Читать книгу Der staatsgefährliche Kuss. Eine Erzählung um Franziska von Hohenheim. - Utta Keppler - Страница 5

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Franziskas vierzigster Geburtstag war vorbei; aber das Ende war zugleich Vorspiel und Auftakt, in denen schon angelegt war, was sich danach entfaltete.

Am nächsten Morgen war die Herzogin gegen ihre Gewohnheit spät aufgestanden. Sie hatte Karl Eugen bitten lassen, ohne ihre Begleitung nach Stuttgart zu fahren, weil sie erkältet sei und sich nicht recht wohl fühle. Karl stieg mißmutig in seine kalte Karosse und ruckte unwirsch an den seidenen Kissen herum, in denen sonst Franziska lehnte. Dann trieb er zur Eile. Die Pferde rasten schnaufend über den schneeglatten Weg, der Mann auf dem Bock fluchte und betete im stillen.

Inzwischen saß Franziska in ihrem Damenzimmer und träumte vor sich hin. Sie sann dem Herzog nach, stellte sich vor, wie er jetzt gegen Stuttgart hinunterkutschierte; aber der Gedanke an feuchten Zugwind erinnerte sie wieder an ihre tropfende Nase; sie läutete der Kammerfrau und ließ sich einen heißen Kräuterdampf bringen.

Da wurde ihre Schwester, Luise von Pflug, gemeldet. Sie wohnte seit dem Tod ihres Mannes, des Hofrats und Regierungspräsidenten, auf einem kleinen Landsitz und kam zum Einkaufen oft nach Stuttgart; jedesmal besuchte sie dann auch das Gut Hohenheim, um der Herzogin aufzuwarten. Franziska ging ihr lebhaft entgegen.

»Du bist nicht wohl, Franzel?« fragte die Dame gleich und legte ein bemaltes Kästchen mit Konfekt auf den kleinen Tisch.

»Der Schnupfen, wie’s gewöhnlich ist in dem Monat …«, sagte Franziska in ihrem singenden Schwäbisch. »Aber das hab’ ich gern, daß die Frau Schwester sich zeigen, ich bin heut eines tristen Humors wegen dem gestrigen Malheur!«

Frau von Pflug setzte sich. Es sei ihr schon zu Ohren gekommen, meinte sie, und der flattierte holländische Gast sei scheint’s auch ganz indigniert abgefahren, ausgerechnet an den preußischen Hof, wo man noch genauso gallig sei wie zu Lebzeiten des königlichen Onkels.

»Der Pembroek hat nicht einmal mehr übernachten wollen«, warf Franziska bekümmert ein.

Frau von Pflug wurde heftig. »Was hat aber auch der Ballettmeister gemacht?« Sie aß rasch ein Stückchen Konfekt. »Man sucht den Reignaud jetzt in allen Gassen — auf herzoglichen Befehl.«

Franziska nickte traurig. »Karl glaubt, er hab’ das Mädle angestiftet!«

»Der Mensch hat ja gänzlich den Kopf verloren, wenn er denkt, er könnt’ entwischen«, meinte Frau von Pflug, »er macht ja alles nur ärger damit«.

»Den Kaplan Baumann und die Sandmeierin hat man auch bald ergriffen und auf den Hohentwiel getan …«

Franziska schwieg und ließ sich in eine unbehagliche Erinnerung an den vergangenen Abend hinuntersinken: sie sah Reignaud, während die Flämmchen über die Tafel züngelten, verzweifelt an der Wand entlangtasten. »Und die Sandmeier’sche, die Sängerin?« fragte Frau von Pflug neugierig. »Ist die dann durchgekommen?«

Franziska sah ihre Schwester gedankenlos an. Das Bild vom Abend war viel lebendiger als die Klatschgeschichte von damals. »Das Julchen!« murmelte sie benommen. »wie die mich angestarrt hat, ganz wild, und dann gleich ans Tischtuch gefaßt … und hinterher …«

»Du hast Fieber, Liebe, glaub’ mir, du solltest dich ins Bett bringen lassen!«

Frau von Pflug stand auf, um zu läuten. Ehe die Kammerfrau hereinkam, wandte sie sich schnell nach der Schwester um. »Und die Schubartische soll also mit dem Ballettmeister durchgebrannt sein? Wie die Sängerin mit dem Baumann?«

»Die hat doch gar nichts mit dem alten schwarzen Vogel … zu tun gehabt!« flüsterte Franziska eilig, »die Julie hat mir doch …«

Da kam die Kammerfrau herein, schnaufend vor Eile und Eifer; Frau von Pflug deutete auf Franziska, die noch immer mit abwesenden Augen vor sich hinträumte. »Ihre Durchlaucht fiebern wieder«, sagte sie besorgt, »und sollten sich zur Ruh begeben«.

Die Alte legte die Hände über der Schürze ineinander. »Es ist ein arger Schrecken gewesen gestern Abend, und die freche Person, so den Leuchter umgestoßen hat, sei sogar entwichen!«

»Sie ist fort?« Franziskas Stimme hatte einen Beiklang von Erleichterung. »Ich hatte ihr ja auch …«, aber wieder sprach sie nicht zu Ende.

Die zwei Frauen stützten sie. Auf dem hochgepolsterten Bett ließ sie sich wohlig in die Spitzenkissen fallen, schloß die Augen und atmete auf. Während die beiden zur Tür gingen, schlief sie schon.

Noch vor dem Nachtmahl traf ein persönliches Schreiben der Herzogin bei der Gouverneurin der École ein, die Élèvin Schubart sei als krank zu melden.

Der staatsgefährliche Kuss. Eine Erzählung um Franziska von Hohenheim.

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