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2. Die Apokalyptik der Zeitenwende

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Im Laufe der Zeit bekam Satan und mit ihm das Böse einen immer größeren Raum und immer mehr Eigenständigkeit zugestanden, sodass er irgendwann zum Inbegriff des Bösen wurde. Spätestens zur Zeit des Neuen Testaments sah die Überlieferung Satan als Prinzip des Bösen, als Verführer zum Bösen. Doch wie kam es dazu? Hierzu bedarf es eines Einblicks in jüdische apokalyptische Traditionen der Zeitenwende.

Seit Palästina in das Reich Alexanders d. Gr. eingegliedert worden war (331 v. Chr.), sah man sich direkt mit der hellenistischen Weltanschauung konfrontiert, mit griechischer Sprache, mit griechischer Religion, mit griechischer Kunst usw. Zunächst führte man die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur mit geistigen Waffen, doch unter dem Seleukidenkönig Antiochos IV. Epiphanes (175 – 164 v. Chr.) kam es zu einer blutigen Religionsverfolgung. Nicht wenige Juden fielen vom Glauben ab und unterwarfen sich dem Befehl des Epiphanes. Gegen diese Verfallserscheinungen des jüdischen Glaubens formierte sich eine Bewegung, die sich „Gemeinde der Frommen“ (hebräisch Chassidim) nannte (1 Makkabäer 2,42). Die Treue zum mosaischen Gesetz war der einzige wirklich wichtige Gesichtspunkt der neuen Bewegung. Man teilte die Welt auf in „Gerechte“ und „Frevler“, in Gesetzestreue und Gesetzesverächter. Und im Laufe der Zeit steigerte sich diese Polarisierung.

In die zeitgenössische Theologie kam so ein stark dualistischer Zug, der sich vor allem in neuartigen Vorstellungen vom Jenseits ausprägte. Spekulationen über Gottes Eingreifen und die göttliche Wende der Not griffen um sich. Es war die Zeit der Apokalypsen. Zahlreiche konkrete Daten waren im Umlauf, wann die irdische Welt zerfallen würde und die Gerechten ihren verdienten Lohn, die Bösen aber ihre gerechte Strafe erhalten würden.

In diesen politisch unruhigen Zeiten, während des sogenannten Makkabäeraufstands (um 163 v. Chr.), wurde das Buch Daniel, der jüngste Text der hebräischen Bibel, geschrieben. Auch hier wird eine Apokalypse verkündet – und die wiederum ist nicht denkbar ohne Mächte der Finsternis, die in einem Endkampf von den Mächten des Lichts niedergerungen werden.

Die Mächte der Finsternis waren in der apokalyptischen Vorstellung dieser wirren und aufrührerischen Zeiten, auch beeinflusst durch zahlreiche Sekten, in größere Unabhängigkeit von Gott getreten. Der böse Engel, der Satan, der zerstörerische Geist wurde von Gottes Untergebenem zu einem Widersacher des Guten, zum Gegenspieler Gottes.7

In einem der nichtbiblischen Bücher, dem Jubiläenbuch, das dennoch großen Einfluss auf die jüdischen und auch frühchristlichen Denkrichtungen hatte, taucht Mastema auf: ein böser Geist, der praktisch von Gott unabhängig ist. Er führt in Versuchung, er klagt an, er zerstört und bestraft die Menschen, kurz: Er übernimmt all die bösen Merkmale, die einmal Gott zugeschrieben wurden. Das Böse wurde also von Gott getrennt, indem man es einer Figur zugeschrieben hat, doch ist bei all dem unbestritten, dass diese Figur von Gott geschaffen wurde. Die apokalyptische Literatur der Zeitenwende ist sich darin einig, dass Gott das Böse gewähren lässt, es aber nach dem Endkampf zerstören würde. Am Ende würde der Messias kommen, über die Bösen ein letztes Gericht abhalten und sie endgültig vernichten.

Gott wird bei dieser Vorstellung erst einmal von der Verantwortung für das Böse entlastet. Er hat zwar den bösen Engel geschaffen, doch dieser ist aus einer freien Entscheidung heraus böse geworden. Allerdings ist bei einem solchen Denken Gott noch immer dafür verantwortlich, überhaupt einen Kosmos geschaffen zu haben, in dem eine böse Macht wirken darf. Nicht wenige apokalyptische Gruppen hatten damit ein Problem. Sie vergrößerten deshalb die Distanz zwischen Gott und dem Bösen, sodass das Böse nicht selten zu einem eigenständigen Prinzip wurde. Das Problem dabei ist, dass dieses dualistische Denken eigentlich der monotheistischen jüdischen Tradition widerspricht. Gottes Allmacht darf nicht von einem anderen – womöglich ähnlich mächtigen – Prinzip begrenzt werden.

