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Kapitel 11 – Die Ruinen von Tenoch

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„Wir haben ihn! Weg hier! Wir treffen uns auf Rubia!“, erklärte Barrex den Anderen angespannt über sein Headset. Er beschleunigte, so schnell er konnte, doch die Glanzhäute waren ihm schon mit Sirenen und blauen und roten, blinkenden Leuchten auf den Versen und feuerten einzelne Warnschüsse ab. Der Nyoma steuerte geradewegs auf den dunklen Himmel zu, sodass der weiße Zwerg nun langsam hinter dem Mond sichtbar wurde und doch in einem ziemlich hellen Licht die oberen Schichten der Atmosphäre erhellte. So entfernte sich Barrex immer weiter vom Erdboden, bis auf einmal wie aus dem Nichts – genau wie der frühere Polizist befürchtet hatte – von der linken Seite im blendenden Schein des toten Sterns drei weitere Einsatzfahrzeuge erschienen und die Karosserie unserer Leute mit gezieltem Sperrfeuer nach rechts drängten, wo von oben und unten weitere Schwebefahrzeuge der Polizei direkt auf Barrex´ Kurs zusteuerten. Hätte der Elite-Pilot nicht mit den gegnerischen Fahrzeugen gerechnet, so hätten sein Waver jetzt wahrscheinlich mehrere Löcher in der Karosserie. Nichtsdestotrotz hatten die Silizoiden Barrex nun nicht nur in die Zange genommen, sondern sie hatten so weit über Jaru~n auch noch freie Schussbahn, die sie nun schamlos ausnutzten, um ihr Zielfahrzeug vom Himmel zu holen, während die anderen Polizeifahrzeuge, die den Nyoma vom Boden aus verfolgt hatten, auf einmal abdrehten. Dieses Manöver war von Anfang an ihr Plan gewesen! Allerdings konnte Barrex Dank seiner hochprofessionellen Fähigkeiten den meisten der leuchtenden Projektile ausweichen; sein Hovercar hatte lediglich einige Kratzer. Doch das hätte er höchstens eine Minute durchgehalten, unsere Leute hatten es immer noch mit einem Sondereinsatzkommando zu tun und sie wurden gerade aus drei Richtungen gleichzeitig beschossen. Jedoch nicht mehr lange. Barrex flog in einer völlig wilden Bahn auf die Fahrzeuge, die auf der rechten Seite über ihnen vom Himmel kamen zu, bis er sich den gegnerischen Angreifern sehr stark genähert hatte. Er wollte sich eigentlich zwischen den Fahrzeugen durchwinden und ein Fahrzeug dabei so schneiden, dass er wenigstens die installierten Schusswaffen verbogen hätte.

Doch auf einmal stürzte das Fahrzeug, auf das der bemerkenswerte Pilot zusteuerte, schlagartig gerade nach unten, rammte ein anderes Einsatzfahrzeug, das sich von unten angenähert hatte und beide Karosserien zerschellten in der Luft in ihre Einzelteile. Die Polizisten, die sich gerade noch darin befanden, bewegten sich erst nicht, flogen dann benommen weg von der Unfallstelle. Charisa hatte die Fahrzeuge mit ihrer Energie durchflutet, mit voller Wucht gegeneinander gerammt und den Beamten wohl klargemacht, dass eine Verfolgung zu gefährlich wäre, denn die Silizoiden unterbrachen nach dem Zusammenprall sofort die Hetzjagd und Barrex konnte in einer weniger wilden Flugbahn entkommen. Auch Adnia und Kian entkamen nun mit einer relativ schleppenden Geschwindigkeit in den Weltraum und steuerten die Seite von Rubia an, die dem weißen Zwerg zugewandt war. Die Begleiter Kian´s Und Adnia´s hatten sich neu auf die Fahrzeuge aufteilen müssen, damit noch Platz für Jack, Jay und Jadon vorhanden war. Glücklicherweise war einer der Waver etwas größer, sodass die drei Gravianer geradeso eben noch zusammen mit Kian und Eike hineinpassten. Das änderte jedoch nichts an dem Gewicht der Insassen; Kian konnte nur schwerlich beschleunigen. Doch sie erreichten schließlich trotz all der Schwierigkeiten unversehrt den Schwarzmarkt, der durch seine Lage in dem Erdriss einen guten Schutz vor Beobachtern der Polizei oder des Militärs bot. Sie landeten unter den Lampen in der Wand des Abgrunds auf den dunkelgrauen Plattformen über der Schlucht. Die Einzigen, die ausstiegen, waren Adnia, Barrex und Darren. Barrex zog sofort nach dem Verlassen des Fahrzeugs mit hochkonzentriertem Blick seine Waffe und aktivierte seinen Schildgenerator, denn mit so vielen Verletzten waren sie ein gefundenes Fressen für die Kriminellen auf Rubia. Auch Darren hatte eine Waffe in der Hand und hielt die Umgebung im Auge. Die Verwundeten blieben auf Anweisungen von Adnia in den Fahrzeugen liegen. Sie sollten sich so wenig wie möglich bewegen.

Adnia lief über die Brücken zwischen den Plattformen zu ihren Kameraden, zuerst zu Al, denn er war am schwersten verletzt. Barrex und Darren hatten ihn, bevor sie ausgestiegen waren, auf den Bauch gelegt, damit er nicht direkt auf seinen tief klaffenden Wunden am Rücken lag. Adnia legte die Hand über die offenen Blutungen, berührte den Verletzten jedoch nicht. Ein Schimmer in einem intensiven grün durchdrang die Verletzungen und man konnte dabei zusehen, wie sie sich langsam schlossen und ein wenig kleiner wurden, bis das Blut aufhörte, aus dem Gravianer zu tropfen. Darren erschrak zunächst darüber und die Anderen blickten verunsichert hinab zu Adnia, doch dann sahen sie sehr positiv überrascht zu, wie Adnia den Verletzten aus seinem lebensbedrohlichen Zustand rettete. So etwas sah man nicht jeden Tag. Das Mädchen mit dem tiefschwarzen Haar hörte mit einem Mal auf, seine Wunden zu heilen und legte ihre Hand nun über den Kopf von Al. Er hatte das Bewusstsein verloren – vielleicht hatte er auch Verletzungen in der Nähe des Gehirns. Doch die Heilerin konnte keine inneren Wunden am Kopf erkennen. Ihr Kekki erlaubte ihr auch bis zu einem gewissen Punkt, das Innere eines Patienten zu spüren. Sie legte schließlich ihre Hände auf die Hüften des Verletzten und ließ sie dort etwa eine Minute liegen, während das Becken des Gravianers in einem leichten grün aufleuchtete. In den Beckenschaufeln war das meiste rote Knochenmark gelegen – dort wurden die roten Blutkörperchen produziert und die Evocha beschleunigte diesen Prozess soweit, dass der Verletzte wieder ausreichend gut mit Sauerstoff versorgt werden konnte, damit er es lebendig bis nach Aztlán zurückgeschafft hätte. Gleichzeitig zog sie das Wasser aus seinen Fettzellen, den Adipozyten, in die Blutgefäße hinein, damit die feinen Kapillaren des Gravianers nicht durch die neu entstandenen Erythrozyten, also die roten Blutkörperchen, verstopften und die lebensspendende Flüssigkeit ungehindert durch seine Adern fließen konnte.

