Читать книгу Der ermordete Gärtner - Uwe Schimunek - Страница 5

EINS
Sonntag, 23. März 1930

Оглавление

MANNI zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm quietschte und ins Schloss krachte. Die Gaslampe konnte er gerade noch festhalten, aber der Sack fiel ihm aus der Hand. Er landete ohne einen Laut auf dem Boden der Hütte. Die Tasche war leer – und das, obwohl er bereits die Nachbarlaube geknackt hatte.

Nun zog er schon wieder eine Niete. In dem Raum sah es aus, als sei hier schon seit Jahrzehnten kein Mensch mehr gewesen. Spinnweben funkelten im Licht der Gasfunzel. Die Netze hingen zwischen den Leinensäcken, die vermutlich der Laubenbesitzer über die Möbel geworfen hatte. Hier gab es sicher nichts zu holen …

Manni trat zur Kommode. Der Aufsatz war aus billigen Brettern zusammengenagelt und enthielt Blechnäpfe. Mit all den Beulen sahen die Dinger aus, als wären sie zum Fußballspielen missbraucht worden. Daraus würde kaum noch jemand trinken können. Niemals würde er dieses Zeug bei einem Hehler loswerden. Er öffnete das Schränkchen. Noch mehr billiges Blech: Teller, Töpfe, Besteck – lauter Schrott.

Er ging zur Laubentür und trat ins Freie. Die Kälte kroch sofort unter seine Joppe. In dem Garten wuchs noch nichts. Vor ihm wiegten sich kahle Sträucher im Wind. Die Gaslampe flackerte. Die Zweige sahen in ihrem Schein wie dürre Finger aus, die ihm drohen wollten. Ein Käuzchen rief. Seine Großmutter hatte immer behauptet, dann stürbe ein Mensch.

Eine Hütte noch, beschloss er, und nicht mehr. Da konnten Hotte und Ralle sagen, was sie wollten.

Die Hecke zum Nachbargarten reichte ihm nur bis zum Oberschenkel. Also nahm Manni den direkten Weg. Seine Halbschuhe versanken in der Erde. Der ganze Scheißgarten war noch nass vom Regen der letzten Tage. Auf Brautschau würde Manni mit den Latschen sowieso nicht mehr gehen können. Aber wenn sich das Leder vollsaugte, würde er nasse Füße bekommen. Das hatte ihm bei dieser Saukälte noch gefehlt.

Manni erreichte die Hecke. Mit der rechten Hand versuchte er, das Gestrüpp beiseite zu drücken. Dornen. Er zerrte die Hand zurück. Das tat erst richtig weh. Den Schrei konnte er unterdrücken. Stattdessen presste er ein Stöhnen heraus. Im Licht der Gaslampe untersuchte er die Hand: Jede Menge Kratzer, aber wenigstens kein Blut.

Manni hob die Lampe. Jenseits der Hecke wuchs Gras. Also konnte er einfach hinüberspringen. Zwei Schritte mussten als Anlauf genügen. Die Hecke sauste unter seinen Füßen hinweg. Wenn es darauf ankam, reichte die Kraft auch noch nach einer Woche mit Brotsuppe. Er landete mit beiden Füßen auf dem Rasen und rutschte aus. Dann klatschte er auf den Rücken, mitten in eine Pfütze.

«Mach nicht so einen Lärm!», zischelte Hotte vom Weg herüber.

«Scheiße, Mann, ich bin sacknass! Scheiße!»

«Psst!»

«Hier ist es finster wie in einem Arschloch.» Manni rappelte sich auf. Die Gaslampe war ausgegangen. Der Mond lugte durch die Wolken. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das wenige Licht. Immerhin schien die Funzel nicht zerborsten zu sein.

«Heul nicht! Komm lieber her!» Hotte winkte.

«Ja, ja.» Manni trottete aus dem Garten. Seine Schritte schmatzten. Er war nass. Selbst der leere Sack hing schwer über seiner Schulter.

Hotte drehte sich um und öffnete das Tor zum Garten gegenüber. Manni folgte ihm. Kies knirschte unter seinen Schuhen. Er schlich über den Steinweg zwischen den Beeten entlang. Bloß nicht noch einmal ausrutschen …

Neben der Laube stand ein Schuppen. Hotte zerrte an der Tür. Holz splitterte. Als Manni ankam, lagen die Türflügel im Matsch.

