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Stage 2

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Wie jeden Tag, kann es sich Neve nicht nehmen lassen, einen flüchtigen Blick zu Nortons Büro zu werfen, als Jill und sie das Großraumbüro der FBI Zentrale betreten. Weil sich eigentlich nie einer richtig um die Ankunft der Kolleginnen kümmert, sieht nur Jill, dass sich jeden Morgen ein Lächeln der Genugtuung auf Neves Lippen bildet. Dieses verschwindet aber ebenso schnell, wie es sich gebildet hat.

»Hach ja«, jauchzt sie vergnügt, als sie sich an ihren Schreibtisch setzt.

Es kommt ihr vor, als wenn es erst gestern gewesen wäre, als Sam zwei Wochen nach ihrer Rückkehr mit einem Handy neben ihr stand und ihr dieses reichte.

»Für dich, Matt.« Erstaunt zog Neve eine Augenbraue hoch, nahm das Handy und fuhr sich fahrig mit einer Hand durch die Haare. Sie war nicht sauer, sondern nervös. Was will Matt? Er hat sich einige Tage nicht blicken lassen. Auch kam keine Nachricht von ihm. Er fuhr damals mit Norton vom Grundstück und war nicht mehr auszumachen. Frisco schien ihn verschluckt zu haben. Selbst sein Handy war aus.

»Ja?« Neve bemerkte, dass ihre Stimme etwas zitterte. Sam beobachtete sie. Scharf aber besorgt. Im nächsten Moment atmete Neve erleichtert aus.

»Ach so, äh ja, lass mich kurz überlegen.« Auch wenn sie nach diesen Worten etwas ruhiger wirkte, fuhr sie sich noch einmal durch die Haare, legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke hinauf.

»Ok.« Sam konnte beobachten, wie sich Neves Gesichtszüge verhärteten. Ihre Falten vertieften sich.

»Ok, als allererstes muss ich wissen, wo du Norton hingeschafft hast. – Siuslaw National Park?« Neve pfiff beeindruckt.

»Alles klar.« In ihre Gedanken vertieft, wanderte sie los. Ihre Füße trugen sie zuerst in die Küche. Als sie dort allerdings Precious am Tresen sitzen sah, machte sie kehrt und stiefelte zurück zum Wohnzimmer.

»Ok, ich gehe davon aus, dass du mit deinem Pick Up gefahren bist? Und sicherlich warst du nicht so blöd, ihn auf die Ladefläche zu packen?« Neve schmunzelte, als Matt antwortete.

»Alles klar. Auch wenn es jetzt unbequem, anstrengend und aufwendig für dich wird, war das die richtige Entscheidung. Durch die Verletzung wegen seines entfernten Tattoos, wird er noch etwas geblutet haben. Das heißt, dass du auf deinen Sitzen Blut hast, richtig? – Gut. Zur Fleckentfernung nutzt du eine Seifenlösung, Ammoniak und Rostentferner. – Nein, Bleichmittel solltest du wirklich nur im allerletzten Fall nutzen. Das riecht noch Tage später nach dem Zeug. – Ja. - Da du zum Glück Stoffsitze hast, kannst du am besten ein Sprühextraktionsgerät dafür benutzen. Das zieht das Blut auch aus den tieferen Ebenen des Stoffes. – Dann wirst du den Rest vom Innenraum auch noch reinigen müssen. Für die Fenster reicht ein ganz normaler Reiniger. Die Spuren verschwinden dadurch gründlich genug. Für die Armaturen genügt ein Cockpitreiniger. – Ich gehe mal davon aus, dass du nicht darauf geachtet hast, ob Norton noch alle Fingernägel dran hat, oder?« Neve senkte lachend den Kopf.

»Weil Norton nicht blöd war. Er wird sich mit Sicherheit absichtlich einen Nagel abgerissen haben. Und zwar so tief, dass entweder Blut oder Haut mit dran war. Unsere Forensik ist beeindruckend gut. Das heißt, du wirst die Rücksitzbank vollständig nach irgendwelchen Überbleibseln absuchen müssen. Mach das am besten mit einer Lupe. – Stell dich nicht so an.« Neve lachte erneut. Sam beobachtete sie dabei, wie sie vom Wohnzimmer zur Waschküche wanderte.

»Norton wird sicherlich auch absichtlich etwas Speichel verteilt haben. Suche den Wagen also mit Schwarzlicht ab. – Achte auch auf Haare oder sonst irgendetwas was der menschliche Körper während einer zehnstündigen Autofahrt absondern könnte. Schweiß, Urin oder oder oder.« Die Waschküche wurde schon nach wenigen Sätzen uninteressant und Neve wanderte in Sams Atelier.

»Ok, das war das Thema. Wir bleiben beim Auto. Ähm, auch wenn du vorsichtig gewesen sein wirst, hast du Reifenspuren hinterlassen. Bedeutet, Reifen wechseln. Mach das ruhig in deiner Werkstatt, aber ziehe keine neuen Reifen auf, sondern gebrauchte. Am besten dieselbe Marke. – Warum? – Du kannst dir aussuchen ob du mit einer Pinzette jedes einzelne Steinchen aus dem Profil puhlst, oder ob du bei deinen Reifen bleibst, aber die gebrauchten keinerlei Hinweis darauf geben, wo du dich befunden hast. Außerdem kann aufgrund von Rechnungen nachverfolgt werden, wann du welche Reifen gekauft hast. Und wenn unsere Leute das überprüfen, du aber ganz andere Reifen aufgezogen hast, wirkt das verdächtig. – Na siehst du. – Ich sagte dir doch, dass es anstrengend wird. – Weiter geht’s.«

Sam verfolgte im sicheren Abstand ihre Frau, als die das Atelier verließ und das Büro betrat. Ihre Falten auf der Stirn zeichneten noch immer den geistigen Zustand ab. Sie war hochkonzentriert.

»Du wirst den Wagen waschen müssen. Und damit meine ich nicht einmal durch die Waschstraße und du hast wieder ein Bling Bling. Fahre dennoch durch eine Waschstraße, damit der grobe Dreck abkommt. Suche dir allerdings eine auf dem Festland aus. Fahre danach zu einem Waschpark wo man selbst Hand anlegt und nimm genug Kleingeld mit.« Neve musste bei ihren Worten selbst schmunzeln. Sie drehte sich im Büro um und wollte dieses verlassen. Sie war etwas erstaunt, dass Sam im Türrahmen stand und ihr selbst bis hierhin gefolgt ist. Neve trat an sie heran, schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie dicht an sich. Ihre Augen lagen verträumt auf den Lippen ihrer Frau.