Adnia nahm ihre Hände wieder zurück. Der Gravianer sah etwas ausgetrocknet aus, das lag aber lediglich an dem ausgetrockneten Anteil der Fettzellen. Leider konnte das begabte Mädchen kein Wasser aus dem Nichts zaubern, das hätte Einiges einfacher gemacht. Al´s Zustand war fürs Erste mehr oder weniger stabil. Die Heilerin wollte sich sofort weiter um die benommenen Charisa kümmern, die Adnia erst erkannte, als sie direkt vor dem Mädchen stand, dann stoppte die erschöpfte Kekkiani sie auf einmal. „Geh zuerst zu den Anderen... Sie brauchen dringender Hilfe als ich...“, murmelte Charisa mit angestrengter Atmung. Adnia drehte sich um und blickte zu den Gravianern, die in ihrem Waver benommen an die Sitzpolster lehnten, hinauf. Sie waren ebenfalls ziemlich stark mitgenommen; aber es waren Gravianer und deswegen waren sie sehr widerstandsfähig. Die Wunden von Jack, Darren und Jadon hatten sich bereits fast geschlossen. „Die schaffen das. Du brauchst sofort Hilfe, Charisa.“, ermahnte die Kekkiani ihre Patientin, während sie anfing, Charisa´s Wunde an der linken Schulter zu verschließen. Dann merkte Adnia auf, denn während sie die Verletzung verheilte, erkannte sie den Riss im Rippenfell. Sie machte sich umgehend daran, die Verletzung zu verschließen. Bis Aztlán hätte Charisa es auf keinen Fall in dem Zustand geschafft, sie wäre erstickt, bevor sie Alocan erreicht hätten. Also ließ die etwas besondere Kekkiani die Innenhäute der Pleurahöhle so viel Blut absorbieren, dass Charisa´s Atmung sich wieder verbesserte.

Zuletzt beschleunigte Adnia bei dem verletzten Mädchen ebenfalls die Produktion der roten Blutkörperchen in den Beckenknochen und zog etwas Wasser aus ihren Fettzellen. Als der lebensrettende Prozess nach einer Minute soweit abgeschlossen war, dass auch Charisa sich in einem transportfähigen Zustand befand, ging Adnia schnell über die Verbindungsbrücken zwischen den Plattformen zu den anderen drei Verletzten Gravianern und kümmerte sich um deren Schusswunden. Als das erledigt war, tauschte sie schleunigst mit Barrex die Fahrzeuge, sodass die Heilerin zusammen mit Charisa, Al und Kira flog. Nur für den Fall, dass sich der Zustand der beiden Schwerverletzten wieder verschlimmerte. Auch Darren stieg nun zu Barrex in das Fahrzeug ein und die Anderen verteilten sich mehr oder weniger gleichmäßig auf die verbliebenen Waver; so waren jetzt höchstens zwei Gravianer zusammen in einem Fahrzeug untergebracht und Adnia hatte mit Charisa, Al und Kira als Insassen das leichteste Hovercar. Sie verschlossen die Glaskuppeln der Cockpits und brachen umgehend in Richtung Aztlán auf.

Die Stimmung war seltsam; so viele verschiedene Emotionen auf einmal. Einerseits hatten sie es geschafft, ´Sasoru~ Vermögen und den Großteil seiner Akten fast vollständig zu vernichten, außerdem hatten sie die Unterlagen, die die Position ´Gû~ram beinhalteten, gefunden. Andererseits wären Einige von ihnen fast gestorben und waren zum Teil auch immer noch in schlechter Verfassung. Dazu kam noch das Risiko, dass sie selbst jetzt immer noch hätten verfolgt werden können; was, wenn die Glanzhäute das Militär losgeschickt hätten? Unsere kleine Gruppierung hätte in ihrer momentanen Verfassung keine Chance gegen ausgebildete Soldaten gehabt, abgesehen davon, dass keines der Fahrzeuge unserer Freiheitskämpfer mit Waffen versehen war. Sie waren alle an den Grenzen ihrer Kräfte; diese Aktion war sehr anstrengend für Alle gewesen, sogar für Barrex, denn er war es gewohnt, dass eine Mission ohne Verletzte, höchstens mal mit einem oder zwei Verwundeten endete. Doch hier hatten sie fünf Menschen mit schweren Wunden, und zwei von ihnen wären fast gestorben. Hätte Adnia fünf Minuten später mit Al´s Behandlung begonnen, wäre es vorbei für ihn gewesen, dasselbe galt für Charisa. Sie waren im Moment einfach froh, dass sie diesen Coup hinter sich hatten. Die Piloten der Schwebefahrzeuge schnellten dem Sternenhimmel über Rubia entgegen, aktivierten dort die SLS-Antriebe der Maschinen und entkamen endlich ihrer brenzligen Lage. Nur noch etwa eine Stunde, dann hätten sie die Zuflucht namens Aztlán erreicht, hätten die Verletzten vollständig versorgen und sich von all den Strapazen erholen können.