«Guck dir das an!» Hotte hielt seine Lampe in den Schuppen. Drinnen blinkte Stahl. «Das sieht gut aus.»

«Das ist Werkzeug und anderer Gartenkram.»

«Genau, und die Sachen sind nagelneu.»

«Hm.» Manni überlegte, wer einen neuen Hammer brauchte oder eine Säge oder einen Rechen. Mitten in der Krise. Vielleicht fehlte ihm die Phantasie, aber er konnte Hottes Begeisterung nicht teilen. Dennoch stellte er die Gaslampe auf den Boden und trat näher.

Es schepperte. Hotte zerrte einen Spaten aus dem Regal und lehnte ihn an die Schuppenwand. Daneben stellte er einen Rechen. Eine Kiste mit Werkzeug steckte er gleich in seinen Beutesack. Schließlich warf er ein Kästchen zu Manni herüber. «Nun mach mal ein bisschen mit! Oder hast du schon Wurzeln geschlagen?»

Manni fing die Schatulle. Staub wirbelte vom rohen Holz. «Was soll ich denn damit?»

«Guck doch mal, was drin ist! Wenn’s Geld ist, wird geteilt.» Hotte packte weiter Geräte in seinen Sack.

Manni untersuchte den Holzkasten. Der Deckel wurde nur von einem Schnappverschluss gehalten. Mit einer Handbewegung ließ sich die Schatulle öffnen. Drinnen lagen zwei Stoffbündel. Er wickelte das größere auf. «Das ist … eine Waffe.»

«Zeig her!»

Manni hielt die Pistole hoch, wich aber zurück, als Hotte sich die Waffe schnappen wollte.

Der hob seine Lampe. «Eine Walther PP. Das Ding muss ganz neu sein. Gibt’s noch nicht lange.»

Manni steckte die Pistole ein. Im kleinen Bündel steckten Patronen. Auch die ließ er in seiner Manteltasche verschwinden.

«Hey, was willst du denn mit so ’nem Meuchelpuffer? Gib schon her!»

«Nix da! Das ist kein Geld, und dein Beutel ist schon voll.»

Hotte schüttelte den Kopf. «Aber du kannst mit so was doch nichts anfangen …»

Ein Schrei. Drei, vier Lauben weiter brüllte einer, als würde man ihm das Gemächt abreißen. Sollte Ralle der Urheber dieser Arie sein?

«Was macht der Idiot?» Hotte lief los. Den Sack trug er auf dem Buckel. Die Geräte klapperten, als würde jemand einen Besteckkasten ausschütten.

Manni folgte Hotte. Allerdings wagte er nur kleine Schritte. Seine letzte Schlitterpartie war erst ein paar Minuten her. Hottes Lampe flackerte zehn Meter vor ihm durch ein Gartentor. Der Sack mit der Beute schepperte zu Boden. Eine Tür quietschte.

«So ein Mist!», rief Hotte.

Manni rannte nun doch. Mit einem Satz sprang er über Hottes Sack. Dieses Mal landete er sicher.

«Verdammter Mist!» Hotte wiederholte sich. Kein gutes Zeichen.

Der Gartenweg bog hinter einem Kirschbaum nach links. Ein paar Meter weiter erreichte Manni die Laube. Er trat ein. Jetzt verstand er, warum sein Kumpan fluchte. Auf dem Tisch lag ein Mann. Leblos hingen seine Beine von der Platte. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen. Die linke Hälfte bestand nur noch aus Blut und Fleisch. Eine glitschige Masse lag neben dem Kopf.

Manni wandte seinen Blick ab und schaute zu Ralle. Der stand neben dem Tisch – so still wie ein Kriegerdenkmal. In der Hand hielt er eine Mistgabel. Auf einem der Zacken steckte ein Batzen Fleisch.

Manni würgte und trat nach draußen. Die Luft tat gut.

«Mist!» Hotte wankte ebenfalls aus der Laube. Kurz darauf erschien auch Ralle in der Tür. Im Licht der Gaslampe sah er aus, als sei er selbst nicht mehr am Leben.

Hinter dem Kirschbaum schepperte es. Durch die Äste sah Manni, wie ein kräftiger Kerl über den Sack mit der Beute stolperte.

«Weg hier!», rief Hotte.

