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Leichte Bekanntschaft
ОглавлениеЛегкое знакомство
Theaterstück in zwei Akten
Aus dem Russischen von Albrecht D. Holzapfel
Inhaltsangabe
Ein Mann und eine Frau treffen spät abends im Restaurant eines Hotels aufeinander und lernen sich kennen, wobei die Initiative in diesem Bekanntwerden die Frau ergreift. Sehr schwer zu verstehen, wer diese seltsame Unbekannte ist: Eine Nachtschwärmerin oder eine elegante Glücksritterin. Der Mann kann nicht bestimmen, ob sie ihm gefällt, ob sie mit ihm spielt, oder einfach verdienen will. Das mündliche Duell dieser Figuren spiegelt ihre gegenseitige Anziehung und Abstoßung wider, ihre Einsamkeit und den Versuch, sie zu überwinden, ihre Sehnsucht nach Liebe und die Angst davor.
Zwei über dem Abgrund
Aus dem Vorwort des Regisseurs Leonìd Cheìfez zur Veröffentlichung des Stücks in der Zeitschrift „Zeitgenössische Dramaturgie“.
Ich habe das Lesen diese Stücks lange vor mir hergeschoben. Ich wollte es „mit nüchternem Kopf“ lesen. Es klappte nicht. Dann entschied ich mich für die einfachste Variante: Ich lese den Anfang und dann stückweise und nach Möglichkeit. Ich begann zu lesen. Der Funke sprang über. Ich musste eine Pause machen. Aber ich wollte noch ein Stückchen lesen… Und dann las ich alles „in einem Atemzug“ durch.
Für mich ist das ein Wunder. Vielmehr ein seltener Fall. Ich habe schon lange kein Stück mehr auf einmal bewältigt. Ich war wie berauscht. Ich unterrichte im Institut, probe im Theater… Und dann hat Valentin Krasnogorov so ein Stück geschrieben. Man kann sagen, eine meisterliche Arbeit. Blendend aus handwerklicher Sicht. Auch zu heutigen Zeiten eine seltene Sache. Wort für Wort „ins Schwarze“. Wo gibt es jetzt noch so eine Dramaturgie? Halloooo!?
Ich wiederhole und bestehe darauf: Das Stück ist blendend gemacht… Hinter der meisterhaften Ausführung der Dialoge schlägt der Puls heißen Bluts.
Handelnde Personen:
Er
Sie
Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen
und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen
und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die anderen
enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus
unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder
zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.
Aus: R.M.Rilke, Die Gedichte 1910 – 1922 (Ende 1914)
Erster Akt
Saal eines Hotelrestaurants. Spät abends, das Restaurant ist fast leer. An einem der Tischchen, isst ein Mann mittleren Alters, sich nicht beeilend, zu Abend und liest, scheinbar zerstreut, handschriftliche Aufzeichnungen.
Einige Tische weiter entfernt sitzt eine gut gekleidete, anziehende Frau im besten Alter. Sie trinkt gemächlich Kaffee. Mann und Frau achten scheinbar nicht aufeinander. Obwohl sie ihm unbemerkt einige Blicke zuwirft. Der Mann klopft mit dem Messer an sein Glas, nachdem er den Saal mit Blicken nach dem Kellner abgesucht hat.
Die Frau, offenbar einen Entschluss gefasst, steht auf und tritt an seinen Tisch.
SIE: Entschuldigen Sie, ist hier frei?
Der Mann hebt den Kopf, sieht sich im leeren Saal um und schaut erstaunt auf die Frau.
SIE: Ich frage, ist hier frei?
ER: Ja, frei.
SIE: Kann ich mich auf diesen Stuhl setzen?
Er räumt unwillig die auf dem Stuhl liegende Aktentasche weg.
ER: Ja, bitte.
Sie setzt sich. Er nimmt aus der Tasche ein Papier und vertieft sich demonstrativ darin, einige Korrekturen machend. Sie hängt ihr Täschchen an die Lehne des Stuhls, richtet ihre Frisur und setzt sich bequemer auf dem Stuhl zurecht. Man merkt, dass sie sich „auf längere Zeit einrichtet“.
SIE: Entschuldigen Sie, haben Sie Streichhölzer?
ER: (Sich vom Lesen abwendend) Was?
SIE: Ich frage: Haben Sie Streichhölzer?
ER: Ich rauche nicht.
SIE: Schonen Sie die Gesundheit?
ER: Ich rauche einfach nicht.
SIE: Recht so. Ich rauche auch nicht.
ER: Warum haben Sie dann um Streichhölzer gebeten?
SIE: Ich habe nicht darum gebeten. Ich wollte einfach wissen, ob Sie welche haben oder nicht.
ER: Angenommen, nicht. Was dann?
SIE: Nichts.
ER: Und wenn ich welche habe?
SIE: Auch nichts.
ER: Der Versuch, ein Gespräch anzufangen?
SIE: Vielleicht.
ER: Gehen Sie davon aus, dass er nicht geklappt hat.
SIE: Überhaupt, geht man davon aus, – und ich weiß nicht warum, dass ein Gespräch anzufangen, dem Herren zusteht.
ER: Wenn er das will.
SIE: Und Sie wollen nicht?
ER: Und ich will nicht.
SIE: Nun denn, dann werden wir eben gemeinsam schweigen.
Er bemüht sich erneut, das Dokument zu lesen. Sie schaut ihn schweigend an.
ER: (Wendet sich gereizt vom Lesen ab.) Warum starren Sie mich an? Was wollen Sie?
