Читать книгу Für mich gab's nur Jérôme - Katharina von Württemberg und Jérôme Bonaparte - Utta Keppler - Страница 6
Rückblende
ОглавлениеGegen Ende des Jahres 1803 hatte Jérôme Bonaparte die bildhübsche junge Elisabeth Patterson in Baltimore geheiratet, mit kirchlichem Segen von der Hand eines hohen geistlichen Würdenträgers.
In Württemberg wurde nicht mehr davon geredet, seit Mathilde die romantische Geschichte mit mißbilligenden Zusätzen an Katharina weitergegeben hatte.
Um so mehr in den Pariser Salons, denn die Affäre des wildverliebten, tollköpfigen Jungen, dem dazuhin der Ruf des waghalsigen Seehelden anhing, bewegte alle empfindsamen Gemüter, zumal eine Tragödie wie eine düstere Wolke über seinem Lockenkopf drohte: Der Zorn des großen Bruders war zu erwarten. Napoleon hatte auf die Ankündigung seines Besuchs hin depeschiert, daß er zwar bereit sei, seinen Bruder zu empfangen, ihn sogar, wenn er reuig und folgsam heimkomme, trotz seiner Eskapaden anzunehmen, nicht aber diese junge Person, »jene Mademoiselle Patterson, mit der er lebt«.
Jérôme faßte einen typischen Entschluß: Diplomatische Winkelzüge lagen ihm nicht; er war sicher, den Bruder überrumpeln zu können, denn Elisabeths Schönheit, ihr Takt, ihre Intelligenz, ihr Charme würden, so verkündete er, »das Herz des Ersten Konsuls im Sturm erobern«.
Also sollte Elisabeth ohne Kenntnis der zahlreichen Agenten, die Napoleon in Baltimore verteilen ließ, nach Frankreich gebracht werden. Jérôme mietete eine Brigg, ging im Herbst 1804 in Baltimore an Bord und nahm seine Frau, ihre Tante und ein nicht eben dürftiges Gefolge mit, außerdem eine Summe von 3 000 Dollar samt reichlicher Bagage. Die Brigg segelte bei gutem Wind den Fluß abwärts, und alles ließ sich recht hoffnungsvoll an, doch als man das offene Meer erreichte, nahm der Seegang zu, die junge Frau fühlte sich übel, Jérôme ängstigte sich um sie und das vielleicht erwartete Kind und befahl dem Schiffsführer, vor Anker zu gehen.
Anderntags, als man wieder »in See stechen« wollte, wie Jérôme das fachmännisch nannte, hatte der Wind umgeschlagen, und die Flut ging bedenklich hoch. Der Kapitän murrte: In einer halben Stunde hätte man Cap Henlopen erreichen können, wenn man gleich weitergesegelt wäre, aber durch den Aufenthalt sei man jetzt in das wüsteste Unwetter geraten, das in dieser Gegend möglich sei …
Die Nacht wurde dann auch fürchterlich, das Schiff schlug gegen ein Riff, das in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen war, der Sturm brüllte, tobte, als wären alle Höllenmächte losgelassen, Jérôme hielt sich tapfer, aber das Elend der seekranken Frau, das Gewimmer der Tante, die ihm Vorwürfe machte, das Fluchen der Matrosen und die Erbitterung des gemaßregelten Kapitäns, der sich dem jungen »Milchbart« überlegen fühlte, machten auch Jérôme schließlich heiß. Im tiefsten Herzensgrund war er bei aller Forschheit unselbständig und froh, wenn ein übermächtiger Wille ihm seinen Weg aufzwang.
Endlich versuchte der Kapitän zu wenden, von dem gefährlichen Klippenufer wegzukommen. Er wollte wenigstens ankern, damit seine Brigg dem rasenden Seegang nicht ganz wehrlos ausgeliefert wäre, aber es schmetterte so wütend, daß jeder Versuch fehlschlug.
Schließlich mußte man das Schiff auf Strand setzen, peitschende Brecher fegten über das leergespülte Deck, die Matrosen klammerten sich an Rahen und Segelfetzen fest, Jérôme verlor nun doch den Mut, und sah die einzige Rettung im Flüchten aus dem angeschlagenen Wrack. – Man legte Planken aus, der Steven lag festgerammt über einer Felsnase, Elisabeth wurde halb ohnmächtig hinübergetragen, Jérôme, die Tante, die Dienerschaft kletterten und krochen, kaum bekleidet, ans Ufer, klatschnaß, schlotternd vor Kälte und Aufregung.