Manni rannte seinen Kumpels hinterher. Nur weg hier!

«Gibst du mir noch etwas Limonade?», fragte Frieda, als Konrad Benno Katzmann die Weinflasche öffnete.

«Das ist der gute Meißner.»

«Ich weiß, ich weiß. Mein Glas steht auf dem Beistelltisch.»

Katzmann zuckte mit den Schultern und schenkte ihr Limonade ein und sich etwas vom Weißwein. An den Sonntagen kam es ihm manchmal vor, als sei er ein Zuschauer seines eigenen Lebens, als laufe das Leben in seinem Haus in Dresden auf einer Leinwand ab, und er saß in einem Kinosessel und schaute zu. Sein Hintern saß noch hier auf dem Sessel, aber ein Teil seiner Gedanken befand sich schon in der Redaktion in Leipzig.

Sein Hund Harry wackelte durch das Zimmer und kletterte zu Frieda auf die Chaiselongue. Inzwischen war es zwölf Jahre her, dass er den Hund aus der Elbe gerettet hatte. Harrys Bewegungen wurden in letzter Zeit langsamer und rarer. Frieda streichelte den Hund, Harry genoss das sichtlich.

«Ich hol mir noch eine Kleinigkeit zu essen», sagte Frieda.

«Ja, mach nur.»

Frieda ging in die Küche, Harry tappte hinterher. Der Hund war auf sie fixiert. Kein Wunder, Katzmann fuhr meist am Montag in aller Frühe nach Leipzig an seinen Schreibtisch und kehrte erst zum Wochenende wieder zurück an die Elbe. Frieda hingegen ging stundenweise in Dresden arbeiten, kam jeden Tag wieder nach Hause und ging am Abend mit Harry auf die Elbwiesen. Natürlich wohnte der Hund nun nicht mehr bei Katzmanns Schwester Lotte, sondern zu Hause, und das schien Frieda und Harry zusammenzuschweißen. Sein Schwanz wackelte, als wäre er der Antrieb am Hundehintern.

Katzmann trank einen Schluck Wein. Er dachte an die Krise und an die Artikel über die Arbeitslosigkeit, die er seit Monaten schrieb. In all den Jahren, die er nun schon bei der Leipziger Volkszeitung arbeitete, war das Gespenst der Krise immer wieder durch die Texte gegeistert, aber derzeit war es etwas anderes. Seit dem letzten Herbst vermeldete die Wirtschaftsredaktion eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Auch die anderen Zeitungen sahen eine Katastrophe heraufziehen. So schlimm hatte er das seit der Inflation 1923 nicht mehr erlebt. Und dieses Mal schien auch nach einem halben Jahr kein Ende in Sicht.

Frieda kam aus der Küche. Sie trug einen Teller mit einer Scheibe Butterbrot, einem halben Kopf Blumenkohl, einem Stück Sandkuchen. Sie stellte ihn ab und ließ sich auf das Sofa fallen. Harry kletterte hinterher.

Katzmann nahm die Vossische Zeitung vom Tisch. Er hatte die Sonntagsausgabe am Morgen gekauft, aber noch nicht alle Artikel gelesen. Er blätterte zu den Wirtschaftsnachrichten. Stockung im Uhren-Export, titelte das liberale Blatt.

«Konrad, ich muss dir etwas sagen.»

«Hm.» Konrad blickte weiter in die Zeitung. Die schweizerische Uhrenindustrie befindet sich seit Jahresbeginn in einer sich ständig verschärfenden Krise …

«Im Ernst, Konrad, es ist wichtig.»

«Ja, gleich …» In den ersten beiden Monaten hat sich der Export gegenüber dem Vorjahre von 35,9 auf 29,7 Millionen Franken gesenkt.

«Wir bekommen ein Kind», flüsterte Frieda.

«Ja, ja …» Konrad stutzte, in seinem Kopf hallte das Wort Kind nach … «Äh, was sagtest du?»

«Du wirst Papa!»

Katzmann schluckte. Worte wie «O mein Gott!» oder «Ach du lieber Himmel!» lagen ihm auf der Zunge und blieben auch dort. Vermutlich erwartete Frieda Begeisterung.

«Hast du es jetzt verstanden?»

Konnte er Dinge verstehen, die er sich nicht einmal vorstellen konnte? Katzmann war sich nicht sicher, nickte dennoch.

