Читать книгу Heißer Heiligabend - Valerie Parker - Страница 5

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Genervt steht Lucie hinter der Kasse und zieht müde und gelangweilt Brot, Zahnpasta, Wurst, Obst und Wein über den Barcodescanner. Unglaublich, was die Menschen am Heiligen Abend um kurz vor 16:00 Uhr noch alles einkaufen müssen. Konnten die das nicht vorher besorgen? Sollten sie nicht längst in der Kirche sitzen, oder ihren Gänsebraten in die Röhre schieben?

Der Supermarkt, in dem sie arbeitet, ist der Einzige in der Stadt, der heute überhaupt so lange geöffnet hat, alle anderen haben um 14:00 Uhr geschlossen. Aufgrund dessen rennen die ganzen Bekloppten auf den letzten Drücker in den Laden. Eigentlich ist es ihr egal, denn sie hat niemanden, der zu Hause auf sie wartet. Trotz allem hat sie es geschafft, ihre wichtigsten Einkäufe, die sie für ihr eigenes kleines Weihnachtsfest benötigt, schon ein paar Tage vorher zu erledigen. Was braucht sie auch schon für sich allein? Ein Fertiggericht bestehend aus Gänsekeule, Klößen, Rotkohl und Soße. Und jede Menge Wein, um sich zu betäuben. Denn das muss sie, um damit zurechtzukommen, keine Familie mehr zu haben. Diese ist vor einem halben Jahr bei einem Bahnunglück ums Leben gekommen. Mit einem Schlag hat sie ihren Vater, ihre Mutter und ihre beiden Schwestern verloren. Sie wollten nur ein paar Tage in einer anderen Stadt verbringen, eine einfache Städtetour. Leider kamen sie bis dahin erst gar nicht, der Zug entgleiste, ein anderer Waggon ist in ihren hineingerast. Sie hatten keine Chance, zu überleben.

Andere Verwandte gibt es nicht. Die paar Freunde, die sie hatte, haben ihr während der schweren Zeit auch nicht helfen können. Die mitleidigen Blicke waren nicht zu ertragen. Aus diesem Grund hat sie ihre paar Habseligkeiten gepackt und ist mit ihren sechsundzwanzig Jahren in eine andere Stadt gezogen. Weit weg von den schmerzlichen Erinnerungen, die sie in der alten verfolgten. Neue Freunde hat sie noch nicht gefunden. Nur diesen beschissenen Job. Ihr alter, als Frisörin, war nicht mehr machbar, weil sie zusammen mit ihrer Mutter in einem Salon gearbeitet hat. Aber Jammern ist eigentlich nicht ihr Ding, denn Lucie hat es sich ja so ausgesucht, und es hätte sie schlechter treffen können, wie zum Beispiel gar keinen Job zu finden.

Demnach ist es ihr auch egal, ob sie die heutige Schicht bis 16:00 Uhr übernehmen muss, und auch, dass sie die Einzige ist, die eine Kasse besetzt. Drei Kollegen sind noch mit ihr im Laden: einer im Verkaufsraum, einer hinter der Wurst- und Käsetheke, und natürlich ihr Chef höchstpersönlich.

Lucie schielt auf die Digitaluhr über ihrer Kasse: 15:58 Uhr. Zum Glück, denn auch wenn es ihr nichts ausmacht, zu arbeiten, hat sie jetzt doch Rückenschmerzen und freut sich auf ein heißes Bad.

Gerade will sie sich von der Kasse abmelden, weil sie nicht glaubt, dass noch ein Kunde im Laden ist, rauscht doch tatsächlich noch einer, mit einem braunen Wollmantel bekleidet, um die Ecke. Innerlich verdreht sie die Augen, aber gut, den einen wird sie auch noch schaffen.

Genervt wartet sie darauf, dass der Mann seine paar Einkäufe auf das Band legt, natürlich ganz am Ende, wieso auch nicht? Mit dem Fuß tritt sie das Pedal, damit sich das Band in Bewegung setzt. Dabei schaut sie sich den Spätzünder genauer an. Ihr Blick wandert über den Mantel nach oben und vermutet darin eine äußerst muskulöse Statur, weil der Stoff gut ausgelastet ist und an den Oberarmen sogar ein bisschen spannt. Weiter führen ihre Augen sie zu seinem Kinn, dieses ist genau wie sein Hals durch einen grünen Wollschal verborgen. Um seine fein geschwungenen Lippen trägt er einen schwarzen Bart, der sich bis unter den Schal zu ziehen scheint. Also nicht nur ein Dreitagebart, sondern ein richtiger Vollbart. Unglaublich, so einen hat sie bei einem so jungen Mann ewig nicht mehr gesehen. Denn was noch von seinem Gesicht zu sehen ist, lässt darauf schließen, dass er ungefähr in ihrem Alter sein muss. Vor allem hat er eine süße Nase, die perfekt in sein behaartes Gesicht passt.

Lucie schaut weiter zu seinem Kopf, auf dem schwarze verstrubbelte Haare liegen, als ob er zuvor eine Mütze getragen hätte. Erst dann richtet sie ihren Blick auf seine Augen und wäre fast zurückgeschreckt. Heilige Mutter Gottes, so ein stechendes helles Grün hat sie bei einem Schwarzhaarigen noch nie gesehen, einfach Wahnsinn!

Auf einmal kommt sie sich vor diesem attraktiven Mann schäbig vor. Sie trägt ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz, und geschminkt ist sie schon gar nicht. Hinzu kommt, dass sie diesen blöden sackähnlichen Kittel trägt, der von ihrer schlanken Figur mal so gar nichts zeigt. Zudem sind ihre Fingernägel eine Katastrophe. Der Stress und Verlust ihrer Familie hat dafür gesorgt, dass sie regelmäßig daran herumnagt. Mist!