Die Essener von Qumran, eine der apokalyptisch geprägten jüdischen Gruppen der Zeitenwende, versuchten, den jüdischen Monotheismus mit der dualistischen Lösung des Problems des Bösen zu vereinen. Ihre Gedankenwelt wurde vor allem dadurch einer größeren Öffentlichkeit bekannt, weil im Jahr 1947 zahlreiche Schriftrollen in Qumran am Toten Meer entdeckt wurden. Der Fürst der Finsternis und seine Anhänger kämpften gegen den Fürsten des Lichts und seine Anhänger; in letzter Konsequenz aber sei der Fürst der Finsternis dem Gott Israels untertan. Dieser apokalyptische Kontext erst machte also aus dem Satan des Buches Ijob eine ganz andere Figur mit weit größeren Machtbefugnissen.

Im apokalyptischen Judentum (wie zum Beispiel auch im iranischen Mazdaismus) ist der Kosmos zweigeteilt: Es gibt Mächte der Finsternis und Mächte des Lichts. Beide Mächte führen gegeneinander einen tödlichen Kampf. Dieser Kampf, so glaubte man, sei in seine Endphase eingetreten. Man lebte in gespannter Naherwartung der apokalyptischen Entscheidungsschlacht und der Trennung von Gut und Böse im Letzten Gericht.

Jeffrey Burton Russell schreibt zur Frage des Bösen, wie sie zur Zeitenwende vertreten wurde und wie sie auch Jesus kennenlernte, Folgendes:

„Die Juden … fühlten sich versucht, das Böse als dunklen Fürsten, als Gottes Widersacher zu personifizieren. Als Monotheisten lehnten sie es jedoch gleichzeitig ab, die beiden voneinander zu trennen, und hielten vielmehr daran fest, dass nur ein einziges Prinzip existieren könne, ein Gott allein. Die hebräische Position ist zweideutig, weder reiner Dualismus noch reiner Monismus. Diese Doppeldeutigkeit ist alles andere als ein Mangel, sie erweist sich vielmehr als große Tugend: Sie … lässt keine Umgehung der Frage des Bösen zu. Gott ist gut, das Böse existiert. Es gibt keine einfache Lösung des Dilemmas.“8

Das apokalyptische Gedankengut des Judentums der Zeitenwende setzte sich in Teilen des Neuen Testaments fort, vor allem in der Johannes-Offenbarung. Markiert man mit dem Buch Daniel den Beginn der jüdisch-apokalyptischen Bewegung, so stellt die Offenbarung des Johannes den anderen Pol dieser Tradition dar – dazwischen liegt eine lebendige und beinahe ununterbrochene apokalyptische Überlieferung. Die Offenbarung des Johannes ist klar von dem österlichen Christus-Ereignis geprägt, ihre mythologischen Bilder sind Vorlage für zahllose Abbildungen in der christlichen Kunst – und in ihrer Deutung schwierig und umstritten. Im 12. Kapitel wird geschildert, wie eine sternenbekränzte Frau hochschwanger im Himmel steht, den Mond zu ihren Füßen, und im Begriff ist, ein Kind zu gebären, wie sich aber auch schon der feuerrote Drache, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, vor ihr aufrichtet und das Kind verschlingen will. Das Kind wird sofort in den Himmel entrückt und so dem Drachen entzogen. Doch auch dort ist es vor dem Drachen nicht sicher, bis „Michael und seine Engel“ den „Drachen und seine Engel“ besiegen und aus dem Himmel werfen:

„Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen“ (Offenbarung 12,9).

Doch der Drache gibt nicht auf, er setzt sein todbringendes Treiben auf der Erde fort – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Nachkommen der Frau.

Die geballte Häufung von Namen für die widergöttliche Macht zeigt neben seiner Gefährlichkeit und Stärke insbesondere, dass diese Macht nicht mit einem Namen zu fassen ist: So vielgestaltig ist das Böse, dass es viele Bezeichnungen braucht, um es auch nur ansatzweise erfassen zu können. Satan ist der Verführer der Welt (Offenbarung 20,10), der mit ganz unterschiedlichen Strategien vor allem ein Ziel verfolgt, nämlich zum Kampf gegen Gott zu mobilisieren.

Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu einer Konzeption, die in Satan das widergöttliche Prinzip schlechthin verkörpert sieht. Ein solches dualistisches Denken setzt die Machtsphäre Satans allzu bald mit der Welt überhaupt in eins. Diese in den späten Schriften des Neuen Testaments niedergeschriebene Vorstellung, die die spätere Lehre vom Teufel wie keine andere beeinflusst hat, ist zwar von apokalyptischen Denkweisen geprägt, jedoch eindeutig in eine christliche, nachösterliche Vorstellungswelt einzureihen. Denn auch wenn Satan schließlich als der „Antichrist“, der Repräsentant des Bösen schlechthin erscheint, der alles Weltliche beherrscht, ist man sich trotzdem sicher: Selbst wenn der Satan mit noch so viel Gewalt zum Kampf gegen Christus aufruft, gewinnen kann er diesen letzten Kampf nicht: Sieger ist Christus.

Nach diesem Blick in die Apokalypse des Neuen Testaments stehen nun unausweichliche Fragen im Raum: Wie steht Jesus selbst zu der Macht des Bösen? Was sagen die Evangelien?

Der Teufel

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