«Na fein.» Frieda hob ihre Limonade, als wolle sie ihm zuprosten.

Katzmann hielt ihr aus einem Reflex heraus sein Weinglas entgegen und trank dann einen Schluck. Der Wein legte seinen Mund trocken, der Rachen fühlte sich an wie eine Sandsteinschlucht.

«Und? Du freust dich wohl eher innerlich?»

Frieda hatte ihren Humor nicht verloren. Das beruhigte Katzmann. Er stellte das Glas ab und sah Frieda an. Auf ihrem Gesicht war dieses Lächeln, das Frauen immer dann zeigten, wenn sie um ihre Unwiderstehlichkeit wussten. «Aber du hast gar keinen Bauch. Ich meine …»

«Konrad, wir bekommen das Würmchen nicht heute Abend. Du musst dich noch bis zum Herbst gedulden.»

Bis zum Herbst – da hatte er noch den ganzen Sommer, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Außerdem wurde er Vater und nicht Mutter. Er musste vor allem für genügend Geld sorgen, denn Frieda würde ihre Stelle aufgeben. Als Chefreporter bei der Leipziger Volkszeitung verdiente er kein Vermögen, aber mit dem Ersparten sollte es für einen weiteren kleinen Mund reichen – trotz Krise.

«Malst du dir schon aus, wie schön es wird?»

«Um ehrlich zu sein, würde ich mir damit gern ein bisschen Zeit lassen.»

Harry krabbelte auf Friedas Schoß und schob seine Schnauze unter ihre Hand. Frieda kraulte den Hund hinter den Schlappohren, als sie sagte: «Wir haben ganz viel Zeit.»

Katzmann nickte und schaute Frieda an. Sie sah nicht anders aus als gestern. «Und du bist auch ganz sicher?»

Frieda lächelte mit einer Nachsicht, als übe sie schon für ihre Mutterrolle. «Konrad, du kannst mir das glauben. Frauen wissen so etwas.»

Katzmann trank einen Schluck Wein und legte die Zeitung zur Seite. Zum Lesen kam er sowieso nicht mehr.

«Wir sollten deinen Eltern Bescheid sagen, bevor sie es selbst sehen können – meinst du nicht, Konrad?»

Heinz Eggebrecht balancierte den Krug mit dem Bier die Treppe hinauf. Der Wirt in der Eckkneipe hatte es gut gemeint und das Zweilitergefäß bis zum Rand gefüllt. Wahrscheinlich hätte er noch einen Berg aufgeschüttet, wenn Bier nicht so flüssig wäre. Nun, den Verlust von ein paar Tropfen konnte Eggebrecht verschmerzen. Das war nämlich schon die dritte Runde, die er holte.

Im dritten Stock wartete sein Vater bereits in der Tür. Im Rahmen und im Gegenlicht wirkte er größer – erinnerte an eine der Skulpturen von Arbeitern, die russische Künstler neuerdings für realistisch hielten.

«Na, Junge, haste schnell noch eins am Tresen gekippt?»

«Nein, Vater.» Und nenn mich nicht immer Junge, ich bin über dreißig, fügte Eggebrecht in Gedanken hinzu.

«Immerhin ist der Humpen ordentlich voll.» Der Vater trottete in die Wohnung. In der Küche nahm er ihre Bembel aus dem Waschbecken und stellte sie auf den Esstisch. «Ich hab kurz abgespült.»

Eggebrecht schenkte das frische Bier ein.

Sein Vater nahm die Flasche mit dem Holunderblütenschnaps und füllte zwei Kurze. «Der ist bald alle. Wird Zeit, dass der Frühling kommt.»

«Hm.» Eggebrecht befürchtete, dass der Schnaps ihn am nächsten Morgen noch mehr beschäftigen werde als jetzt. Er brauchte das Schnapsglas nur anzuschauen, und schon schien ein Quirl in seinem Kopf zu rotieren.

«Prost, mein Junge!» Der Vater trank den Fusel in einem Zug.

Eggebrecht nippte und hatte das Gefühl, mit den Lippen am Glas kleben zu bleiben, so sehr hatten die Holunderblüten den Klaren angedickt.

«Was treibst du morgen so?», fragte der Vater.

«Erst mal ausschlafen. Und dann … mal sehen.»