»Du wirst jeden Radkasten fast auseinandernehmen müssen um sie ausreichend zu reinigen. Mache auch eine Unterbodenwäsche und eine Motorwäsche. Beweise können sich wirklich überall absetzen. Suche auch die Ladefläche nach irgendwelchen Blütenknospen ab. – Wieso? Ein Mörder wurde schon einmal überführt, weil er eine Blütenknospe in seinem Wagen übersah. Jeder Baum, jeder Strauch, alles was blüht hat, wie wir Menschen, einen unverwechselbaren Fingerabdruck. Wir könnten nur mit dieser einzelnen Knospe herausfinden, wo du langgefahren bist. Welche Sträucher du gestreift hast und und und. Die ganze DNA einer Pflanze steckt in so einer Knospe. – Ja, unglaublich, nicht wahr?« Neve neigte den Kopf etwas, roch an Sams Hals und konnte es sich nicht nehmen lassen, dort einen hauchenden Kuss zu platzieren. Sie schaute Sam danach verliebt lächelnd an, schlich dann aber an ihr vorbei. Konzentriert begann sie dann den Flur rauf und runter zu laufen.

»Ähm, wie sind deine Stoßstangen beschaffen? Sind die ausgehöhlt oder durchgängig festes Material? – Ok, abschrauben und reinigen. Auch dort könnten sich Reste von der Umgebung festsetzen. Suche wirklich jeden Schlitz und jede kleinste Einkerbung deines Wagens ab. Du glaubst nicht welch feine Spürnasen wir in der Abteilung haben. Wenn der Wagen dann von innen und außen so weit gereinigt ist, dass man ihn glatt als Neuwagen verkaufen könnte, bist du fast fertig. – Wieso keine professionelle Reinigung? Weil das zu auffällig wäre. – Ähm, wenn dein Vehikel also glänzt wie eine Bowlingkugel, dann suchst du dir einen schönen Wald, oder unebenes Gelände und jagst dort ein paar Runden herum. Der Wagen muss ordentlich Dreck aufnehmen.« Sam zuckte kurz zusammen, als Neve lauthals zu lachen anfing. Sie schaute die FBI Agentin an und sah, dass ihre Augen voller Belustigung leuchteten. Sie erfreute sich an dem was Matt ihr sagte.

»Nein Matt, ich will dich nicht verarschen. Du hast mich schon richtig verstanden. Du sollst deinen Wagen wieder versauen, nachdem du ihn so schön poliert hast. Wenn wir uns deinen Wagen schnappen, fällt uns natürlich auf, dass dieser ungewöhnlich sauber ist. Also musst du den wieder verdrecken, um den Eindruck zu erwecken, dass du dort schon ewig keine Hand mehr angelegt hast. Für den Innenraum kann ich dir Precious mit einer Tüte Popcorn vorbeibringen«, gluckste Neve. Sie erfreute sich an ihrem fluchenden und grummelnden Boss.

»Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Du wolltest meine Hilfe, also. - Ok, kommen wir zu dir. Ich denke mal, dass du Norton nicht einfach nur abgeladen hast und wieder abgehauen bist. So wie ich dich kenne, wirst du es schon einige Zeit genossen haben?! Gut. – Ähm, bei deiner Ernährung hast du darauf geachtet, so wenig Müll wie möglich produziert zu haben? Du hast den entstandenen Müll dann auch wieder mitgenommen? – Super. – Wie sieht es mit Urin und Exkrementen aus? – Ein Fluss? Perfekt. Das können wir nicht nachverfolgen, sehr schön. – Ähm, hast du unterwegs irgendwelche Zahlungen mit deiner Kreditkarte getätigt, sodass du eine virtuelle Spur hinterlassen hast? – Nicht? Klasse. – Du hast auch auf Blitzer und derartiges geachtet, was deinen Aufenthaltsort verraten könnte? – Hervorragend. – Ok, dann lass mich nochmal kurz überlegen. – Nein, ich denke das war es dann. Den Rest werde ich dann bei den Ermittlungen übernehmen. – Klar, aber mach dich darauf gefasst, dass wir in den nächsten Tagen bei dir aufschlagen und dich zu einer Vernehmung mitnehmen werden. Ich werde versuchen das Verhör selbst zu führen, kann aber nichts versprechen. Halte dir also schon mal ein Alibi bereit. – Ach, hast du schon? Ja sehr schön. Das gefällt mir. – Super, dann haben wir alles. – Klar, kein Thema. – Dir auch einen schönen Abend.« Neve legte auf, drehte sich um und machte erschrocken einen Schritt zurück. Sam stand unmittelbar vor ihr. Ihre Augen lagen auf ihrer Frau. Regungslos betrachtet sie sie, was Neve etwas verunsicherte. Sie konnte in den braunen Augen ihrer Frau sehen, dass es in ihr arbeitete. Irgendetwas ging in ihrem wunderschönen Köpfchen vor.

Neve versuchte sich daran, es lesen zu können. Die neuen Augen von Sam machten es ihr noch etwas schwer. In ihren alten konnte sie sofort lesen was Sam dachte und fühlte. Aber diese neuen Augen waren etwas anders. Sie waren dunkler und tiefer.

»Du bist unglaublich«, flüsterte Sam. Fragend hob Neve eine Augenbraue.

»Du weißt schon was du da eben getan hast, oder?« Mit einem Schlag fühlte sich Neve schuldig. Verurteilte Sam sie in diesem Moment tatsächlich? Missfiel es ihr, dass Neve ihrem Boss den Arsch gerettet und seinen Kopf aus der Schlinge gezogen hat? War es ihr zuwider, dass eine FBI Agentin einem Kriminellen dabei half seine Spuren zu verwischen?

Neve wusste nicht wie sie auf diesen einen Satz von Sam reagieren sollte. Auf so eine Konfrontation war sie nicht vorbereitet. Daher straffte sie ihre Körperhaltung. Sie legte ihre entspannte Haltung ab. Ihre Statur wuchs dadurch nur wenige Zentimeter.

»Ich bin und bleibe ein Hund. Das ändert nichts daran, was auf meinem monatlichen Gehaltsscheck steht.« Neve spürte leichten Zorn in sich aufsteigen. Wieso verurteilte Sam sie wegen dem was sie eben tat? Sie beide sprachen Stunden über diesen Spagat, den Neve damit täglich absolvieren muss. Sie waren sich einig, dass beide es schaffen würden. Dass sie es akzeptieren und tolerieren.

