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3. Jesus, der Teufel und das Geheimnis des Bösen
ОглавлениеDie jüdisch-hebräische Gedankenwelt und die apokalyptische Überlieferung waren von großem Einfluss auf die neutestamentlichen Vorstellungen vom Bösen. Und diese Vorstellungen wiederum sind so vielschichtig, dass es keine einheitliche biblische „Lehre vom Bösen“ gibt. Man kann die Frage, was die Evangelien sagen, also nicht in einem Satz beantworten.
Die Schriften des Neuen Testaments entstanden über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und spiegeln die Denkhintergründe und die Lebenskontexte der verschiedenen Verfasser wider – auch die Vorstellung vom Bösen betreffend. Während die vier Evangelien sich mit Leben und Sterben des Jesus von Nazaret auseinandersetzen, entwickeln die weiteren Schriften eine Theologie nach dem österlichen Ereignis, wie sie für die Verfasser in ihrer Lebens- und Glaubenssituation maßgeblich war.
Für das Böse gibt es im Neuen Testament zahlreiche Namen: Am häufigsten ist es der Satan (36-mal) oder der Teufel (34-mal), dazu begegnen Bezeichnungen wie „der Herrscher der Dämonen“, „der Versucher“ oder „der Fürst der Welt“. Bezeichnungen wie „Beelzebul“, „Beliar“ oder „Belial“ sind der heidnischen Götterwelt entlehnt. Später, im Volksglauben, kamen noch viele andere Namen hinzu, darunter zum Beispiel „Leibhaftiger“, „Höllenfürst“, „Gottseibeiuns“ oder „Gehörnter“.
Die ausgeprägteste Vorstellung der synoptischen Evangelien vom Teufel spiegelt sich in der Geschichte von der Versuchung Jesu wider (zum Beispiel Matthäusevangelium 4,1 – 11). Jesus hält sich nach dieser Erzählung vierzig Tage und Nächte fastend in der Wüste auf. Der Teufel sucht wiederholt Jesus zu provozieren, ihn zu „versuchen“, und er verbindet jede seiner Anfechtungen mit den Worten „Wenn du Gottes Sohn bist …“. Diese Szene erhält dadurch programmatische Bedeutung. Denn es geht darum, Jesus als wahren Sohn Gottes zu verkünden, er hat eine messianisch-göttliche Sendung, die zu erfüllen er gekommen ist. Es ist klar, wie die Versuchungsgeschichte ausgeht: Es misslingt dem Satan, Jesus, den Sohn Gottes, zu versuchen. Jesu unbedingtes Ja zu Gott, seinem Vater, und zum Willen Gottes wird in dieser Geschichte überdeutlich. Satan verkörpert das Gegenteil: das Nein.
Satan ist hier nicht als historisch-reale Macht oder Person zu sehen. Er steht vielmehr für eine zutiefst theologische Aussage über Jesus selbst. Die Evangelisten verorten die Versuchungsszene am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Es wird also schon am Anfang der Evangelien klargemacht: Hier ist einer, der nicht wie Adam der Sünde zuneigt, sondern der als zweiter und neuer Adam einen guten Ausgang in der Bewährung vorlebt.
Auf den ersten Blick befremdlich wirkt die Szene, in der Jesus zu Petrus sagt:
„Weg mit dir, Satan! Geh mir aus den Augen!“ (Markusevangelium 8,33).
Nun heißt das keinesfalls, dass Jesus in Petrus die Verkörperung Satans gesehen hätte. Das würde dem jüdischen Denken Jesu gänzlich widersprechen. Was Jesus meint, wird deutlicher, wenn er gleich im Anschluss fortfährt:
„Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Markusevangelium 8,33).
Hintergrund der Szene ist, dass Petrus massive Vorwürfe an Jesus richtet, als dieser von seinem bevorstehenden Leidensweg spricht. Petrus will ihn vor der nahenden Katastrophe bewahren, doch für Jesus heißt dies: Petrus will ihn von diesem Ja, von der Erfüllung des Willens Gottes abhalten. Es ist also ganz ähnlich wie bei der Versuchungsgeschichte: Es geht letztlich um den Versuch, Jesus zu einem Nein zu seinem ihm vorgezeichneten Weg zu bringen – das ist die satanische Versuchung Jesu, die er in dieser Aussage eindrücklich in Worte fasst. Und dieser Versuchung vermag der Sohn Gottes zu widerstehen.
