Читать книгу The Last Generation - Aufstieg der Rebellion (Teil 2) - V. R. Strong - Страница 3
Kapitel 10 – Silhouetten in der Höhle des Löwen
ОглавлениеNach einer Stunde Rückfahrt, die weit entspannter war als der Weg von Aztlán nach Rubia, erreichte Adnia zusammen mit ihren Passagieren schließlich wieder ihren Heimatplaneten. Sie schwebten über die wunderschönen und mysteriösen Wälder Aztláns hinweg, die Mittagssonne im Rücken. In der Ferne war bereits der Berg, in dessen Innern Alocan angelegt war, zu sehen. Er wurde langsam immer größer, bis sich unsere vier Freiheitskämpfer direkt vor dem felsigen Abhang befanden. Adnia setzte den Waver in dem Hangar sanft auf den Boden derselben Stufe ab, von der aus sie auch gestartet war. Dann stiegen Charisa, Barrex, Jenny und zuletzt die liebenswerte Heilerin aus dem Fahrzeug aus und erklommen die kleine Treppe, die zwischen den steinernen Abstufungen des Hangars nach oben und hinaus aus diesem Depot lief. Sie begaben sich durch das gut besuchte Restaurant in der Bergwand, zurück in Richtung der Haupthalle Alocan´s. Kaum hatten die Vier die Kabine der Seilbahn in der Station unten in der Stadt verlassen, hatte Adnia ihre neuen Freunde schon überholt. Sie hatte außerdem einen für ihre Verhältnisse sehr ernsten Blick.
Die Evocha schritt mit entschlossenem Gang ins Innere des Schreins und Charisa ging ihr neugierig hinterher; sie wollte wissen, was ihre neue Freundin so schnell vorantrieb. So hatte sie Adnia bis jetzt noch nicht ein einziges Mal erlebt. Das junge Mädchen mit den schwarzen Haaren war gerade am unteren Ende der Wendeltreppe angekommen, da begegnete sie auch schon der Person, die sie gesucht hatte. Kira war gerade dabei, einen Korb mit Handtüchern durch den mit Bildern behangenen Korridor zum Wäscheraum zu bringen, als sie Adnia erblickte. Die Meditazia stellte den Wäschekorb ab und wollte ihre Schülerin begrüßen, aber die Heilerin kam ihr zuvor. „Kira! Wir sind wieder da... Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen! Wir könnten deine Hilfe gebrauchen...“ Das junge Mädchen begann zu erklären, was ihnen auf Rubia widerfahren war und dass sie den Plan hatten, bei einem gewissen Sasoru~ einzubrechen, um herauszufinden, wo Charisa´s bester Freund und die anderen verschleppten Menschen von Diyu gefangen gehalten wurden. Bei all der Aufregung vergaß sie zu erwähnen, dass H-soru~ einer von den drei größten Minenbetreibern für menschliche Arbeiter war, wie Jack ihnen verraten hatte. Kira war ein bisschen überrumpelt von den vielen, plötzlichen Informationen. „Beruhige dich erst mal, Adnia. Du weißt doch, wie ich dazu stehe, den Silizoiden grundlos Schaden zuzufügen. Und du warst doch derselben Meinung...“ Charisa kam gerade unten an und blieb auf der Wendeltreppe stehen, als Adnia tief durchatmete und dann auf einmal begann, in einer völlig anderen Sprache zu reden, einer Sprache, die Charisa noch nie zuvor gehört hatte.
„Kira, Nelso-o. Sken Reymosny-ysed, on puioe Neynosed scha-a Laro-a Kelme-a rev, Gsoru~ wili-a lem. `J´akt ruosed hei Moiental raz, ´j´lyt Miyrosnysed ruono Walretea ga´z klap Tu-oused Kuatnak tuono tueuknioi nak, ktan jiet Diyu!“ „Kira, hör zu. H-soru~ besitzt ein Drittel der Minen, in denen Menschen zum Arbeiten gezwungen werden. Wenn wir ihn ruinieren, dann kann er die Minen nicht länger finanzieren und die Gefangenen können sich möglicherweise sogar selbst befreien, wie auf Diyu!“, wäre die passendste Übersetzung, allerdings konnte man einen Satz in Taylos, so hieß diese Sprache, nicht direkt wörtlich übersetzen. Die Endungen und die Formen der Worte, die Adnia nutzte, machten Kira jedoch klar, wie wichtig es zu sein schien, Sasoru~ sein Erspartes abzunehmen. Das war einer der Vorteile dieser Sprache – man konnte in einem einzigen Satz unglaublich viele persönliche und sachliche Dinge ausdrücken, auch, was wichtig war und was nicht.
„Klap kao dilmye nez, kely suo peoelia mag?“
„Und du glaubst, dass das klappen wird?“, fragte Kira etwas nachdenklich.
„Jai suo Dolmia vez. Demo Kialased Anja suonyoi nek. Rayl bisre rya Saysashed ´Gû~ram hei weielgoa, Taeknos, Lyorsyred Charisa-a klap sheyie Neynosed scha-a nesbia riw on suioe, ktan suo kesua...“
„Ich weiß es nicht. Aber einen Versuch wäre es wert. Außerdem finden wir bei ihm die Koordinaten von Sû~ram, dem Gefängnis, wo Charisa´s Freund und die anderen Menschen hin verschleppt wurden, wie es aussieht...“, erklärte Adnia. Kiras Blick veränderte sich. Sie wurde ernster.
„´J´lyt acina tuoie heino Katni-a Roenesh Syosile-er naz, voe jao lyrmioi sha´z. Demo ekate suony baw.“
„Wenn wir wirklich jemanden aus den Fängen der Silizoiden befreien können, werde ich euch auf jeden Fall helfen. Aber das wird nicht ungefährlich.“, erkannte die Nyoma.
„Suony uljaru. Demo kjeyie Deydnased suony, suoie hei Wilia. Klap... ´J´lyt ucinu beyt Akjana Doelmosh hei Weoelgie maß, ´j´akt Charisa klap le-o Liarmor jae noseti-e shag. Ryka Ta-o Caysoras Fuoie Roalmased taono Ju-uj ´j´aj. Anik ´j´lyt Iljeni seaie Sayresed jia Monjie raz... Voesed jie Lyrnojehie tab, veln qien sui jiu dolmie...“
„Das ist richtig.“, fuhr Adnia fort, „Aber es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben. Und... Wenn wir dort wirklich nützliche Informationen finden, dann werde ich Charisa und ihre Kameraden begleiten. Sie können jede Hilfe bei ihrem Vorhaben gebrauchen. Auch wenn ich diese Stadt nur ungern verlasse... Ich werde euch vermissen, das weiß ich jetzt schon...“
„Adnia, Kao... Heo Tilie raf kaolun. Demo jia tolmue nen, kely ajilra Kuamased kao talenjie.“
„Adnia, du...“ Die Meditazia stockte. Sie wurde ein bisschen traurig bei dem Gedanken, dass das liebenswerte Mädchen vielleicht bald weggehen würde. Aber sie wollte ihre Freundin auch nicht aufhalten, im Gegenteil. „Du wirst uns fehlen. Aber ich freue mich, dass du so einen mutigen Schritt wagst.“
Es war kurz ruhig. Charisa war sich nicht ganz sicher, ob sie jetzt etwas sagen sollte oder nicht, sie verstand ja kein Taylos; aber sie erkannte die gedrückte Stimmung. Sie wusste nur nicht, woher diese Stimmung stammte. „Kylt Raemtysed Jeo lyrmoe lag klap Fuoie Jeyjniesh joa Lirjidua laq.“ – „Ich helfe dir mit der Wäsche und erkläre dir alle Einzelheiten.“, sagte Adnia schließlich. „Sorry, aber ich versteh kein Wort...“, bemerkte Charisa nun etwas verlegen aus dem Hintergrund. „Ist alles okay? Ihr macht so einen bedrückten Eindruck...“ „Ja, es ist alles in Ordnung.“, antwortete Adnia, „Vor allem jetzt, da wir vielleicht wirklich vielen Menschen helfen können... Wenn unser Plan aufgeht.“ „Adnia hat mir gerade erklärt, was ihr vorhabt... Ich möchte euch helfen. Das ist ein äußerst riskanter Plan.“, beantwortete Kira Charisa´s Frage. „Wirklich? Das freut mich! Je mehr Leute wir sind, desto besser. Aber ich frage mich... Was war das gerade für eine Sprache? Und warum habt ihr überhaupt in dieser Sprache geredet?“
„Das war Taylos, eine Sprache, die jeder Evocha erlernt. Man kann damit viel mehr und viel besser ausdrücken, was man sagen möchte...“, antwortete Kira. „Deswegen habe ich auch in Taylos gesprochen. Sonst hätte ich noch zwanzig Mal sagen müssen, wie wichtig unser Plan eigentlich ist.“, lächelte Adnia. „Na, dann spann mich mal nicht länger auf die Folter... Wir sehen uns später, Charisa.“, sagte Kira, hob den Wäschekorb auf und folgte nun weiter dem verzierten Korridor. „Mach´s gut.“, verabschiedete sich nun auch Adnia und folgte ihrer Lehrmeisterin. Charisa sah ihren beiden neuen Bekanntschaften noch ein wenig irritiert hinterher, dann bog sie in die entgegengesetzte Richtung des Korridors ab. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Vorhaben Adnia so wichtig war. Die Heilerin hatte eben ein großes Herz für Alle. Charisa schritt hinweg über das schwarz-weiße Karomuster des Bodens, vorbei an den Bildern, die an der steinernen Wand hingen und kam schließlich nach mehreren Abbiegungen in der großen Eingangshalle des Schreins an. Es war im Moment relativ ruhig im Foyer mit den kreativen Malereien auf dem Boden und an der Decke; nur wenige Leute waren zugegen und man hörte die Unterhaltungen einiger Einheimischer und sogar die Schritte einiger anderer Menschen, die durch die große Vorhalle hindurchtapsten. Auch Timeno war anwesend. Er erblickte seine Kameradin und kam ihr sofort entgegen. „Charisa! Wie ist es gelaufen? Habt ihr etwas herausfinden können?“, fragte der freundliche Gravianer. „Mehr als das.“ Das Mädchen begann, zu erklären, was passiert war, was sie nun vorhatten und was sie dabei hätten erreichen konnten. Timeno war überrascht und erfreut zugleich. „Das sind gute Neuigkeiten. Ich wünsche euch viel Glück bei eurem Vorhaben... Ihr werdet es sicher brauchen können. Wo ich dich gerade sehe, ich wollte dir etwas geben, was Bonny und Cloud für uns zusammengebastelt haben.“
Er kramte in der rechten Tasche seiner Hose ein seltsames Gerät hervor und drückte es seiner Freundin in die Hand. Es sah aus wie ein dunkelgrauer, zusammengedrückter Ball mit einem Monitor in der Mitte und ein paar Tasten daneben. „Was ist das?“ „Ein Quantenkommunikator. Frag mich nicht, was genau das bedeutet, ich hab nicht mal die Hälfte verstanden, als die Beiden mir das erklären wollten.“, lachte Timeno, „Auf jeden Fall kann man damit irgendwie direkt kommunizieren, auch über tausende Lichtjahre hinweg. Nur das digitale Versenden der Nachricht, die man damit aufnimmt, dauert anscheinend mehrere Stunden. Ich wollte dir noch etwas geben, damit wir in Kontakt bleiben können, bevor wir in zwei Tagen aufbrechen.“ „In zwei Tagen schon...?“ Charisa wurde traurig. Sie dachte, Timeno und die anderen Leute, die ihn begleiten wollten, würden noch länger bleiben. Das bedeutete auch, dass Jenny sie nicht bei ihrem Plan, Psoru~ ein paar Milliarden ärmer zu machen, unterstützen konnte, denn die Nyoma wollte ebenfalls mit zu den Karbanoiden und Charisa und ihre Mitstreiter konnten ja erst in drei Tagen nach Jaru~n. „Ja. Wir haben uns genug ausgeruht und das Schiff der Glanzhäute ist jetzt schon wieder flugfähig, dank der schnellen Arbeit der Stadtbewohner. Damit hätte ich ehrlich gesagt selbst nicht gerechnet. Wir sind den Einwohnern dankbar für ihre Hilfe, aber wir können nicht zu lange hierbleiben. Wir sollten unseren Weg fortsetzen.“ „Sehen wir uns noch?“, fragte Charisa freundschaftlich. „Bestimmt. Ich werde mich noch richtig von euch verabschieden, bevor wir aufbrechen. Wir haben alle eine Menge zusammen durchgemacht.“ „Ja, das kannst du laut sagen... Ich muss mich jetzt erst einmal hinlegen. Der Tag war anstrengend...“, sagte Charisa leise. „Das glaube ich dir. Bis später und gute Nacht.“, wünschte Timeno dem jungen Mädchen, dann gingen sie beide weiter. Charisa suchte das Schlafzimmer der Frauen auf und fiel einfach nur noch mit einem Plumpsen auf ihre weiche Matratze. Sie schlief sofort ein; der Tag war für sie besonders anstrengend gewesen. Ihr Kekki so intensiv zu nutzen, kostete sie noch viel Energie – schließlich hatte sie erst vor wenigen Tagen gelernt, es aktiv zu nutzen.