Die drei Piloten deaktivierten ihre Überlichtgeschwindigkeitsantriebe nach etwa einer Stunde Flug; sie waren alle heilfroh, als sie den farbenfrohen Planeten erblickten. Sie steuerten die Oberfläche des erdgroßen Himmelskörpers an und ein Gefühl der Erleichterung machte sich unter unseren Leuten breit, als sie in die blau-grünliche Atmosphäre eintraten. Der mystische Wald des Planeten wurde langsam immer größer. Adnia flog voran, in Richtung des felsigen Berges, in dem Alocan gelegen war, über die farbenfrohen Kronen der Bäume hinweg, denn sie kannte einen Eingang in einer verzweigten Tropfsteinhöhle, durch den sie auch mit ihren Fahrzeugen die Stadt betreten konnten. Er befand sich auf der anderen Seite des Berges, gegenüber des Hangars, in dem die SLS-Waver standen. Der erste Halt Adnia´s war das Krankenhaus. Sie, Barrex und Kian landeten direkt vor der undurchsichtigen Doppeltür aus Milchglas, dem Eingang zur Notaufnahme, dann stiegen sie aus und die Pilotin lief eilig durch die automatischen Türen in das Hospital. Nun ging Alles sehr schnell, denn die äußerst fähige Heilerin hatte hier offensichtlich eine Menge zu sagen, nicht deswegen, weil sie sich mit einer eisernen Hand durchsetzte, sondern eher aus dem Grunde, dass das Personal des Krankenhauses ihr einen hohen Respekt entgegenbrachte. Als Adnia nach einer Minute das Hospital wieder verließ, kamen einige ihrer Kollegen mit zwei rollenden Tragen hinaus geeilt. Sie lagerten Al und Charisa aus den Fahrzeugen hinüber auf die weichen Matten, wobei sie Al mit acht Leuten bewegen mussten – immerhin wog er als Gravianer mehr oder weniger 250 Kilogramm. Dann schoben die Pfleger und Ärzte die Verletzten sofort durch die Doppeltür in das Innere des Krankenhauses, vorbei an dem gewogenen Tresen durch die breiten, hell beleuchteten Gänge, an deren Wänden mehrere Landschaftsmalereien hingen. Die Überreste der explosiven Projektile in Al´s Körper mussten schnell entfernt werden, sonst lief er Gefahr, dass die Splitter der Geschosshüllen noch weitere innere Verletzungen hervorriefen und auch das Projektil, das noch immer in Charisa´s Rippenfell steckte, musste hinaus operiert werden.

Und die Notfallchirurgie sollte noch mehr zu tun bekommen. Jack, Jay und Jadon schritten langsam unter Begleitung des medizinischen Personals durch den Eingang ins Innere des Krankenhauses. Der Gangsterboss hatte noch die Splitter der Metallkiste in seinem Körper stecken, Jay und Jadon wiederum hatten Trümmerteile des Bodens in den Beinen, der direkt unter ihren Füßen gesprengt wurde, als Jack versucht hatte, den gegnerischen Beamten als Geisel zu nehmen. Charisa bekam in einer Art Operationssaal einfach eine Spritze in die Seite und ihre Haut wurde mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit desinfiziert, dann wurde das Projektil mit einem überraschend simplen Eingriff entfernt. Glücklicherweise steckte es nicht tief in ihrer Seite, sodass man es ziemlich problemlos von außen entfernen konnte. Sie bekam zusätzlich noch eine Kochsalzlösung als Infusion in ihren rechten Ellenbogen, um den restlichen Volumenverlust in ihren Blutgefäßen auszugleichen. Rote Blutkörperchen hatte sie Dank Adnia genügend. Jack hingegen gaben die Notfallchirurgen eine Vollnarkose. Da Adnia seine Wunden nicht vollständig geheilt hatte, konnten die Ärzte sehen, an welchen Stellen sich noch Metallsplitter befanden. Außerdem kamen sie so besser an die Bruchstücke heran. Sie setzten ihm eine Maske auf und desinfizierten die Wunden mit dem braunen alkoholischen Mittel, dann schließlich sah Jack nur noch die Lampe mit den fünf LEDs über ihm langsam verschwimmen, bis die Narkose nach wenigen Sekunden schließlich voll und ganz wirkte.

Als der Gravianer langsam wieder aufwachte, befand er sich in einem hell erleuchteten, länglichen Raum, in dem einige andere Patienten auf OP-Betten gelagert schliefen oder gerade aufwachten. Die runden Lampen an der Decke blendeten ihn zunächst und er musste sich erst an das Licht gewöhnen. Als seine Augen langsam mit der Intensität der viereckigen LED-Platten in der Decke zurechtkamen sah er, dass auch Al, Jay und Jadon dort zugedeckt in Betten lagen. Charisa war ebenfalls zugegen; sie saß auf einem einfachen Stuhl aus einigen Metallstangen und zwei Polstern bei Al am Bett und wartete darauf, dass ihr Freund aufwachte. Die Ärzte hatten das Mädchen gerade erst von ihrer Infusion befreit. Jack wollte gerade etwas sagen, da fiel ihm plötzlich etwas auf. Er tastete seine Wunden – sie waren vollständig verheilt. „Wie lange war ich weg...?“, murmelte der Bandenführer, dem jetzt erst auffiel, dass aus einer Infusionsflasche eine durchsichtige Flüssigkeit in die Vene seines rechten Arms tropfte. Es war einfaches, steriles Wasser, durchsetzt mit einigen, wichtigen Nährstoffen. Auch das Volumen in seinen Blutbahnen musste wiederhergestellt werden, wie bei Charisa. Jay, Al und Jadon hingen ebenfalls an so einer Infusion. Die Cibolani drehte sich zu Jack um. „Oh, du bist ja schon wach! Die Operation hat etwa eine Stunde gedauert.“, beantwortete sie seine Frage. Jack blickte etwas irritiert auf die Stellen, wo noch vor kurzer Zeit seine Verletzungen deutlich zu erkennen waren. Nun sah man nur noch die gesunde Haut eines Gravianers; kein Anzeichen davon, dass sich dort jemals auch nur der Hauch eines Kratzers befand. „Eine Stunde...? Aber einige Splitter haben sich mehrere zehn Zentimeter tief gebohrt...!“ „Bedanke dich bei Adnia. Ihre Heilkräfte sind unglaublich...“, schwärmte Charisa lächelnd. Das bedeutete, dass auch die Verletzungen der Anderen verheilt waren. Sogar die bedrohlichen Fleischwunden von Al waren so gut verheilt, dass man sie nicht einmal mehr erahnen konnte.

