Читать книгу Für mich gab's nur Jérôme - Katharina von Württemberg und Jérôme Bonaparte - Utta Keppler - Страница 5

Friedrich von Württemberg

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Im Stuttgarter Schloß, dessen Bau noch Herzog Carl Eugen begonnen hatte, residierte seit dem Dezember 1797 Herzog Friedrich von Württemberg, ein Sohn des Herzogs Friedrich Eugen, der nur ein knappes Jahr lang regiert hatte oder, wie ein französischer Agent schrieb, durch seine Gemahlin, die Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, regiert worden war.

Friedrich stapfte auf und ab; das Parkett spiegelte in bräunlichem Blond, die Kristallüster klirrten bei jedem Schritt, den der riesenhafte Herr tat, auf und ab, auf und ab, während die Kerzen über ihm zitterten, die Dielen knirschten und der breite schwere Sessel, der ihn aufnehmen sollte, hie und da mit einem starken Stoß weggerückt wurde.

Friedrichs graugepudertes Haar, in einer Art flüchtiger Zopffrisur zusammengehalten, klebte im Nacken. Er schnaufte heftig und schwenkte die starken Arme, als wolle er etwas greifen oder zerdrücken, dann ließ er sie an sich herunterfallen wie Gewichte.

Er war allein im Raum, die Diener standen vor der Tür und hofften, der Herr möge bald schlafen gehen.

»So ist das, seit er krank ist«, flüsterte einer, ein Älterer, dem neu eingestellten Lakaien zu. »Weißt schon, der Graf Zeppelin«.

»Ja, hab’s gehört.«

Graf Zeppelin, der Minister, Berater, einzige Freund des verbitterten Herzogs, war schwerkrank. Friedrich hatte ihn täglich gesehen, befragt, sogar mit ihm geplaudert, ein Wort, das sonst in seinem streng geordneten Sprachschatz fehlte. Jetzt hetzte er die Ärzte, zornig und verzweifelt, nach Hilfe für den Kranken herum.

Die Leute vor der Tür guckten sich verschüchert an. »Da sei was nicht ganz hasenrein … heißt es.«

»Um Gottes willen«, warnte der Grauhaarige, »sag das nicht!«

Es gab freilich nichts, was die schwäbischen Pietisten hätte empören können, nur eine Art Sohnesfreundschaft und ehrfürchtige, manchmal nachsichtig-zärtliche Rücksicht auf den dunklen Koloß und seine vulkanische Natur; und vom Herzog her vielleicht den heftigen, gewalttätigen, fordernden Anspruch auf unbedingte Zuverlässigkeit.

Er hatte gelacht und gelächelt, wenn Zeppelin hereingetreten war, und jetzt stieß und würgte den Alleinherrscher das Gefühl der Machtlosigkeit einer rätselhaften Krankheit gegenüber.

»Vorgestern«, flüsterte der jüngere Kammerdiener, »war er eingeschlafen, mit dem Kopf auf dem Tisch. Er hat nicht geläutet, aber weil ich ihn schnarchen hörte – ich hatte das erstemal Dienst –, kriegte ich Angst, es könnte ihm etwas fehlen, er schnarchte so laut … da bin ich doch hinein, ganz leis, und sah ihn sitzen und ließ ihn.«

Friedrich klingelte. Zwei Diener kamen unter Bücklingen herein.

»Wecken, morgen früh, wie immer!« Der massige Kopf ruckte auf den Schultern, als rühre sich ein Steinblock auf dem Sockel. »Und morgen um zehn Uhr soll der Dannecker antreten, der Sculpteur, verstanden?«

Als Dannecker sich meldete, ein kräftiger Mann mit einem schwäbischen großen Mund und halblangem hellbraunem Haar, ließ ihn Friedrich sofort hereinrufen, unterbrach die Besprechung mit dem russischen Geschäftsträger und winkte: »Prenez place, Dannecker! Ich brauche einen Entwurf, eine Skizze, nach Ihren Notizen – das Modell steht im Moment nicht zur Verfügung.«

