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ОглавлениеJanosch hatte auch heute wieder das Haus von Ramona Zackig beobachtet. Er war fest entschlossen, noch einmal mit ihr zu reden und sie um Hilfe anzuflehen. Ihm war es egal, ob er womöglich beim Testen eines noch nicht zugelassenen Medikaments sterben würde, aber er wollte nichts unversucht lassen.
Gegen Mittag klingelte er und war sich sicher, dass die Frau zuhause war. Vergeblich wartete er auf das Summen des Tores. So blieb er auf der Straße stehen und kam sich wie ein dummer Junge vor. Immer wieder drückte er den Klingelknopf, aber nichts tat sich. Eine Viertelstunde später hörte er das Knattern eines Rollers und sah Ramona Zackigs Sohn in die Einfahrt einbiegen. Der Junge stoppte neben Janosch und nahm den Helm ab.
„Sie sind immer hier, nicht wahr?“
„Ja, ich wollte gerade …“
„Macht meine Mutter nicht auf? Dann ist sie sicher im Arbeitszimmer. Kommen Sie ruhig mit herein, ich sage Bescheid, dass Sie da sind.“
„Das ist nett“, erwiderte Janosch und ging mutig hinter dem Jungen her, der jetzt aufs Grundstück fuhr.
Drinnen wartete er und sah Janosch freundlich an.
„Ich bin Kevin, setzen Sie sich, ich suche meine Mutter.“
„Ich bin Janosch.“
Der Junge tippte sich an eine unsichtbare Mütze und verschwand. Janosch setzte sich auf einen Stuhl im Eingangsbereich und wartete. Er schaute sich um, war aber wenig fasziniert vom Wohlstand, den man selbst im Flur nicht übersehen konnte. Er war selbst nicht arm und hatte Geld genug, nur seine Chance es auszugeben verflüchtigte sich von Minute zu Minute. Mit jedem Atemzug, den er tat, kam er dem Tod ein Stück näher. Mit diesem Bewusstsein war er bereit, um eine Behandlung zu kämpfen.
Zehn Minuten waren vergangen, als er hörte, wie sich eine Tür öffnete. Einen Augenblick später stand Ramona mit einem abweisenden Blick vor ihm.
„Was wollen Sie schon wieder hier?“
„Bitte hören Sie mich an“, flehte Janosch, denn Ramona zeigte erbarmungslos in Richtung Ausgang.
„Ich habe Ihnen gesagt, wenn es etwas gibt, melde ich mich. Das, was Sie gerade tun, nennt man Belästigung. Mein Sohn hat Sie fälschlicherweise hereingelassen, aber das wird nicht noch einmal vorkommen. Bitte gehen Sie jetzt!“
Ihre Stimme war emotionslos, jedes Wort drang wie ein Eiszapfen in Janoschs Seele ein.
„Warum sind Sie so herzlos?“
„Herr Brickmann, ich bin nicht herzlos, aber was denken Sie sich denn? Sie dringen in mein Haus ein, meine Privatsphäre, und wundern sich, dass ich Sie wegschicke? Es gibt kein Medikament, was Ihnen helfen kann. Ich bin auch keine Ärztin im eigentlichen Sinne, sondern ich forsche an einer Krankheit, die furchtbar und gewaltig ist. Ich bin froh, wenn ich ab und zu mal ein winziges Schrittchen vorankomme. In Ihrem Falle ist es noch ein weiter Weg, denn Ihre Form des Krebses ist aggressiver als alles, was ich bisher gesehen habe. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte verlassen Sie mein Haus, sonst rufe ich die Polizei.“
Niedergeschlagen drehte Janosch sich um und ging durch die Tür nach draußen. Tränen rannen über seine Wangen. Er fühlte sich, als hätte die Frau ihm ins Gesicht geschlagen. Das Tor stand bereits offen und er wollte gehen, da kam die Limousine, die er schon einmal gesehen hatte, hereingefahren und er musste zur Seite springen. Janosch sah genau in die Augen des Fahrers, bei dem es sich um jenen Mann handelte, der in Erbach in dem flachen Gebäude verschwunden war.
Während Janosch das Grundstück verließ, hielt das Auto vor dem Haus und der Mann stieg aus. Er schaute dem ungebetenen Gast hinterher und stieg die Stufen zur Tür hinauf. Janosch schlich zu seinem eigenen Auto, das gegenüber parkte und fuhr heim, nachdem er sich die Tränen abgewischt hatte.
Ramona empfing ihren Besucher mit einem arroganten Grinsen.
„War er das?“, fragte der Mann im eleganten Anzug.
„Ja, das war er. Kevin dachte, er hätte einen Termin und hat ihn reingelassen. So langsam wird mir das zu blöd.“
Max Hähmann, ihr Mitarbeiter und Laborspezialist, nickte zustimmend.