SIE: Nichts. Vielleicht Sie ein bisschen reizen.
ER: Weshalb?
SIE: Ich weiß nicht. Wahrscheinlich aus Langeweile.
ER: Gehen Sie, vergnügen Sie sich woanders.
SIE: Ist Ihnen denn nicht langweilig? Sie sind zugereist hier, in einer fremden Stadt können Sie nichts unternehmen…
ER: Warum gehen Sie davon aus, dass ich zugereist bin?
SIE: Wer kann denn noch spät abends in einem Hotelrestaurant mit der Aktentasche sitzen und irgendein tristes Schriftstück lesen?
ER: Und Sie schlagen mir vor, mich zu vergnügen?
Sie antwortet nicht. Er schaut sie zum ersten Mal aufmerksam an und schätzt sie von Kopf bis Fuß ab.
SIE: (Seinem Blick folgend richtet sie sich auf, rückt die Schultern zurecht und fragt leicht ironisch, dabei posierend.) Nun, gefällt´s?
ER: (Ungern zugebend.) Nicht schlecht.
SIE: Danke. Also, vielleicht machen wir uns endlich bekannt?
ER: Danke für den Vorschlag, aber ich bin kein Liebhaber von leichten Bekanntschaften.
SIE: Aber warum gehen Sie davon aus, dass die Bekanntschaft mit mir leicht wird? Ich verspreche, dass sie schwierig wird.
ER: Sie wird… überhaupt nichts.
SIE: Aber sie hat doch schon stattgefunden.
ER: Nichts dergleichen. Ich kenne Sie nicht und will Sie nicht kennen.
SIE: Warum denn so schroff?
ER: Um gleich den Punkt auf das I zu setzen. Geh und fang dir einen anderen Mann! (Steckt entschlossen das Papier in die Aktentasche.)
SIE: Und wenn ich ausgerechnet Sie fangen will?
ER: Vergeude keine Zeit, das klappt nicht. Zufällige Verbindungen sind nicht mein Stil. Außerdem liebe ich meine Frau.
SIE: (Mit gespielter Verwunderung.) Was Sie nicht sagen? Ein Mann wohnt im Hotel und gesteht einer Frau, dass er verheiratet ist! Und seine Frau auch noch liebt! Ein seltenes Beispiel von Aufrichtigkeit und Ordnungssinn.
ER: So oder so, ich bin verheiratet und damit Schluss.
SIE: Aber wen stört das? Habe ich denn mit einem Wort bemerkt, dass Sie mich heiraten sollten?
ER: Bisher nicht, aber deiner Eile nach, spielst du vielleicht bald darauf an. (Sieht sich im Saal um.) Wohin ist dieser verdammte Kellner verschwunden?
SIE: (Sich noch gemütlicher setzend.) Ich spüre, dass Sie nicht von Ihrer Standhaftigkeit überzeugt sind und mich deshalb vertreiben.
ER: Hören Sie zu, das beginnt mir lästig zu werden. Hier gibt es ausreichend freie Tische. Warum, haben Sie sich ausgerechnet zu mir gesetzt?
SIE: Weil ich das wollte.
ER: Ich sehe, so einfach lassen Sie nicht von mir ab, deshalb, lass uns eines klar stellen: Ich bin dagegen und habe mit Straßenmädchen nichts am Hut. Du hast keinerlei Chance.
SIE: Und Sie, versteht sich, bevorzugen ordentliche.
ER: Versteht sich.
SIE: Aber was ist denn nach Ihrer Meinung ein Straßenmädchen?
ER: Eine, die Liebe für Geld verkauft.
SIE: Das heißt, Sie bevorzugen ordentliche aus Sparsamkeit?
ER: Ärger´ mich nicht!
SIE: Das werd´ ich nicht. Das heißt, für Sie bin ich eine von der Straße?
ER: Was denn sonst?
SIE: Mache ich mich denn auf der Straße an Sie heran?
ER: Auf der Straße, im Restaurant – welcher Unterschied? Hauptsache, für Geld.
SIE: Habe ich Sie um Geld gebeten?
ER: (Unwillig.) Bisher nicht.
SIE: Sagen Sie, und wenn eine Frau ihren Mann kostenlos betrügt, ist sie dann ordentlich?
ER: (Weiß nicht, was er sagen soll.) Mach mich nicht an!
SIE: Und wenn ich mit Ihnen eine Nacht ohne Geld verbringe, werde ich ordentlich sein?
ER: Ich hab´ doch gesagt, mach mich nicht an!
SIE: Mit einem Wort, Sie lehnen mich ab.
ER: Ja.
SIE: Warum?
ER: Ich fürchte, dass ich nach dieser feurigen Nacht zum Arzt muss, und dann wird sie wirklich unvergesslich.
SIE: Fürchten Sie sich tatsächlich davor, oder wollten Sie mich beleidigen?
ER: Ich fürchte mich tatsächlich davor.
SIE: Aber ich dachte doch, dass Sie vor der Verführung die Ordentlichkeit bewahrt.
ER: Und Ordentlichkeit auch.
SIE: Sehr löblich. Wie hat Horazius noch geschrieben, „Fliehe vor aller Lust, der Preis der Lust ist Leiden“.
ER: (Kann seine Verwunderung nicht verbergen.) Zum ersten Mal treffe ich eine Frau, vom Leichten Gewerbe, die Horazius zitiert.
SIE: Treffen sie sich denn oft mit solchen Damen?
ER: Das geht nur mich an.