Die nächsten Tage verliefen relativ ereignislos; Barrex und Jenny trainierten wie jeden Abend zusammen mit den Leuten, die das Kämpfen erlernen wollten in dem Dojo neben dem Marktplatz, aber tagsüber boten sie auch Übungen an, deren Schwerpunkt auf dem Umgang mit Waffen und auf Schleich-Techniken lag. Außerdem brachten sie den Leuten am Tag bei, wie man die unmittelbare Umgebung am effektivsten beobachten konnte. Man merkte den Beiden an, dass sie einmal in einer Spezialeinheit der Polizei waren, vor allem Barrex hatte erstaunliche Fähigkeiten und ein sehr breit gefächertes Fachwissen. An diesen Trainingseinheiten nahm auch Kira teil, denn ihr war klar, dass sie noch eine Menge dazulernen konnte und musste, wenn sie ihre eigenen Leute schützen wollte. Charisa trainierte zusätzlich noch jeden Tag mit der Meditazia ihr Kekki, und sie lernte schnell dazu, auch wenn die junge Kekkiani noch einen weiten Weg vor sich hatte. Nach zwei Tagen war es dann so weit. Einige der Stadtbewohner und ein paar der Leute von Diyu begleiteten Timeno, Jenny und die Anderen zu dem Schiff, mit dem sie von dem Wüstenplaneten geflohen waren. Sie durchquerten den farbenfrohen Wald mit seinen schimmernden Pflanzen und eigenartigen Gerüchen bis zu der angrenzenden, schwarzen Wüste, wo die fliegende Untertasse verdeckt von den hohen Ästen am Waldrand stand. Das Vehikel hatte nach wie vor eine zerkratzte Oberfläche, aber es funktionierte einwandfrei – es hatte den Testflug mit Bonny und Cloud jedenfalls problemlos bestanden. Allerdings hatte es ein bisschen gedauert, bis Bonny und Cloud zusammen mit den anderen Leuten, die ihnen halfen herausbekommen hatten, wie genau die Technik der Glanzhäute funktionierte und einige Einzelteile, die zur Reparatur des seltsamen Fahrzeugs benutzt wurden, entstammten der Technologie der Menschheit, unserer Technologie. Zum Beispiel waren die beiden ausgefallenen Motoren des Schiffs durch Plasma-Antriebe und einige Gewichte ersetzt worden, die man zwischen der Karosserie und den diskusförmigen Triebwerken erkannte. Die Gewichte sollten eine gleichmäßige Massenverteilung über das Schiff sicherstellen, sonst wäre die Steuerung des aufgearbeiteten Wracks weit komplizierter und gefährlicher geworden.
Die meisten Leute, die mit ins Innere der Galaxis fliehen wollten, stiegen bereits über die ausgefahrene Metallrampe in das klobige Raumschiff ein; aber Timeno, Jenny, Bonny und Cloud verabschiedeten sich noch von ihren Kameraden. „Hier trennen sich unsere Wege. Alles Gute und viel Glück.“, wünschte Timeno Charisa und den Anderen. Alle waren da, mit denen er sich auf Diyu angefreundet hat: Charisa, Barrex, Al, Jadon und einige Andere. Auch Adnia und Kira waren zugegen. „Passt auf euch auf!“, sagte Barrex. „Vielleicht schaffen wir es, die Karbanoiden zu überzeugen, uns Unterstützung zu schicken...“, hoffte Jenny. Sie wollte Timeno einerseits begleiten, weil es vielleicht zum Kampf gekommen wäre und sie sicher hätte helfen können, aber vor Allem wollte die Nyoma versuchen, Hilfe zu holen. Auch sie hatte das Schicksal der Menschheit noch nicht aufgegeben. Aber alleine hatten die Humanoiden scheinbar keine Chance. „Ich hoffe es. Seid bloß vorsichtig.“, antwortete Charisa. „Das werden wir sein. Und wir werden uns regelmäßig melden.“, versprach Timeno. „Wir auch. Macht das Beste draus.“ Die Beiden umarmten sich, und Timeno drückte Charisa ganz fest und herzlich, aber er achtete darauf, nicht zu fest zuzudrücken, sonst hätte der muskulöse Gravianer dem Mädchen wahrscheinlich mehrere Knochen gebrochen. Der Wind raschelte durch die Blätter über ihnen und ließ das Licht des roten Zwergs unter den Ästen hin und her tanzen. Das Mädchen und der Gravianer kannten sich fast acht Jahre, nachdem Timeno zu ihnen in die Mine gebracht wurde. Der Abschied fiel ihnen nicht leicht. „Hey, wir werden uns wiedersehen. Versprochen!“, krächzte Charisa etwas zerknirscht von Timeno´s fester Umarmung. „Ja, werden wir. Auf jeden Fall!“ Der Gravianer ließ das Mädchen los, verabschiedete sich auch von den Anderen und bedankte sich bei Kira und Adnia für Alles, genau wie Jenny sowie Bonny und Cloud. Sie betraten das Schiff, Timeno als Letzter. Er drehte sich noch einmal um und winkte seinen Freunden zu, dann verschwand er im Innern des hässlichen Fahrzeugs.
Die Luke wurde geschlossen, Charisa und die Anderen traten einige Schritte zurück. Nach etwa einer Minute fuhren die Systeme des fremdartigen Raumschiffs mit einem leisen Surren hoch. Die Antriebe begannen, zu arbeiten. Das Surren wurde von dem immer lauter werdenden Geräusch der Plasma-Antriebe übertönt und auch die anderen vier Antriebe begannen, leise Geräusche von sich zu geben, während sich unter den Photo-Kollisions-Schubgeneratoren ein immer intensiver werdendes, rotes Licht zeigte. Das schwere Schiff hob langsam vom Boden ab, verließ den Schutz des Waldes und flog in Richtung des Himmels. Es entfernte sich immer weiter und weiter, bis es nur noch als kleiner Punkt an dem blau-grünlichem Firmament zu sehen war und schließlich ganz verschwand. Die Menschen auf Aztlán blickten ihren aufgebrochenen Freunden und Bekannten hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Dann machten sie sich auf den Rückweg durch den geheimnisvollen Wald. Sie hätten nicht zu lange dort ohne das schützende Dickicht bleiben sollen. Die Gefahr, durch Teleskope der Silizoiden entdeckt zu werden, war nach wie vor präsent. Außerdem mussten Charisa und die Anderen die letzten Vorbereitungen treffen, bevor sie erneut nach Rubia aufbrechen konnten. Einige der Stadtbewohner hatten sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, ihre SLS-Waver zur Verfügung zu stellen, wenn sie dadurch den Silizoiden auf irgendeine erdenkliche Weise Schaden zufügen konnten. Jeder in Alocan hätte einen Angriff auf die Glanzhäute unterstützt, auch wenn kaum jemand selbst mitgekämpft hätte. Es erschien den Leuten zu unrealistisch und sie hatten kaum noch Hoffnungen, dass sich jemals etwas zum Besseren verändern würde. Dazu kam, dass die Meisten von ihnen nicht kämpfen konnten und auch sonst kaum hilfreiche Erfahrungen hatten. Doch durch das Bereitstellen ihrer Gefährte konnten sie wenigstens ein wenig Unterstützung für den Kampf gegen die Übermacht der Silizoiden leisten.