„Dann schulde ich ihr wohl ein Dankeschön...“ Er richtete sich langsam in seinem Bett auf, blieb aber noch liegen und stützte sich mit seinen Unterarmen ab. Das Betäubungsmittel der Narkose hatte noch nicht zu einhundert Prozent nachgelassen. „Wo ist Darren...?“, fragte Jack benommen. Charisa rieb sich am Nacken. „Er war vorhin hier, aber im Moment ist er mit Barrex und Kira auf dem Weg ins Industriegebiet der Stadt. Er schien ziemlich besorgt um euch zu sein, er wollte erst gar nicht mit den Beiden mitgehen. Adnia musste ihm erst lang und breit erklären, dass deine und

Jay´s Verletzungen vollständig verheilt sind.“ Der Bandenführer lächelte. „Wir halten eben immer zusammen.“ Er drehte nun, immer noch von der Narkose beeinträchtigt, den Kopf zu Charisa und blickte ihr mit ernster Miene ins Gesicht. „Haben wir es geschafft...?“ Charisa lächelte wieder. „Wir haben Alles geschafft. Alles, was wir uns vorgenommen hatten. Wir haben einen Teil des Geldes mitgenommen und der Rest wurde genau wie die Unterlagen ´Sasoru~ zerstört. Außerdem kennen wir endlich den Standort von Sû~ram. Kira zeigt Barrex und Darren im Industriegebiet gerade eine Galaxiekarte, die sich im Zentrum für Weltraumtechnik befindet. Alles was wir brauchen, ist ein Raumschiff... Und dann können wir Alectis und die Anderen da herausholen...!“ Man sah an Charisa´s Blick sofort, wie wichtig es ihr war, ihren besten Freund von diesem Ort zu befreien. Wer weiß, was sie dort mit Alectis und den Anderen anstellten. „Freut mich...“, murmelte Jack, froh über diese Nachricht und legte sich wieder zurück.

Kira, Darren und Barrex schritten unterdessen die Straße entlang, die zwischen den Zäunen einiger Fabriken im Industriegebiet Alocans zu einem Gebäude führten, das aus einer Kugel bestand, die auf drei großen Stützpfeilern montiert war. Um die Kugeln herum war ein Ring montiert, das ganze Gebilde erinnerte sehr stark an die Schönheit des Saturns. Doch um das Gebäude herum standen noch weitere Bauwerke auf dem kleinen, gepflasterten Platz. Die anderen Gebäude sahen aus wie Zylinder, die man auf die Seite gekippt hat. Dort wurde nicht nur wichtige Ausrüstung für das Reisen im Weltraum hergestellt, sondern es gab auch mehrere Ausstellungen, die einst von Besuchern bewundert wurden. Doch nach der Machtübernahme der Silizoiden in dem gesamten Gebiet der Menschheit kümmerte sich kaum noch jemand um die Raumfahrt in dieser Stadt. Ab und an wurden einige SLS-Waver für junge Leute produziert, die gerade ihren Führerschein bestanden haben, aber selbst das passierte höchstens einmal im Monat. Alocan hatte seinen einstigen Glanz verloren. In dem kugelförmigen Gebäude, dass Kira, Barrex und Darren nun betraten, befand sich jedoch nichts zur Herstellung einer solchen Technologie. Stattdessen befand sich im Innern dieses kleinen, architektonischen Kunstwerks ein Miniatur-Planetarium und eine Menge gespeicherter Daten über die Galaxie auf Ionen-Computern. Ionen-Computer nutzten zur Speicherung der Daten die verschiedenen Wellenlängen des Lichtes, um Atome zu ionisieren. Dadurch hatte ein solches Speichermedium anstatt eines Bits, der nur die Zustände >>1<< und >>0<< speichern konnte, ein Polygonit, das in etwa 10.000 Zustände speichern konnte.

Auf einem dieser Ionen-Computer war die Galaxiekarte gespeichert, die Kira nun an einem flachen holografischen Bildschirm aufrief. Der ovale Projektor stand direkt auf der unscheinbaren Recheneinheit, die aussah wie ein einfacher, kleiner Kasten. Die Meditazia drückte einige rot leuchtende Knöpfe auf der Tastatur, die auf dem kleinen, den Ionen-Computer umgebenden Steinpult standen, das sich wiederum exakt in der Mitte des unbeleuchteten Raumes unter der kuppelförmigen Decke befand. Es aktivierte sich der Beamer, der ebenfalls im Zentrum des Raumes gelegen war, jedoch auf einem Podest etwas höher als der Rechner stand. Nun wurde die Größe des Raumes erst erkennbar; von außen gesehen, hätte man nicht mit so viel Platz in dem kleinen, architektonischen Kunstwerk gerechnet. In den Raum wurde in Form eines Hologramms ein Teil einer dreidimensionale Karte der Galaxie hineinprojiziert. „Also gut, Darren... Dann lass mal hören.“, meinte Barrex. Der intelligente Gravianer nahm sich die Unterlagen über Pû~ram und las einige Zahlen vor. Allerdings mussten diese Zahlenwerte umgerechnet werden. Ein >>Lichtjahr<< der Menschen war zum Beispiel um etwa das Doppelte kürzer als ein >>Lichtjahr<< der Glanzhäute, denn ein Jahr auf dem der Menschheit unbekannten Herkunftsplanet der Silizoiden dauerte länger als ein Erdenjahr. So rechneten sie die Werte um – und Barrex fand tatsächlich das, wonach sie suchten. Hû~ram befand sich auf dem Mond eines intersolaren Gasplaneten, eines Planeten also, der keinen Stern umkreiste, sondern zwischen den Sonnensystemen der Galaxie ziellos umherirrte. „Da haben wir es.“, bemerkte Barrex und schrieb sich die Koordinaten in unserer Schreibweise auf einem Zettel auf. „Kein Wunder, dass niemand weiß, wo Hû~ram liegt...“, kommentierte Kira ihre Entdeckung.