Ein charmantes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, das winzige Fältchen um seine Augen erscheinen lässt und sie fast in die Knie zwingt. Ihr ganzer Körper beginnt zu kribbeln, und ihre Muschi fängt an zu pochen. So eine Reaktion hatte sie schon lange nicht mehr bei einem Typen, und bei diesem Job sind ihr schon eine Menge untergekommen. Aber sie hatte auch seit bestimmt einem Jahr keinen Sex mehr. Ein halbes Jahr, bevor ihre Eltern gestorben sind, hat sie ihren Freund verlassen, und nach dem schrecklichen Ereignis hatte sie keine Lust auf Männer. Aber bei diesem Exemplar könnte sie glatt eine Ausnahme machen. Obwohl sie eigentlich nicht auf Bärte steht.

Als die Sachen, die er auf das Band gelegt hat, bei ihr ankommen, muss sie sich ein Lachen verkneifen, denn das ist wirklich ein Einkauf auf den letzten Drücker: zwei Pakete bunter Lichterketten und zwei Flaschen Wein.

Lucie spürt, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schleicht, als sie beginnt, die Waren über den Scanner zu ziehen.

„Ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt, Frau Meyer.“

O Gott, seine rauchige und männliche Stimme beschert ihr eine Gänsehaut. Sogar ihr Höschen wird davon feuchter. Sie blickt zu ihm auf. „Sorry, aber das ist so ein typischer Auf-den-letzten-Drücker-Einkauf. So etwas Ähnliches habe ich heute schon öfter über den Scanner gezogen. Das macht 50,93 Euro, Herr …?“

Aus einem Impuls heraus möchte sie unbedingt seinen Namen wissen, wenn er den ihren so leicht von ihrem Kittel ablesen konnte.

Belustigung funkelt in seinen fesselnden Augen, und seine anbetungswürdigen Lippen heben sich zu einem Lächeln. O Mann, sie muss feststellen, dass sie unbedingt mal wieder vögeln muss, denn ihre Mitte zieht sich verlangend zusammen, und das auch noch bei einem Typen, auf den zu Hause wahrscheinlich eine Freundin wartet.

„Claus ist mein Name. Meine Lichterkette ist kaputtgegangen, und Wein habe ich doch tatsächlich zu kaufen vergessen.“

Lucie nickt. „Das hätte mir auch passieren können. Nicht der Wein, aber dass die Lichterkette kaputtgeht. Zum Glück habe ich dieses Jahr keine aufgehängt.“ Ups, das war ihr so rausgerutscht.

„Nicht in Weihnachtsstimmung? Das passt zu Ihren traurigen Augen.“

Ist das so offensichtlich? Beschämt schaut sie auf den Barcodescanner. Aber sie wird sich mit einem Fremden bestimmt nicht darüber unterhalten, obwohl ihr überhaupt nicht bewusst ist, dass ihre Augen traurig blicken.

Herr Claus gibt ihr seine Kreditkarte. Wie dämlich, denkt sie sich, da hätte ich auch nicht nach seinem Namen zu fragen brauchen. Aber sie konnte ja auch nicht wissen, dass er mit Kreditkarte bezahlen würde.

Während Herr Claus seine Einkäufe in eine mitgebrachte Stofftasche packt, steckt sie die Karte in das vorgesehene Gerät. Als es piept, holt sie die Karte wieder heraus und legt ihm den Beleg zum Unterschreiben hin. Während er dies erledigt, schaut sie sich den Namen genauer an und wäre fast in Gelächter ausgebrochen. Santa Claus, das konnte doch nicht sein Ernst sein! Obwohl sie es nicht will, blickt sie noch einmal in sein Gesicht. „Das ist doch ein Scherz, oder? Kein Mensch heißt Santa Claus!“

Ein herzzerreißendes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Leider ja, meine Eltern sind totale Weihnachtsidioten und fahren sehr auf diesen Mist ab. Deswegen habe ich noch schnell die Lichterketten besorgt. Sie kommen mich morgen besuchen, und es käme einer Todesstrafe gleich, wenn ich nicht wenigstens ein Fenster schmücken würde.“

Diese Worte reichen aus, um den Anflug einer guten Laune wieder verfliegen zu lassen. Sie möchte nur noch nach Hause. Schnell vergleicht sie die Unterschrift mit der auf der Kreditkarte, gibt sie ihm wieder und ist erleichtert, als ihr Chef um die Ecke kommt. Das kann nur bedeuten, dass kein Kunde mehr im Laden ist und er abschließen möchte.

„Dann wünsche ich Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, Herr Claus.“

Verwirrt blickt er sie an, weil er anscheinend nicht damit zurechtkommt, ihn auf einmal so abrupt loswerden zu wollen. „Okay, Frau Meyer, das Gleiche wünsche ich Ihnen auch.“

Lucie nickt und beschäftigt sich damit, sich von der Kasse abzumelden, sieht aber noch aus den Augenwinkeln, wie er kopfschüttelnd zum Ausgang geht. Was für ein Kerl, der sie so scharfgemacht hat. Schade, dass er mit so persönlichem Quatsch angefangen hat. Viel lieber hätte sie es gehabt, wenn er zu ihr gesagt hätte, sie solle sich nackt ausziehen, damit er sie auf dem Kassenband vögeln kann.

Lucie schüttelt den Kopf. Was hat sie heute nur für unanständige Gedanken? Bevor sie noch weiter dem Kopfkino verfällt, schnappt sie sich die Kasse, um nach hinten zu gehen, das Geld zu zählen, um dann ganz schnell nach Hause gehen zu können.

Heißer Heiligabend

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