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Die ersten Nächte nach der Diagnose

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An Schlaf war in der ersten Nacht nicht zu denken. Trotzdem kehrte eine gewisse Ruhe bei mir ein und wohl auch bei meiner Frau. Das hatte einen Grund, denn wir sprachen aus, was uns bedrängte: Unsere Ängste und unsere Hoffnungen -, die Frage nach dem Warum der Erkrankung und doch noch sehr zögerlich nach dem Wozu. Und dieses Aussprechen wirkte wie ein kleines Wunder: Es war, als entfernten wir uns ein Stück weit von dem, was uns zu fixieren begonnen hatte. Nur zwischendurch bemerkte ich, wie die Angst ihr hässliches Gesicht wieder zu zeigen begann. Und wenn das geschah, sprach ich aus, was ich empfand und gewann wieder ein wenig Abstand.

Schaue ich auf diese ersten Nächte zurück, der viele weitere folgten, kommt mir ganz nahe, was es für Menschen bedeuten muss, wenn sie in einer solchen oder ähnlichen Situation allein sind, begreife ich, was Einsamkeit ist. Umso dankbarer war ich und bin ich bis heute, dass ich dieses Schicksal nicht erleiden musste.

Noch etwas anderes ging mir auf, wenn ich an diese Nächte denke: Ich empfand es als meine Aufgabe, mich in meiner Angst nicht gehen zu lassen, sondern so weit wie möglich dafür zu sorgen, dass auch meine junge Frau in ihrer Angst nicht unterging. Und ebenso erlebte sie es: dass ihre Offenheit für meine Not ihr einen gewissen Abstand zu ihren eigenen Ängsten verschaffte.

Vielleicht begriff ich da zum ersten Mal, was Viktor Frankl mit dem Wort, „sich selbst transzendieren“ meinte.

Unsere Gespräche führten dazu, dass früh in mir der Wunsch erwachte, viel zu lesen, vor allem theologische Literatur, vor allem die von vielen Zeitgenossen geschmähte Trilogie über Jesus von Nazareth, die der kluge und nicht weniger weise deutsche Papst verfasst hatte. Da ich vor meiner psychotherapeutischen Existenz auch als Theologe gearbeitet hatte, regte mich die Lektüre Benedikts XVI. sehr an, meine Spiritualität zu überdenken. Mehr als das: Ich gewann auf diese Weise mehr Gelassenheit und – Hoffnung. Vielleicht liegt in dieser Lektüre der Grund, warum ich später davon sprechen konnte, dass es zwei Formen von Hoffnung gibt. Ich komme gleich darauf zurück.

Diese Nächte gehörten zu den Sternstunden unseres Lebens. Tagsüber arbeitete ich, und das tat mir gut. Aber bereits am Abend erlebten wir eine gewisse Vorfreude auf die Stille der nächsten Nacht und darauf, was und wie wir miteinander sprechen würden. Ich bekenne, dass ich kaum glauben konnte, was diese nächtlichen Stunden in mir bewirkten. War es die rückhaltlose Offenheit zwischen meiner Frau und mir, die noch einmal unsere Beziehung vertiefte? War es das Aussprechen der Hoffnungsgedanken, von denen viel Ermutigung ausging? Was immer es gewesen sein mag, was diese Stunden so attraktiv machte: Wann immer Menschen miteinander so sprechen, dass nichts Unklares mehr zwischen ihnen steht, beginnt die Wüste zu blühen.

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