Am nächsten Tag war es schließlich soweit. Es wurde ernst. Barrex und Jenny hatten die Leute in den letzten Tagen so gut vorbereitet, wie sie in der kurzen Zeit eben konnten; unsere kleine Sturmtruppe hatte eine Chance. Die Waffen besorgten Jack und seine Leute vom Schwarzmarkt und auch auf Aztlán gab es einige verfügbare Ionenpistolen und EM-Geschütze, die Kira besorgt hatte. Unsere Freiheitskämpfer fuhren mit der Seilbahn über die Stadt hinweg, durchschritten die beliebte Lounge und erreichten den geräumigen Hangar in der Bergwand, der direkt über dem Restaurant lag. Die Seilbahnfahrt, die sie dafür hinter sich bringen mussten, war wieder einmal beeindruckend gewesen; und dieses Mal hatte die Überquerung der Stadt auch klargemacht, was sie vor sich hatten. Sie wollten hoch hinaus; daher konnten sie tief fallen. Charisa, Barrex, Josh und Chiara stiegen in eines der simplen Fahrzeuge, in einen wenig beeindruckenden, blauen Viersitzer, der auf der untersten der breiten Abstufungen im Hangar direkt unter der großen Öffnung in der Bergwand, die von leicht transparenten Hologrammen verdeckt wurde, stand. Nicht jeder unserer tapferen Freiheitskämpfer konnte ein Hovercar steuern, deswegen mussten sie sich gut strukturiert auf die Waver verteilen. Die einzigen anderen Piloten neben Barrex waren Adnia, Kian und Al. Kira flog zusammen mit Adnia, genau wie Jadon und Dana. Für Gero, Eike, Al und Kian stand noch ein relativ geräumiger, grüner Gleiter zur Verfügung, der von Kian gesteuert wurde. Diese Fahrzeuge waren nicht für Kämpfe ausgelegt, doch einen gewissen Schutz boten die Karosserien aus Stahl dennoch, denn als Raumschiffe mussten die Waver starken Unterdruckbedingungen standhalten können – mit dem Vakuum des Weltalls war nicht zu spaßen. Dementsprechend stabil waren sie gebaut. Die Piloten aktivierten die Antriebe, die Fahrzeuge hoben ab und verließen durch die holografische Wand den Hangar. Die drei Hovercars schwebten über die schimmernden Baumkronen des magischen Waldes hinweg in Richtung des unendlich erscheinenden Weltraums. Sie waren alle angespannt, denn ihr Vorhaben hatte eine große Bedeutung für sie alle.
Nach einer Stunde anstrengender Fahrt durch die Leere des intersolaren Raums erreichten die drei Piloten schließlich ihr Ziel. Sie umflogen wieder weiträumig den dunklen Wandelstern Ta Netjer und steuerten die gräuliche Sphäre an, den Mond Rubia, der wie durch Magie zwischen dem weißen Zwerg und dem Planeten festgehalten wurde. Unsere Leute trafen sich in derselben Schlucht mit Jack, Jay und Darren, in der die dunkelgrauen Metallplatten zum Abstellen der Fahrzeuge hingen. Die kleine Rebellengruppe landete ihre Waver auf den etwas speziellen Stellplätzen über dem klaffenden Abgrund und sie stiegen die dunkelblauen Rampen empor, an deren Enden bereits die drei Gravianer vor dem belebten Schwarzmarkt warteten. Die zwölf Freiheitskämpfer und die Gang der kräftigen Humanoiden, die vor einem Waver und einem Stapel von allerlei Utensilien stand, grüßten sich kurz, dann kamen Jack und Barrex aber schnell zur Sache. Sie wollten diesen Coup so schnell wie möglich durchziehen. Der Anführer der Bande hatte eine Karte von Jaru~n besorgt und legte das große Stück Papier auf dem Boden aus, sodass jeder es sehen konnte. Er erklärte den Plan noch einmal genau von vorne bis hinten für Alle, wobei Barrex noch einige Verbesserungsvorschläge hatte, bei denen er ein gutes Stück weiter ins Detail ging.
Jack ging etwas genervt darauf ein, denn er wusste, dass der Nyoma Recht hatte. Allerdings empfand der Gravianer es so, als hielte Barrex sich für etwas Besseres, was so direkt zwar nicht stimmte, aber der frühere Polizist mochte keine Kriminellen. Wer weiß, wie vielen Leuten diese Bande schon das Leben schwer gemacht hatte? Als der Gravianer fertig mit seiner Erklärung war, verteilten er und die anderen beiden Gesetzlosen die Waffen, die sie von einigen Silizoiden entweder gestohlen oder gekauft hatten, ein paar Funkgeräte, die der menschlichen Technologie entstammten, ein paar Umhängetaschen sowie Spreng- und Brandsätze. Außerdem mussten sie noch einen Säurebehälter besorgen; sie brauchten eine hoch ätzende Substanz für Barrex´ Plan, unbemerkt bei Sasoru~ einzudringen. Praktischerweise war auch so etwas auf Rubia nicht schwer zu finden. Unser relativ großer Angriffstrupp von fünfzehn Leuten teilte sich schließlich in zwei kleinere Gruppen auf. Sämtliche Gravianer, außer Darren, kamen mit Jack mit, um einige Explosionen bei dem belebten Fest auszulösen und dort völliges Chaos zu stiften. Die Polizei Scharu~n sollte in den nächsten Stunden eine Menge zu tun bekommen und konzentrierte sich hoffentlich so sehr auf die Anschläge auf dem Fest, dass Barrex, Darren und die Anderen währenddessen so ungestört wie möglich bei Sasoru~ einbrechen und nach Informationen über Pû~ram suchen konnten.
Nachdem jeder wusste, was er zu tun hatte, stiegen sie also alle in ihre Fahrzeuge und flogen von der staubigen Gegend Rubia´s aus an den zerklüfteten Randbereich von Jaru~n. Von dort schwebten die Eindringlinge in ihren Wavern weiter ins Stadtinnere, nur knapp über den unbeleuchteten, mit Sand bedeckten Boden hinweg. Über ihnen schwebte der Mond als dunkler Schatten; es sah aus, als würde er jeden Moment hinunterfallen. Der weiße Zwerg leuchtete hinter dem Trabanten, nur als Korona um Rubia sichtbar. Die Überreste des einst vergleichsweise kleinen Sterns tauchten die ganze Stadt in ein unheimliches und zugleich beeindruckendes, weißes Licht, jedenfalls die oberen Teile Scharu~n. Die vielen dunkelgrauen und schwarzen Gebäude links und rechts unseres Stoßtrupps waren zwar einigermaßen weit auseinander in der Gegend angelegt worden, aber sie schluckten trotzdem die meisten Lichtstrahlen, die der einstige Stern noch von sich warf. Zwischen den Hochhäusern, die geformt waren wie sehr spitze Pyramiden oder wie aufgespaltene Zylinder, erhellten Scheinwerfer vom Boden aus mit grellen Lichtsäulen zusätzlich den Luftraum. Doch keine Glanzhaut war zwischen den Fenstern in den Außenfassaden zu sehen. Die meisten Aliens waren wohl bei der Jubiläumsfeier. Es wirkte wie die Ruhe vor dem Sturm. Jeder Fehler hätte den Tod unserer tapferen Kämpfer bedeuten können. Allein die Vorstellung, als Mensch in eine Stadt der Glanzhäute vorzupreschen, war wahnsinnig. Wie ein Wolfsrudel, das sich in eine Metropole der Menschen wagte. Wenn sie von nur einem einzigen Silizoiden gesehen würden, hätte das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu wahnwitzigen Auseinandersetzungen geführt. Charisa und die Anderen erreichten unbemerkt einen großen Platz, auf dem anstatt des felsigen, mit Sand bedeckten Bodens in den restlichen Abschnitten Scharu~n eine Art Gras aus gelblichen Halmen vorzufinden war. Wie die Pflanzen dort wachsen konnten, wo doch kaum Licht vorhanden war, blieb ein Rätsel. In der Mitte des Platzes befand sich das Gebäude, in dem sich die Firma ´Sasoru~ befand. Im Vordergrund stand eine große Kuppel, auf der unverkennbar sein Firmenlogo auf einer der hellgrauen Platten, aus denen die Außenfassade bestand, zu erkennen war – zwei sich überlappende Dreiecke, eingerahmt von einer Sonne mit nach innen gekehrten Strahlen. Drei weitere, noch größere Kuppeln überschnitten sich mit diesem Eingangsgebäude; alles war direkt miteinander verbunden. Das Gebäude erinnerte vom Aussehen her ein wenig an den Kopf eines Blumenkohls.
Diese Verbindung zwischen den verschiedenen Abschnitten des Komplexes kam Charisa und den Anderen sehr gelegen, denn das machte es deutlich einfacher, das Firmengebäude zu durchsuchen. Sie stellten die Waver am Rand dieses Platzes ab, stiegen aus und sahen sich in der Gegend um. Hinter ihnen waren die vielen, hohen Architekturen mit den langen Fenstern zu sehen, vor ihnen die Weite der Wiese, die in ein schwaches, weißes Licht getaucht wurde, das von der toten Sonne über ihnen stammte. Aber es waren offenbar keine Wächter oder Ähnliches in der Nähe. Das machte Barrex sofort skeptisch. „Wartet. Irgendetwas stimmt hier nicht. Das ist zu einfach.“ „Was meinst du?“, fragte Adnia leise. „Es sind keine Wachen da. Und das, obwohl dieser H-soru~ sein gesamtes Vermögen hier lagert. Warum bewacht er es nicht besser?“ Der Nyoma nahm die Wiese vor der Firma und das Bauwerk selbst genauer unter die Lupe. Dann fiel ihm auf, dass mehrere dunkle, flache, scheibenförmige Gebilde knapp aus dem Boden hervorragten, sodass man sie gerade so eben noch zwischen den Grashalmen erkennen konnte. Die Ränder dieser Strukturen waren wohl aus Glas, denn man konnte ein leichtes Glänzen vernehmen, wenn man genau hinsah. „Kameras.“, stellte Barrex fest. „Ihr macht das schon. Wir gehen weiter, wir haben keine Zeit zu verlieren.“, entschied Jack kurz und knapp. Er und die Leute seiner Gruppe schwebten also in dem schwarzen SLS-Waver des Gangsterbosses weiter in Richtung Festplatz, von wo man die Geräusche der Feierlichkeiten als lauten, dumpfen Krach im Hintergrund wahrnahm. Man vernahm auch ab und an laute Stimmen von Glanzhäuten, eine Art Gelächter; anscheinend hatten sie besonders viel Spaß. Aber das sollte sich in wenigen Augenblicken ändern. „Und was machen wir jetzt?“ Adnia blickte fragend zu ihren Kameraden. Sie konnten ja schlecht einfach da durchlaufen, sie hätten innerhalb von wenigen Minuten die Polizei Scharu~n im Nacken gehabt, wären sie entdeckt worden. Die >>Hüter von Recht und Ordnung<<, jedenfalls wenn es um die Rechte und Ordnungen der Silizoiden ging, waren noch nicht auf die bevorstehenden Anschläge auf dem Festplatz fixiert. Noch mussten unsere Leute unerkannt bleiben.