Dannecker zog vorsichtig einen Stuhl heran, verbeugte sich noch einmal und setzte sich. »Zu Diensten, Durchlaucht.«

»Ich will von Ihnen ein Porträt des Grafen Zeppelin. Er ist krank, die Ignoranten von Medizinern wissen wieder einmal nicht weiter. Ich will, daß Sie das so vorbereiten, daß Sie ihn nach seiner Genesung – Gott füg’s! – nicht mehr lange zu quälen brauchen, er hat ja auch immer wenig Zeit, wenn er gesund ist … Lassen Sie sich das Gemälde des Schick ins Atelier bringen, ich erwarte etwas wie das Wesen des Grafen, und es soll ihn freuen, wenn er’s sieht.« Friedrich riß an seiner Hemdspitze herum. »Können Sie das?«

Dannecker sagte bescheiden, der Herzog kenne ja seine Arbeit an der Schillerbüste, die er schon 1796 begonnen habe, den Gipsguß, den er gern, so der Herr es wünsche, noch einmal aus der Werkstatt herschaffen lasse.

»Der Schiller ist anders«, knurrte Friedrich, »der ist knochiger, männlich und heldenhaft, ein Volksheros. Diesen da will ich für mich, einen hellstirnigen Menschen, ein geistiges Bild.«

Dannecker sah erstaunt auf. Der Gigant da vor ihm hatte die kleinen Augen fast ganz geschlossen, um den Mund zogen sich die Schrammen bis zum Kinn hinunter, keine Falten mehr, tiefe Risse, trotz des unschönen Fetts, das die Wangen blähte und den Hals fast verschwinden ließ.

»Schau Er mich nicht so abschätzig an!« schrie Friedrich und brauchte absichtlich das altmodische »Er«.

Dannecker entschuldigte sich, er sei Künstler und sehe jedes Gesicht als Vorwurf für eine Plastik. Das sei ehrfürchtig gemeint, sagte er noch.

Friedrich schwieg darauf und stemmte sich aus dem Stuhl in die Höhe.

»Lassen Sie das Gemälde ins Atelier tragen! Ich weise das an.« Friedrich schellte, während der Meister sich unter Bücklingen zur Tür tastete. Draußen wurde ihm versichert, das Werk werde pünktlich in seinem Hause sein. Dannecker ging.

»Hofbildhauer …«, murmelte er ärgerlich, »Hofknecht!« Im Weitergehen wurde er gelassener. Aber doch, dachte er, der alte Carl Eugen hat’s ganz gut gemacht, daß er mich meinem Vater abgeluchst hat … Sonst wäre ich dem sein Roßbub geblieben, und wie hätt’ ich je zum Le Jeune kommen sollen ohne ihn? Gerecht muß man schon sein, auch gegen die Fürsten, sogar wenn’s arg menschliche Menschen sind! Und der da drin ist scheint’s bös geplagt worden in Rußland, und Genaues weiß keiner von uns. Da denkt er halt nicht viel Gutes von den Leuten, und seine englische Mathilde gilt ihm auch wenig. Der Zeppelin ist der einzige, dem er traut – und jetzt will er ihn festhalten im Stein, wo er bald Kurfürst wird, und ihn selber soll ich auch machen.

Man klatschte viel am Stuttgarter Hof über die englische Heirat, es war klar, daß dies eine rein politische Angelegenheit war. Aber für die Princess Royal, Charlotte Augusta Mathilde, war die Heirat doch wohl mit ein paar fraulichen Hoffnungen verknüpft gewesen. Seiner Tochter Katharina hatte Friedrich geschrieben:

»Mein liebes Kind! Seit dem achtzehnten Juli hast Du eine neue Mutter, die das Glück Deines Vaters bedeutet und bedeuten wird, und die Du infolgedessen lieben und achten wirst, davon bin ich überzeugt …«

Als das junge Mädchen den Umschlag öffnete, weinte es, schon bei den ersten Sätzen. Was der Vater tat, war immer unberechenbar und eigentlich zum Fürchten. Und er erklärte nichts, er verfügte bloß. Er hatte sie mit den beiden Brüdern aus Rußland nach Württemberg gebracht, das sie kaum kannte, nur aus Berichten und von Bildern her, und sie wußte nicht, was aus ihrer Mutter, der Braunschweigerin, geworden war. Man sagte ihr, sie sei tot, aber die russische Kinderfrau hatte ihr erzählt, die Prinzessin-Mutter sei mit einem kleinen Engel im Arm weit fortgeflogen.

