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Jasmin saß weinend vor der Remise und zitterte am ganzen Körper. Auf dem Tisch lagen ein weißer Umschlag und ein weißes schmales Blatt, eng beschrieben mit blauem Kugelschreiber. Es war niemand zuhause, nur Zorro hockte neben ihr und sah sie an. Er legte eine Pfote auf ihren Oberschenkel, als wolle er sie trösten.

Sie streichelte den Hund und sagte: „Du passt auf mich auf, ich weiß. Wo bleibt nur Undine? Sie wollte schon längst wieder hier sein.“

Zorro bellte kurz und legte sich auf Jasmins Füße. Undine war zu einem Töpferkurs in die Schule gefahren. Das war ein neues Projekt und sie hatte sich entschieden, wieder regelmäßig mit den Kindern zu arbeiten. Der Unterricht endete kurz vor vier Uhr, aber jetzt war es schon fast fünf.

Jasmin, die seit einigen Tagen beim Optiker arbeitete, war eben heimgekommen und hatte die Post durchgesehen. Ein weißer Umschlag mit ihrem Namen, auf dem keine Briefmarke klebte, hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Wer hatte ihr denn da eine nette Einladung in den Kasten geworfen?

Nachdem sie den Brief gelesen hatte, war sie weinend auf die Bank gesunken. Da wollte jemand Nastätten, ihre Heimatstadt, ins Verderben stürzen. Aber warum hatte ausgerechnet sie diese Nachricht bekommen? Sie sah noch einmal die Post durch. Nein, Undine hatte keinen solchen Brief erhalten.

Jasmin war hier aufgewachsen, aber ihre Mutter war bald sehr krank geworden. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Vor ein paar Jahren war ihre Mutter, die sie lange gepflegt hatte, an Krebs gestorben.

Jetzt öffnete sich die Tür und Undine kam mit Lene herein. Sie trugen eine Tüte mit frischen Brötchen vor sich her und waren guter Dinge.

„Entschuldige, meine Liebe, dass wir so spät sind, wir wollten pünktlich kommen, aber dann haben wir Karla getroffen und uns festgequatscht“, sagte Undine.

Lene setzte fort: „Ach, wenn du wüsstest, wie gut es Karla und Lina geht, nur Julius kann nicht so gut damit umgehen, dass er jetzt keinen Vater mehr hat. Sag mal, was ist denn mit dir los? Hast du geweint? Du zitterst ja!“

Undine legte die Brötchen auf den Tisch und setzte sich zu Jasmin. Lene nahm gegenüber Platz.

Undine fragte leise: „Hast du eine schlimme Nachricht erhalten? Ist jemand gestorben?“

Jasmin schüttelte den Kopf und schob das Blatt Papier über den Tisch. Undine las genau denselben Text vor, den auch Reiner und Jennifer heute Morgen gelesen hatten. Dann ließ sie das Papier sinken und die drei Frauen schwiegen betroffen. Lene öffnete die Brötchentüte, holte eines heraus und biss hinein. Sie aß immer, wenn sie verwirrt war.

„Und was jetzt?“, fragte Jasmin in die Stille.

Undine nahm den Poststapel und blätterte ihn durch.

„Für mich ist so ein Brief nicht gekommen.“

„Ich weiß, ich habe schon nachgeschaut. Lene, du musst heimgehen und nachsehen, ob du auch Post hast.“

Lene nickte und lief mit dem Brötchen in der Hand nach Hause. Fünfzehn Minuten später war sie wieder zurück und zitterte nun genauso wie Jasmin.

„Ich habe auch einen. Warum bekommen wir denn solche Post? Ist irgendwo ein Absender drauf? Erkennst du die Schrift? Will uns da jemand veräppeln oder in Angst versetzen?“

Undine schlug auf den Tisch und rief: „Polizei! Wir brauchen die Polizei. Ich rufe sofort Reiner an. Wir wollten sowieso telefonieren, nachdem uns Günther das Essen gestern Abend versaut hat.“

Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte Reiners Nummer.

„Hallo, hier ist Undine. Kannst du schnell herkommen? Jasmin und Lene haben einen schlimmen Brief erhalten und wir haben Angst.“

Am anderen Ende wurde gesprochen.

„Denkst du wirklich?“

Wieder wurde gesprochen.