Anderntags versuchte man die Fracht zu retten, aber das meiste war über Bord geschwemmt worden. Jérôme forschte verzweifelt nach seiner Barschaft, die ihm den Anfang in der Heimat ermöglichen sollte, aber seine Dollars waren verschwunden, weggespült – eher gestohlen …
Ein paar von den frisch angeheuerten Matrosen fehlten, zu allem Unstern verlangte der Schiffseigner noch den vollen Preis seiner ruinierten Brigg, da Jérôme, um die heimliche Flucht nicht zu verraten, keine Versicherung abgeschlossen hatte.
Man kam deprimiert nach Baltimore zurück; wenig später machte Jérôme einen zweiten Versuch, immer in der Hoffnung, daß die Agenten Fouchés, die Napoleon auf ihn angesetzt hatte, nichts davon ahnten. Aber diesmal erschienen englische Kreuzer unheildrohend nah, und da der Vertrag von Amiens bereits gebrochen und nichtig war, zwangen sie den Kapitän zur Rückkehr; auch ein dritter Versuch scheiterte, und Elisabeth bewunderte die »treue Ausdauer ihres liebenden Gemahls«.
Napoleon, ohne die »Person« auch nur anzusehen, die ihn vielleicht bezaubert hätte, ohne den »Kleinen« mit seiner vertrauten jungenhaften Keßheit anzuhören, verdammte und verwarf Jérôme, anscheinend in alle Ewigkeit.
Nicht bloß der naive und seiner Wirkung sonst so sichere Jérôme, auch andere, die den Herrscher kannten, verstanden diese Unerbittlichkeit nicht: Er hatte doch auch die nichtadeligen Gatten seiner Schwestern erhoben; er verteilte Fürstentümer und Würden an alle, die ihm irgendwie verbunden waren …
Nur von Jérôme verlangte er den Verzicht auf seine Frau und die Bereitschaft zu einer hochfürstlichen, seinem, Napoleons, Aufstieg förderlichen Verbindung.
Vielleicht hatten die übrigen Geschwister, die sich ihm oft genug widersetzten, seine Geduld erschöpft; vielleicht hatte er gerade auf die Weichheit und Bildsamkeit dieses – zärtlich verwöhnten – Jüngsten gerechnet, vielleicht fühlte er auch, daß dieser Bruder im Grunde genommen nicht so ungern nachgeben und sich mit Märtyrergeste dem von fern winkenden fürstlichen Glanz zuneigen würde? Trotzdem blieb seine drakonische Härte seltsam; es war etwas darin wie der Zorn des enttäuschten Vaters, die Erbitterung des gescheiterten Erziehers: Hatte sich Jérôme nicht eine unverkennbare, nicht zu vertuschende Desertion geleistet, als er sein Schiff bei Guadeloupe verließ und gegen den Befehl des Admirals in Amerika herumschwirrte, allen Warnungen zum Trotz? Hatte er nicht ungeachtet aller Verweise Napoleons immense Schulden gemacht und mit dem Namen, der ein großer werden sollte, Schindluder getrieben und ihn zu allen möglichen Gaunereien benutzt?
Freilich, auch die Schwestern hatten sich nicht eben königlich benommen: Pauline, die Witwe Leclercs, ließ sich als nackte Venus von Canova modellieren, trieb allerhand Unfug, bis sie den gutmütigen Fürsten Borghese heiratete; Lucien hatte sich offen widersetzt, er, dem Napoleon das Gelingen seines Staatsstreiches eigentlich hätte anrechnen müssen; Joseph hatte Ansprüche gestellt und Schwierigkeiten gemacht; Louis war verwirrt und verschattet; und dieser Kleine ließ sich, da er allein nicht stehen konnte, von seiner energischen jungen Frau gängeln, der er verfallen war – und er sollte nur ihm, dem Großen, folgen und dienen, dem allein er Schutz und Schonung und Hilfe verdankte.
Die Mutter nur war für Napoleons Familiensinn Maßstab und Richterin. Vor ihr rechtfertigte er sich, erklärte seine Maßnahmen, denn die strenge Letizia – trotz ihrer Abneigung gegen die »neuenglische Protestantin« – hatte sich für den Jüngsten eingesetzt.
Napoleon schrieb ihr: »Wenn er so weitermacht, muß man ihn verhaften. Ich habe befohlen, daß Mlle. Patterson, wenn sie kommt, nach Amerika zurückgebracht wird mit dem ersten Schiff, das dorthin abgeht. Ich muß diesen jungen Mann streng behandeln, da er sich des Namens wenig würdig erweist, den zu tragen er die Ehre hat. Wenn er nicht imstande ist, die Schande von dem meinen abzuwaschen, die er mir angetan hat, als er seine Fahnen verließ, und das allein für eine schlechte Frau, muß ich ihn verstoßen und vielleicht ein Beispiel an ihm statuieren, damit meine jungen Offiziere die Heiligkeit ihrer Pflicht erkennen lernen und die Ungeheuerlichkeit des Verbrechens, die Fahne wegen einer Frau im Stich zu lassen.«(Napoleons Macht über die Gemüter lag auch in dem Gespür für die Wirkung der Symbole, von denen die Fahne eines der heiligsten war.)