»Und das war mein Schwesterchen oder mein Bruder?« fragte Katharina einmal, aber niemand gab Antwort darauf. Daß der Vater seit damals anders geworden war, noch verschlossener, selbstherrlicher, härter, spürte sie bald. Sie gewöhnte sich daran, ihn zu meiden, und merkte doch, daß er für sie offener und zugänglicher war als für die Brüder. Er erzählte sogar manchmal von Rußland, von seinem Gouvernement in Cherson, zu dem ihn die große Katharina, ihre Patin, berufen hatte. Mit ihr hatte er manchmal deutsch gesprochen, sie war eine deutsche Prinzessin aus Anhalt-Zerbst, vom großen Friedrich, dem Preußen, für den russischen Paul ausgesucht … Von Cherson, an das sie eine unklare und meist verdrängte Erinnerung hatte, war die Kleine nach Mömpelgard gebracht worden; sie dachte oft an die Zeit in dem großen Stadtschloß und an das weiter draußen gelegene Staint Étupe, an den Weg neben dem Flußufer, unter hängenden Buchenzweigen, zwischen denen immer wieder Stadt und Schloß sichtbar wurden, an die vielen Kanäle, die alles Gemauerte einschlossen.

Man hatte ihr gesagt, Mömpelgard gehöre seit dreihundert Jahren zu Württemberg, von jener Henriette als Heiratsgut eingebracht, die den Friedrich von Zollern in der Schlacht besiegt hatte, den Ahnen des Preußenkönigs. Inzwischen war das Gebiet oft von Truppen durchzogen, geplündert und verwüstet worden. Sie kannte nur das alte Bild aus der Kinderzeit, ihr hafteten kleine Blitzlichter, helle Funken ohne Zusammenhang, ein rosenumwachsener Balkon, ein schmaler Dachfirst, im Gedächtnis.

Katharina war mit achtzehn Jahren noch immer ein halbes Kind, wie es die blonden, hellhäutigen Typen oft sind; und sie war in ihrem Umkreis gefangen, in ihrer Kaste, ihrer Tradition, wie unter einer Glasglocke, die ihr keinen Ausgriff in die »gewöhnliche Menschenwelt« ließ. Sie war naiv, aber klug genug, um wenigstens im eigenen Wesen, in der eigenen Sippschaft, in der Geschichte der Familie zu forschen, da sie wissen wollte, »mit welchen Pferden sie fahren sollte«. Sie verglich Züge im Charakter des Vaters mit ihren eigenen Antrieben, fragte nach seiner Jugend und nach der Mutter, die noch immer, kaum gekannt, wie ein Traumwesen in einem Nebelflor vorüberschwang, wenn sie das Thema beim Kurfürsten anschlagen wollte.

Dann tauchte auch, sichtlich vorsichtig berührt, nur mit undeutlichen Floskeln erwähnt, die berühmte Großtante auf, ihre Patin, die große Zarin Katharina. Sie merkte bald, daß die Herrscherin wie ein Tabu, ein bedrückendes, quälendes Phantom über dem Vater hing, das einzige Bild, vor dem der Mächtige sich duckte, das er mied und fürchtete. Das erschreckte sie, denn sie glaubte zu wissen, daß der Name ein Zeichen, ein Stempel und ein Signum sei, das eine Richtung weise, und man hatte ihr den Namen dieser Frau mitgegeben.