»Das meinte ich nicht.« Neve stutzte. Nicht? Was meinte sie dann?

»Ja, du hast einem Verbrecher dabei geholfen, seine Spuren zu verwischen, das stimmt. Aber du hast das mit solch einer Eleganz, Selbstsicherheit und Intensität getan, dass du einem damit vollkommen in einen Bann gezogen hast. Dir liegt das alles so sehr im Blut, dass du diese Seite von dir niemals ablegen könntest, egal wie mächtig dein innerer Hund sein mag. Du hast diese beiden Seiten in dir. Eine Gute und eine Böse und du schaffst es tatsächlich, diese beiden Seiten voneinander zu trennen. Sie auseinanderhalten zu können, ohne dich dabei selbst zu verraten. Und das ist es was dich so unglaublich macht.«

Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte, atmete Neve erleichtert aus. Sie glaubte eine hitzige Diskussion mit Sam beginnen zu müssen. Sie vergaß tatsächlich für einen Moment, dass Sam weiß, dass sie ihre Hunde niemals verraten würde, oder ihren Job vernachlässigte.

Sam machte einen letzten Schritt auf Neve zu. Ihre Augen sahen besorgt aus.

»Hast du tatsächlich geglaubt, ich würde an dir zweifeln? Daran zweifeln, dass du ein Hund und eine FBI Agentin sein kannst? Dass du diesen Spagat nicht schaffen würdest?« Neve wurde nervös. Ihre Augen wanderten hektisch durch den Flur. Sie glaubte tatsächlich für einen kleinen Augenblick an diese Dinge. Dass Sam ihr nicht glaubte was sie da tat. Dass sie es verurteilen würde. Dass sie die Hunde früher oder später verraten würde, weil sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte.

Eigentlich hätte Sam Recht haben können. Neve ist mit Leib und Seele Bulle. Das Gesetz liegt ihr trotz allem im Blut. Für sie ist es eine Lebensaufgabe dieses zu vertreten, auch wenn gerade diese verdammten Paragraphen soviel Scheiße mit ihnen gebaut haben. Dennoch weiß Neve, dass sie diesen Teil ihres Lebens nicht einfach ablegen kann. Dafür ist er zu tief verankert. Zu sehr ein wichtiger Teil von ihr. Sie wünschte sich als Kind nichts Sehnlicheres als zur Polizei zu gehen. Und als sie das dann schaffte, ging sie in dieser Tätigkeit auf. Sie liebte und lebte diesen Job. Mit jeder Faser ihres Körpers. Sie hätte noch solange als Hund dagegen ankämpfen können, ihr Blut hätte sie nicht verleugnen können. Sie war dem Gesetz gegenüber loyal. Aber ebenso war sie ein Hund. Ein Hund, der damals Morde beging und eine verdammt dunkle Seite von sich preisgab. Neve tötete ganz offen, oder mit List, aber sie tötete. Erschreckenderweise sogar mit einer gewissen Leidenschaft. Sie verkaufte Waffen und Drogen und machte der Polizei das Leben schwer. Sie trieb auf eine unglaublich feinfühlige und intelligente Art die Verbrechenszahlen in Frisco fast ins Unermessliche. Und sie hatte Spaß daran. Sie liebte es ihre ehemaligen Kollegen zu verarschen und an der Nase herumzuführen. Sie machte sich einen Spaß daraus, falsche Fährten zu legen und falsche Spuren zu falschen Personen führen zu lassen. Sie war Matt gegenüber ebenso loyal wie der Polizei. Und das alles nur wegen einer einzigen Frau. Die Frau die ihr gegenüberstand und sie nachdenklich anschaute. Wenn es Sam nicht geben würde, wäre Neve noch immer Detective beim Department und würde durch die Straßen streifen. Aber die Liebe zu dieser jungen südländischen Frau, hat einen fast anderen Menschen aus ihr gemacht. Sie weiß, dass sie dem Gesetz und den Hunden gegenüber gleich loyal sein kann, ohne sich dabei selbst zu verraten. Für Außenstehende mag das unverständlich wirken, aber für sie selbst war es eine Erfüllung. Sie fühlte sich mit diesen beiden Seiten erstmals vollständig. Sie hatte diese gute Seite und vertrat das Gesetz. Und sie hatte diese böse Seite, mit der sie eben dieses hinterging. Unverständlich, aber diese beiden Seiten in sich, vervollständigten sie.

Neve senkte den Kopf. Angestrengt atmete sie laut aus. Sie zog die Schultern hoch.

»Keine Ahnung. Irgendwie ist das für mich auch noch etwas komisch. Aber ich weiß, dass ich das schaffen werde.«

»Daran zweifle ich nicht eine Sekunde«, hauchte Sam, als sie einen letzten Schritt auf Neve zumachte. Sie stand ihr jetzt so dicht gegenüber, dass Neve keine andere Möglichkeit hatte, als den Kopf zu heben und sie anzusehen. Es war unglaublich. Auch mit diesen neuen Augen, schaute Sam sie mit so einem ausdrucksstarken Blick an, dass Neve fast für eine Sekunde ihre Tochter vergessen und sie am liebsten ins Schlafzimmer gezogen hätte.

Neve hob einen Arm. Sanft strich sie mit dem Zeigefinger über Sams vollen Lippen. Verträumt schaute sie dem Finger nach.

»Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich schon manchmal deinen alten Körper vermisse. Dieser hier ist faszinierend, sexy und atemberaubend, aber er ist eben nicht…« Neve suchte die richtigen Worte.

»… nicht Sam.« Anstatt gekrängt zu wirken, lächelte Sam spitzbübisch.

»Wenn du so ein großes Verlangen nach meinem alten Körper hast, kann ich ihn dir gerne ausgraben. Ich weiß allerdings nicht wie weit der Verwesungsprozess vorangeschritten ist, oder ob die Maden und Würmer noch etwas davon übrig gelassen haben. Damit kennst du dich besser aus«, gluckste sie frech. Erschrocken und zugleich angeekelt riss Neve die Augen auf.

»Boah, du bist widerlich«, schimpfte sie wie ein Rohrspatz. Sam hatte als Antwort darauf nur ein kurzes Lachen, als sie wie ein Wiesel vor Neve flüchtete. Die ältere Frau wollte sich nicht mit einem so ekelerregenden Gedanken abfertigen lassen, den sich Sam als Spaß ausdachte und rannte ihr hinterher.

