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Denk mal! –anders: Über Proteste und Denkmäler

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Nach einem Polizeimord in Amerika steht die halbe Welt auf gegen Rassismus. Im Schlaglicht der George-Floyd-Proteste versenkten Demonstranten in Bristol die Sklavenhändler-Statue Edward Colstons (1636 -1721). Als Teilhaber und Manager der Royal Africa Company hatte der abertausende Männer, Frauen und Kinder verschleppt, gebrandmarkt, in den Tod geschickt. Als vermeintlich tugendhaftem Politiker und Sohn der Stadt hatte man ihm Jahre nach seinem Tod ein Denkmal gesetzt (1895). Jetzt haben Demonstranten ihn vom Sockel geholt (2020). Endlich! Mutig, aber recht so, gut gemacht! - das waren meine ersten Gedanken. Wie konnte er überhaupt so lange weitgehend unbehelligt da stehen und als Held und Wohltäter erinnert werden? Er blieb dann nicht der einzige, der jetzt gefallen ist. Auch Kolumbus und etliche Generäle des amerikanischen Sezessionskriegs, den es ohne das Problem der Sklaverei nie gegeben hätte, waren Zielscheibe der Demonstranten und wurden vom Sockel gerissen und versenkt. Andere, wie etwa Churchill wurden als Mörder ‚markiert‘ oder vorsorglich entfernt, wie der Pfadfinder-Gründer Baden Powell.

Ebenso erging es Königen von Belgien. Balduin, der bis 1993 regierte und in einer Fernsehumfrage (RTBF) schon einmal als „Belg der Belgen“, als einer der größten Belgier aller Zeiten gewählt wurde, wurde im Zuge der Proteste mit roter Farbe im Gesicht markiert, die an eine große Blutlache erinnert und von seinem Körper über den gesamten Platz verläuft. Vandalismus, ist nicht das richtige Wort dafür. Schließlich ist es keinesfalls eine Zerstörung, die blindwütig ist, sondern sehr gezielt, geschichtsbewusst und symbolträchtig. Es ist für alle viel mehr: Profanierung, also Entwürdigung eines quasi-sakralen Symbols mag das für die einen, die Konservativen sein; längst überfällige Mahnung und Richtigstellung für die anderen, die Protestierenden. Schließlich war König Balduin in die Ermordung des ersten kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba (1961) verwickelt. Es hatte zumindest von den Mordplänen gewusst, sie wahrscheinlich sogar in Auftrag gegeben und die Lumumba feindlich gesinnten Kräfte finanziell, logistisch und militärisch unterstützt. Seine ganz unmittelbare Schuld an der Ermordung hatte nicht zuletzt 2002 eine Fachkommission des belgischen Parlaments bestätigt.

Bei der Statue König Leopold II, nahe des königlichen Palastes in Brüssel waren es die Hände, die von Demonstrierenden rot gefärbt wurden. Leopold II (1835 – 1909), der „Baukönig“, wie Belgier ihn ob seiner vielen Bauprojekte bisweilen auch anerkennend nannten, ist die zentrale Gestalt des belgischen Kolonialismus, an dessen Hände tatsächlich besonders viel Blut klebt. Im Belgisch-Kongo, dem einstigen Privatbesitz des „Baukönigs“, wurden Millionen Menschen die Hände abgehackt, versklavt und ermordet: ein Verbrechen apokalyptischen Ausmaßes, so Historiker. Viele seiner Statuen wurden im Zuge der Proteste vorsorglich entfernt. Es soll Anklage erhoben werden und die Statuen sollen restauriert werden. Was danach mit ihnen passieren soll, ist derzeit noch unklar. Ob es eine offizielle Entschuldigung für die Verbrechen geben wird, wie Protestierende mit der Aufschrift „Pardon“ auf der Brust einiger Leopold-Statuen forderten, bleibt abzuwarten. Prinz Laurent von Belgien, der jüngere Bruder des heutigen Königs Philippe, der sich dazu als erster zu Wort gemeldet hatte, zeigte jedenfalls kein Verständnis für die Kritik an seinem Vorfahren: König Leopold II. sei schließlich nie in den Kongo gereist. Die Menschen dort hätten also nicht unter ihm leiden können, sagte er der Zeitung. (1) Warum fällt es offensichtlich so schwer, sich von einem postkolonialen, rassistischen Menschenbild zu lösen, Schuld anzuerkennen und um Entschuldigung zu bitten?