„Barrex... Ich hab nachgedacht.“, sagte die Meditazia weiter, „Ihr geht bei eurem Vorhaben ein großes Risiko ein und je mehr Leute euch dabei behilflich sind, desto besser. Adnia sagte mir gerade erst vor Kurzem, dass sie mit euch mitgehen möchte... Und ich kann sie nicht alleine gehen lassen. Deswegen möchte ich auch mitkommen... Wenn das in Ordnung für euch ist.“ Barrex blickte Kira etwas erstaunt an. Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. „Bist du sicher? Du hast hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Was werden die anderen Evocha dazu sagen?“ Kira schloss die Augen. „Ich habe es ihm noch nicht gesagt... Aber ich weiß schon, wen ich als meinen Nachfolger benennen werde, wenn er damit einverstanden ist. Und wenn wir es tatsächlich irgendwann schaffen sollten, einen Sieg über die Silizoiden zu erringen, dann werde ich wieder hierher zurückkehren.“ „Versteh mich nicht falsch, wir freuen uns über jeden Menschen, der uns begleitet... Aber ich hoffe dir ist klar, auf was du dich da einlässt. Das wird kein Zuckerschlecken.“ „Ich habe intensiv darüber nachgedacht. Ich habe eine Vorstellung von dem, was uns erwartet. Und du hast Recht, es wird schwierig. Gerade deswegen sollte ich mit euch mitkommen... Ihr könnt meine Hilfe sicher gut gebrauchen, immerhin habe ich auch ein Kekki, genau wie Adnia und Charisa.“ „Wenn du dir ganz sicher bist, kannst du von mir aus gerne mitkommen. Ich glaube auch nicht, dass die Anderen ein Problem damit haben werden. Allerdings müssen wir noch gucken, wie wir diesen Planeten verlassen... Ich nehme mal an, ihr habt hier nirgendwo einen Raumkreuzer der Luxusklasse mit Swimmingpool versteckt... Korrigiere mich, wenn ich da etwas übersehen habe.“, bemerkte Barrex. Kira lächelte.

„Nein, hast du nicht. Aber vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit... Einige Kilometer von hier liegt die Grenze zu den Ruinen einer Stadt namens Tenoch. Wir haben die Ruinen nie ganz erforscht... Vielleicht finden wir dort einen Kreuzer, der in den Gefechten vor zehn Jahren nicht zu stark beschädigt wurde.“ Barrex blickte nachdenklich zur Seite. „Oder einen, den wir reparieren können. Einen Versuch wäre es jedenfalls wert.“ Sie redeten noch einige Zeit darüber, wann, wo und wie sie sich treffen wollten, um nach Tenoch zu fliegen, dann verließen sie das kleine Planetarium und begaben sich wieder aus dem Industriegebiet hinaus. Barrex und Kira gingen zurück zum Schrein der Evocha und die Meditazia wollte ihren potentiellen Nachfolger über ihre Pläne, Alocan zu verlassen, informieren. Darren begab sich umgehend wieder zu seinem Anführer ins Krankenhaus, um zu sehen, ob er sich wirklich wieder in einem gesunden Zustand befand. Es klang einfach so unrealistisch, dass Jack mit solchen Verletzungen nach so kurzer Zeit schon wieder vollkommen auf den Beinen sein sollte.

Als Darren das Hospital erreichte, kam Jack ihm jedoch gerade entgegen gelaufen, denn die Ärzte hatten ihn soeben entlassen. Der Rest des Tages verlief ziemlich unspektakulär. Beim Training am Abend fehlten einige Leute, vor allem Jenny´s Abwesenheit war spürbar, denn nach ihrer Abreise konnte sie logischerweise das Coaching der Kämpfer nicht fortsetzen. Dafür waren einige Neulinge dazugekommen. Auch einige Leute von Diyu, die auf dem schönen Planeten Aztlán bleiben wollten, hatten sich entschlossen, das Kämpfen zu erlernen. Barrex zog das Training trotz ihres Überfalls auf Psoru~ durch; für ihn war eine solche Operation mehr eine Erinnerung an die gute, alte Zeit, auch wenn diese Mission etwas anders verlaufen war, als er es kannte. Charisa war ebenfalls beim Training dabei, wobei sie, Kian und Eike auch die Einzigen waren, die nach den Geschehnissen in Jaru~n trotzdem zum Üben kamen. Nach der Trainingseinheit, die anstrengend war wie eh und je, erzählte Barrex Charisa, was Kira und er in dem Planetarium besprochen und geplant hatten; sie wollten gleich am nächsten Morgen nach Tenoch aufbrechen. Charisa stimmte dem zu. Am liebsten wäre sie jetzt schon gegangen, denn sie wartete nicht gerne, aber sie hatte Verständnis dafür, dass Kira und Adnia sich erst einmal ausruhen wollten. Zudem machte es auch mehr Sinn, sich im hellen in die Stadtruine zu begeben – inzwischen hatte schon die Abenddämmerung eingesetzt. So verging der Tag schließlich und alle gingen erschöpft schlafen. Sie hatten an diesem Tag eine Menge durchgemacht – doch auch eine Menge erreicht.

Als Charisa am nächsten Tag wieder unter der mit Sternen verzierten Decke in der Schlafkammer des Schreins der Evocha aufwachte, stand sie schnell auf. Sie beeilte sich mit dem Waschen und dem Anziehen; sie war von Allen als Erste fertig. Sie und die Anderen wollten möglichst früh aufbrechen, denn niemand von ihnen wusste, wie lange es dauern würde, bis sie etwas gefunden hätten – oder ob sie überhaupt fündig wurden. Charisa frühstückte mit Barrex, Kira und Adnia zusammen in der Küche des Schreins, bevor sie den großen Hangar für die Waver in der Bergwand betraten. Die Fahrzeuge, die sich Charisa und ihre Kameraden bei den Bewohnern für ihren Einbruch bei Sasoru~ ausgeliehen hatten, standen wieder dort, wo sie vorher standen. Man erkannte eines von ihnen an den Schäden, die durch die Streifschüsse der Glanzhäute verursacht wurden. Es hatte mehrere Kratzer im Lack und ein Teil der Karosserie war ein wenig verbogen, doch es war noch fahrtauglich. Der Besitzer des Fahrzeuges hatte gegen die kleinen Schrammen nicht sonderlich viel einzuwenden, er rechnete eigentlich sogar mit einem schwereren Schaden, nachdem sein treues Gefährt Teil eines kleinen Angriffs auf die Silizoiden wurde. Doch die Beschädigungen interessierten ihn nicht, solange den Glanzhäuten auf irgendeine Art Schaden zugefügt wurde. Der Hass gegen unsere Peiniger saß tief in jedem Bewohner der Stadt, nachdem die Aliens unsere gesamte Zivilisation wortwörtlich zerfetzt hatten. Charisa, Kira, Adnia und Barrex stiegen in den SLS-Waver, der Adnia gehörte, dann fuhr das junge Mädchen den Motor hoch und sie schwebten durch das Hologramm, das den breiten Ausgang des Hangars verdeckte, hinweg über die bunten Pflanzen und dem Sonnenaufgang entgegen.