Die Herzogin Mathilde, die seit 1797 Katharinas zweite Mutter war, lebte sehr zurückgezogen. Wenn Katharina sich bei ihr melden ließ, tat sie das aus gutmütiger Höflichkeit und kaum aus Freundschaft. Mathilde nutzte dann gern die Gelegenheit, aus ihrem sonst so förmlich-distanzierten Benehmen etwas herauszutreten. Sie erzählte der begierig zuhörenden Prinzessin von geheimen Hofberichten, die sie sich aus englischen Quellen verschaffte, sprach von makabren Schauermären, die über den russischen Hof umgingen, und von dem wilden, grausamen, genialischen Wesen der »bösen Zarin«. Katharina hörte erstaunt, dann erschrocken zu. Aber obwohl sie Mathildes Eifer und Abscheu befremdete, ließ sie sich doch von den weitschweifigen Schilderungen gefangennehmen.

Vor fünf Jahren war die große Katharina gestorben, sie hatte, so hörte man, ihren Sohn Paul, den Gatten der württembergischen Sophie, die Katharinas Tante war, ehrlich gehaßt, genau wie ihren Mann, den groben, dümmlichen Paul I., von dem sie nur Brutalitäten und Beleidigungen erfahren hatte.

Den Enkel aus der deutsch-russischen Ehe ihres Sohnes, den Alexander, hatte sie geliebt und für den Thron bestimmt …

Aber die Zarin war – verbraucht – früher und rascher gestorben, als sie selber gedacht. (Mathilde sagte trübsinnig: »Wer denkt bald genug an den Tod?«) Und der immer unterdrückte Sohn, der sich nun endlich mächtig genug zur Rache fühlte, hatte sich jetzt erst eigentlich als der Psychopath entpuppt, der er war: Geschützt durch die unbeschränkte Macht seiner Zarenkrone, ließ er den Leichnam seines Vaters ausgraben und das gekrönte Skelett durch die Straßen führen, voraus die kerzentragenden Günstlinge der toten Mutter, die er für die Mörder hielt, und beide Gatten – zum Hohn – nebeneinander beisetzen …

Katharina saß blaß, mit zitternden Händen, vor der schwatzenden Dame, die sich wichtig damit tat, dem Mädchen die Barbarei der Russen einzureden, und in ihrer Befangenheit nicht sah, daß sie eine völlig Verstörte, Erschütterte vor sich hatte, die sich kaum mehr aufrecht halten konnte. Erst als Katharina fragte: »Die Tante? Hat sie das nicht hindern können?« wurde sie wacher. »Es gab doch Dokumente, ein Testament der Zarin, denke ich …«

Mathilde lachte leise: »Das hat der neue Zar verbrannt.«

»Arme Tante, arme Frau!« Die beiden schwiegen eine Weile. »Sie hat doch bloß Angst vor ihrem Gatten gehabt.«

Mathilde zuckte die Achseln, sie wickelte sich in ihre Pelzdecke, obwohl es im großen schönen Stuttgarter Schloß nicht kalt war – draußen flirrte und flimmerte ein heller Märztag, Militärmusik klang, halbverwischt, herauf, Marschtritt, auch einmal helles Gejubel von Kindern, die wohl dem Zug nachliefen.

Katharina entschuldigte sich, sie müsse zu ihrer Vorleserin zurück.

Das nächstemal, bei einem dieser Pflichtbesuche, kam sie zögernd und hatte sich vorgenommen, gleich nach der formellen Begrüßung ein harmloses Thema anzuschlagen; sie habe, sagte sie zu Mathilde, recht Interessantes über die Bonapartes gehört, von denen jetzt die ganze Welt widerhalle, da der Feldherr Napoleon die Italiener, die Österreicher, sogar den Papst in seine Gewalt gezwungen habe.

Ein Konkordat sei geschlossen worden, meinte die Kurfürstin, und der Papst sitze irgendwo im Exil oder werde es bald tun müssen – diese räuberische südländische Sippe habe nur Fußtritte für Traditionen, und Katharina werde ihr, die in den Formen der High Church erzogen worden sei, keine Sympathien für den Papst zutrauen!