Auch wenn Precious den Grund dafür nicht kannte, weshalb sich ihre Mütter lachend durch das Haus jagten, hüpfte sie dennoch vom Hocker des Tresens und rannte ihnen quietschend hinterher.

***

Neve schaut flüchtig zu Nortons Büro. Ihren neuen Vorgesetzten kann sie ebenso wenig leiden, wie Norton. Allerdings aus einem ganz anderen Grund. Dieser Grünschnabel kam frisch von der Uni. So kam es ihr jedenfalls vor, als dieser Jungspund der Abteilung vor drei Jahren vorgestellt wurde. Sicherlich hat der noch nie eine Leiche gesehen, noch nie Blut gerochen, oder dabei zusehen müssen, wie Gliedmaßen zusammengesucht werden mussten, damit der Körper als eine Einheit beerdigt werden konnte. Sicherlich wohnte er auch noch nie einer Autopsie bei.

Als sie Jill das erste Mal zu so einer mitnahm, musste sie innerlich schon etwas schmunzeln. Sehr zum Leidwesen von Jill, hoffte sie, dass sie ihrer Kollegin eine Brechtüte reichen konnte. Oder sie zumindest heldenhaft auffangen konnte, wenn diese in Ohnmacht fiel, nur weil der Brustkorb des Leichnams aufgeschnitten wurde. Allerdings kam alles anders als es sich Neve erhoffte. Jill stand interessiert neben ihr und beobachtete den Rechtsmediziner bei seiner Arbeit. Sie stellte Fragen, saugte die Antworten wissbegierig auf, beugte sich über den Körper und blickte fasziniert über die menschlichen Innereien. Selbst als der Rechtsmediziner das Herz des Opfers aus dem Körper nahm, um es zu wiegen, stand Jill noch auf ihren Beinen. Sie folgte ihm zur Waage und beobachtete jede seiner Handlungen.

»Wahnsinn«, staunte sie Bauklötze. Neve schlenderte hingegen enttäuscht durch die Räumlichkeit. Damit hat sie tatsächlich nicht gerechnet. Dass Jill wahrhaftig dieses Interesse an toten Körpern zeigte. Dass sie keine Probleme mit diesem Bild und all den Gerüchen hatte. Es schien ihr nicht das Geringste auszumachen. Offensichtlich genoss sie das sogar.

»Hör auf so sehnsüchtig an die alten Zeiten zu denken.« Jills flüsternde Stimme reißt Neve aus ihren Gedanken.

»Hä?« Plump wie sie manchmal sein kann, schaut sie ihre Kollegin und Freundin an.

»Du erinnerst dich doch eben sicherlich daran, wie ihr damals Norton gefunden habt, nicht?« Neve ist erstaunt, dass Jill in ihr lesen kann. Wenn auch etwas am Ziel vorbeigeschossen, aber scheinbar hat ihre Kollegin keine allzu großen Schwierigkeiten damit.

Neve blickt zu Nortons Büro zurück.

»Nein, das war es nicht ganz. Ich hätte damals vielleicht doch die Gelegenheit nutzen sollen, den Posten anzunehmen. Dieser junge Hüpfer da drüben bereitet mir jeden Morgen schlechte Laune.« Jill kichert leise. Auch ihr passt der Jungspund nicht, ergab sich aber dieser Entscheidung.

Als Norton damals ermordet aufgefunden wurde, wurde Neve, genauer genommen Eden, das Angebot gemacht, die Chefin der Abteilung zu werden. Sie lehnte es nach reichlicher Überlegung dankend ab. Ihr war es einfach zuwider Mordfälle nur noch auf dem Papier zu bearbeiten. Sie brauchte die Straße und den engen Kontakt zum Verbrechen. Hinter dem Schreibtisch wäre ihr das alles verwehrt geblieben. Etwas was sie einfach nicht wollte.

Jetzt bereut sie es manchmal. Ihrem Vorgesetzten muss sie einige Fälle manchmal so kleinlich auseinandernehmen, damit dieser versteht wovon sie redet, dass sie irgendwann müde davon wird. Müde wegen den Erklärungen, müde wegen dem Unwissen ihres Vorgesetzten, müde wegen der eigentlich unnütz gebrauchten Energie. Mit wem hat der Typ nur geschlafen, dass er diesen Posten bekam?

Zwangsläufig, weil Jill sie darauf ansprach, driften Neves Gedanken ab.

Vor drei Jahren stand Trevor neben ihr am Tisch. Sein Gesicht war aschfahl. Es hatte fast den Anschein, als wenn er jeden Augenblick ohnmächtig wurde.

Gerade als sie ihn fragte wollte was mit ihm sei, hauchte dieser »Sie haben Norton gefunden. Oder das was von ihm übrig ist«. Trevor schluckte bei diesen Worten. Neve wusste hingegen nicht, ob sie jubeln oder ebenso geschockt wirken sollte. Sie entschied sich für letzteres.

Bei der Ankunft im Siuslaw National Park, tummelten sich unzählige Polizeibeamte. Ebenso viele FBI Kollegen. Neve war sich nicht sicher, ob diese als Schaulustige dienten, oder an dem Fall mitwirken wollten. Denn mit dem Leichenfund wurde Norton automatisch zu einem Fall.

Trevor und Neve bekamen diesen Fall zugesprochen, weil Neve als Eden schon immer einen guten Draht zu ihrem Vorgesetzten hatte. Es lag also nahe, dass sie und Trevor seinen Tot aufklären sollten.

Die beiden Kollegen betraten den Tatort. Es schien Trevor schwer zu fallen das Absperrband zu heben, damit sie dort drunter durchlaufen konnten. Es wirkte, als wenn es aus Stahl angefertigt worden wäre.

»Versucht die Nerven beisammen zu halten. Das ist wirklich kein schöner Anblick«, warnte ein anderer Kollege die beiden vor.

Während der langen Fahrt zum Park, malte sich Neve schon die tollsten und buntesten Bilder aus wie sie Norton auffinden würde. Wie er erhängt, erschossen oder erstochen irgendwo in diesem Park vor sich hin verwesen würde. Aber der gebotene Anblick übertraf selbst ihre kühnsten Vorstellungen.