SIE: Haben Sie denn viele Ingenieure getroffen, die Horazius zitierten? Oder Ärzte?
ER: Ehrlich gesagt, nicht viele. Überhaupt keine. Woher haben Sie diesen Horizont?
SIE: Das hab´ ich bei den Kunden aufgefangen. Unter denen gibt es durchaus auch intelligente. (Betont.) Manchmal auch mit akademischen Grad.
ER: (Wirft ihr einen prüfenden Blick zu.) Wissen Sie irgendetwas über mich?
SIE: Kann sein.
ER: Ich sehe, bei Ihnen muss man auf der Hut sein. Und um Worte sind Sie auch nicht verlegen.
SIE: Verlegenheit ist meine Sache nicht.
ER: (Sieht sie wieder aufmerksam an.) Ich kann Sie einfach nicht durchschauen.
SIE: Ich denke, das lohnt sich nicht. Sie würden es bedauern.
ER: Sie gleichen keiner gewöhnlichen Prostituierten.
SIE: Ich sehe, Sie haben eine reiche Erfahrung. Ungeachtet Ihrer Kälte, Standhaftigkeit und des Widerwillens wissen Sie von irgendwoher, wem Prostituierte gleichen.
ER: Aus dem Kino.
SIE: Seien Sie nicht bescheiden! Sagen Sie lieber, wie Nachtschwärmer aussehen und sich verhalten.
ER: Ich weiß nicht… Wahrscheinlich hemmungsloser.
SIE: Sie wollten wohl sagen, „aufreizender“. Sagen wir, so. (Schlägt die Beine übereinander, macht eine Schulter frei, streift den Saum des Kleids bis zur äußersten Grenze und steckt sich eine „virtuelle“ Zigarette an.) Ähnlich?
ER: (Unwillkürlich lächelnd/schmunzelnd.) Wahrscheinlich.
SIE: Gefällt Ihnen das?
ER: Ja und nein. Es stößt ab… aber zieht auch an.
SIE: Danke für das offenherzige Bekenntnis.
ER: (Gießt ihr aus einer Karaffe ein.) Etwas Wodka?
SIE: Was denn, trinken denn solche Mädchen in den Filmen immer Wodka? Ich geh´ selten ins Kino, aber ich dachte, dass deren eigentliche Beschäftigung eine ganz andere ist.
ER: Wenn Sie nicht wollen, trinken Sie nicht! Ehrlich gesagt, ich mag ihn {Wodka} auch nicht.
SIE: Also, und wie stehen Sie zu den Frauen des Freien Berufs.
ER: (Zuckt mit den Schultern.) Ich weiß nicht. Wenn sie schon existieren, werden sie wohl von jemandem gebraucht.
SIE: Aber nicht von Ihnen.
ER: Nicht von mir.
SIE: Womit haben die Sie denn so verärgert?
ER: Damit, dass sie sich allen und jedem hingeben.
SIE: Warum sollten sie denn nicht demjenigen Vergnügen bereiten, der daran Bedarf hat? Ich würde sagen, das ist sogar unsere weibliche Aufgabe. (Mit gespielter Feierlichkeit.) Schon Platon hat bestätigt, dass wir nicht nur für uns selbst leben sollten, sondern teilweise auch der Öffentlichkeit gehören, teilweise den Freunden.
ER: Sie sind aber gut beschlagen.
SIE: Das Leben ist der beste Schmied. Es schmiedet manchmal so hart, dass dir beim Ritt der Kopf dröhnt.
ER: Was immer du auch sagst, sich zu verkaufen ist unmoralisch.
SIE: Irgendwie verkaufen wir alle unsere Zeit, unsere Dienste, unsere Arbeit. Ist es Ihrer Meinung nach moralischer, wenn eine Frau am Fließband steht, sich das Kreuz auf dem Bau verbiegt oder Erde umgräbt? Und außerdem, die, die Sie so angreifen, faulenzen nicht, sondern arbeiten. In Amerika nennt man solche Damen „sexual workers”, sexuelle Arbeiter, und sie sind in einer Gewerkschaft organisiert. In Holland nennt man sie poetischer „Froelichsmädchen”, “ Freudenmädchen”. Bei uns dagegen verleiht man ihnen wer weiß was für welche Namen, von Schimpfworten ganz abgesehen.
ER: Verdienen sie denn nicht solche Bezeichnungen?
SIE: Welche verdienen dann die Männer, die deren Dienste in Anspruch nehmen?
ER: Nun, es gibt einen Unterschied.
SIE: Versteht sich, es gibt einen. Öffentliche Frauen, die machen das wenigstens wegen des Verdienstes. Aber Männer aus Wollust und Perversität.
ER: Ich hoffe, Sie meinen nicht mich?
SIE: Nein, nicht Sie. Natürlich nicht Sie. Sie sind tadellos. (Erhebt sich und nimmt ihre Tasche.) Ich werde Ihnen wohl nicht weiter mit meiner Gesellschaft lästig werden. Ich habe Sie ein bisschen gereizt, und damit Schluss. Ihre Aufzeichnungen sehnen sich nach Ihnen. Alles Gute.
ER: Warten Sie… Wohin gehen sie?
SIE: Ich hab´ Sie schon lange genug angehört.
ER: Ich vertreibe Sie eigentlich gar nicht.
SIE: Und wer hat den Punkt auf das I gesetzt und Klarheit geschafft?
ER: Nun, ich war ein bisschen schroff.
SIE: Sind Sie wirklich nicht böse?