Immerhin, sagte Katharina, sorge dieser Napoleon für seine Familie.

Eine Weile saßen die beiden Damen wieder stumm voreinander. Katharina hatte einiges von Seegefechten und Schiffsbegegnungen, von irgendeiner ärgerlichen Geschichte über den jüngsten Bruder Napoleons, Jérôme, gehört und glaubte, der Engländerin mit einem Lob der Royal Navy Freude zu machen.

Mathilde reagierte anders. Sie wurde unvermutet lauter: »Dieser Scharlatan! Der jüngste und dümmste der Napoleonsbrüder! Er ist mit seiner Brigg – mit neunzehn Jahren hatte man ihn zum Kommandeur gemacht! – nicht etwa befehlsgemäß nach Guadeloupe gesegelt, wohin er sollte, sondern nach dem englischen Dominique! Und bei diesem schon brüchigen Pakt … fair, wie Old England ist, hat man sich noch einmal an den bereits fraglichen Vertrag gehalten, hat Jérôme festlich empfangen, und danach ist er – dieser Blender und Schaumschläger – nach Neuengland gesegelt, nach Baltimore, nach den abtrünnigen Staaten von Amerika!«

Katharina nickte. Allzuviel interessierte sie dieser sichtlich unzuverlässige Bursche nicht.

Mathilde allerdings hatte sich einmal für das Thema erwärmt, nicht Jérômes wegen, dessen ganzes Wesen ihr zuwider war, eher, weil sie trotz aller Abneigung gegen den illegitimen, angemaßten, wildwüchsigen Kaiser seine Faszination spürte und die Gefahr für England und Europa mehr ahnte als sah – dieses völlig Neue, den Elan, die unverbrauchten Gedanken und die unvorhersehbaren Pläne.

Es war die Rede davon, was sich dieser junge Fant, Jérôme, geleistet hatte, als er ein englisches Kriegsschiff angehalten und wie eine Handelsprise gestoppt hatte, als gelte die Blockade auch der bewaffneten englischen Macht. Sein Admiral wütete, man fürchtete, der offene Kampf werde ausbrechen, ehe noch Frankreich dafür gerüstet sei, und war froh, als England nicht zurückschlug. Später, als der Seekrieg zwischen den beiden Mächten wirklich erklärt war, leistete er sich ein echtes Bravourstück, das ihm rühmlich angerechnet wurde: Er steuerte die umstellte und – nach aller Voraussicht – verlorene Veteran durch ein unerhört kühnes Manöver in die Bucht von Concarneau und entzog sie so dem Zugriff der Navy …

Indessen hatte sich sein »großer Bruder« 1804 selber die Krone aufgesetzt und den Papst dabei nur zusehen lassen. Man beobachtete erstaunt, wie er seinen ägyptischen Feldzug aufzog, ein tolles Unternehmen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt schien.

Man erfuhr empört von der Hinschlachtung der zweitausend Türken, die er gefangengenommen hatte; ihrem Ehrenwort, nicht mehr zu kämpfen, war nach den früheren Erfahrungen nicht zu trauen, sie zu ernähren war ohne besseren Nachschub unmöglich – man trieb sie mit Schüssen ins Meer.

Mathilde konnte sich in ihrem Barbarenhaß nicht genug tun, freilich lag das englisch-indische Beispiel noch zu fern. Sie wußte vom Befehl Peters des Großen, sein im Krieg durch die Pest bedrohtes Heer durch die Ermordung aller Pestverdächtigen zu retten.

Katharina, bedrückt von allem Düsteren des Riesenreiches, in dem sie ihre früheste Kinderzeit erlebt hatte, sprach von der besseren Regierung der Katharina, und Mathilde ließ den Mord am Zaren, den die Zarin geduldet und geschürt habe, noch einmal auftauchen.