Ein weiteres Mal erwähnen die synoptischen Evangelien den Satan in dem Gleichnis vom Sämann (Markusevangelium 4,13 – 20). Jesus erzählt hier, dass ein Sämann seine Körner sät. Allerdings fällt jedoch nur ein Teil der Körner auf guten Boden, der andere Teil landet auf dem Weg, wo er nicht aufgehen kann, oder er wird von Vögeln gefressen oder von Dornen überwuchert, sodass daraus nichts mehr wachsen kann. Die Körner bedeuten in der Bildsprache Jesu das Wort – er selbst deutet das Gleichnis folgendermaßen:
„Der Sämann sät das Wort. Auf den Weg fällt das Wort bei denen, die es zwar hören, aber sofort kommt der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät wurde“ (Markusevangelium 4,14 f.).
Satan ist also für den Misserfolg des gesäten Wortes Gottes verantwortlich. Jesus drückt damit die allgegenwärtige und so alltägliche Bedrohung seiner Sendung aus. Und diese Bedrohung führt der Autor des Evangeliums auf den Teufel zurück.
Doch hier wird ebenso wenig etwas über den Teufel selbst ausgesagt wie in einer anderen Begebenheit aus dem Leben Jesu: das Streitgespräch über die jesuanischen Dämonenaustreibungen, auch genannt Beelzebulstreit (Markusevangelium 3,22 – 30). Jesu Vollmachtstaten werden von seiner unmittelbaren Umgebung keinesfalls ungeteilt stürmisch begrüßt, im Gegenteil: Die Evangelisten drücken die Ambivalenz der Heilungen und Wundertaten immer wieder aus, indem sie die Gegner sprechen lassen; hier mit den Worten des Evangelisten Markus:
„Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ (Markusevangelium 3,22).
Die Gegner Jesu, in diesem Fall die Schriftgelehrten, schreiben also die Wundertaten Jesu der Macht Satans zu. Jesus treibt Dämonen aus, er ist selbst exorzistisch tätig. Dass diese Exorzismen nicht wörtliche Beschreibungen eines historischen Vorgehens sind, darin ist sich die heutige Forschung weitgehend einig. Diese Exorzismen drücken vielmehr das Selbstverständnis Jesu aus: Er heilt nicht einfach nur wie ein wundertätiger Arzt, sondern seine Heilungen und Befreiungen sind zugleich Auseinandersetzungen mit der Macht des Bösen. In den jesuanischen Dämonenaustreibungen lässt sich die nahegekommene Gottesherrschaft zeichenhaft wahrnehmen; sein Verständnis, Sohn Gottes zu sein, findet hier erneut eine überdeutliche Aussage.
An den gegnerischen Angriffen im Evangelium wird aber auch sichtbar, dass ein Wundererweis eben nicht einfach so für sich spricht, er muss auch recht verstanden werden. Jesus selbst gibt ein weiteres Mal das richtige Verständnis seines Heilshandelns:
„Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Form von Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben?“ (Markusevangelium 3,23).
Hauptaussage ist, dass überall da, wo die Macht des Bösen gebrochen wird, der Satan selbst keine Macht hat. Nicht das Böse kann das Böse besiegen, sondern nur das Gute. Es ist damit klar: Jesus steht nicht unter der Macht des Bösen; der Teufel bekämpft sich eben nicht selbst – andernfalls hätte sein Reich keinen Bestand. Das Böse hat keinen Heilssinn, in dem Sinne, dass es von Jesus benötigt wird, um Heil zu bewirken, sondern es existiert als Böses.9 Erneut sagt das Evangelium nichts über die Beschaffenheit des Teufels aus, sondern ordnet die Aussagen über das Böse in den Gesamtzusammenhang seiner Botschaft vom Sohn Gottes ein. Denn dass Jesus überhaupt Dämonen austreiben kann, erweist bereits den guten, d. h. göttlichen Ursprung seiner Vollmacht. Dem Ziel seiner Sendung entspricht auch das bekannte und vermutlich originale Jesus-Wort:
„Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lukasevangelium 10,18).