Unzählige Menschen umgaben den Leichnam, den man in diesem Zustand nur noch schwer als einen Menschen erkennen konnte. Kollegen, Fotografen und andere Polizeibeamte tummelten sich um den toten Körper.

Als Neve an den Leichnam vollständig herantrat, wusste sie nicht, ob sie würgen oder lachen sollte. Sie war stolz auf Matt, unglaublich stolz. Dennoch durchfuhr sie ein eiskalter Schauer. Sie hatte ja keine Ahnung, dass ihr Boss so bestialisch sein kann. Matt ließ sich Zeit, sehr viel Zeit.

Nortons Gliedmaßen ragten in alle Himmelsrichtungen ab. Mit Seilen wurden diese an Pfähle gebunden, die tief in den Boden gerammt wurden. Allerdings waren sie nur noch mit wenigen Sehnen und ebenso wenig Fleisch mit dem Körper verbunden. Die Arme und Beine wirkten, als wenn jemand oder etwas versucht hätte, diese abzureißen.

Norton war nackt. So sah es zu mindestens aus. Sein ganzer Körper wies Schnitt- und Stichwunden auf. Keine tödlichen, aber schmerzhafte. An den Körperstellen, an denen keine Tiere oder Insekten geknabbert haben, konnte man Hämatome erkennen. Matt überließ Norton also nicht nur den natürlichen Instinkten der Tiere, die auf Futtersuche waren, sondern ließ auch seine Kräfte sprechen. Jeder Schlag und jeder Tritt muss für ihn eine Genugtuung gewesen sein.

Nortons Gesicht war eigentlich gar nicht mehr als solches zu erkennen. Die Augen wurden von Raben oder ähnlichem heraus gepikt. Tiere mit gewaltigen Kauwerkzeugen müssen am Gesicht gerissen haben, wie an einem unschuldigen Lamm das als Opfergabe dargeboten wurde. Neve wusste, dass sich in diesem Wald Bären und Wölfe die Nahrung mühsam suchen müssen. Norton muss ein willkommenes Geschenk gewesen sein. So wehrlos auf dem Boden zu liegen und die Tiere auf sich zukommen zu sehen, muss unvorstellbar gewesen sein. Und dann noch bei lebendigen Leib und klarem Verstand miterleben zu müssen, wie sie an einem knabbern, überstieg sogar Neves Vorstellungskraft.

Der Bauch schien das erste gewesen zu sein, worauf sich die Raubtiere stürzten. Die weichste Stelle des Körpers ist immer ein einladendes Geschenk. Sämtliche Innereien, oder das was davon noch vorhanden war, hingen zerfetzt aus der offenen Bauchwunde.

Der Brustkorb war bis zu dem Rippen abgefressen. Von diesen fehlten sogar einige, oder waren teilweise angeknabbert. Das Herz war gar nicht mehr vorhanden.

Aus den Oberschenkeln fehlten große Stücke Fleisch. Die Zehen der Füße waren auch nicht mehr vollständig. Die Hände waren zu unerkennbaren Stumpen abgefressen.

Mittlerweile überlagerten die unterschiedlichsten Maden und Würmer Nortons Körper. Auch sie wollten noch etwas Leckeres von diesem hervorragenden Menü für sich beanspruchen.

»Wer macht so etwas? Wie kann man nur so krank sein?« Trevors Stimme war hauchend. Neve konnte hören, dass er mit den Tränen kämpfte. Der Anblick seines Chefs, katapultierte ihn in einen Schockähnlichen Zustand. Bevor dieser aber vollends seine Wirkung auskosten konnte, riss Neve ihn aus seiner Starre.

»Lass uns an die Arbeit gehen. Je schneller und präziser wir sind, umso schneller finden wir seinen Mörder.« Sie wusste natürlich wer es war, stellte sich aber gekonnt dumm.

Trevor benötigte noch ein paar Schrecksekunden, bis er sich, ebenso wie Neve, Handschuhe überstreifte und die nähere Umgebung nach Beweisen absuchte.

Der Coroner rupfte in der Zwischenzeit Nortons Körper vom Boden. Sicherlich wog er nur noch die Hälfte seines eigentlichen Gewichts. Die andere Hälfte ist schon verdaut und ausgeschieden.

Neve konnte es sich nicht nehmen lassen, bei diesen Gedanken fast zu lachen. Sie drehte sich etwas von Trevor weg. Ihre leuchtenden Augen hätten einen komischen Beigeschmack zu dieser traurigen Situation gehabt.

Nortons letzter Weg war also recht beschissen. Aufgefressen von Wölfen, welch eine Ironie. Da hat er so viele Jahre gegen die Hunde gekämpft und wurde letztendlich von deren Vorfahren gefressen und ausgeschieden.

Mit Adleraugen durchkämmte Neve die Gegend. Sie wusste, dass sie Matt den Arsch bis zum Mars aufreißen würde, sollte sie hier noch irgendwelche Beweise finden, die zu ihm führen würden.

»Eden, sieh mal.« Neve fiel es manchmal noch schwer auf diesen Namen zu reagieren. Zuhause und bei den Hunden war sie Neve Preston. Aber in der Öffentlichkeit oder beim FBI war sie Eden Stewart.

Ein paar Tage nach deren Rückkehr, standen sie und Sam bei Michael in der Immobilienfirma. Sie erklärten ihm was geschehen war. Natürlich konnte er das zuerst nicht glauben. Es dauerte einige Tage bis er den Brocken geschluckt hatte. Danach war er dann unglaublich glücklich Neve und Sam wieder an seiner Seite zu wissen. Ohne zu zögern überschrieb er Sam ihre Anteile der Firma und arbeitete seit dem Tag mit ihr zusammen. Neve hielt sich aus diesem Geschäft vollständig heraus. Laura machte ihre Arbeit gut, da brauchte sie ihre Finger nicht wieder mit drin haben. Und mit Sam an der Seite, konnte die Firma nur noch besser werden. Endlich waren die beiden Freundinnen wieder vereint und arbeiteten zusammen.

Neve spürte einen Anflug von Wut in sich aufsteigen, als sie zu Trevor ging, der einige Meter neben einem Fluss über dem Boden gebeugt war.

»Schau.« Er zeigte auf einen Bodenabschnitt der ungewöhnlich glatt war. Das Moos war platt gedrückt und teilweise fast ausgetrocknet. Fußspuren waren deutlich zu sehen.

Matt, du verdammter Idiot! Neve konnte sich kaum beherrschen. Klar, über das Thema Fußspuren hatten sie am Telefon nicht gesprochen. Verdammt.