Die junge Katharina mochte ihre Patin nicht beschmutzen lassen – ihr stand das majestätische Gemälde, das der Vater besaß, vor Augen, die herrscherliche schöne Frau im Purpur mit den bannenden dunklen Augen und dem vollen Mund …

Mathilde hielt ihre Plantagenets und Tudors dagegen, den Löwenherz und Heinrich den Zweiten; nur auf die Frage nach den Lebenden, den Hannoveranern, schwieg sie gern: Der schwerkranke, geistig verdüsterte Georg der Dritte hatte wenigstens die beiden Pitts, seine fähigen Minister, die Schlimmeres verhüteten, ehe er an seiner unerkannten Porphyrinurie sterben durfte.

Napoleon also! Das Thema Europas … Lükkenhafte Berichte kamen aus Ägypten, wo der General sich noch immer mit Türken und Arabern schlug, wenig Nachschub und Proviant hatte und einen Kleinkrieg führte, der ihm zwar Ruhm, aber auf die Dauer keinen Landgewinn bringen konnte.

Dafür hatten seine Wißbegier, seine Ungeduld, die Raserei seines immer unbefriedigten Impetus ihn geführt, verführt zu Erkenntnissen, die beinahe hellsichtig waren.

Erstaunliches erfuhr man in Europa über seine hingeworfenen Gedanken: Er sei, hieß es, durch den Fehler eines ägyptischen Führers an den »Quellen Mose« bei Suez von der Flut überrascht worden und habe beschlossen, das Land zu vermessen und einmal, in befriedeten Zeiten, einen Kanal dort zu bauen – er habe, angeregt durch die monumentalen Grabmäler, die Pyramiden, die seinen Hang zum Kolossalischen ansprachen, nach Leben und Kultur Ägyptens geforscht und ein Team von Gelehrten aufgeboten, die erstaunliche Ergebnisse einbrachten, denn die frühe Geschichte Ägyptens lag für die Europäer im dunkeln. Vor allem ihre Schrift interessierte Napoleon, von ihr erhoffte er Aufschlüsse über die Geheimnisse des Landes. Schließlich gelang es dem Orientalisten Champollion, den »Stein von Rosette« zu entziffern, auf dem in drei verschiedenen Sprachen ein Dekret niedergeschrieben war – ägyptisch, demotisch und griechisch –; die Hieroglyphen konnten in der Folge entziffert werden. Es verstand sich, daß medizinische und organisatorische Reformen dazukamen, daß der Eroberer das besetzte Land sich und seinen Ideen »anverwandelte«.

Friedrich von Württemberg – oder Wirtenberg, wie es damals noch hieß – ließ sich nicht ungern auf solche Einzelheiten der Berichte ein, obgleich ihm die großen Linien napoleonischer Politik wichtiger und vielleicht sogar durchsichtiger waren als vielen seiner Mit-Rheinbundfürsten. Denn in kleinerem Maßstab war sein Charakter dem des großen Korsen sogar ähnlich, wenn ihm auch – abgesehen von den engeren Verhältnissen und ohne den ungeheueren Vorangang und Auftrag der Revolution – die Verpflichtung zum Neuerer fehlte. Friedrich war bei hoher Intelligenz und einem erstaunlichen Gespür für kaum zu formulierende Antriebe in der Wurzel ein Mann der Ordnung, der starren, versteiften Tradition, er glaubte an das göttliche Recht seines Fürstentums und an die gottverliehene Würde – oder zumindest, er ließ Land und Leute samt Mathilde und Katharina glauben, daß er daran glaubte …

Ein bißchen Geschichte könne den Frauen nicht schaden, meinte er bei einem seiner raschen Besuche beiläufig; Katharina kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er diese Visiten nur halbherzig machte, mit halbherziger Teilnahme, nur selten mit einer aufflackernden väterlichen Zärtlichkeit für seine Tochter. Die Frau, immer unförmiger und unbeweglicher geworden, behandelte er mit der vorgeschriebenen Höflichkeit als Fürst und offizieller Gatte, bei Festen und Auftritten mit der Courtoisie des Herrn aus altem Haus.