«Hm …»

Es wollte offenbar nicht in Vaters Kopf, dass der Montag ein freier Tag sein konnte. Bis in die Nacht hatte Heinz Eggebrecht die Photographien von der Berliner Premiere der Max-Brand-Oper Maschinist Hopkins an der Staatsoper abgezogen, damit sie rechtzeitig in den Redaktionen lagen. Erst am Nachmittag war er wieder in Leipzig angekommen. Sein Vater wusste das. Dennoch tat er so, als sei «der Junge» ein Faulenzer, wenn er ausschlafen wollte.

Eggebrecht hob seinen Bembel. «Wenn du von der Arbeit kommst, werde ich schon wach sein.»

Vater seufzte und zündete sich eine Zigarette an.

Eggebrecht nahm auch eine aus der Kiste. «Ach komm schon, Vater! Ich werde am Dienstag bei meinen Redaktionen anrufen und fragen, wann es wieder Termine gibt. Und morgen ist mein Sonntag.»

«Als du das letzte Mal hier warst, hattest du eine ganze Menge Sonntage …»

Der Vater hatte recht, das wusste Eggebrecht. Seine Auftraggeber mussten sparen. Die Werbekunden schalteten weniger Anzeigen, die Zeitschriften druckten weniger Photographien. Das betraf alle Kollegen. Doch ihm bereitete das keine Sorgen. Ohne Familie und ohne Verpflichtungen, hatte er in den letzten Jahren ein ordentliches Guthaben angehäuft. Wenn er weiterhin hier und da einen Auftrag bekäme, würde er problemlos über ein bis zwei Jahre Krise kommen. Er hatte also genug Zeit, sich in dieser schweren Zeit um seinen Vater zu kümmern. Das wollte er dem Alten aber nicht sagen. Also schwieg er und trank.

Der Vater schenkte noch einmal Schnaps in die Gläser. Eggebrecht rauchte und fragte sich, wie der Alte morgen früh aus dem Bett kommen wollte, sah der doch jetzt schon aus, als sei er wochenlang mit Schlafentzug gefoltert worden.

«Ach Junge, du sagst gar nichts.» Der Vater hob sein Schnapsglas. «Ich stelle mich darauf ein, dass du wieder eine Weile da bist. Prost darauf!»

«Prost!» Der Schnaps brannte, als wolle er in Eggebrechts Magen die Höllenglut entfachen.

«Wenn du hier bist, kannst du wenigstens nicht mehr in schlechte Gesellschaft geraten. Bei diesen ganzen Künstlern.»

«Vater, ich mache Photos von denen. Das sind keine schlechten Kerle, und die machen auch ihre Arbeit.»

«Arbeit …» Der Vater winkte ab.

«Vater, die Künstler schaffen etwas. Fremde Menschen bezahlen etwas dafür. Also verdienen sie ihr Geld genauso wie du.»

Der Vater lachte. Es klang, als würde seine Verachtung aus den Wangen platzen. Dann wurde er ernst. «Mein Junge, wenn ich arbeite, steht am Ende ein Haus. Darin kann man wohnen. Und bei so einer Sängerin», Vater stieß noch ein Lachen aus, «ist das Ergebnis doch nur ein Lied … Kannst du darin wohnen? Kannst du es essen? Kannst du sonst etwas damit anfangen?»

Bloß nicht widersprechen, dachte Eggebrecht. Nur keinen Streit anfangen, wenn der Vater diese Anzahl Bier und Kurze intus hatte. Und schon gar nicht über Sängerinnen in Berlin. Schließlich gehörte eine bestimmte Sängerin zu den Gründen, warum er sich lieber eine Zeit in der Provinz verkroch – kein Thema für eine Vater-Sohn-Debatte kurz vor dem Einschlafen. Mit seiner Mutter hätte er vielleicht darüber gesprochen … Er leerte seinen Bembel. «Nicht jetzt, Vater. Ich habe ein anstrengendes Wochenende hinter mir.»

Der Vater trank, als sei er nach einem Tag im Steinbruch am Verdursten. «Na gut, mein Junge. Aber vielleicht könntest du morgen mal in den Garten schauen und ein paar Geräte hinschaffen. Ich meine, wenn du genug geschlafen hast.»

Der ermordete Gärtner

Подняться наверх