Sie beugte sich ebenfalls hinunter und betrachtete die Spuren. Irgendetwas war da anders. Das waren keine richtigen Abdrücke von Schuhsohlen. Was zur Hölle war das?

Neugierig auf das was sie herausfinden würde, zückte Neve ihre Taschenlampe und leuchtete die Abdrücke ab. Es waren unglaublich viele. Die meisten davon befanden sich allerdings nur in einem recht kleinen Umkreis. Die Person die sich hier befand, muss sich nicht allzu weit vom Platz wegbewegt haben. Aber weshalb sehen diese Abdrücke so merkwürdig aus? In ihrer ganzen Karriere hat Neve noch nie solche Abdrücke gesehen.

»Lass uns einen Abguss davon machen«, warf sie ihrem Kollegen zu, während sie mit der Taschenlampe die nähere Umgebung weiter betrachtete. Es war zwar helllichter Tag, aber die Taschenlampe verhalf ihr immer zu einem besseren Blick.

Sie konzentrierte sich weiter auf die plattgedrückte Umgebung. Ihr kam eine Idee. Sie suchte den Rand des platten Vierecks ab und wurde sofort fündig.

»Trevor, hier hat jemand gezeltet. Sieh nur. Hier haben wir den plattgedrückten Untergrund und da,« sie schwang ihre Taschenlampe auf vier Ecken »haben wir die Löcher der Heringe die zur Befestigung in den Boden gestochen wurden.« Davon erzählte Matt nichts. Dass er hier zeltete. Aber sie hätte es eigentlich wissen müssen. Matt war viel zu lange weg, als dass es eigentlich eine andere Möglichkeit gegeben hätte.

Trevor folgte den Entdeckungen seiner Kollegin und blickte gleichzeitig mit ihr zu der Stelle zurück, wo Norton bis vor wenigen Minuten noch lag.

»Unser Täter hat Nortons Todeskampf beobachtet?« Neve hörte, wie die Stimme ihres Kollegen fast heiser wurde. Er konnte es offensichtlich nicht glauben, dass Menschen tatsächlich zu so einer bestialischen Tat imstande waren. Dabei zuzusehen, wie jemand von wilden Tieren aufgefressen wurde. Wie krank und pervers muss dieser Mensch nur gewesen sein? Was trieb ihn dazu? Vor allem, weshalb wurde Norton das angetan?

Neve konnte spüren, wie die Freude in ihrem Körper fast überschwängliche Ausmaße annahm. Matt hat sich auf eine genussvolle aber abartige Weise bei Norton dafür gerächt, dass er damals seine kleine Familie ermorden ließ. Dass er Eden auf ihn hetzte und ihm das Leben so viele Jahre schwergemacht hat.

»Fotografieren und abmessen.« In Gedanken versunken, teilte Neve ihren Kollegen diese Entscheidung mit.

Bis tief in den Abend suchten die beiden noch die nähere und weitere Umgebung nach irgendwelchen Spuren oder Beweisen ab. Allerdings fanden sie nichts mehr. Matt war sauber, verdammt sauber. Und mit diesem guten Gefühl, fiel sie kurz vor Mitternacht in das Hotelbett, in das sie sich mit ihrem Kollegen einquartierte. Heute Nacht noch nach Hause zu fahren, wäre unklug gewesen. Sie waren zu müde und zu erschöpft, als dass einer der beiden diese lange Autofahrt noch auf sich hätte nehmen können.

Sie mussten allerdings am nächsten Tag auch noch die nähere Umgebung abfahren. Vielleicht gab es Augenzeugen die etwas gesehen haben. Irgendwelche Hinweise, mit denen sie dem Täter etwas näherkommen könnten.

»Hoffentlich nicht«, murmelte Neve in das Kissen, drehte sich auf die Seite und schlief wie ein Baby ein.

***

Als sie mit Trevor am nächsten Nachmittag wieder in Frisco eintraf, klingelte gleich ihr Handy.

»Eden Stewart?« Wie sehr sie diesen Namen verabscheute.

»Ja, wir sind unterwegs.« Sie legte auf und schaute zu Trevor hinüber.

»Wir müssen in die Pathologie. Der Rechtsmediziner hat etwas bei Norton gefunden was er uns unbedingt zeigen will.« Ihr Kollege steuerte den Wagen Richtung Pathologie, während Neve sich fragte, was sie dort erwarten wird. Was hat der Rechtsmediziner gefunden, was Matt vielleicht übersehen hat? Welche Spuren oder Beweise könnten auftauchen, die ihren Boss überführen könnten? Hätte sie dann überhaupt noch die Möglichkeit ihm zu helfen?

Unbemerkt knabberte Neve während dieser Gedanken an ihrer Unterlippe. Sie war nervös, zwang sich aber dazu, sich nicht mit der Hand durch die Haare zu fahren. Das gehörte zu Neve und nicht zu Eden.

Manchmal fühlte sie sich mit diesem Identitätensspagat tatsächlich überfordert. Als Eden konnte sie nicht wie Neve sein und als Neve wäre es blöd gekommen, wenn sie Edens Eigenschaften ins Wohnzimmer mitgenommen hätte.

Jedesmal wenn sie privat ein Telefonat annahm, brauchte sie tatsächlich eine Sekunde um zu überlegen, ob sie nun Neve oder Eden war. Bis heute ist nichts Gravierendes passiert, aber oftmals war dieser Akt sehr erschöpfend.

Der Rechtsmediziner begrüßte die beiden Agents, beanspruchte aber gleich deren volle Konzentration.

»Das hier,« er zeigte auf Nortons Brust, oder auf das was davon noch übrig geblieben war »ist definitiv keine Bisswunde. Diese Spuren wurden von keinem Tier verursacht.« Die beiden Agents beugten sich neugierig über Nortons Brust. Eigentlich hätte Neve ihre Augen auch schließen könnten, sie hätte dennoch gewusst wie die gezeigte Wunde ausgesehen hätte. Schließlich war sie es, die Norton die Haut mit dem tätowierten Kaninchen herausgeschnitten hat.

Dennoch blieb sie neugierig. Ihre Augen wanderten über den feinen runden Schnitt auf der Haut. Es war nur noch ein kleines Stück zu erkennen.

»Was auch immer sich dort einmal befunden hat, es wurde mit einem scharfen Gegenstand entfernt. Vielleicht eine Tätowierung oder ähnliches«, schmetterte der Rechtsmediziner sein Wissen den beiden Agents entgegen.