Barrex betrachtete die Position jeder einzelnen Kamera ganz genau und prägte sich die Standorte der Überwachungsvorrichtungen ein, als würde er eine Karte der Gegend in seinem Kopf erstellen. Er hatte eine Idee. „Wir warten. Wenn wir die Kamera dort auf der linken Seite ausschalten, können wir vielleicht unbemerkt zum Gebäude kommen.“ Er drückte auf einen Knopf an dem kleinen Headset, das er am Ohr trug. „Jack. Sagt uns Bescheid, wenn ihr den ersten Sprengsatz zündet. Wir müssen zeitgleich mit der Sprengung eine Kamera ausschalten, damit wir vorankommen können. Sonst werden die uns vielleicht sofort bemerken.“ „Wir sagen euch Bescheid.“, antwortete der Gravianer. „Werden die Wachen uns früher oder später nicht sowieso bemerken...?“, fragte Kira skeptisch. „Ziemlich sicher sogar, daher ja das Ablenkungsmanöver bei den Festlichkeiten. Aber wenn man die Explosionen bis hierhin hört, dann sind die Nachtwächter vielleicht abgelenkt oder schieben den Ausfall der Kameras auf die Geschehnisse beim Jubiläum und das verschafft uns mehr Zeit.“, erläuterte Barrex seinen Plan. „Das ist wohl unsere beste Möglichkeit...“, erkannte Kira leise. „Niemand hat gesagt, dass es einfach wird.“, sagte Barrex, dann erklärte er Adnia und Kian, auf welche Art sie sich am besten über die Wiese hinweg bewegen sollten, sobald die Kamera ausgeschaltet war und dass sie und die Anderen jetzt schon wieder in die Fahrzeuge einsteigen sollten, für den Fall, dass sie doch entdeckt worden wären. Nur er selbst blieb außerhalb seines Wavers, denn er war der beste Schütze unter ihnen. Sie warteten einige Minuten. Ihre Herzen klopften bis zum Hals, nur Barrex war vergleichsweise ruhig, allerdings auch hochkonzentriert. Er war solche Situationen von seiner alten Arbeit gewohnt. Dadurch strahlte er eine gewisse Sicherheit aus, was seine Kameraden wiederum etwas beruhigte.
„Seid ihr soweit?“, meldete sich Jack. Barrex nahm die Kamera mit seiner Waffe ins Visier. „Ja, sind wir.“, antwortete er deutlich. „Gut, macht euch bereit. Drei, zwei eins...“ Plötzlich hörte man einen lauten Knall in der Ferne und ein Wirrwarr aus seltsamen Geräuschen. Klang es so, wenn die Glanzhäute schrien? Zeitgleich mit dem Knall wurde die Kamera, die sich in Barrex´ Visier befand, von einem Projektil des EM-Geschützes getroffen, das er fest in seinen Händen hielt. Das Überwachungsgerät zersprang in dutzende Einzelteile. „Los, los, los!“, flüsterte Barrex Adnia und Kian zu, während er selbst in einem beeindruckendem Tempo in seinen SLS-Waver zu Kira, Charisa und Darren sprang. Die drei Fahrzeuge schwebten in schnellem Tempo in einer Reihe über das Gras und die zerstörte Kamera hinweg, bis zum Eingang des Gebäudes. Dieser lag etwa zehn Meter über dem Boden in einer leicht nach außen gezogenen Metallplatte der Fassade; hineingehen konnte man so nicht, man musste schon fliegen können, um die Firma zu betreten. Adnia ließ ihr Fahrzeug langsam an der Wand des architektonischen Meisterwerks emporschweben, während sie die Glaskuppel öffnete. Josh hatte seine Waffe gezogen und war schussbereit. Kaum war der breite Gang einzusehen, der durch eine durchsichtige Doppeltür weiter ins Innere des Firmengebäudes führte, fiel ein Schuss – eine weitere Kamera war zerstört. „Booyeah!“, rief Josh leise. Ein Schuss, ein Treffer. Das Training mit dem ehemaligen Kopf einer Spezialeinheit machte sich bezahlt. Nun mussten sie sich beeilen. In der Ferne hörte man einige Sirenen; weitere Sicherheitskräfte der Glanzhäute waren beim Festival eingetroffen. „Alles okay bei euch?“, fragte Charisa über Funk. „Noch ist Alles gut. Beeilt euch!“, antwortete Jack angespannt. Selbst für ihn war es schon etwas Besonderes, durch Sprengsätze eine Massenpanik auf dem Fest auszulösen. Vor allem dann, wenn er und sein Team gleichzeitig noch der Polizei ausweichen mussten.
Die drei Waver landeten auf dem Boden des unbeleuchteten Ganges mit halbkreisförmigem Durchschnitt. Barrex stieg mit dem Säurebehälter auf seiner rechten Schulter aus. Die Metallflasche sah aus wie ein unförmiger Feuerlöscher. Der Nyoma begutachtete kurz den Raum vor und hinter den beiden Türen, dann stellte er sich vor den verschlossenen Eingang, nahm den Schlauch des großen Behälters aus Iridium in die Hand und legte das Ende des Sprühkopfes an die oberen Abschnitte der durchsichtigen Türen. Die aggressive Säure strömte aus dem Schlauch hinaus und lief langsam das Glas hinunter, während der Nyoma seitwärts die Flügel der beiden Eingangstore entlang ging, um die Scheiben vollständig zu benetzen. Die Chemikalie zersetzte das Glas sofort und es zerlief zu einem durchsichtigen Brei. Als Nyoma war Barrex zwar sehr resistent gegen giftige oder ätzende Chemikalien; aber selbst ihm trieben die Dämpfe der bläulichen, chemischen Verbindung kleine Tränen in die Augen. Nach wenigen Sekunden waren die Glastüren vollständig zersetzt; der Weg war frei – ohne die Alarmanlage, die nur von starken Erschütterungen aktiviert wurde, auszulösen. Der Plan des Polizisten hatte funktioniert. Doch nun war Eile das Gebot der Stunde, oder eher das Gebot der Minute. Sie mussten schnell handeln. Der erfahrene Polizist stieg über die Überreste der Glastüren hinweg und stellte sich vor einen Glaskasten, der in die silbrig schimmernde Wand eingelassen war, nachdem er sich sicher war, dass kein Silizoid in diesem Abschnitt des Gebäudes lauerte. Hinter der Scheibe des Glaskastens gab es einen Lageplan für die Mitarbeiter, doch Barrex konnte die Schrift der Glanzhäute nicht lesen. „Darren, dein Typ ist gefragt.“, flüsterte Barrex über sein Headset.
Die beiden anderen Hovercars schwebten über die Pampe, die noch vor wenigen Sekunden die Eingangstür gewesen war, hinweg und der Gravianer stieg aus seinem Waver aus. Er ging schnell zu Barrex und sah sich die Karte, die im Licht zweier schwacher, gelblicher Leuchtstoffröhren zu erkennen war, genauer an. „Verstehe...“, murmelte der große Humanoid, „Der lange Gang auf der Karte steht für das >>Treppenhaus<<, wenn man es so nennen kann. Das ist der Gang, in dem wir uns gerade befinden. Von dort aus kommen wir überall hin...“ Dann zeigte Darren mit einem Finger auf ein Viereck, in dem seltsame Zeichen aus Linien und Wellen verzeichnet waren. „Da finden wir sein Geld. Und dort...“, er zeigte auf ein anderes Rechteck, auf dem ähnliche Zeichen abgebildet waren, „...ist das Archiv.“ „Gut. Los geht’s.“, sagte Barrex. „Willst du dir den Plan nicht noch genauer angucken?“, fragte der Gravianer überrascht. „Hab ich gerade. Ich weiß wo wir lang müssen. Fotografisches Gedächtnis. Wir sollten uns aufteilen. Zwei Fahrzeuge fliegen zu den Safes, einfach geradeaus bis zum Ende, meine Gruppe fliegt zum Archiv. Ich nehme mal an, du willst ins Archiv und nach den Unterlagen über Pû~ram suchen, stimmt´s?“, wendete sich der Nyoma nun an Charisa. „Ja. Kommt ihr klar?“, fragte das Mädchen die Anderen über ihr eigenes Funkgerät. „Ja.“, antwortete Kian kurz und knapp. Barrex hatte schon tausende Lagepläne vor sich gehabt. Daher wusste er genau, wie er zum Archiv kommen konnte; und diese Information hätte er auch so schnell nicht wieder vergessen. Irgendwann lernte man, sich solche entscheidenden Sachen beim ersten Mal einzuprägen. Die drei Fahrzeuge hoben schleunigst zwischen dem Lageplan und dem Gemälde auf der gegenüberliegenden Wand ab, denn spätestens nachdem nun auch hier im Eingangsbereich die Kamera zerstört worden war, ahnten die Wächter der Firma sicherlich, dass etwas nicht stimmte. Man hörte draußen eine weitere Explosion. Jack wollte die Massenpanik aufrecht erhalten und zündete deswegen immer mehr und mehr Sprengsätze. Doch er musste aufpassen, dass niemand dabei seine Gruppe entdeckte.
Die Eindringlinge in der Firma ließen sich davon nicht ablenken. Die SLS-Waver flogen den mit Bildern verzierten Gang entlang weiter ins Innere, durch eine Biegung nach oben, wie durch den Siphon eines riesigen Waschbeckens. Zu Fuß wären sie niemals dort entlang gekommen. Die zweite Abzweigung auf der linken Seite trennten sie sich und Barrex bog in einen kreisförmigen Tunnel ab, während die Anderen einfach nur immer geradeaus fliegen mussten. Daher waren sie auch viel schneller beim Safe als Barrex´ Team im Archiv; nach nur einer halben Minute waren Adnia und Kian bereits am Ende des Tunnels in einem mit Wandteppichen verzierten Abschnitt angelangt, in den mehrere andere, kleinere Korridore mündeten. Sie mussten nur noch einen Durchlass in der Wand passieren, dann waren sie an ihrem Ziel angekommen: Einem leeren, mit Metall ausgekleideten Raum, an dessen Ende man eine dunkelgraue, runde Tür in die Wand eingelassen hatte. Dort hinter musste sich der Tresor befinden. Unseren waghalsigen Infiltratoren war bewusst, dass ihnen hier nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung stand. Wegen der Massen an Geld im Tresor befanden sich in dem schlichten Foyer des Safes mehrere Kameras. Die beiden Piloten landeten ihre Fahrzeuge auf dem schlichten, silbernen Boden in dem einfachen Raum und dann zerschossen Josh und Chiara eilig die Videokameras, die unsere Infiltratoren jedoch bereits erfasst hatten. Die Überwachungsvorrichtungen konnten unmöglich von außerhalb des Raums ausgeschaltet werden, denn die beiden Geräte befanden sich in den hinteren Ecken des Raums in kleinen Einkerbungen in der Wand. Die Nachtwächter hatten sie also sicher schon gesehen und waren auf dem Weg, um die Eindringlinge zu stoppen. Wenigstens war nun die Videoüberwachung zerstört und niemand konnte sehen, was als nächstes passierte.