Katharina war ziemlich isoliert mit ihren Damen, der Hof sollte wenig Kosten machen und klein gehalten werden. Ein paar Briefbekanntschaften, flüchtige Ballplaudereien, einmal das Kompliment eines trockenen norddeutschen Prinzen, der sich mühsam zu gestotterten Höflichkeiten aufschwang. Die wenigen Gespräche mit dem Vater, der sogar gelegentlich über den Halbgott Napoleon und dessen italienische Abkunft aus der Toskana ein paar Worte verlor, waren eigentlich das einzige, was sie mehr als nur flüchtig interessierte. Die »Buonaparte« seien bei den Ghibellinen gestanden, den Waiblingern, und also eigentlich schwäbische Untertanen, behauptete er, und genauso die Buonarroti, was ›guter Stein‹ heißen könnte und zu dem Bildhauer Michelangelo passe.

Er gönnte ihr selten solche Unterhaltungen, und sie hatte keine Mutter, nur Mathilde, die zu kühl war, um ihr nahzukommen. Sie las, ritt, wanderte in den Schloßgärten herum mit den Damen und hatte zu den beiden Brüdern kaum Kontakt. Es gab eigentlich nichts, was ihr wirklich Vergnügen gemacht hätte, und wenn sie gern Musik hören oder Theater sehen wollte, hielt das der Vater für allzu kostspielig. Er pflegte nur eine Art von Familienstolz, Standestradition, und sah mit Kummer, daß sie nicht eigentlich schön war – niedlich, lieblich, knospenhaft und kindlich, aber zu rund, zu kurz geraten, mit dicken Beinen und einem molligen Unterkinn …

Sie ritt am liebsten im Herbst, allein, in den Schloßanlagen, zwischen dicken Ahornstämmen, die gefleckt, grau-weiß gesprenkelt unter dem bunten Laub standen; wenn sie Galopp anschlug, raschelten die Hufe rhythmisch im wiegenden Trab durch die dürren Blätter. Sie saß gern im Damensattel, die Beine um das »Horn« gewinkelt, und lenkte das gut trainierte Tier mit ihrer Gerte, sanft, als habe sie kein Temperament. Man hatte ihr gesagt, Reiten tue ihrer Figur gut, die schon füllig wurde, und gäbe ihrem Gesicht frische Farben, den rundlichen Backen unter dem gekräuselten Haaransatz.

Aber eigentlich Spaß machte ihr nur das Einverständnis mit dem geduldigen Tier, das willig auf sie einging und ihr nichts vorschrieb und nichts befahl.

Sobald sie dann wieder in den Schloßhof einbog, präsentierten die Wachen, sie setzte sich gerade auf, und wenn sie dann die Treppe hinaufstieg, schlug sie die Schleppe im gelernten Schwung über den Arm.

Einmal hatte sie die Reitschute schnell abgeworfen und den Sessel damit verfehlt, und die Hofdame war zugelaufen, um das Hütchen aufzuheben, als ihr Vater hereintrat, unverhofft, wie er das manchmal tat, entgegen der strengen Etikette, die er von anderen verlangte.

Er hatte sie später zu sich kommen lassen und zornig angeschrien: »Das tut eine Prinzessin nicht! Man bleibt gemessen vor den Bedienten! Form und Ordnung sind das, was wir beherrschen und wodurch wir herrschen müssen. Was ungeregelt ist, muß draußen bleiben …«

Katharina hatte fast geweint, nur die Angst vor einem neuen Tadel hatte sie davor bewahrt. »Das Ungeregelte« – sie spürte, daß es ihre Mutter getötet und den Vater aus Rußland getrieben hatte, daß die Furcht davor wie ein Krampf und Zwang sein Menschliches niederhielt, vielleicht seine schwerblütige, cholerische Natur verbogen und verzerrt hatte. Und auch, daß die englische Frau mit aller geistlosen Form ihm nicht helfen konnte.

Für mich gab's nur Jérôme - Katharina von Württemberg und Jérôme Bonaparte

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