ER: Nein. Weshalb? Und mir war zugegeben ziemlich einsam. Draußen ist eine abscheuliche Herbstnacht, Kälte und Wind…
SIE: Dann gehen Sie schlafen!
ER: Zu mir ins Zimmer? Dort herrscht tödliche Langeweile. Und ich schlaf´ trotzdem nicht ein.
SIE: Quält Schlaflosigkeit?
ER: (Nickt.) Eigentlich, ja. Chronische.
SIE: Nun gut, dann werde ich noch ein bisschen bei Ihnen bleiben.
ER: Vielleicht bestellen wir etwas?
SIE: Kein Bedarf, danke. Ich will Sie nicht ruinieren.
ER: Mein Geldbeutel wird diesen Schlag verkraften.
SIE: Nein, ich danke Ihnen.
ER: Dann eine Tasse Kaffee?
SIE: Nein.
ER: (Ergreift die Karaffe.) Vielleicht trotzdem etwas Kräftiges? (Da sie ihn, statt zu antworten, nur schweigend ansieht, fährt er fort.) Wer sind Sie eigentlich?
SIE: Sie sehen selbst – eine Männerjägerin.
ER: Das ist klar. Und genauer?
SIE: Sag´ ich nicht. Ein Geheimnis verleiht einer Frau Anziehungskraft. Ein Mann will sie sofort verstehen.
ER: Glaubst du?
SIE: Ich weiß es. Andernfalls wird sie uninteressant, wie ein gelöstes Kreuzworträtsel.
ER: (Lachend.) Welche Geheimnisse kannst du haben?
SIE: Ehrlich gesagt, keinerlei. Deshalb muss ich sie mir ausdenken, um interessanter zu sein. „Dich habe ich gesehen, aber mein Geheimnis verdeckten die Züge“… Mein Geheimnis verdeckte die Züge?
ER: (Betrachtet sie aufmerksam.) Geheimnis oder nicht, aber ich kenne dich überhaupt nicht.
SIE: Sehr gut. „Wer bist du – ich kenne dich nicht. Aber unsere Liebe steht uns noch bevor“.
ER: Nun, bezüglich der bevorstehenden Liebe bin ich mir nicht sicher.
SIE: Ach ja, ich hab´ vergessen: Sie sind doch verheiratet. Liebe von einer Anderen, sogar für eine Nacht, ist für Sie unmöglich.
ER: Hat für dich Treue in der Ehe keine Bedeutung?
SIE: Wenn sie für Sie so wichtig ist, dann bin ich bereit, Sie für ein paar Stunden zu heiraten.
ER: Für ein paar Stunden?
SIE: Ja, und? Das ist angenehmer, als für das ganze Leben.
ER: Dir ist auch nichts heilig.
SIE: (Verächtlich.) Lassen Sie! Mit hohen Worten werden gewöhnlich niedrige Taten und schmutzige Absichten verdeckt. Und je unansehnlicher die Dinge, desto schöner die Worte. Männer reden angeregt von deinen schönen Augen, die Sternen gleichen, und zur selben Zeit fassen sie dir unter den Rock. Gezwungenermaßen wirst du Realistin.
ER: Denken Sie tatsächlich, dass alle Männer so sind?
SIE: Ich wäre froh, anders denken zu können, aber …
„Aber bedauernswert der, der alles vorhersieht,
Dessen Kopf sich nicht dreht,
Der alle Bewegungen, alle Worte
In ihrer Übersetzung hasst,
Dessen Herz der Verstand verurteilt
Und sich zu vergessen verbat“…
Kurze Pause.
ER: Sie kennen sogar Gedichte. Woher diese Gelehrtheit?
SIE: Ach, Sie wieder, was heißt denn da Gelehrtheit… Evgènij Onègin nimmt man in der Schule durch. Diese schönen Zeilen kennt jedes romantische Mädchen. (Ändert den Ton und lächelt.) Entschuldigen Sie, das war eine momentane Schwermut. Schon vorbei. Ich bin wieder bereit, Sie zu vergnügen, wie eine japanische Geisha.
ER: Wie heißt du?
SIE: Das ist nicht wichtig. Wir gehen trotzdem morgen früh auseinander und werden uns nie mehr wiedersehen.
ER: Ich sehe, du gehst davon aus, dass diese Sache schon entschieden ist.
SIE: Dass wir auseinandergehen
ER: Nein, dass morgen früh.
SIE: Und wann denn? Übermorgen?
ER: Nein, heute Abend. Wir stehen vom Tisch auf und winken uns mit der Hand zu.
SIE: Schlecht der Mann, der eine Frau zum Abendessen einlädt, nicht hoffend, mit ihr auch zu frühstücken.
ER: Aber ich hab´ dich nicht zum Abendessen eingeladen. Du hast dich selber eingeladen. Sag…en Sie, gehen Sie wirklich diesem Beruf nach?
SIE: Ich mag meinen Beruf und habe ihn lange studiert. Ich schäme mich kein bisschen. Und überhaupt, wer ich bin – ist für Sie schon lange klar, da gibt es nichts zu reden. Erzählen Sie lieber über sich.
ER: Nichts zu erzählen.
SIE: Warum denn nichts? Zum Beispiel haben Sie mit Stolz erklärt, dass Sie verheiratet sind. Hier, erzählen Sie über Ihre Frau.
ER: Weshalb?
SIE: Ich will Ihren Geschmack kennenlernen. Der Frau am Rand ist es immer interessant, über die Frau im Zentrum zu hören.
