen und er kann sogar im Gegensatz zu uns auch was. Auf seine Reaktion bin ich gespannt und schlage daher vor: „Dann sag‘ das Rio doch nächsten Montag genauso und wir anderen machen uns auch nochmal Gedanken.“ „Das ist doch schon ein ganz tolles Ziel“, schlägt sich Gabby auf Glorias Seite und das finden die anderen beiden auch. Ich fasse also für den Moment zusammen: Wir heißen „PERSPEK-DIVEN“ und wollen in einem Jahr als Vorband von Jan Delay auftreten.
„Die beiden Lieder sind richtig gut. Meinst du wirklich, wir bekommen das auch so hin?“, überfallen Gerda wieder leichte Zweifel kurz, bevor sie aussteigen muss. „Auf jeden Fall! Wenn Rio das sagt, ist das auch so“, höre ich mich ohne zu zögern sagen und spüre eine tiefe Überzeugung. Mein Freund und Lehrer Rio macht das schon.
„Alles klar, auf geht’s“, ist alles was der Lehrer Rio sagt, als Gloria ihm eine Woche später unser aller Ziel verkündet. Was? Das ist alles, was er dazu sagt? Nee, doch nicht. Ich dachte schon. Er hat nur kurz Luft geholt „Wie viel Zeit bekommt ihr denn? Wir müssen ja wissen, wie viele Lieder wir in einem Jahr schaffen müssen.“ Große Ratlosigkeit in der Runde. Verständlich, haben wir doch noch nichts Genaues mit Jan Delay abgemacht. „Was ist denn so normal?“, will Gabby wissen. „Normal ist 88“, kennt sich unser Lehrer aus und bestimmt „Wir nehmen uns mal vier auf die Liste. Das macht mit ein bisschen Sabbelei bei den Ansagen locker 20 Minuten. Da kann man schon mit ins Rennen gehen.“ Also alles gar kein Problem! Bis auf den Punkt vielleicht, dass wir ein Ziel ausgesucht haben mit welchem wir noch nicht einmal in Kontakt stehen. Das sieht Gerda ähnlich „Wie kommen wir denn an Jan Delay überhaupt ran? Der steht wohl kaum im Telefonbuch.“ „Wer ist denn hier die Chefin?“, fragt Rio. Da zeigen plötzlich alle Finger auf mich. „Ja dann macht die das natürlich“, kürzt Rio die Diskussion ab und wir fangen mit dem Unterricht an. In diesem Moment hasse ich ihn aus tiefstem Herzen. Das wird ein Nachspiel haben. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“, frage ich sofort als ich nachhause komme. Rio liegt schon ganz gemütlich unter seiner Wolldecke auf dem Sofa und hat, so wie er mich anschaut, offenbar keine Ahnung woher der Wind jetzt plötzlich weht. „Wie soll ich denn einen Auftritt als Vorband bei Jan Delay bekommen?“, werde ich etwas genauer. „Das weiß ich doch nicht“, sagt er, „das ist schließlich euer Ziel, oder nicht?“ Sich so aus der Affäre ziehen zu wollen, kann ich nicht gelten lassen „Du bist aber doch unser Lehrer und von dem erwarte ich, dass wenn es möglicherweise Probleme mit einer gewünschten Zielvereinbarung gibt, du uns bremst damit wir uns über ein neues und erreichbares Gedanken machen können.“ Ich bin ehrlich schockiert, dass er uns so ins offene Messer laufen lassen will. Wahrscheinlich rutsche ich deswegen auch in den Büro-Jargon. „Aber ihr könnt doch eh nix und tut es trotzdem“, nimmt er jetzt Gertruds Band-Motto mit in die Diskussion, „Damit habt ihr euch doch alle Möglichkeiten der Welt geschaffen.“
„Rio, jetzt mal unter uns: meinst du nicht, dass du es dir ein bisschen einfach machst? Willst du, dass wir frustriert das Handtuch schmeißen?“ Ich kann es immer noch nicht fassen. „Wieso einfach machen, ich helfe euch doch. Das wird richtig harte Arbeit, wenn ihr da überhaupt eine Chance haben wollt!“ Ja genau, das isses doch! Ich resigniere. Er versteht mich einfach nicht. Ich weiß nur nicht warum. Will er nicht oder kann er nicht? „Hier“, er reicht mir einen Zettel, „das ist unser Schlachtplan, damit ihr in einem Jahr Vorband bei Jan Delay machen könnt.“ Ich überfliege das Gekritzelte und was soll ich sagen? Bis auf den Punkt Uschi: Kontakt Jan Delay herstellen, erscheint mir das fast machbar zu sein. Halt, doch nicht, es gibt eine zweite Seite! Da steht noch Gabby: Schlagzeug besorgen. „Wieso das?“, frage ich und tippe auf den Punkt, „Wir haben doch eins in der Musikschule.“ „Das ist doch logisch“, meint er, „wie soll sie sonst zuhause üben?“ Oh, noch einer, der schwierig werden könnte Alle: Probegigs und zwar so viele wie möglich. Je genauer ich hinschaue, desto mehr habe ich das Gefühl, ich werde gerade zum Kapitän eines Himmelfahrtskommandos gemacht. „Wie soll ich den Mädels das alles beibringen?“, ich wedele mit der Liste. Das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt. Und zwar schon im Ansatz. „Wieso? Können die denn nicht lesen?“, wie witzig er manchmal sein möchte, „und für Organisatorisches und Motivation ist nun mal die Band-Mutti zuständig.“ Da schwillt der Bandmutti jetzt glatt mal der Kamm: „Sag mal, wenn das alles so einfach ist, auf eine große Bühne zu kommen, wieso hast du dann selbst noch nie eine gesehen?“
Jetzt wo es raus ist, tut es mir auch schon leid. Das ist eine seit Jahren offene Wunde, in die ich da gerade noch extra Salz streue. „War nicht so gemeint“, will ich den letzten Satz zurücknehmen. „Nein, nein, das ist doch eine berechtigte Frage“, er denkt nach. Ich setze mich erst mal. Im Fernsehen läuft nebenher ein Polit-Talk und die Beteiligten liefern sich hitzige Diskussionen. Rio denkt immer noch. Er macht den Ton aus und denkt weiter. Ich verfolge die tonlosen Bilder und wundere mich, warum manch hochdotierte Politiker niemanden haben, der ihnen mal erzählt, dass es auch vorteilhafte Kleidung für den jeweiligen Typ zu kaufen gibt. „Weil ich keinen finde, der mit mir zusammen spielen will“, antwortet er nach reiflicher Überlegung und sieht plötzlich ganz traurig aus.
„Ach komm“, sage ich und nehme ihn in den Arm, „du hast bestimmt nur noch nicht in den richtigen Ecken gesucht.“ Am nächsten Morgen sieht die Welt nicht unbedingt besser aus. Ich frage mich die ganze Zeit, wie ich wohl an Jan Delay rankomme und ob ich mir den Satz von gestern Abend nicht doch irgendwie hätte verkneifen können. Rio läuft schon den ganzen Morgen mit hängenden Schultern und gesenktem Blick durch die Wohnung. So kenne ich ihn gar nicht. Es ist fast so als würde die Stimmung umgehend auf den Nullpunkt sinken sobald er mit seiner traurigen Aura einen Raum betritt. Ich hoffe bis zur nächsten Bandprobe am Montag ist der wieder auf Kurs.