Was tun mit all den fragwürdigen Denkmälern in unseren Städten? Schnell weg damit? Das würde auch bedeuten, dass wir damit die rassistischen Verhältnisse unserer Vergangenheit kurzerhand auch unsichtbar machten. So blieben sie in der Öffentlichkeit ein für alle Mal unbenannt und unbekannt; sie würden „ent_Erwähnt“, wie das die deutsch-dominikanische Aktivistin und Autorin Alanna Lockward (2) einmal treffend in Sprache fasste. Genauso „ent_Erwähnt“ wie die Ressourcen, das viele Geld, das der belgische „Baukönig“ und alle anderen Kolonisatoren, in ihre Herkunftsländer verschifften, wo sie bis heute in aller Öffentlichkeit zur allgemeinen Bewunderung besichtigt werden können. Wir hätten da also so einiges abzuräumen, so viel, dass wir es gar nicht schaffen könnten. Unsere moderne Gesellschaft fußt leider auch auf vielen moralischen, wirtschaftlichen und politischen Skandalen von Rassismus und Kolonialisierung, bei denen Folge und Ursache sich jeweils gegenseitig bedingen: Wir sind reich, weil weiß, wir sind weiß, weil reich, klagte bereits in den 1960ern Frantz Fanon aus Martinique prominent an. Nicht nur damals, nicht nur im Amerika von heute ist dem nach wie vor oft so. Im meist Subtilen, aber doch sehr Wesentlichen wirkt Rassismus auch heute noch und auch bei uns so. Das macht die Rassismusdebatte im Kern zu einer Gerechtigkeitsdebatte, der wir uns als demokratische Gesellschaft immer wieder zu stellen haben und der wir uns gerade in Deutschland lange verweigert haben.

Was könnte sich daraus für die Statuen und Denkmäler in unseren Städten ergeben? Ich meine, wir sollten sie nicht schnell einfach vom Sockel stürzen. Wir sollten sie eher ‚brechen‘ und zum Denk-mal! machen, indem wir sie in ihr ‚rechtes‘ Licht rücken und Formen finden, ihre rassistischen, grausamen, menschenverachtenden Untaten klar und augenfällig zu zeigen. Die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche mit ihrem in Ruinen belassenen alten Turm und ihrem neuen Turm könnte uns da inspirieren. Der aus der Elfenbeinküste stammende Adiaffi sagte dazu einmal in einem Interview, das habe ihn „wirklich umgehauen“. Mit Blick auf den schwierigen Neuanfang kolonialisierter Länder, meinte er, so sei Metamorphose, wie er sie sich vorstelle: eine Art Neukonstruktion auf Basis der Ruinen. Auch wir müssen, wohl oder übel, auf diesen Wurzeln, unsere neue, rassismuskritische Gesellschaft (weiter)bauen. Dazu dürfen auch wir nicht die Ruinen als solche nehmen wollen, denn die sind auch bei uns offensichtlich zu nichts mehr zu gebrauchen. Aber man dürfe sie auch nicht abweisen, so Adiaffi.(3) Neue Formen seien auf dieser Basis erforderlich. Das mag auch hierzulande und auch im Fall der Denkmäler wichtig sein.

Die Statue des Sklavenhändlers wurde derweil auch wieder aus dem Fluss gefischt und soll künftig neben einem Black-Lives-Matter-Schild stehen. Ein starkes Symbol ist das, das einen als neues Denk mal! auch „wirklich umhauen“ könnte. Leider jedoch wird es wohl nur im Museum mahnen können. Wer wird das da überhaupt wahrnehmen? Und wie oft? Rassismus findet im Hier und Jetzt unseres Alltags statt. Wünschenswert wäre es da, daraus ein in der Öffentlichkeit präsenteres Denk mal! zu machen und eine Form zu finden, die ähnlich wie bei den Stolpersteinen, an Ort und Stelle vor geschönten Darstellungen und Umdeutungen von Personen auf den Sockeln unserer Städte mahnen würde. Blutrote Hände für alle Leopold-Statuen wären auch so ein starkes Symbol, das Bekenntnis und Erinnerung mit beinhaltet und nicht entsorgt. Das sollte aber als legale Aktion und mit öffentlicher Diskussion geschehen. Petitionen, die eine Entfernung der Statuen fordern, könnten in diese Richtung überdacht oder neu angestoßen werden.


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