Das Glas der Fahrerkabine wurde automatisch dunkler, als die grellen Sonnenstrahlen auf das Fahrzeug trafen, sodass unsere vier Abenteurer nicht geblendet wurden. Langsam wurden die Ruinen von Tenoch, die man bereits in der fernen Wüste aus schwarzem Sand erkannte, größer und größer, bis der Waver über den Waldrand hinausflog und sich an den äußeren Bereichen der einstigen Metropole befand. Eine Straße mit völlig durchlöchertem und verwahrlosten Asphalt führte ins Innere der einstigen Großstadt, vorbei an einigen Hochhäusern, die verschiedenste Formen hatten; einige sahen aus wie mehrere aufeinander gestellte Oktaeder, andere wurden aus mehreren aufeinander gestellten Kugeln gebildet, bei denen immer abwechselnd ein Stockwerk aus einer, das darüber liegende Stockwerk aus zwei Kugeln gebildet wurde. Je weiter man ins Innere der Stadt sah, desto mehr nahmen die Gebäude eine Form an, die an die aztekische Kultur erinnerte; So hatten im Innern Tenoch´s die Gebäude die Form von aztekischen Gottheiten, wie Mixcoatl, der etwas an einen alten Mann erinnerte oder Xolotl mit seinem Hundekopf. Besonders beeindruckend war die große aztekische Pyramide in der Stadtmitte, dessen große Stufen nun nur noch verwahrloste und mit Moos und Ranken bewachsene Appartements enthielt, doch vor zehn Jahren war sie das größte Hotel des Planeten. Dieser Ort muss einmal eine wunderschöne Metropole gewesen sein.

Adnia flog weiter ins Innere der Stadt über der Straße hinweg, neben der links und rechts Kanäle verliefen, in denen sich das Regenwasser gesammelt hatte; hier fuhren vor langer Zeit einmal Boote entlang. Die Gebäude hatten zum Teil schwere Schäden in der Außenfassade, einige von ihnen waren zum Teil eingestürzt und andere vollständig kollabiert. Die Stadt machte einen düsteren Eindruck; auch nach dem Angriff und der Verwahrlosung der Stadt erkannte man immer noch den einstigen Wohlstand. Es war unheimlich; als würde die Stadt einen stummen, unendlich verzweifelten Schrei von sich geben. Einen Schrei nach Erlösung, Erlösung von der Zerstörung und Verwahrlosung. Adnia, Barrex, Charisa und Kira begaben sich über einige Brücken hinweg, die ebenfalls zum Teil eingestürzt waren. Die Brücken hatten einst eine Unterführung der Kanäle unter den Straßen hindurch geboten; heute waren sie nur noch den vor langer Zeit von Menschenhand angelegten Pflanzen im Weg, die sich ihren Weg in die Stadt hineingearbeitet hatten. Auch einige der Hochhäuser waren von Ranken durchbrochen worden, die jetzt wunderschöne und zugleich düstere Blüten zum Vorschein brachten. Aus einem der Löcher in den oberen Stockwerken eines Gebäudes, dass die Form von Quetzalcoatl, einer gefiederten Schlange annahm, startete gerade ein großer Vogel seine Flugrunden, um Nahrung für seine kleinen Küken zu suchen, die in einem Nest zwischen zwei Ranken quiekten. Für die Tiere boten die Häuser guten Schutz gegen Fressfeinde.

„Wir müssen an sinnvollen Orten suchen... Wir können nicht die ganze Stadt abklappern. Gibt es hier irgendeine alte Militärbasis oder irgendetwas in der Richtung?“, fragte Barrex, während Adnia den Waver über die mit Staub bedeckte, goldene Spitze eines einfachen Wolkenkratzers hinweg steuerte, die in den erbarmungslosen Kämpfen vor nahezu zehn Jahren abgebrochen und nun nur noch zwischen zwei der hohen Bauten eingeklemmt war. Die oberen beiden Stockwerke hingen noch an dem abgetrennten, spitz zulaufenden Dach und hatten sich in der äußeren Wand des Gebäudes verhakt, zu dem sie einst gehörten. „Ich weiß nicht... Fällt dir irgendetwas ein?“ Adnia blickte fragend zu Kira. „Leider nicht... Fliegen wir weiter ins Stadtzentrum, vielleicht entdecken wir dort etwas.“ Sie flogen also über den kleinen Platz vor ihnen hinweg, auf dem einige Pavillons um gewogene, kleine Rinnen standen; dieser Ort war einmal zur Entspannung gedacht, doch die verbrannten Dächer der Kleinarchitekturen trugen nicht gerade zur Beruhigung bei. Plötzlich hörten unsere vier Abenteurer ein lautes Geräusch hinter sich, als würde etwas an einer Wand entlang schaben; dem Geräusch folgte ein lauter Knall. Adnia drehte das Fahrzeug schlagartig um 180 Grad um zu sehen, was passiert war; die Spitze des Wolkenkratzers, die sich zwischen den beiden Gebäuden eingeklemmt hatte, war heruntergefallen und hatte ein Loch in den Boden geschlagen. „Warum fällt die ausgerechnet jetzt herunter? Das hat mich ganz schön erschrocken...!“, beschwerte sich die Pilotin. „Die Mauern der Gebäude sind wohl durch das Wetter nach und nach immer mehr abgenutzt worden... Offenbar so sehr, dass die lauten Geräusche eines Plasma-Antriebs jetzt ausgereicht haben, um die Konstellation zum Einsturz zu bringen.“, antwortete Barrex kombinierend. „Hey, was ist das?“ Kira kniff die Augen zusammen und begutachtete die Absturzstelle der Wolkenkratzer-Spitze. „Was meinst du?“, fragte Charisa überrascht.