Gero legte hektisch die Sprengsätze an der runden, dick gepanzerten Tür des Safes an. Dann gingen sie alle hinter den Wavern in Deckung und Gero betätigte den Zünder, jagte so das 50 Zentimeter dicke Siliziumcarbid in die Luft. Man konnte das grüne Scheingeld, das in dutzenden, meterhohen Stapeln in dem großen Raum angeordnet war, durch die neu entstandene, kleine Öffnung in der Panzerung des Safes bereits erkennen. Der Durchlass war sehr schmal, es passte höchstens eine Person zur Zeit hindurch, aber er war frei. Der Sprengstoff hatte seinen Zweck erfüllt. Sie konnten den dunkelgrauen Geldspeicher betreten. Kian und Eike stürmten sofort ins Innere des Safes, schmissen dutzende, dicke Scheinbündel aus dem großen Tresorraum hinaus und verteilten die Brandsätze gleichmäßig. Dabei gingen sie mit überraschender Präzision vor; sie waren zwar wie die Anderen ebenfalls aufgeregt, aber sie schienen ihre Emotionen besser im Griff zu haben. Außerhalb des Tresors steckten unsere Rebellen die Bündel hastig in die Umhängetaschen und diese in die beiden Waver, dann verließen Kian und Eike sofort wieder den schwer gepanzerten Safe und zündeten per Fernzünder das Inferno, dass sie vorbereitet hatten. Das gestapelte Geld brannte binnen Sekunden lichterloh in hellen, gelblich-orangen Flammen. Keine Chance, dass auch nur ein Geldschein dieses glühende Feuermeer unbeschadet überstanden hätte. Gero, Chiara, Dana, Josh und Adnia waren wie gebannt von der hellen Glut; so etwas sah man nicht jeden Tag. Kian und Eike hatten sich währenddessen schon längst in die Waver gesetzt.
„Worauf wartet ihr? Wir müssen hier so schnell wie möglich verschwinden!“, rief Eike in überraschend klarem Ton. Die Anderen wurden aus ihrer Träumerei gerissen, sprangen schnell wieder in die beiden wild geparkten Fahrzeuge und flogen aus dem schlichten Raum aus Metall hinaus, zurück in den Abschnitt des großen Ganges, aus dem sie gekommen waren. Gerade noch rechtzeitig, denn zwei Glanzhäute stürmten gerade mit gezogenen Waffen aus einem der kleinen Gänge, und es wären sicher noch mehr gekommen. Spätestens jetzt wäre ein Großaufgebot der Polizei beim Firmengebäude angekommen, doch die hier stationierten Beamten der Glanzhäute waren fast alle auf dem Jubiläumsfest damit beschäftigt, Jack und die Anderen ausfindig zu machen und die Zivilisten zu evakuieren. Die drei Waver flogen also wieder schnell den länglichen, wie ein J geformten Weg entlang zurück, hinaus aus der großen Firmenanlage und an den Rand der Wiese. Die Nachtwächter waren ohne Fahrzeuge zu langsam, um sie verfolgen zu können und so konnten die Brandstifter nach kurzer Zeit unversehrt aus dem Gebäude entkommen. „Wir haben das Geld vernichtet und uns selbst ein wenig mitgenommen. Jack, braucht ihr Hilfe?“, fragte Eike. „Nein, bleibt, wo ihr seid! Wenn wir zu viele Leute sind, fallen wir zu leicht auf! Noch haben sie uns nicht entdeckt!“ „Gut, wir verstecken uns irgendwo zwischen den Häusern.“ „Hey, Archivare. Beeilt euch.“, meinte Chiara auf einmal. Sie meinte Charisa, Barrex, Darren und Kira. „Wir sind bereits im Archiv und suchen.“, meldete Darren konzentriert. Das momentan nahezu unbeleuchtete Archiv hatte zum Glück einen glatten Boden, sodass man hier problemlos laufen konnte. In der Mitte stand eine große Säule aus blauem Stahl, die eine den Stützpfeiler umrundende, rote Leuchte eingebaut hatte. Die Säule war umgeben von einem kleinen Labyrinth aus Regalen, in denen verschiedenste Akten lagen, angeordnet nach dem Alphabet der Glanzhäute. Der ganze Raum war außerdem mit Kameras versehen – zu viele, um sie auszuschalten. Vor allem Abrechnungen und Pläne für Bestellungen waren in diesem Archiv zu finden. Charisa, Barrex, Kira und Darren liefen durch die Gänge, sie klapperten einen nach dem Anderen an, Darren voran und zwar möglichst so, dass sie nicht von den Kameras entdeckt werden konnten. Aber der Gravianer fand die Buchstabenfolge, die er suchte, nicht.
„Das muss doch irgendwo hier sein!“, raunte er angespannt. Barrex sah sich im Raum um, am Boden, an den Wänden und Regalen und an der Decke. Da fiel ihm das große Loch über ihnen auf, durch das die dicke Säule mit der roten Leuchte in der Raummitte weiter emporstieg. Dort gelangte man in ein höher gelegenes Stockwerk. Der Durchlass war nur leider zu klein und zu rund, als dass ein Waver hindurchgepasst hätte. „Guckt mal, da oben. Da muss das Archiv weitergehen.“, erkannte Barrex. „Wie kommen wir da hoch?“ Kira hatte eine Antwort auf Charisa´s Frage. „Darren, komm mit mir.“, forderte die Nyoma den Gravianer auf. Er blickte sie kurz irritiert an, doch dann folgte er ihr. Sie hatten keine Zeit für lange Nachfragen. „Wir springen. Es könnte etwas holprig werden.“, sagte die Meditazia, dann lehnte sie sich mit dem Rücken an Darren´s Vorderseite, legte seinen rechten Arm über ihre Schulter und hielt sein Handgelenk und sein Ellenbogen fest. Ihr Körper fing an, den seltsamen, schwarzen Nebel ihres Kekkis abzusondern, den Darren misstrauisch beobachtete. Er wusste nicht, was das war oder was Kira vorhatte. Sie ging soweit in die Hocke, wie es ging, dann sprang die selbstbewusste Nyoma zusammen mit dem Gravianer hoch in die Durchführung; diese war bestimmt zehn Meter über ihnen. Die langjährige Kekkiani hatte ihre Kraft vor allem in den Beinen konzentriert und verstärkt – so konnte sie selbst mit dem schweren Gravianer diese Hürde überwinden. Die Beiden landeten sicher in der oberen Etage, in der tatsächlich noch mehr hohe, metallene Schränke mit den sortierten Schubladen standen. Auch hier gab es eine rote Leuchte, die den großen Stützpfeiler umgab und den Raum in ein dunkles, rotes Licht tauchte – und noch mehr Überwachungskameras. Spätestens jetzt wurden sie durch die Kameras in dem oberen Geschoss des Archivs entdeckt. „Passt auf, dass keine der Wachen durchkommen, sobald sie hier sind!“, sagte Kira zu Charisa und Barrex über ihr Headset, dann setzten sie ihre Fahndung umgehend fort.
Während die Vier fleißig am suchen waren, versteckten sich Jack, Jay, Al und Jadon zwischen den mehrstöckigen, aber niedrigeren Häusern, die um den Festplatz herum standen. Sie änderten stetig ihre Position, um den Sicherheitskräften auszuweichen. Es waren immer noch eine Menge Zivilisten hier, die wild durcheinander flogen. Einige Silizoiden schwebten bewusstlos in der Luft; sie waren von den in Panik geratenen Festbesuchern überwältigt worden. Ihre Körper wurden von den bunten Flutlichtern der Jubiläumsfeier in ein makaberes Licht getaucht. Weitere Einsatzfahrzeuge der Polizei erreichten den Schauplatz; aber diese Hovercars sahen anders aus. Sie waren bestimmt anderthalb mal so breit wie die anderen Polizeiwagen und schienen schwer gepanzert zu sein; und dann bekam Jack einen gewaltigen Schock, als er den Schriftzug auf den neu eingetroffenen Schwebefahrzeugen las. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Bauchgegend breit. „Sondereinsatzkommando! Rückzug!“, gab er über sein Mikrofon zu verstehen. „Charisa, wie weit seid ihr?“, fragte Al. „Wir brauchen noch ein bisschen...“ „Dafür habt ihr keine Zeit! Macht das ihr da rauskommt! Wir können euch nicht länger den Rücken freihalten!“ „Nur noch eine Minute...“ „Nein! Bewegt eure Ärsche da raus, bevor es zu spät ist! Wir müssen hier sofort weg! Sofort!“, fuhr der Gravianer das Mädchen an. Das letzte Mal, als er und seine beiden Kumpanen einem Sondereinsatzkommando begegnet waren, wurden zwei der Silizoiden, mit denen sie zusammengearbeitet hatten, festgenommen und der Dritte getötet. Die Angst des Gangsterbosses, der sich in seinem schnellsten Dauerlauf vom Festplatz entfernte, war also begründet.
Er lief hektisch über den Weg aus kunstvoll angelegten Pflastersteinen zwischen den Häusern hindurch, bis er zwischen einer pyramidenförmigen Baute und einem hässlichen Kasten links abbog, denn dort hatten sie auf einer kleinen Wiese, auf der dasselbe Gras wuchs wie vor dem Firmengebäude, ihren Waver im Schatten eines Hochhauses geparkt. Auch Jay, Al und Jadon erreichten gerade das Gefährt. Jack erklomm das Fahrzeug und öffnete die unabgeschlossene Glaskuppel – und in demselben Moment explodierten alle drei Antriebe. Unser Sturmtrupp wurde bereits entdeckt! Der Gravianer war wegen seiner stabilen Haut bis auf einige leicht blutende Wunden unverletzt geblieben und die anderen Drei hatten ebenfalls keine schweren Verletzungen davongetragen, doch wer wusste, wie lange das so bleiben sollte? Nun erkannte Jack zwischen den Häusern das dutzend Glanzhäute, ausgerüstet mit Helmen, Schutzwesten und Schusswaffen, die sie als Implantat in beide Schultern und Arme eingebaut hatten. Beamte des Sondereinsatzkommandos. Sie waren hinter den Hauswänden in ausreichender Höhe in Deckung gegangen und hatten die vier Gravianer, die sich rund um das Fahrzeug herum befanden, ins Visier genommen. Auf den implantierten Waffen ihrer Rechten waren Schriftzeichen zu lesen, die die Worte >>Jrawam<< - Elite - und >>Hjrijan<< - Polizei – in den Schriftzeichen der Glanzhäute darstellten sollten, die Bionik zu ihrer Linken zeigte eine elektronisch angezeigte Zahl, ebenfalls in Silizoiden-Schrift und beinhaltete außerdem eine kleine Kameralinse.