ER: (Unwillig.) Was ist hier zu sagen? Ehefrau ist Ehefrau.
SIE: „Ehefrau ist Ehefrau“… Direkt nach Tschechov. „Drei Schwestern“. Ist sie Blondine, brünett?
ER: Was ist schon der Unterschied?
SIE: Nichts. Einfache Neugier. Haben Sie ein Foto?
ER: Nein. Und wenn ich eins hätte, würde ich´s nicht zeigen.
SIE: Das versteht sich. Weshalb das reine Angesicht einer Ehefrau-Schönheit irgendeinem Mädchen vorführen? Gefällt sie Ihnen?
ER: Sie gefällt.
SIE: In allen Beziehungen?
ER: In allen Beziehungen.
SIE: In der intimen auch?
ER: In der intimen besonders.
SIE: Und Sie wollen sogar keine Abwechslung, manchmal?
ER: Nein, keine.
SIE: Lüge! Das widerspricht der Natur des Mannes. Das sollten Sie aber wissen, Sie sind doch Biologe. Oder Psychologe?
ER: (Erstaunt.) Woher weißt du, dass… (Verdacht schöpfend.) Du spürst mir nach, nicht wahr? Das gefällt mir nicht.
SIE: (Über seinen verdutzten Anblick lachend.) Ich kann im Gesicht lesen.
ER: Nein, ernsthaft.
SIE: Ernsthaft – im Gesicht. Und noch auf dem Schildchen, das an Ihrem Jackett hängt. „Vierte Internationale Konferenz für biologische Psychologie”. Sie sind doch hierher zur Konferenz gekommen?
ER: Ja, richtig.
SIE: Sind dabei mit einem Vortrag aufgetreten?
ER: Aufgetreten.
SIE: Nun also, was spricht denn Ihre biologische Psychologie? Will der Mann Abwechslung oder nicht?
ER: (Verstimmt.) Jedenfalls nicht mit solchen, wie dir.
SIE: Danke, Sie sind sehr freundlich.
ER: Ich sag´ einfach, wie es ist.
SIE: Und wenn Sie sagen, wie es ist, dann geben Sie auch zu, dass Ihre Ehe nicht zu glücklich ist.
ER: Wie kommst du denn darauf?
SIE: Ich hör´s am Ton, in dem Sie darüber reden, oder besser, nicht reden wollen. Außerdem sind Ehen selten glücklich. Also ist Raten nicht schwer.
ER: (Trocken.) Behalt dein Raten für dich!
SIE: Ich hab´ in s Schwarze getroffen, deshalb empören Sie sich.
ER: Du irrst dich.
SIE: Ich irre mich? Da bin ich aber froh für Sie. Nun, und wie leben Sie so mit Ihrer „Ehefrau ist Ehefrau“?
ER: Wie alle.
SIE: Wie alle? Klar.
ER: Was ist dir klar?
SIE: „Wie alle“. (Zitiert schmunzelnd.)
„Meine Kameraden lebten mit Schwiegermüttern
Und Ehefrauen, diesen Schwiegermüttern ähnlich,
Zu dicken, zu hageren,
Müden, gewöhnlichen, wie Regen“…
ER: (Erregt.) Du, allerdings, geh nicht zu weit und misch dich nicht in mein Familienleben!
SIE: (Ironisch.) Das ist heilig.
ER: Heilig oder nicht heilig, aber dich geht es nichts an.
SIE: Warum sind Sie denn beleidigt? Ich habe bloß ein Gedicht zitiert. Und nicht mal mein eigenes.
ER: Schreibst du auch eigene?
SIE: Kann sein.
ER: (Grob.) Also, ich hätte nicht vermutet, dass Huren so romantisch-poetisch sein können.
SIE: Ihrer Meinung nach können nur Ehefrauen romantisch-poetisch sein? Das wusste ich nicht.
ER: Weißt du, was? Du redest zu viel. Schweig lieber und trink!
SIE: Ich will nicht. Ich mag keinen Wodka.
ER: Hast du etwa mit Champagner gerechnet?
SIE: (Den Ton ändernd.) Ich rechnete wenigstens mit einfacher Höflichkeit. Höflichkeit eines Mannes in Beziehung zu einer Frau. Eines Menschen in Beziehung zu einem anderen Menschen. Ich habe Ihnen noch nicht meinen Preis genannt, aber Sie haben mich schon als Hure beschimpft. Dazu duzen Sie mich noch, obwohl ich Sie höflich anrede. (Erhebt sich.) Und nun, leben Sie wohl. Ich werde Sie nicht länger langweilen. (Lässt ihn alleine und geht zu ihrem Tischchen zurück.)
Pause. Sie trinkt langsam ihren kalt gewordenen Kaffee. Er steht auf, setzt sich aber wieder, nimmt wieder ein Papier zur Hand, aber er kann sich offenbar nicht konzentrieren. Das Papier zur Seite werfend geht er mit entschlossenen Schritten zu ihr und setzt sich neben sie. Sie bremst ihn.
SIE: Ich erlaube Ihnen nicht, Platz zu nehmen.
ER: (Sich erhebend.) Entschuldigen Sie. (Geht um zwei Schritte zurück und tritt wieder an den Tisch. Sehr höflich.) Verzeihen Sie, ist hier nicht besetzt?
SIE: Frei.
ER: Darf ich mich setzen.
SIE: Bitte.
ER: Ich danke Ihnen. (Setzt sich, schweigt.) Warum gingen Sie weg?