Das Mädchen begutachtete die Umgebung, sah zunächst nichts – doch dann fiel auch ihr etwas in dem im Boden aufgerissenen Loch auf, in dem nur noch der goldene Zacken mit der darunterliegenden Kuppel des einstigen Wolkenkratzer-Dachs steckte. Die steinernen Stockwerke, die eben noch an ebenjener Spitze hingen, waren am Boden zerborsten und hatten den Durchbruch in den Steinplatten dabei noch größer gemacht. Nun sah man in der gerade neu entstandenen Vertiefung komplizierte Elektronik und zwei Gänge, die wohl unter den Platz mit den ausgebrannten Pavillons führten. „Gucken wir uns das doch einmal genauer an.“, sagte Barrex interessiert. Was sie dort wohl erwartete? Adnia sah sich am Boden um, aber sie fand keinen guten Landeplatz, also bewegte sie unter äußerster Vorsicht ihren Waver in einen der beiden Gänge, in den eines der Trümmerteile gefallen war. Sie benötigte ihr ganzes Können, um den Waver durch die engen Korridore zu manövrieren; doch sie schaffte es, das Fahrzeug am Ende des Tunnels in einen großen Raum zu bringen. Dutzende orangene Leuchten begannen, die seltsame Einrichtung mit Licht zu durchfluten, als sie in den Saal am Ende des Korridors eintraten. Es musste hier ein Notstromaggregat geben; Eines, das selbst nach fast zehn Jahren immer noch Energie führte. Adnia landete auf dem schwarzen Metall einer Plattform, die kreisförmig um eine Vertiefung in der Mitte des riesigen Raumes herum angelegt war. An der Wand standen mehrere, silberne Tische mit High-End-Quantencomputern darauf, vor den Tischen fand man mehrere Chefsessel mit kleinen Rissen in den Polstern. Auf einem dieser Schreibtische standen auch noch zwei Tassen mit viel zu altem Kaffee; der Angriff muss damals urplötzlich erfolgt sein.

Die vier Entdecker stiegen aus. Sie sahen über das Geländer am Rand des schwarzen Metallbodens hinweg die hohen, schwarzen Wände einer Vertiefung hinunter, und dort fanden sie, was sie suchten. Sogar mehr als das. Am Boden stand ein riesiger, hochmoderner Raumkreuzer, ein Modell, dass so offiziell gar nicht existierte. „Das muss mal eine geheime Forschungseinrichtung gewesen sein.“, erkannte Barrex scharfsinnig, „Ich habe noch nie so einen Raumkreuzer gesehen. Die haben hier wohl an neuer Technologie geforscht...“ Unser kleines Team stieg eine Treppe hinunter, die an den hohen Wänden entlang führte und gelangten zu dem Monstrum am Grund der Einrichtung. Barrex umrundete das beeindruckende, windschnittige Fahrzeug und musterte die schwarze Karosserie von allen Seiten; es war kein Kratzer zu sehen, weder an dem seltsamen, dunklen Material, das an Metall erinnerte, jedoch keines war, noch an den dunklen Fenstern. Das Gefährt, das an seiner Vorderseite spitz zulief und nach hinten hin vor allem durch die beiden ineinander übergehenden Flügelpaare immer breiter wurde, stand auf fünf massiven Beinen, die wohl aus Diamant angefertigt waren. Barrex begutachtete das Prachtstück nun von der Unterseite; man konnte dort problemlos stehen, nur ein Gravianer hätte den Kopf leicht einziehen müssen. Der Elite-Pilot entdeckte in der Mitte des Fahrzeugbodens eine etwa zwei Meter breite, kreisförmige Erhebung. Ob das der Eingang dieser Kampfmaschine war? Charisa, Adnia und Kira beobachteten den Nyoma, wie er nun weiter zu den schweren Geschützen ging, die rechts und links des Fahrzeugs an den inneren und äußeren Flügeln montiert waren, um auch diese unter die Lupe zu nehmen. „Ein Schlüssel wäre nicht schlecht. Vielleicht liegt oben irgendwo einer.“, vermutete Barrex. „Wir gucken nach.“

Charisa, Kira und Adnia stiegen also wieder die Treppen empor und sahen sich oben auf der Plattform um. Kira machte sich an einer der Recheneinheiten auf den Tischen zu schaffen, denn irgendwie mussten sie das schwer gepanzerte Gefährt auch aus dieser Einrichtung herausbekommen und sie hatte die Vorahnung, dass man über die Quantencomputer eine Möglichkeit fand, den Raumkreuzer an die Oberfläche zu transportieren oder die Decke irgendwie zu öffnen. Die Meditazia versuchte, die Recheneinheiten zu starten, die alle über ein ganzes Netzwerk von Kabeln miteinander verbunden waren, sodass wahrscheinlich ein Knopfdruck ausreichte, um alle Computer hochzufahren. Kira betätigte also die große, rote Taste an der Wand und tatsächlich fuhren die Systeme alle gleichzeitig hoch. Doch die Evocha scheiterte an den Sicherheitspasswörtern, als sie die Benutzeroberflächen bedienen wollte. Charisa und Adnia hatten mehr Glück; sie erblickten beide gleichzeitig eine Runde Scheibe, ein Diskus mit mehreren Knöpfen darauf und einer kleinen Solarzelle auf der Rückseite, der sich in der geöffneten Schublade eines Wandschranks befand. Das musste der Fahrzeugschlüssel sein. „Wir haben ihn!“, rief Adnia erfreut zu Barrex hinab. Sie brachte den Schlüssel zusammen mit Charisa hinunter zu dem früheren Polizisten. Barrex nahm den dunkelgrauen Schlüssel entgegen, begutachtete ihn kurz und drückte dann auf den großen, blauen Knopf in seiner Mitte.

Die Erhebung im Boden des modernen Kreuzers drehte sich einmal um 360 Grad, dann sank das kreisförmige Bauteil in der Erhebung zum Boden des Raums. Es wurde von keinen Seilen oder sonstigen Konstruktionen gehalten; Nur drei Metallstäbe wurden zusammen mit dem kreisförmigen Aufzug ausgefahren, jedoch berührten sie das runde Stück aus dem seltsamen, schwarzen Material nicht. Sie fungierten nur als Magneten für den Aufzug. Bevor Barrex sich auf die heruntergefahrene Plattform stellte, probierte er mit dem Schlüssel aus, welcher Knopf für das Hinauffahren des Rundstücks vorgesehen war. Dann stellte er sich auf den Aufzug und fuhr hinauf, ins Innere des Fahrzeugs, zusammen mit Charisa, Adnia und Kira, die inzwischen ebenfalls wieder hinuntergekommen war. Das Rundstück fuhr also wieder aufwärts und drehte sich langsam in der Karosserie fest wie eine flache Schraube, die sich in ein Gewinde einfügte. Unser Entdeckerteam standen in einem kleinen Raum, dessen runde Wände aus weißen LED-Platten bestanden. Man konnte sich hier zwischen drei Richtungen entscheiden; zwei parallele Gänge führten nach oben hin zu den hinteren Abschnitten, zwei weitere, gegenüberliegende Parallelgänge führten zur Vorderseite des Schiffs hin zur Brücke. Außerdem gab es die Möglichkeit, zwischen den paarigen Gängen Leitern hochzuklettern. An der Decke und an den Wänden hingen außerdem noch zusätzliche Leitersprossen, um sich während der Fahrt frei im Schiff bewegen zu können, denn während eines Flugs durch das Weltall wurde die Schwerkraft durch die Beschleunigung simuliert – man wurde während einer Reise durch das Weltall mit diesem Kreuzer offenbar in eine andere Richtung gedrückt. Unsere kleine Gruppe teilte sich auf, sodass sie einen möglichst großen Teil dieses Fahrzeugs erkunden konnten.