Jack, der seinen Sturz von dem Fahrzeug gerade noch abfangen konnte, fackelte nicht lange und lief zu der silbrigen Hauswand des Wolkenkratzers am Wiesenrand. Währenddessen nahm er panisch den Hammer aus der ledernen Scheide auf seinem Rücken. Er riss mit Anlauf und unter Einsatz seiner vollen Kraft mit dem Stahlkopf der Schlagwaffe ein Loch in die stabile Außenfassade des Wolkenkratzers und lief durch das so entstandene Loch hindurch. Die Aliens hatten währenddessen das Feuer eröffnet. Die anderen drei Umzingelten wurden mehrfach von schmerzhaften Ionenprojektilen erfasst und ihre Haut begann an den getroffenen Stellen, sich leicht aufzulösen, aber widerstandsfähig wie die Gravianer nun einmal waren, schafften die Drei es trotzdem ebenfalls in das von innen beleuchtete Bauwerk hinein. Aber war das wirklich so gut? Es schien fast so, als würden die Glanzhäute sie in das Gebäude treiben wollen, denn keiner der feindlichen Schüsse traf lebenswichtige Stellen. Jack und Al gingen links und rechts des eingerissenen Lochs im Innern des Gebäudes hinter der Wand in Deckung, während Jadon und Jay zwischen den Kisten und den Fahrzeugen, die in diesem Raum herumstanden, hindurch stürmten und hinter der meterdicken, bläulich schimmernden Säule in der Mitte des Lagerraums, in den sie hier gelangt waren, Schutz suchten. Sie warteten äußerst angespannt darauf, die Einsatzkräfte unter Beschuss nehmen zu können, sobald sie das Gebäude betreten hätten, doch stattdessen flogen zwei Granaten durch die Öffnung in der Hauswand und explodierten sogleich. Jack und Al erschraken, doch anstatt der erwarteten Sprengkraft wurde der innere Bereich rund um die eingerissene Wand von einem weißen Dampf schockartig durchströmt. Jack wich sofort von seiner Deckung zurück.
„Nicht einatmen!“, rief er noch, doch es war zu spät. Al taumelte aus der Gaswolke aus Betäubungsgas hinaus und fiel zu Boden, nur um dann von dem sich ausbreitenden Gas wieder eingeholt zu werden. Er war der Bewusstlosigkeit nahe. Alles, was er noch vernahm, waren die verschwommenen Stimmen seiner Mitstreiter. Wider Erwarten stürmten die Einsatzkräfte, die inzwischen Verstärkung bekommen haben mussten, nun von einem Durchlass in den oberen Stockwerken hinunter in den Lagerraum und nahmen Jack, Jadon und Jay mit Explosivgeschossen, die sie nicht in ihren Schultern verbaut hatten, sondern mit ihren Pranken trugen, ins Visier. „Waffen runter! Auf den Boden!“, schrien gefühlt alle Beamten gleichzeitig in einer unheimlichen Lautstärke. Jeder der Polizisten beherrschte offensichtlich unsere Sprache; sie waren auf einen Einsatz gegen Menschen schon lange vorbereitet gewesen. Währenddessen wollte ein weiterer Trupp, der nur eine Sekunde später durch die zerstörte Hauswand ins Innere des fünfeckigen Wolkenkratzers drang, Al in Gewahrsam nehmen. Das Betäubungsgas machte den Aliens im Gegensatz zu den Gravianern nichts aus. Womit die Einsatzkräfte jedoch nicht rechneten, war Jack´s Risikobereitschaft. Er hob eine große Kiste, die direkt vor ihm stand auf und nutzte sie als Deckung gegen die Polizisten, die nun das Feuer eröffneten. Die Kiste und ihr Inhalt wurden von den explosiven Projektilen förmlich zerfetzt und einige Metallsplitter bohrten sich in Jack´s Seite, doch der Gangster-Boss ignorierte die Schmerzen, atmete tief ein, hielt die Luft an und stürmte in geduckter Haltung und in überraschend schnellem Tempo zurück in die sich langsam auflösende, weiße Gaswolke, schnappte sich einen Polizisten und drückte ihm seine kalte Waffe an den Hals, während er den Beamten mit der anderen Hand so fest umklammert hielt, dass man ein leises Knarzen hörte. Das Exoskelett des Aliens gab nach und war kurz davor, zu bersten. Auch Jack´s Geisel musste wie Al kurz vor der Bewusstlosigkeit stehen, sonst hätte der Polizist seine implantierten Waffen benutzt, um sich zu befreien. Das weiße Gas verflog schließlich vollständig.
„Mkachnal Misknal! Asurkil îak Sad Tijâb! Iôc´h Schal Jinrae~ Dil Tkrop!“ - „Stehen bleiben! Lasst ihn sofort los! Oder euer Kumpel ist tot!“, rief er, zur Überraschung der Beamten in ihrer Muttersprache. Sie blieben in Erwartung der Ereignisse stehen, auch die Leute, die Jadon und Jay umzingelt hatten, während Jack sich blitzartig mit seiner Geisel um ein seltsames Metallgestell herum zur Gebäudemauer bewegte, um die Metallplatten der Wand im Rücken zu haben. So konnten die Glanzhäute ihn nicht von hinten ausschalten. Aber die Einsatzkräfte ließen Al nicht los. Sie mussten bereits einen Plan haben. Immerhin war es ein Sondereinsatzkommando. „Esurkil Jac´h Bad Tijâb, iuo Djû´gair Jilan.“ - „Lassen Sie ihn los, dann wird niemand verletzt.“, sagte einer der Silizoiden in unheimlich ruhigem und scheinbar emotionslosen Ton. Doch Jack ließ sich davon nicht beeindrucken. „Eike, ihr müsst uns abholen! Schnell!“, forderte Jadon aufgeregt über Funk. „Wo seid ihr?“, wollte der Terrianer wissen, doch in genau diesem Moment wurde der Boden unter den Füßen von Jack, Jadon und Jay durch mehrere Explosionen zerrissen und die drei Gravianer fielen ein Stockwerk tiefer. Nun waren sie dort im Keller gefangen, denn es gab in den Gebäuden der Glanzhäute keine Treppen. Jack hatte seine Geisel wegen der explosiven Überraschung losgelassen; der verletzte Polizist schwebte inmitten des Erdgeschosses und erlangte langsam das Bewusstsein wieder. Das Sondereinsatzkommando machte seinem Namen alle Ehre; sie beherrschten ein unglaublich gut durchdachtes taktisches Vorgehen.
Der Polizeitrupp, der wohl zur Absicherung der anderen Beamten schon vor mehreren Minuten durch ein benachbartes Gebäude die miteinander verbundenen Kellergänge betreten hatte und die Sprengungen vorgenommen haben muss, flog nun schnell durch die aufgerissenen Löcher im Boden hoch ins Erdgeschoss, um der Reichweite der gefährlichen Menschen zu entfliehen, während mehrere Betäubungsgas-Granaten in den Keller flogen. „Legt euch hin!“, rief Jack erschrocken. Er hatte eine einzige Idee, aber er wusste nicht, ob sie funktionieren würde. >>Wenn das nicht klappt, sind wir definitiv tot...<<, dachte er sich. Er nahm sich den letzten Brandsatz, den er dabei hatte, warf ihn in die betäubende Wolke zu einem Punkt, von dem er glaubte, dass sich dort keiner seiner Komplizen befand, und zündete ihn per Fernzünder. Man sah durch die Wolke kurz einen roten Schimmer aufblitzen, doch sonst passierte nichts weiter. Das sah nicht gut aus. Jack hatte schon geglaubt, es wäre vorbei gewesen, doch kurz bevor das sich ausbreitende Gas ihn erreichte, wurde es von einer dunklen, blauen Flamme, die sich langsam durch den Dampf arbeitete, aufgefressen. In den Löchern in der Kellerdecke, durch die die Gravianer gefallen waren, war immer noch das nahezu undurchsichtige Gas zu sehen, das nun jedoch langsam verflog. „Tut so, als seid ihr bewusstlos!“, flüsterte Jack über Funk den anderen Beiden zu. Keine schwere Aufgabe, denn sie konnten sich sowieso kaum noch bewegen, durch die Explosionen und den Fall um ein Stockwerk tiefer hatten sie sich Verletzungen an den Beinen und an der Hüfte zugezogen. Die Gravianer blieben also am Boden liegen, während die Glanzhäute in das Kellergeschoss eindrangen, nun, da das Gas verflogen war und sie glaubten, im dunklen Untergeschoss keine verdeckte Sicht mehr zu haben. Dass das Betäubungsmittel verbrannt war, hatten sie durch die Wolkenreste, die an der Kellerdecke bis vor einigen Sekunden schwebten, nicht sehen können.