Dieser Aufruf Jesu folgt im Evangelium auf den Bericht seiner Jünger, dass selbst die Dämonen ihnen Folge leisten würden, wenn sie nur den Namen Jesu aussprechen würden. Erneut wird also deutlich, in welchem Zusammenhang das Wirken Jesu und seiner Anhänger zu sehen ist. Mit ihrer Verkündigung ist die Gewalt des Bösen in der Welt grundsätzlich gebrochen, der Sieg über das Böse findet hier seinen Ausdruck. Satan ist gerade nicht mehr in der alttestamentlich-jüdischen Rolle, den Menschen vor Gott zu verklagen und Gewalt sogar über den Gerechten zu erbitten. Der Teufel ist aus dem Himmel herausgefallen, er ist nicht mehr an dem Ort der Machtfülle. Vielmehr sind dort nun die Jünger mit ihren Namen eingezeichnet (Lukasevangelium 10,20), das heißt, sie sind durch die Jesusnachfolge dorthin aufgerückt, wo zuvor der Satan war: in den himmlischen Bereich, vor Gott. Hier findet sich übrigens die alttestamentliche Charakterisierung des Teufels als Ankläger, als Dienstbote Gottes wieder. Und genau diesen Ankläger sieht Jesus „wie einen Blitz“ vom Himmel fallen. Satan ist aus der Nähe Gottes verbannt. Jesus drückt damit auch aus: Wer ihm nachfolgt, kann als Glaubender eine ganz besondere Heilserfahrung machen, er wird erfahren, dass Gott eindeutig der liebende Vater ist, der die Menschen rettet. Der Evangelist Lukas kommentiert also das Heilswirken dergestalt: Im Glauben ist das Böse entmachtet, denn es ist nicht mehr in der Sphäre Gottes, sondern endgültig besiegt.
Über die Teufelsgestalt als solche ist damit erneut nichts gesagt. Das Böse ist und bleibt ein Geheimnis. Auch wenn das Wort vom Satanssturz über die Entmachtung des Bösen spricht, so bleibt doch die Bosheit dieses Geheimnisses unverändert. Der jesuanische Sieg über das Böse bringt das Böse damit nicht zum Verschwinden. Die Glaubensgewissheit, dass bei Gott das Böse keinen Platz hat, verharmlost nicht das bleibend erfahrbare Böse und sein Geheimnis. Der Teufel ist in diesem christlichen Verständnis ein Geschöpf Gottes, aber er ist nicht mehr sein Dienstnehmer. Das Geheimnis des Bösen bleibt weiterhin in aller Schärfe bestehen. Darauf wird vor allem dann einzugehen sein, wenn die Frage nach einer zeitgenössischen Rede vom Bösen behandelt wird.
Der Teufel kann vor diesem Hintergrund auch nicht einfach als weltbildbedingte Mythologie „erklärt“ oder als bloße literarische Funktion beschrieben werden. Dazu sind die biblischen Vorstellungen zu prägend. Hinzu kommt, dass in der Theologie des vierten Evangeliums, des Johannesevangeliums, die Teufelsvorstellung einen stärkeren dualistischen Zug trägt und so den Befund noch vielschichtiger werden lässt. Hier erscheint der Teufel als „Fürst der Welt“ (Johannesevangelium 12,31), der seine Macht in der Welt durchgehend entfaltet. Doch auch wenn der Teufelsfigur eine größere Eigenständigkeit zugesprochen wird, ist immer klar, dass seine Macht, die er gegen Jesus und dessen Sendung richtet, durch ihn, den Sohn Gottes, bereits gebrochen ist. Aller nachfolgende Glaube der Christinnen und Christen ist sich gewiss: Die irdische Geschichte erscheint von Christus her als die Endzeit, in der die entscheidende Offenbarung stattgefunden hat. Das Böse hat keinen Platz bei Gott.