»Was ich aber viel interessanter finde, ist das hier.« Er griff nach Nortons sterblichen Überresten und drehte dessen Körper auf die Seite.

Gleichzeitig weiteten sich Trevors und Neves Augen. Auf Nortons Rücken wurden mit einem scharfen Gegenstand die Worte »Das erste und letzte Kaninchen« geschnitten.

»Was zur Hölle…?«, stotterte Neve unwissend, grinste aber in sich hinein. Gleichzeitig wurde sie aber auch etwas wütend. Damit hinterließ Matt eine mehr als offensichtliche Botschaft

Nicht nur die örtliche Polizei, sondern auch das FBI ist schon seit Jahren auf die Fehde zwischen den Five Dogs und den Dead Rabbits aufmerksam geworden. Bisher hielt sich das FBI immer zurück, weil es für deren Dienste einfach nicht wichtig genug war. Nun hatten sie aber einen triftigen Grund sich dieses Kapitel genauer anzusehen.

»Kaninchen? Rabbit? Meint der Täter etwa die Dead Rabbits?« Fragend blickte Trevor zu seiner Kollegin hinüber. Diese zuckte vorerst unschuldig und unwissend mit den Schultern, nickte dann aber.

»Wahrscheinlich schon.«

»Glaubte der Täter etwa, dass Norton irgendetwas mit den Dead Rabbits zutun hatte? Abgesehen von den Ermittlungen?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

»Eden, du warst doch zwei Jahre Undercover bei diesen Kaninchen. Ist dir Norton da jemals begegnet?« Neve lachte schnippisch.

»Nein, mit Sicherheit nicht. Und wenn, wäre ich wohl vom Glauben abgefallen.«

»Und was soll uns diese Nachricht dann sagen?« Neve fragte sich, ob sich Trevor auch schon zu Edens Zeiten so blöd angestellt hat.

»Das werden wir wohl herausfinden müssen.« Sie trat vom Seziertisch weg und verschränkte die Arme.

»Ok, wir wissen hiermit also, dass Norton irgendetwas mit den Dead Rabbits zutun hatte. Was es war, müssen wir noch feststellen. Wir wissen aber auch, dass zwischen den Dead Rabbits und den Five Dogs seit Jahren eine heftige Fehde besteht. Vielleicht sollten wir dort mit unseren Ermittlungen beginnen.«

»Das heißt?« Ist Trevor wirklich so blöd?

»Wir schnappen uns den Boss der Five Dogs. Diesen Matt. Vielleicht weiß er ja irgendetwas hierüber.« Mit einer kurzen Kinnbewegung deutete sie auf Norton.

»Wer weiß, vielleicht haben wir dann ja auch schon unseren Mörder. Logisch wäre es. Der Krieg zwischen den beiden geht schon verdammt lange. Es wäre nur von Vorteil für diesen Matt, wenn es einen Rabbit weniger geben würde. Und wie die Worte uns offensichtlich wissen lassen sollen, scheint Norton ja der Boss der Kaninchen gewesen zu sein.«

»Der Boss der Dead Rabbits? Wie kommst du denn auf die Idee? Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass Norton irgendetwas mit diesen Verbrechern zutun hatte, oder?« Neve schaute ihren Partner flüchtig an. Ihre Augen funkelten.

»Wissen wir das genau? Kannten wir Norton überhaupt richtig? Heutzutage ist doch so gut wie jeder korrupt.« Neve konnte in Trevors Augen sehen, dass ihm dieser Gedanke keineswegs schmeckte, diesen aber auch nicht als allzu abwegig abstempelte.

Mit einem Blick zu Norton zurück, nickte er nachdenklich.

»Das erste und letzte Kaninchen«, murmelte er vor sich hin.

***

Neves Magen protestierte und rebellierte. Er zog eine Bühnenreife Show ab, nur um ihr zu zeigen, dass sie diesen Einsatz nicht hinter sich bringen wollte. Das wusste sie allerdings auch ohne ihren aufdringlichen Magen.

Sie, Trevor und einige andere Kollegen hielten vor Matts Haus. Auf der Auffahrt stand Lauras Wagen. Sicher, damals war es Freitagabend. Es stand eines der Wochenenden an, an dem sich alle Familien treffen und gemeinsam bei Matt zu Abend aßen.

Von Sam und Precious war damals noch keine Spur zu sehen. War vielleicht auch besser so.

Auch wenn Neve es als maßlos übertrieben ansah, gab ihr Vorgesetzter ihr die Anweisung, dass sie mit einer kleinen S.W.A.T. Armee bei Matt aufschlagen sollten. Er sollte dadurch eingeschüchtert werden. Außerdem könnte es sein, dass er sich zu wehren wusste und ihnen das Leben schwermachte.

Neve wusste, dass sich Matt wehren kann, und wie. Aber sie warnte ihn vor. Er musste damit rechnen, dass sie bei ihm auftauchen und ihn mitnehmen würden. Aber gleich so?

Die FBI Agentin knirschte mürrisch mit den Zähnen, als sie ihre Jacke auszog, um sich die Schusssichere Weste umzulegen. Ihr passte dieses Großaufgebot nicht, überhaupt nicht. Laura und Jessica waren da, ebenso Damon. Der Junge wird alles mit ansehen müssen. Er wird danach unheimlich viele Fragen haben, die nur schwer zu beantworten sind. Zwar verstand er sehr schnell, wer diese Eden tatsächlich war und fiel Neve weinend vor Glück um den Hals. Auch verstand er, dass sie beim FBI arbeitet und Verbrecher jagt. Aber was hat ihr Beruf mit seinem Vater zu tun?

Bis heute haben es alle Hunde geschafft, ihre Machenschaften als Five Dogs vor ihren Kindern geheim zu halten. Aber heute würde sich etwas gravierendes verändern. Und Neve hatte keine Chance das Boot in eine andere Richtung zu lenken.

Ausgestattet mit der meisten beruflichen Erfahrung, führte Neve ihre Kollegen und das S.W.A.T. Team an. Sie bekam mit jedem Schritt auf Matts Haus mehr und mehr schlechte Laune. Sie wusste, dass es irgendwann soweit kommen würde, hoffte dennoch diesen Schritt niemals machen zu müssen.

Als das S.W.A.T. Team die Tür mit Gewalt öffnete, konzentrierte sie sich nur noch auf ihre Aufgabe. Es nützte nichts in diesem Moment innerlich zu jammern. Sie war als FBI Agentin hier und musste einen Verdächtigen verhaften.