Die feindlichen Einheiten nahmen die scheinbar bewusstlosen Humanoiden sofort ins Visier, während sich je vier weitere Einsatzkräfte näherten, um ihnen die gehärteten Fesseln aus Siliciumcarbid anzulegen. Doch die Polizisten sollten ihre Zielobjekte niemals erreichen, denn die drei Verletzten drehten sich urplötzlich mit unterdrücktem Schmerz auf den Rücken und sie warfen ihre letzten Brandsätze auf die Aliens – bis auf Jack natürlich, er hatte seinen Letzten ja gerade verbraucht – und die sich nähernden Trupps verbrannten ihr Inneres in einer hellen Flamme. Die restlichen fünf der Glanzhäute waren durch das plötzliche Feuer geblendet. Sie wollten schnell noch zurück ins Erdgeschoss fliehen, was wohl ihre beste Chance gewesen wäre – doch sie konnten die Durchgänge mit ihren geblendeten Sehpigmenten kaum erkennen. Während einer der Beamten gerade Verstärkung anfordern wollte, wurden er und seine Kollegen von den im Keller gefangenen Humanoiden erschossen. Jack und Jay waren bereits seit Längerem gute Schützen, aber auch Jadon hatte ein erstaunliches Geschick mit seiner Waffe; jeder seiner fünf Schüsse traf einen Gegner. Doch unsere drei Kämpfer waren am Ende ihrer Kräfte angelangt, und langsam machte ihnen auch der Blutverlust durch die vielen Wunden zu schaffen. Außerdem hatte Jack noch einige Metallsplitter von der Kiste in seiner Seite stecken, was die Situation nicht gerade verbesserte. Unterdessen hatte die betäubende Wirkung des Gases in Al´s Körper nachgelassen. Er hatte sich durch seine große Stärke befreien können, einen der Polizisten als lebenden Schild genommen und schoss nun zwischen den hohen Architekturen scheinbar wild um sich, doch in Wirklichkeit wollte er Eike ein Zeichen geben, an welchem Ort ihre Kameraden sie abholen mussten. Al entfernte sich mit dem Alien, den er bewusstlos geschlagen hatte, von Jack und den Anderen, in der Hoffnung, so die Einsatzkräfte weglocken zu können,was ihm auch gelang, denn die verbliebenen Silizoiden mussten sich darauf konzentrieren, ihren Kameraden zu befreien. Doch lange konnte der letzte stehende Gravianer so nicht durchhalten, denn wenn erst einmal Verstärkung für die Einsatzkräfte eingetroffen wäre, hätten sie verloren.
Kira und Darren waren zur selben Zeit fleißig damit beschäftigt, nach hilfreichen Unterlagen in den scheinbar unendlichen Weiten des Archivs zu suchen, unterdessen waren Barrex und Charisa hinter den Aktenregalen ein Stockwerk tiefer in Deckung gegangen. Die Beiden wussten genau, dass jeden Moment Wachen kommen würden. Hier waren zu viele Kameras, sie wurden definitiv gesehen, bevor Barrex und Charisa sämtliche Objektive zerschossen hatten. Außerdem war eine so große Zahl an ausgefallenen Überwachungseinrichtungen nicht mehr realistisch, man musste schon ein Idiot sein, um nicht spätestens jetzt einige Ungereimtheiten zu wittern. Und die Beiden wurden nicht enttäuscht, denn auf einmal ging das große Licht im Archiv an und vier Silizoiden flogen durch den runden Eingang, aus dem auch Charisa, Barrex, Kira und Darren anfangs gekommen waren hinein in das Labyrinth aus Aktenschränken. Barrex merkte dem Wachpersonal jedoch sofort an, dass sie nur ganz gewöhnliche Wächter waren, keine Spezialeinheiten oder Vergleichbares, denn sie kamen ohne jegliche Deckung in den Raum hinein und flogen nun die langen Gänge zwischen den eingeordneten Akten entlang, einen nach dem Anderen. Dabei blieben sie über den Regalen, sodass sie einen Großteil des Raumes einsehen konnten. Ein Kinderspiel für Barrex, der am Ende eines Regals mit dem Rücken zur Seitenwand eines Aktenschranks in Deckung gegangen war. Er hatte sich einen Ordner aus einem der Fächer hinter ihm genommen. Eine der Glanzhäute flog den Korridor rechts hinter dem Elite-Polizisten entlang;
Barrex wartete, bis die Glanzhaut kurz davor war, den Hauptgang zu erreichen, in dem er sich selbst versteckte, dann warf er die Akte in den Gang links hinter ihm. Das Geräusch ließ die Wache, die Barrex fast erreicht hatte, aufhorchen. Sie drehte sich um; ein großer Fehler, wie sie bemerkte, als der Nyoma ihr mit einer unheimlichen Treffsicherheit und Geschwindigkeit eine Kugel in den Kopf und danach sofort noch eine in den Rücken versetzte, während er zur Seitenwand des rechten, benachbarten Regals lief. Der Silizoid sank langsam zu Boden. Er war definitiv tot. Die anderen beiden Aliens senkten sich sofort erschrocken zu Boden ab, sodass die Regale ihnen nun Deckung gaben, doch Barrex hatte ihre Positionen und ihre Richtungen genau im Kopf. Er drehte sich ein ganz klein wenig zum nächsten Gang, der nun rechts hinter ihm lag, um besser hören zu können und wie erwartet vernahm er den Flügelschlag der zweiten Wache, die dort vorsichtig entlang schwebte. Der einstige Polizist, der nun eher wie ein gefährlicher, hochprofessioneller Auftragskiller wirkte, zog sich geräuschlos drei Regale weiter nach hinten zurück, ging hinter dem dortigen Regal halb in Deckung, sodass er gerade noch um die Ecke sehen und schießen konnte und nahm den Ort ins Visier, an dem der Alien jeden Moment auftauchen musste. Die restlichen beiden Aliens kümmerten ihn im Moment nicht, sie waren noch viel zu weit weg und sie würden nicht noch einmal wieder hochkommen, es sei denn, sie wollten ebenfalls erschossen werden. Die zweite Wache kam gerade um die Ecke, erblickte Barrex, und das sollte auch das Letzte sein, was sie jemals zu Gesicht bekam, denn ihr Kopf und ihre Brust wurden ebenfalls von dem EM-Geschütz durchbohrt. Der Nyoma drehte sich blitzschnell wieder hinter die Seitenwand des Aktenschrankes, um seine ursprüngliche Deckung wiedereinzunehmen, für den Fall, dass noch weitere Wachen diesen Raum betraten. Er hätte auch problemlos die anderen beiden Gegner ausschalten können, doch sie waren näher bei Charisa.
Die Kekkiani war ebenfalls hinter einer der Seitenwände der Regale in Deckung gegangen. Aber sie verließ sich nicht zu sehr auf ihre Schusswaffe, denn sie fühlte sich noch nicht sehr zielsicher. Eine der beiden verbliebenen Glanzhäute näherte sich langsam Charisa an. Der Gegner schwebte mit Waffe im Anschlag und unter stetiger, angestrengter Beobachtung der Umgebung zwischen den vielen Aktenschubladen hindurch, dem angespannten Mädchen entgegen. Unsere Heldin blickte vorsichtig um die Ecke der Seitenwand und erblickte den Silizoiden, der von der Situation sichtlich verunsichert war, in dem Korridor. Sie konnte ihrem Gegner direkt in die Pigmentfelder seines Gesichtes schauen, und er konnte Charisa direkt in die Augen blicken. Er hatte sie gesehen! Der Alien wollte gerade das Feuer eröffnen, doch das gelang ihm nicht, denn die Kekkiani reagierte rechtzeitig. Sie fegte mit ihrem Arm einmal durch die Lüfte und warf so unter Zuhilfenahme ihrer Kräfte das große Regal zur linken des Aliens um. Der Gang wurde von einem leichten, blauen Schimmer erhellt und der Schrank klappte mit voller Wucht gegen die Dokumente in den Borden der gegenüberliegenden Seite. Hunderte Akten stürzten auf die erschrockene Glanzhaut und lenkten sie von Charisa ab, die wiederum nun drei Male auf ihren Gegner schoss, der reflexartig versuchte, sich mit seinen Armen und Flügeln gegen die hinunterfallenden, schweren Ordner zu schirmen. Dadurch, dass der Silizoid abgelenkt war, konnte die junge Frau besser zielen. Immerhin zwei ihrer Schüsse trafen, einer davon war tödlich. „Verdammt, beeilt euch, Darren!“, forderte Charisa über Funk. „Wir sind dabei...!“, antwortete Darren nervös. Die richtige Buchstabenfolge hatte er bereits gefunden, er musste nur noch die richtige Akte finden, während Kira die Gegend im Auge behielt, um eventuell auftauchende Feinde in Schach zu halten.
„Da, wir haben es!“, entfuhr es ihm nach zwei Sekunden erleichtert. „Gut, dann lasst uns...“ Ein Schuss unterbrach Charisa. Das Mädchen hatte ihre Deckung nicht geändert und die letzte der vier Wachen hatte sie nun gefunden und ihr in die linke Schulter geschossen und zwar so fies, dass sich das Projektil bis hin zu Charisa´s Rippenfell bohrte und es einriss. Natürlich wusste Charisa nicht, was das Geschoss im Innern ihres Körpers anrichtete, aber sie vernahm neben den Schmerzen in der Schulter ein starkes Stechen in der Brust und im Hals. Der laute, schmerzverzerrte Aufschrei der jungen Freiheitskämpferin war durch den ganzen Raum zu hören. Sie fuhr zu ihrer linken Seite, während die Glanzhaut den Kopf der Kekkiani ins Visier nahm. Charisa blickte ihrem Peiniger mit schmerzverzerrtem Blick ins Gesicht. Die Zeit schien plötzlich zu stehen. Sie nahm jeden Atemzug intensiver war, jede Bewegung genauer. Sollte es hier schon vorbei sein? War das das Ende? Sie hatten doch noch kaum etwas erreicht. Sie wussten nicht einmal, wo Hû~ram sich befand. Nein. Nein, es durfte nicht vorbei sein. Nicht hier. Nicht jetzt! Auf keinen Fall! Plötzlich durchströmte ein unglaublich starkes Gefühl Charisa. Sie ließ sich nun komplett zur linken Seite fallen, und ihr Plan funktionierte – der außerirdische Schütze verfehlte sein Ziel – dann schlug sie ihren rechten Arm vor ihr eigenes Gesicht und der Alien wurde scheinbar zeitgleich von dem längs zu ihm stehenden Regal gegen die Wand gepresst, mit einer derartigen Macht, dass nicht nur Charisa´s Gegner trotz seines Exoskeletts aus Siliziumnitrid wie eine Eintagsfliege zerquetscht, sondern auch die dicke Wand des Saals gnadenlos durchschlagen wurde und das Regal noch mehrere Meter weiter rutschte, bis es die Außenfassade ebenfalls durchstieß und nun halb aus dem Gebäude hing. Während das passierte, erhellte ein intensiver Dunkelblauton, ausgehend von Charisa´s Energie in dem bewegten Aktenschrank, das gesamte Archiv mit einer noch nie dagewesenen Intensität. Die leblosen, platt gepressten Überreste der Glanzhaut fielen wie ein Blatt Papier hinab auf die runden Mauern des Firmengebäudes und stürzten von dort weiter in die Tiefe. Charisa war fest entschlossen, weiterzuleben. Es sollte hier noch nicht vorbei sein. Das ließ sie nicht zu.