„Na, wenn du meinst, dann werfen wir die Dinger in den Müll. Bis bald. Jasmin, Reiner sagt, wir sollen die Briefe wegwerfen und uns keinen Kopf machen.“

Jasmin schaute ihre Mitbewohnerin entgeistert an.

„Was? Ich kann den doch nicht wegwerfen und einfach zur Tagesordnung übergehen. Was ist, wenn das wahr ist, was dort steht? Oh mein Gott, wir können doch nicht durch die Stadt rennen und jeden Stein in jedem Haus ansehen!“

„Das stimmt“, erklärte Lene, die sich wieder im Griff hatte, „wir müssen planvoll vorgehen. Ich denke, es ist mal wieder Zeit für Detektivarbeit.“

Undine nickte. Im Gegensatz zu Reiner fühlte sie, dass sie den Brief ernstnehmen sollten. Sie mussten dem Kommissar mit Argumenten kommen, um ihn zu überzeugen. Vielleicht würde es auch Sinn machen, wenn sie zuerst mit Jennifer reden würden, denn dem Spürsinn der Frau traute sie mehr als Reiners rationalem Männerverstand.

Jasmin hatte die beiden entsetzt angesehen und rief jetzt: „Nicht schon wieder! Es geht um das Leben aller Nastätter, da könnt ihr nicht so tun, als wäre es ein Spiel. Und Lene … wie kannst du so ruhig bleiben? Hast du denn gar keine Angst? Was haben wir getan, dass wir so einen Brief bekommen?“

Lene antwortete gelassen: „Es nützt ja nichts, wenn wir uns verrückt machen. Auf deine Frage kann ich nur sagen: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Also denke ich, es ist Zufall, dass ausgerechnet wir so einen Brief bekommen haben.“

In diesem Moment betrat Herbert den Hof durch den Vordereingang, was Zorro zu lautem Gebell animierte. Er rannte dem Besucher entgegen und stoppte erst, als Undine ihn zurückrief.

„Herbert“, rief sie, „du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Oh, es ist furchtbar! Seht mal, das habe ich heute in der Post gefunden.“

Er legte den Brief, den er in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch. Lene und Jasmin schoben ihren dazu.

„Ihr auch?“

„Reiner hat gesagt, wir sollen den Brief wegwerfen“, erklärte Undine, „aber wir haben beschlossen, selbst nachzuforschen. Herbert, kremple deine Ärmel hoch und hilf uns.“

„Ich weiß nicht, wenn der Absender des Briefs dahinter kommt, wird es vielleicht gefährlich für uns.“

„Aber Herbert!“, riefen Undine und Lene gleichzeitig.

„Woher soll er das denn wissen?“, fragte Lene.

„Na, er weiß doch, wer wir sind, sonst hätte er uns nicht geschrieben.“

Nun mischte sich Jasmin wieder ein: „Herbert hat recht. Er kennt euch. Und wenn ihr ihm hinterher schnüffelt, sprengt er euch ganz sicher in die Luft.“

Undine schüttelte den Kopf, Herbert nickte und rutschte ein Stück zu Jasmin. Er griff nach einem Brötchen und knabberte daran. Seine Gedanken kreisten um die Bombe, die womöglich in seinem Haus war.

„Du musst dir ja keine Sorgen machen“, sagte er zu Undine, „mit deinem Fachwerkhaus.“

„Der Sockel ist gemauert.“

„Hast du mal geschaut, ob irgendwo etwas verändert ist?“

„Nein, noch nicht. Aber das wäre mir sicher schon längst aufgefallen.“

Lene stand auf und lief mit wachem Blick langsam an Undines Haus entlang. Sie verschwand für einen Moment durch das große Tor und kehrte kopfschüttelnd zurück.

„Da ist nichts.“

Herbert flüsterte: „Wissen wir denn, wann die Bombe versteckt wurde?“

„Nein“, erwiderte Undine, „aber ich lebe hier schon ewig, das hätte ich bemerkt. In meinem Haus ist nichts eingemauert. Schluss damit! Es gibt so viele neue Häuser in Nastätten, da ist es viel leichter, etwas in einem Stein zu verstecken.“

„Dann lass uns etwas essen und danach einen Spaziergang machen!“, forderte Lene die drei anderen auf.

„Ohne mich!“, lehnte Jasmin ab und auch Herbert schlich wieder heim.


Angst in Nastätten

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