„Wir können uns nicht leisten, dass uns ein unberechenbarer Typ wie der ins Handwerk pfuscht. Andererseits …“
Er sah Ramona gebannt an.
„Nein!“, wehrte sie ab. „Nein, auf keinen Fall. Der hat mit seinem Arzt über seinen Besuch bei mir gesprochen.“
„Und wenn er der passende Kandidat wäre?“
„Das Risiko ist zu groß. Ich mache mit den anderen weiter. Wie soll ich es meinem Kollegen erklären, wenn der Kerl einen Herzstillstand erleidet? Nein, es würde die ganze Forschungsarbeit zunichte machen. Die, die niemanden haben, das sind die richtigen Objekte.“
„Gut, du bist die Chefin. Hat Kevin etwas mitgekriegt?“
„Nein. Gott sei Dank. Er würde es nicht verstehen.“
„Ich habe die letzte Probe noch einmal modifiziert.“
„Und?“
„Die Reaktion der Enzyme ist nicht zufriedenstellend. Die Ratten der letzten Versuchsreihe sind auch tot. Was sollen wir tun?“
„Ich komme später zu dir, dann überprüfen wir noch einmal den Verlauf. Heute kannst du mir erstmal zuhören. Ich habe meinen Artikel für das Fachblatt fertig.“
Sie gingen in Ramonas Arbeitszimmer und schlossen die Tür. Kevin hatte auf der Treppe gesessen und schüttelte jetzt den Kopf. Er hatte seine Mutter und Max schon öfter belauscht, konnte das Gehörte jedoch nicht einordnen. Machten sie etwas Verbotenes? Illegale Tierversuche? Aber seine Mutter hatte ihm gesagt, sie forsche nach einem Mittel gegen Krebs! Das war doch etwas Positives, sie könnte Menschenleben retten, wenn sie Erfolg hatte.
Das, was er eben gehört hatte, ließ ihn verzweifelt zurück. Hatte seine Mutter von Menschen gesprochen, die starben? Von Menschen, die keine Angehörigen hatten und die sie als Objekte bezeichnete? Und wie abfällig sie über Janosch gesprochen hatte! Kevin wusste nicht, was er denken sollte. Ein beklemmendes Gefühl hatte sich in ihm ausgebreitet und er konnte kaum atmen. Das alles schien so ungeheuerlich, dass er beschloss, es auszublenden und zu vergessen.
Janosch war zuhause aus dem Auto gestiegen und hatte sich, ohne nachzudenken auf den Weg an den Rhein gemacht. Er lief langsam und sein Blick sah nicht die Schönheit des Flusses, er spürte nicht die Strahlen der Sonne, die einen Vorgeschmack auf den Frühling brachte, und er nahm die Menschen, die einen Bogen um ihn machten, nicht wahr. Irgendwann saß er auf einer Bank und starrte ins Leere. Mochten die Leute doch denken, dass er betrunken oder verrückt war, es machte ihm nichts aus. Seine Gedanken und Gefühle konzentrierten sich auf Ramona.
Er war erschüttert über ihren Umgang mit ihm, andererseits hatte er sogar Verständnis, denn er war sich schon bewusst, dass er sich das Gespräch erschlichen hatte. Aber er hatte ja nicht gelogen, sondern Kevins Annahme nur nicht korrigiert. Sein größtes Entsetzen hatte er gefühlt, als er in Ramonas eisige Augen geblickt hatte. Und ja, er war sich sicher, dass sie herzlos reagierte.
„Sie tötet mich“, flüsterte er.
Ja, so war es: Prof. Dr. Zackig wollte ihm nicht helfen, also würde er sterben und im Moment schien ihm das genau das Gleiche zu sein wie Mord. Das musste er verhindern. Aber wie?
Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich, die rasante Achterbahnfahrt wollte nicht enden. Plötzlich wusste er, was er tun musste. Damit würde er sie zwingen, ihm zu helfen.
„Ja!“, sagte er lauter und schlug in die Luft. „Ja!“
Die Idee, die ihn ausfüllte, war so logisch, so einfach.
„Dass ich da nicht gleich dran gedacht habe.“
Entschlossen und mit neuem Mut stand er auf und lief heim. Er holte die Unterlagen des alten leerstehenden Weingutes des alten Mannes heraus und begann sie zu studieren. Der Mann war der Stiefvater seiner Mutter gewesen und hatte ihr das Weingut nach seinem Tod vererbt. Sie hatte es Janosch überlassen, als sie spürte, dass sie krank wurde. Erst nach Mitternacht legte er sich zufrieden ins Bett. Morgen, dachte er, morgen würde er sich alles ansehen, es vorbereiten und dann seine Idee in die Tat umsetzen.