Er verbot den Hafenkommandanten, Jérômes Schiff landen zu lassen, den Kapitänen, ihn mitzunehmen, den Konsuln und Bürgermeistern, die Eintragung der Heiratsakte in ihre Register vorzunehmen, Banken und Kreditinstitute hatten die Zahlung zu sperren. Er drohte dem Bruder Enterbung an, Ausschluß aus der Gemeinschaft der Herrschersippe.
Und – er hatte Jérôme richtig eingeschätzt: Er wehrte sich zwar mit Emphase und Pathos und sicher echt empfundenem Schmerz. Er schrieb an Verwandte und Freunde, Geistliche und Würdenträger, aber Napoleon wußte, der Test für die Reichweite seiner Macht würde so positiv ausfallen, wie er es vorausgesehen hatte.
Auch Elisabeth wehrte sich; sie fühlte, wie labil ihr Gemahl war, sie hatte noch den Elan der Neusiedler, ihre ungebrochene Weltsicherheit empörte sich gegen die Ungerechtigkeiten, ihr Puritanismus (schwer überwunden bei der katholischen Trauung durch einen spanischen Priester) gegen den Schandfleck des Konkubinats: Sie hatte ja vorher das französische Gesetz nicht gekannt, das diese Ziviltrauung mit einem Minderjährigen für ungültig erklärte.
Sie reiste mit Jérôme nach Lissabon, die Überfahrt ging glatt vonstatten. Im Hafen verweigerte ihnen der französische Geschäftsträger die Pässe, das Betreten des Landungsstegs, den Eintritt in ein von Frankreich kontrolliertes Land. Jérôme sei Gast des Gouverneurs, aber ohne die »Dame« … Endlich beschloß Jérôme, allein zum Bruder zu fahren, um ihn umzustimmen. Elisabeth segelte ohne ihn nach Amsterdam, der Abschied glich einem Operndrama, Tränen, Schwüre, Ohnmacht. Aber auch Holland wies die Unglückliche ab.
Statt nach Amerika zurückzukehren, wie man gehofft hatte, fuhr sie nach England. In Camberwell, in der Bannmeile Londons, gab sie einem Söhnchen das Leben, das sie später in Amerika taufen ließ.
Und jetzt, getrennt von der energischen Frau, die ihn durch ihre Schwangerschaft noch stärker gebunden hatte, allein, angewiesen auf den Schatten des Bruders, wurde Jérôme wieder das schwankende Fähnchen, das er jedesmal ohne starken Halt von außen wurde. Er bedingte sich eine Schonzeit aus, er verkroch sich vor dem Donnergrollen des Herrn, er hoffte noch immer, aber endlich, nach zehn Tagen des qualvollen Schwankens, nach liebevollen Briefen an »Elisa«, nach einem Fieber, das ihn nicht nur packte, um Napoleon zu rühren, nach zehn Höllentagen also schrieb Jérôme einen demütigen Unterwerfungsbrief und wurde erbost, aber mit herablassender Gnade wieder aufund angenommen. Schließlich hatte er ja das einzige bewiesen, worauf es ankam: Gehorsam und die Fähigkeit, ein Kind zu zeugen.
Napoleons Antwort war die eines Siegers an den Gesandten einer fremden Macht: »Mon frère, es gibt in meinen Augen keine Verfehlung, die durch echte Reue nicht getilgt werden könnte. Ihre Verbindung mit Mlle. Patterson ist nach kirchlichem wie bürgerlichem Recht ungültig. Schreiben Sie ihr, sie möge nach Amerika zurückkehren. Ich werde der Dame eine lebenslange Rente von 60 000 Francs gewähren, unter der Bedingung, daß sie meinen Namen endgültig ablegt. Sie selbst werden sie wissen lassen, daß Sie die Dinge nicht ändern konnten noch ändern werden, Ihre Ehe wird hiermit ›durch Ihren eigenen Willen‹ für nichtig erklärt.«
Danach wurde die Erwartung ausgesprochen, daß sich der Gemaßregelte in der Armee auszeichne, eine Verdammung und Erhebung, wie sie ein Gott auf einen jammervollen Sünder herunterprasseln läßt, und der »Sünder« war seit dieser Unterwerfung »jeden Charakters beraubt«, wie ein Freund sagte, gebrochen, entnervt, seinen albernen Antrieben ohne Hemmung preisgegeben, sofern sie ihm der gewaltige Donnerer erlaubte. Das war im Sommer 1805.