SIE: Von weitem schienen Sie mir ein intelligenter Mensch zu sein. Also entschloss ich mich wieder auf diese Entfernung zurückzugehen. Aber ach, die Illusion hat sich nicht wiederholt.
ER: Ich gebe zu, ich war wirklich ein bisschen grob zu Ihnen.
SIE: „Ein bisschen“?
ER: Sehr. Ich bedaure.
SIE: Freut mich, das zu hören.
ER: Wer immer Sie auch sind, ich hätte mich höflich benehmen sollen. Sie hatten Recht, mich zurechtzuweisen. Ich habe Sie nicht sofort geschätzt und mich zu Ihnen ziemlich nachlässig und herablassend verhalten.
SIE: Und ich war ziemlich direkt, was ich auch bedaure. Angenehm zu sehen, dass Sie sich jetzt wie ein richtiger Mann benehmen. Gehen sie davon aus, dass der Konflikt beigelegt ist.
ER: Ich war verpflichtet, mich zu entschuldigen, aber das ändert nichts am Charakter der Sache. Ihr Beruf weckt in mir nach wie vor keine Begeisterung, und an Ihren Diensten habe ich keinen Bedarf.
SIE: Nun gut, jetzt, nachdem wir uns beide entschuldigt haben, können Sie zu Ihrem Abendessen und Ihrer üblichen Arbeit zurückkehren.
ER: (Erhebt sich, geht aber nicht weg.) Warum sollten wir nicht zusammen zu meinem Tischchen zurückgehen?
SIE: Und worin ist das besser, als meines?
ER: Und worin schlechter?
SIE: Sehen Sie, wenn sich eine Frau zu einem Mann setzt, dann wird das als unmoralisch empfunden, was Sie mir auch mit der Ihnen eigenen Feinfühligkeit zu verstehen gaben. Und wenn sich ein Mann an den Tisch einer Frau setzt und beginnt, sie anzumachen, dann wird das, warum auch immer, als völlig normal empfunden und wirft keinerlei Schatten auf einen von beiden. Deshalb bleibe ich wohl an meinem Tischchen. Hier fühle ich mich wenigstens als Hausherrin. Und niemand kann sagen, ich würde mich irgendjemandem aufdrängen.
ER: Anders gesagt, Sie laden mich ein, mich hierher zu setzen?
SIE: Das habe ich nicht gesagt. Aber wenn Sie um meine Erlaubnis bitten, dann sage ich nicht ab.
ER: Verstehe. Also, erlauben Sie?
SIE: Ich gebe Ihnen eine Bewährungsfrist.
ER: Danke. (Er setzt sich. Es entsteht ein lange Pause.)
SIE: Nun, was schweigen Sie denn?
ER: Und was sollte ich sagen?
SIE: Da Sie sich schon zu mir gesetzt haben ist die Reihe an Ihnen, mich zu unterhalten
ER: Ihnen gelingt das besser.
SIE: Danke. Übrigens, Sie kennen meine Fähigkeiten noch nicht in vollem Umfang. Wie sagte eine prahlerische Primadonna eines Singspiels, „meine volle Stimme gebe ich abends“.
ER: Das klingt vielversprechend.
SIE: Ich halte meine Versprechungen immer.
ER: Gestatten Sie noch einmal zu wiederholen: Sie sind eine interessante Gesprächspartnerin und mit Ihnen zu reden bin ich bereit, so lange Sie wollen. Aber nicht mehr als das. Wenn Sie also mit einem Verdienst rechnen, dann verlieren Sie besser keine Zeit und suchen sich einen anderen Klienten.
SIE: Sie verhalten sich sehr seltsam. Gewöhnlich wollen Männer ohne Gespräche direkt zur Sache kommen. Sie aber bevorzugen Gespräche und weichen von der Sache ab.
ER: Das, was Sie Sache nennen, kann jede Dahergelaufene. Aber hier, klug und interessant eine Unterhaltung zu führen, das kann bei weitem nicht jede. Eine Sünde, so eine Gelegenheit auszulassen.
SIE: Unter kluger und interessanter Unterhaltung verstehen Sie offenbar den Austausch von Grobheiten.
ER: Ich kann erklären, warum ich so schroff mit Ihnen war. Ich spürte, dass man mich entern will. Das gefiel mir nicht, und ich war gezwungen, mich zu verteidigen. Wenn unsere weitere Unterhaltung ohne erotische Anspielungen verlaufen wird, werde ich mich frei fühlen und mit Vergnügen mit Ihnen über Gott und die Welt plaudern.
SIE: Sagen Sie mir direkt, was Ihnen an mir nicht passt? Bin ich hässlich? Langweilig? Unangenehm?
ER: Überhaupt nicht.
SIE: Und wo ist dann das Problem?
ER: Nun, überlegen Sie selbst, warum sollte ich mich auf ein Abenteuer mit einer unbekannten Frau einlassen? Äußerlich sind Sie anziehend, zweifelsohne. Wahrscheinlich wird es angenehm, mit Ihnen einzuschlafen, aber, vielleicht wache ich morgen auf und finde weder Geld noch Dokumente. Und vielleicht arbeiten Sie als Paar, mit einem Freund, der mir wegen meines Geldbeutels den Kopf einschlägt.
SIE: Was sind Sie für ein gescheiter und vorsichtiger Mensch. An alles denken Sie.
ER: In Ihren Augen ist das ein Nachteil, ich weiß. „Aber bedauernswert ist der, der alles vorhersieht“…
SIE: Und warum fürchte ICH Sie nicht? Sie können mich doch auch ausrauben.