Barrex nahm sich die Brücke an der Vorderseite des Kreuzers vor. Was er dort vorfand, kam ihm bekannt vor; auch die Polizei benutzte damals ab und an Raumkreuzer, wenn es um zeitlich aufwändigere Einsätze in weiter entfernten Gebieten ging. Und die Brücke dieser Kampfmaschine sah den Brücken der Raumkreuzer, die er schon kannte, sehr ähnlich. Vor einem hohen Fenster aus Bleiglas waren drei Stühle fest auf dem Boden montiert, damit sie während eines Fluges nicht wild durch die Gegend schleuderten. Vor den Stühlen befand sich ein langes Schaltpult mit vielen verschiedenen Knöpfen, Hebeln und Holo-Monitoren, die Hologramme in die Luft mithilfe von komplizierten Laserformationen projizieren konnten. Doch dann fiel Barrex ein Unterschied auf: Das Bleiglas der Windschutzscheibe bestand aus zwei Teilen, einer äußeren Glasplatte und einer Inneren. Zwischen den beiden Bauteilen befand sich ein Zwischenraum. Wozu sollte das gut sein? Er setzte sich auf einen der Stühle und der Bordcomputer fuhr automatisch hoch, doch auch hier scheiterte der Nyoma, genau wie Kira draußen, an dem Passwort, das nun von dem einstigen Polizisten abverlangt wurde. In einfache Systeme hätte er sich einhacken können; doch bei so einem militärischen Gerät reichten auch Barrex´ Hacker-Fähigkeiten nicht aus. Außerdem gab es bei dieser Recheneinheit garantiert Sicherheitsmechanismen, die ein Einhacken von außen erkennen konnten und dann wäre der Zugriff auf den Bordcomputer nur noch schwieriger geworden. Währenddessen hatte Charisa einen Aufenthaltsraum in den hinteren Abschnitten des riesigen Kreuzers gefunden, in dem bestimmt Platz für 200 Leute war.

Der Raum hatte seltsamerweise die exakte Form einer Halbkugel und in dem kurzen Gang, der in die Aula hineinführte, war unter dem Boden eine ausfahrbare Leiter eingebaut. Im Saal selbst gab es eine Art Theke in der Form von drei Litfaßsäulen, die in der Mitte des runden Raums aus dem Boden ragten. Dort konnte man sich etwas zu essen holen, wenn denn etwas da gewesen wäre, doch der Kreuzer wurde wahrscheinlich noch nie mit Gütern beladen. Auf den kreisförmigen Tischen wiederum war in der Mitte jeder Tischplatte ein kleiner Computer installiert, der von mehreren silbernen Stangen über einem Loch in der Tischmitte montiert war, doch wofür die Quantenrechner gut waren, konnte man nicht erkennen. Charisa wollte sich gerne noch länger dort umsehen, aber sie quälte eine Frage: Konnten sie dieses Fahrzeug benutzen? Das Mädchen ging zurück zu dem Vorraum, in dem alle Gänge zusammenliefen und der Aufzug zur Außenwelt im Boden verbaut worden war. Im selben Moment kam Barrex gerade wieder von der Brücke zurück. „Glaubst du, wir können das Ding benutzen?“, fragte sie ihn sofort. „>>Das Ding<<...“, begann Barrex zu erläutern, „...ist ein hochmoderner Raumkreuzer und leider sind die Techniker damals auch genau so damit umgegangen. Wenn wir jemanden finden, der das Passwort für uns umgehen kann, wäre das Fahrzeug sicher hilfreich, aber auch nur dann.“

„Es gibt ein paar Informatiker in Alocan, die sich sicher freuen würden, wieder einmal einer größeren Herausforderung gegenüberzustehen.“, erklärte Kira, die gerade die Leiter zwischen den beiden hinteren Korridoren hinunterkletterte. Sie hatte dort oben einen Gang gefunden, der in Richtung eines Lagerraums führte. Auch Adnia kam gerade wieder zurück aus dem Schlafsaal, der ebenfalls im hinteren Teil des Schiffes parallel zum Aufenthaltsraum, den Charisa gefunden hatte, gelegen war. Auch dieser Raum mit seinen etwa 200 Betten entsprach der Form einer Halbkugel. „Ein guter Freund von mir ist Informatiker. Sein Name ist Arren. Er würde uns sicher weiterhelfen, wenn wir ihn nett und freundlich darum bitten.“, erklärte das liebenswerte Mädchen. „Das wäre sehr hilfreich. Ich glaube, sehr viel mehr können wir hier im Moment nicht erreichen... Wir sollten uns diesen Ort merken und erst einmal zurückfliegen. Und warum holen wir auf dem Rückweg nicht eine Packung Pralinen vom Markt und fragen deinen Freund direkt?“, meinte Barrex zu Adnia, die sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen konnte. Kira, Adnia und Charisa stimmten ihm zu; sie verließen den modernen Kreuzer und Barrex verschloss das Gefährt. Er nahm den Schlüssel für den Kreuzer mit, damit er nicht verloren ging. Unsere vier Freiheitskämpfer stiegen wieder in Adnia´s SLS-Waver. Die Pilotin manövrierte ihr Fahrzeug also vorsichtig zurück durch den engen Gang und sie verließen die Forschungseinrichtung auf dem Weg, auf dem sie sie auch betreten hatten und begaben sich zurück zur Stadt, wo sie Arren aufsuchten und ihn um Hilfe baten. Der Programmierer willigte ein, sich die Einrichtung einmal anzusehen und es zu versuchen.

The Last Generation - Aufstieg der Rebellion (Teil 2)

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