Kira hatte Recht – je größer Charisa´s Entschlossenheit wurde, desto größer war ihre Kraft. Doch das Mädchen blickte ungläubig auf die zerschmetterte Wand. Hatte wirklich sie gerade so einen gewaltigen Schaden angerichtet? Sie ganz allein? Ihr Schmerz riss sie aus ihren Gedanken. „Charisa, bist du in Ordnung?“, fragte Barrex, immer noch hochkonzentriert. Man konnte ihm die Sorge um seine Kameradin kaum anhören, auch, wenn er besorgt war. „Nein, ich bin an der Schulter getroffen...“, rief sie durch den Raum zurück. Sie stand durch den plötzlichen Treffer der Wache unter Schock und dachte nicht daran, ihr Headset zu benutzen. „Ich komme zu dir!“, meinte Barrex, immer noch über Funk. „Nein, wir treffen uns beim Waver! Die Anderen brauchen uns... Und das waren alle Gegner...“ „Woher weißt du das?“, fragte der Nyoma überrascht. „Du hast zwei ausgeschaltet, ich habe zwei ausgeschaltet... Es waren nur Vier...“, murmelte das Mädchen halb in Trance, während sie sich auf unsicheren Beinen auf den Weg durch das Labyrinth aus Akten und Ordnern zum Waver machte. Doch sie hätte die gekonnten Bewegungen des Elite-Polizisten gar nicht beobachten können.
Barrex fragte nicht weiter nach, sie hatten Wichtigeres zu tun, doch er war etwas irritiert, vor allem deswegen, weil Charisa Recht hatte. Woher wusste sie, wie viele Feinde er ausgeschaltet hatte? Hatte sie die Schüsse abgezählt? Aber woher hätte sie wissen sollen, ob die Schüsse von den Wachen oder von Barrex stammten? Die Beiden erreichten den Waver und stiegen ein, Barrex flog direkt unter den Durchbruch zum oberen Stockwerk, sodass Darren und Kira hinab in das Fahrzeug klettern konnten. Sie hatten im höher gelegenen Teil des Archivs ein Chaos aus geöffneten Schubladen und durch die Gegend geschmissenen Akten hinterlassen, außerdem hatten sie ihre eigenen Brandsätze im Archiv verteilt, um die Akten und die vielen Datenträger, die sich ebenfalls in den Schubladen befanden, zu zerstören. Die Meditazia kümmerte sich auf der rot gepolsterten Rückbank sofort um Charisa´s Wunde. Sie hatten keinerlei medizinische Ausrüstung dabei, deswegen musste Kira ihren Pullover ausziehen und einen Druckverband improvisieren, bis sie bei Adnia angelangt wären. Die Heilerin hätte die Wunde schnell verschließen und so auch die Entzündung, die sich nun durch die Stofffasern des Pullovers unweigerlich entwickelte, weitestgehend durch eine schnelle Heilung unterbinden können.
Barrex wollte das Fahrzeug nun wieder in den langen Zentralgang hinein manövrieren, doch dann erspähte er über die Aktenschränke hinweg das Loch in der brutal eingerissenen Wand und die durchbrochene Außenfassade. Das konnte nur Charisa getan haben. Selbst er war etwas schockiert über dieses Bild, und er hatte schon so Einiges in seinem Leben erlebt. Auch Kira war überrascht von Charisa´s Kraft; und das, obwohl die Beiden noch kaum zusammen trainiert hatten. Eigentlich hätte ihre Schülerin nicht einmal annähernd so eine Gewalt entwickeln dürfen, nicht einmal im Angesicht des Todes. In dem jungen Mädchen musste eine gewaltige Energie schlummern. Barrex ließ sich durch dieses zerstörerische Bild nicht aus seiner Konzentration reißen, auch wenn es ihm unheimlich erschien; er flog jetzt statt durch den Siphon im Innern des Firmengebäudes durch die eingerissene Wand des Archivs hindurch und schob das zusammengequetschte Regal in der zerstörten Außenmauer, das nur noch auf halb Acht über der Kante der zerstörten Wand hing, mit der Vorderseite des Fahrzeugs aus dem Gebäudekomplex hinaus, damit der Waver durch den großen Riss passte. Durch den Riss hindurch zu fliegen, konnte ihnen sicher mehrere wertvolle Minuten an Zeit verschaffen, außerdem konnten sie so unnötigen Kämpfen aus dem Weg gehen. Kaum hatten sie den Firmenkomplex verlassen, zündete Kira die ferngesteuerten Brandsätze im Archiv, um alle Datenträger und Akten zu zerstören. Dann flog der Elite-Polizist gekonnt mit vollem Tempo in Richtung des Festplatzes, in die Richtung, in die auch Jack mit seinen Begleitern geflogen war, während er sein Fahrzeug zum Boden absinken ließ. Sie hatten keine Zeit zu verlieren; die Anderen brauchten umgehend Unterstützung und Charisa benötigte sofort Adnia´s Heilkräfte. Der improvisierte Druckverband tat nur bedingt das, was er tun sollte; der Pullover saugte sich zu schnell mit ihrem Blut voll. Sie benötigte schnell medizinische Hilfe, sonst wäre sie verblutet.
Das Fahrzeug flog über die Wiese vor der Firma hinweg und schnellte dann zwischen den Häusern hindurch, doch Barrex bremste nach nur einer halben Minute das Fahrzeug ab und schwebte an einer der Hauswände empor. „Sie haben Al...!“, meldete Eike plötzlich bestürzt über sein Headset. „Verdammt...“, entfuhr es Barrex leise, während er die Spitze des Gebäudes erreichte. Von dort aus hatte er den besten Überblick über die Umgebung. Der Pilot und seine Mitfahrer sahen sich um. „Wir können ihn da nicht herausholen, sonst töten die uns auch...! Es tut uns Leid...!“, stammelte Josh entsetzt. Er und auch Adnia, Gero und Dana wollten helfen, aber sie konnten nichts tun. Wenigstens hatten sie es Dank Al´s Einsatz geschafft, Jadon, Jack und Jay aus dem Keller zu retten. Barrex, Charisa, Kira und Darren konnten in den luftigen Höhen zwischen den Wohngebäuden zunächst nichts erkennen. Die vielen Hochhäuser versperrten die Sicht auf einen Großteil der Wege. „Flieg da herunter...!“, meinte Charisa auf einmal, während sie zwischen zwei niedrige Häuser zeigte, die sich inmitten zweier hoher Wolkenkratzer befanden. „Was ist da?“, fragte Barrex. „Al... Wir müssen ihn da sofort herausholen... Er ist schwer verletzt...“, murmelte das Mädchen, benommen durch den Blutverlust. Und langsam wurde auch ihre Atmung schwerer, denn durch die Verletzung des Rippenfells lief ihre Pleurahöhle, der Spalt zwischen Lunge und Rippen, der für die Atmung von größter Bedeutung ist, langsam mit Blut voll.
„Bist du sicher?“ „Ja... Schnell...“ Barrex tat, wie geheißen, und tatsächlich – wenn man dem Weg zwischen den beiden Häusern folgte, sah man den Gravianer. Al lag mit dem Gesicht zu Boden auf einer Wiese vor der Tür eines schwarzen Wolkenkratzers, mit stabilen Hand- und Fußschellen, umringt von einem dutzend Glanzhäuten und zwei Einsatzfahrzeugen der Aliens. Der Gravianer hatte mehrere, tiefe Fleischwunden am Rücken und war ohnmächtig. Die Spezialkommandotruppen mussten explosive Geschosse gegen ihn angewandt haben. Nicht die kleinen, die unsere Leute aus Diyu kannten; es mussten äußerst effiziente Projektile gewesen sein, wenn sie einem Gravianer solche Wunden zufügen konnten. Die Beamten erblickten Barrex und die Anderen über den gepflasterten Weg entlang und nahmen den Waver, Al´s letzte Chance auf Rettung, ins Visier, woraufhin Barrex sein Fahrzeug schnell in Deckung und dann hinter den Häusern entlang bewegte. „Darren. Kira. Ihr müsst schießen.“, sagte Barrex deutlich und öffnete die Glaskuppel des Hovercars, während er das letzte Gebäude der Häuserreihe, das er als Schutz nutzte, umflog, damit Kira und Darren von einer unerwarteten Position aus schießen konnten. So hatten sie eine höhere Chance, die Beamten zu treffen. Doch dann erlebten die Silizoiden eine unerwartete Überraschung, denn Al hob plötzlich vom Boden ab und flog schnurgerade nach oben. Charisa hatte die Fesseln des verwundeten Gravianers mit ihrer Energie erfüllt und holte ihn aus seiner Todesfalle heraus, indem sie die Siliziumcarbidketten durch ihre Fähigkeit anhob. Die junge Frau drehte ihren Kameraden um, sodass die Hände hinter seinem Rücken zum Planeten gewandt waren und er auf seinen Armen lag; sonst hätte sie ihm womöglich die Schultern ausgekugelt.
„Feuer!“, sagte Barrex laut, während er sein Fahrzeug nach rechts um das Haus herumdrehte und gleichzeitig einen seiner letzten beiden Brandsätze, die er sich für eine solche Situation aufbewahrt hatte, auf die feindlichen Einheiten warf. Kira und Darren eröffneten das Feuer, woraufhin die Spezialeinheiten schnell die Deckung wechseln wollten, nur um mitten in den von Barrex geworfenen Brandsatz zu geraten, der nun in hellem Licht zündete. Zwei der unheimlichen Glanzhäute waren innerhalb von Sekunden tot, einige Andere verletzt. Aber vor allem waren die gegnerischen Schützen von den plötzlichen Flammen abgelenkt und geblendet. Das nutzte Barrex aus, um zu Al zu fliegen, der mitten in der Luft schwebte. Der Pilot sammelte den Verletzten mithilfe von Charisa, die den bewusstlosen Gravianer dem Fahrzeug entgegen schweben ließ, ein und verschloss die Glaskuppel des Wavers, danach verschwand der Nyoma sofort hinter dem schwarzen Wolkenkratzer, sodass die Beamten, die nun langsam ihre Sicht wiedererlangten, nicht mehr auf ihn schießen konnten. Kira nahm sich im Fahrzeug umgehend der Hand- und Fußschellen Al´s an und zerriss sie mithilfe ihres Kekkis. Die Ketten zerrissen wie Gummibänder. Das musste eine unglaubliche Kraft erfordern, mehr, als zwei ausgewachsene Gravianer zusammen hätten aufbringen können. Aber die Meditazia schien trotzdem nicht die geringsten Probleme mit der Zerstörung der Ketten aus Siliziumcarbid zu haben. Barrex schloss die Luke des Hovercars nun umgehend; es war noch nicht vorbei.