ER: Ich – Sie?
SIE: Warum nicht? Ich habe übrigens nicht wenig Geld bei mir. Hier, schauen Sie! (Öffnet die Handtasche.)
ER: (In die Tasche schauend.) Oho! Woher so viel?
SIE: Das habe ich in den letzten vier Tagen verdient. Ihr Freund schlägt mir deshalb den Kopf nicht ein?
ER: Ich sehe, man bezahlt Ihnen nicht wenig.
SIE: Ich beklage mich nicht. Die Arbeit ist aber auch nicht leicht. Und erfordert eine hohe Qualifikation.
ER: Falls das kein Geheimnis ist, wie viel nehmen Sie?
SIE: Machen Sie sich keine Sorgen, wir einigen uns irgendwie.
ER: Ich frage nicht wegen mir, sondern im Allgemeinen.
SIE: Das hängt von der Zeit ab, von den finanziellen Möglichkeiten des Auftraggebers, von meiner Stimmung und noch von vielem mehr.
ER: Und trotzdem, wie viel?
SIE: Und wie viel ist es Ihnen wert?
ER: Gar nichts. Ich brauche das auch umsonst nicht. Ich interessiere mich nur aus Neugier.
SIE: Wissen Sie, was ich Ihnen sage? Wenn, zum Beispiel, in Spanien eine Dame einem Herren ein Treffen anbot – selbst in stockdunkler Nacht und an unbekanntem Ort – dann ging er dorthin, ohne zu zögern, ohne an den Geldbeutel zu denken oder an Gefahren. So handelten richtige Caballeros.
ER: Aber wir sind nicht in Spanien und geben keine Mantel-und-Degen-Vorstellung. Wir sind in unserer trüben, täglichen Wirklichkeit, wo es viel Hinterlist, Betrug, Verbrechen und Grausamkeit gibt. Zudem geht es nicht nur um meine Vorsichtigkeit.
SIE: Um was denn?
ER: Um offen zu sein, den Löffel in den Brei zu stecken ist angenehm auf einem sauberen Teller und nicht in einem öffentlichen Spucknapf. Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen.
SIE: Vielleicht wollten Sie das nicht, aber Sie haben beleidigt. Aber nicht mit groben Worten, nein, die habe ich schon von Ihnen gehört, sondern damit, dass Sie mich einfach nicht wollen. Und für eine Frau gibt es keine größere Beleidigung, als zu wissen, dass sie unerwünscht ist.
ER: Bitte, verlassen wir dieses Thema. Wir haben uns doch geeinigt.
SIE: Wir haben uns auf nichts geeinigt.
ER: Sprechen wir von irgendetwas anderem.
SIE: Lassen Sie uns lieber über irgendetwas anderes schweigen. (Pause.)
ER: Da Sie keinen Wodka mögen, bestellen wir vielleicht wirklich Champagner?
SIE: Nicht jetzt.
ER: Und wann dann?
SIE: Morgen früh.
ER: Den morgigen Morgen wird es nicht geben.
SIE: Wird es.
ER: Wird es nicht.
SIE: Und was wird? Nur die Nacht?
ER: Nichts wird. Ich hab´ doch gesagt – kein Bett.
SIE: Das habe ich Ihnen auch nicht versprochen. Aber überhaupt, ein verheirateter Mann ist in zwei Fällen nicht zum Bett geneigt: Entweder hat ihn die Ehefrau so verzaubert, dass es ihn nicht zu anderen Frauen zieht, oder sie hat ihn so sehr abgestumpft, dass er daran den Geschmack verloren hat. Mit welcher dieser Möglichkeiten haben wir es in unserem Fall zu tun?
ER: (Brüsk.) Ich habe Sie, scheint es, gebeten, mein privates Leben nicht zu berühren. Kein Wort über meine Frau. Und überhaupt, nicht über mich zu reden.
SIE: Worüber dann?
ER: Über was Sie wollen, nur nicht über mich.
SIE: Aber ich möchte gerade nur über Sie reden.
ER: Wozu brauchen Sie das?
SIE: Das brauchen SIE. SIE sind unglücklich. Sie haben niemanden, um die Seele auszuschütten.
ER: Ich bin völlig in Ordnung.
SIE: Und Sie fürchten mich.
ER: Ich – Sie?
SIE: Ja, Sie fürchten sich mir nachzugeben, aber noch mehr fürchten Sie sich, mich zu verlassen, zurückzukehren in Ihr Zimmer und mit sich und Ihrer Schlaflosigkeit alleine zu bleiben. Gerade deshalb sitzen Sie mit mir und bieten mir Champagner an, obwohl Sie mich in Ihrer Seele verachten. Verachten und wollen. So ist es doch?
ER: Quatsch.
SIE: Das ist die Wahrheit.
ER: Nein, Sie irren sich.
SIE: Sie verachten nicht, sondern wollen nur?
ER: Nein.
SIE: Sie wollen nicht, sondern verachten nur?
ER: Sie können erstaunlich leicht reizen und sich an jedes Wort klammern.
SIE: Ich klammere, weil ich Sie angeln will. Ist das denn nicht verständlich?
ER: Und das geben Sie zu?
SIE: Habe ich das etwa verheimlicht? Ich habe Sie doch von Anfang an darin bestätigt. Aber Sie fürchten mich, warum auch immer.
ER: Ich fürchte nichts. Mir wird es einfach unangenehm sein, morgens mit einer unbekannten Frau aufzuwachen.
SIE: Und nicht zu wissen, wie Sie sie loswerden.
ER: Das habe ich nicht gesagt.
SIE: Nur gedacht.
ER: (Brüsk.) Ich will Sie nicht beleidigen, aber ich bin gezwungen zum zehnten Mal zu wiederholen – ich bin keiner von denen, die Vergnügen an stundenweise zahlbarer Liebe finden. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich kann mich nicht selbst verändern.
SIE: Das muss auch nicht sein. Sie gefallen mir genau so.
ER: (Nimmt den Geldbeutel, holt einige Scheine heraus und legt sie auf den Tisch.) Hier, nehmen Sie!
SIE: Was ist das?
ER: Die Bezahlung für die von Ihnen verbrachte Zeit. Sie mussten Geld verdienen, ich bin bereit zu bezahlen. Unter der Bedingung, dass Sie mich in Ruhe lassen.
SIE: Wir besprechen dieses Geschäft später.
ER: Nein, jetzt. Wenn es wenig ist, dann bin ich bereit, noch daraufzulegen. (Öffnet wieder den Geldbeutel.)
SIE: Ich bin gewohnt, Geld auf ehrliche Weise zu verdienen, und keine Almosen zu bekommen.
ER: Indem Sie mich unterhielten haben Sie das ehrlicher verdient, als üblich. Ich verheimliche nicht, dass meine Stimmung schlecht war, Sie haben ein bisschen geholfen, mich abzulenken. Aber jetzt basta. Nehmen Sie und gehen Sie!
SIE: (Gekränkt, mit echter Enttäuschung.) Ich sehe ein, ich missfalle Ihnen tatsächlich sehr. (Schweigt.) Oder vielleicht umgekehrt, Sie zieht es stark zu mir? Ich werde wohl, um mich zu trösten, bei der zweiten Variante bleiben.
ER: Gehen Sie mit Gott!
SIE: Warum vertreiben Sie mich?
ER: Weil es mir zu scheinen beginnt, dass ich mich mehr als nötig für Sie interessiere.
SIE: Und Sie wissen immer, wie viel Sie sich erlauben können?
ER: Versteht sich. Wie sagt man, „trink, aber betrink dich nicht, liebe, aber verlieb dich nicht“.
SIE: Ihnen muss man eine Eins für Verhalten geben.
ER: Vollkommen richtig. Nehmen Sie das Geld!
SIE: Wenn ich es nehme, dann nur am Morgen.
ER: Ich bewundere Ihre Hartnäckigkeit.
SIE: Und ich Ihren unbeugsamen Charakter.
ER: Sie haben sich sehr bemüht, aber verloren.
SIE: Dann haben wir beide verloren.
ER: Kann sein. Und jetzt gehen Sie!
SIE: Überhaupt, ich sitze an meinem Tisch.
ER: Richtig. Verzeihen Sie.
Er steht entschlossen auf, geht zu seinem Tisch zurück, steckt das Dokument in die Aktentasche und macht sich auf, zu gehen. Sie steht auf und geht zu seinem Tisch.
SIE: Verzeihen Sie, ist hier frei?
ER: (Gereizt.) Frei. Der ganze Tisch ist frei, denn ich habe mein Abendessen beendet und gehe jetzt.
SIE: Das heißt, ich kann mich solange setzen?
ER: Wie Sie wollen. (Sie setzt sich.) Nun, was wollen Sie noch?
SIE: Ein paar Worte zum Abschied sagen. Setzen Sie sich. Ich halte Sie nicht auf.
ER: (Setzt sich.) Nun?
SIE: Wissen Sie, warum ich vor einer Stunde zu Ihnen kam?
ER: Ich kann´s mir denken.
SIE: Nein, Sie erraten es nicht.
ER: Nun, dann sagen Sie´s.
SIE: Ich saß lange nicht weit entfernt und beobachtete Sie. Und Sie sahen nicht ein einziges Mal zu mir. Aber ich bin nicht beleidigt – weshalb sollten Sie zu mir schauen? Und so saß ich und saß und dachte plötzlich – Sie gehen jetzt weg, und ich sehe Sie nie, nie mehr wieder. Und ich stellte mir vor, wie Sie alleine in Ihr kahles, ungemütliches Zimmer hinaufgehen und begriff, dass wenn Sie weggehen, ich Ihnen mit nichts mehr helfen kann. Und dann stand ich plötzlich auf und ging zu Ihnen hin, auf nichts spekulierend und nichts planend. Ich ging einfach hin.
ER: (Erstaunt von dem unerwarteten Bekenntnis, schweigt lange, unschlüssig, wie er darauf reagieren soll.) Ich weiß nicht, was ich auf Ihre Worte sagen soll.
SIE: Sie brauchen auch nichts zu sagen. Vergessen Sie sie, und Schluss damit.
ER: Geben Sie zu, dass Sie das alles eben erst ausgedacht haben.
SIE: Kann sein. Aber ich gestehe nicht.
ER: Ich bin sicher, dass es ausgedacht ist, aber es ist trotzdem angenehm.
SIE: Nun denn, in diesem angenehmen Ton beenden wir auch unsere nicht zustande gekommene Bekanntschaft. (Steht auf.)
ER: Sie sind eine seltsame Frau.
SIE: Danke für das Kompliment. Ich bemühe mich, es zu verdienen.
ER: Klug, gebildet, gut erzogen… Und dabei… Nein, wirklich, sehr seltsam.