Schneller als sie selbst glaubte, drangen sie und ihre Kollegen in das Haus ein. Schnell fanden sie Matt, Jessica, Laura und Damon in der Küche vor. Ein heilloses Gebrüll fand statt. Matt, die beiden Frauen und Damon erschraken sich aufgrund der schnellen und präzisen Vorgehensweise des S.W.A.T. Teams fast zu Tode. Neve konnte dies in ihren Augen sehen.

Instinktiv schob Laura ihren Jungen hinter ihren Rücken und schützte ihn. Vor dem FBI und dem Anblick der ihnen geboten wurde. Drei S.W.A.T. Kollegen stürzten sich auf Matt, als ob er der meistgesuchte Verbrecher San Franciscos wäre und sich vehement gegen diesen Ansturm wehrte. Aber Matt blieb erstaunlich ruhig. Vielleicht etwas zu ruhig. Aber das bemerkte Neve kaum. Ihre Konzentration galt der Situation. Sie war als FBI Agentin hier, die einen verdächtigen Mörder verhaftete.

Ihre Augen schweiften flüchtig zu Laura und Jessica. Beide waren über diesen Einbruch so geschockt, dass ihre Augen im Augenblick nicht verrieten, ob sie mit Neves Erscheinen zurechtkamen. Sie waren zu geschockt sehen zu müssen, wie ihre Freundin ihren Boss und Vater ihres Sohnes festnahm.

Neve bat mit einem kurzen Blick um Entschuldigung und nahm beiläufig wahr, wie ihre Kollegen Matt festnahmen und Handschellen anlegten. Ihr kam diese ganze Situation so surreal vor. Niemals sollte es soweit kommen, obwohl sie insgeheim wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen würde.

»Führt ihn ab«, warf sie mit zischenden Worten ihren Kollegen entgegen. Ihre Augen lagen noch immer auf den beiden Frauen.

»Eden?« Trevors Stimme riss sie aus den bedauernden Gefühlen. Fast benommen schaute sie ihn an.

»Ist alles ok?« Ihm schien der Gemütszustand seiner Kollegin nicht entgangen zu sein. Neve nickte. Sie richtete ihren Blick zu ihren Freundinnen zurück.

»Sie bewegen sich nicht vom Fleck.« Auch wenn sie versuchte ihrer Stimme einen scharfen Unterton zu verleihen, damit sie stärker wirkte, spürte sie, dass sie innerlich zitterte.

Mit einer weisenden Bewegung, befahl sie einem ihrer Kollegen, dass er die Frauen im Auge behalten sollte.

Bevor sie die Küche verließ, konnte sie Damon noch sehen. Ängstlich und verstört spähte er am Rücken seiner Mutter hervor. Seine Augen lagen auf Neve. Fassungslos starrte er sie an. Es war so viel Unverständnis in seinen Augen zu sehen, dass es Neve fast das Herz brach. Binnen Sekunden wurde ihr bei diesem Anblick schlecht. Sie musste sich aber zusammenreißen und ihren Job machen.

Also riss sie den Blickkontakt ab und verließ das Haus. Instinktiv wanderte sie auf dem großen Grundstück umher. Sie kannte es in und auswendig, musste sich aber unwissend stellen.

Trevor tauchte neben ihr auf, als sie die Garagen erreichten. Ihre Augen lagen auf Matts Pick Up.

Hoffentlich hat er alles gemacht, was ich ihm sagte. Ihr Magen begann wieder zu rebellieren, als sie auf das Ungetüm zulief. Sie zückte ihre Taschenlampe und leuchtete flüchtig in den Innenraum. Mit einem schnellen Blick konnte sie nichts Verdächtiges erkennen. Ebenso wenig auf der Ladefläche.

»Eden.« Trevor rief seine Kollegin zu sich. Er hockte neben den monströsen Reifen und leuchtete auf das Profil.

»Passt ja wie Arsch auf Eimer mit den Spuren am Tatort, oder irre ich mich?« Neve betrachtete die verdreckten Reifen eingehend, stimmte ihrem Kollegen dann aber nickend zu. Es sah wirklich wie das gesuchte Profil aus.

»Wir nehmen den Wagen mit und lassen das überprüfen. Sollte er Norton tatsächlich getötet haben, werden wir brauchbare Spuren finden.«

Ich will es nicht für dich hoffen, Matt, fluchte sie innerlich.

»Mrs. Stewart«, rief einer der Kollegen. Sie lief ihm entgegen, während sie einem anderen zurief, dass der Pick Up beschlagnahmt wird. Der Kollege zeigte in den Garten. Hinter dem großen Pool sahen sie ein aufgestelltes Zelt.

Matt‼, brüllte sie innerlich.

»Das ist hier ja wie ein Sechser im Lotto«, gluckste Trevor neben ihr. Neve wurde schlecht. Egal wie, aber sollten sich an diesem verdammten Zelt irgendwelche Beweise befinden, muss sie einen Weg finden, diese zu vernichten. Nur wie? Sie weiß, dass noch heute Abend ein grober Test gemacht wird. Die Feinheiten werden in den nächsten Tagen geschehen. Aber sollten sie schon heute erste Beweise dafür haben, dass Matt der Mörder war, wäre das sehr unangenehm. Für ihn und für Neve.

»Wir nehmen das Ding auch mit.«

Irgendwie musste sie versuchen ihre schlechte Laune vor ihrem Kollegen zu verbergen. Dies gestaltete sich allerdings schwieriger als sie selbst erwartete.

Verunsichert blickte sie sich um. Die ganze Auffahrt stand mit Polizeiautos voll. Die Farben der Leuchten blendeten sie abwechselnd rot und blau. Bisher hatte das immer eine beruhigende Wirkung auf sie, aber dieses Mal wirkte es anders. Es drehte ihr den Magen um.

Neve war sich in dem Moment plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie diesen Spagat tatsächlich schaffen würde. Sie glaubte in diesem Augenblick den Verstand zu verlieren. Dennoch raffte sie sich innerlich auf und versuchte diese Stärke auch nach außen hin zu präsentieren.

Matt war gewarnt. Neve würde früher oder später bei ihm aufschlagen. Somit bereitete sie sich auch selbst auf dieses zusammentreffen vor. Dass es allerdings so einen faden Beigeschmack hatte, hätte auch sie nicht gedacht.

Die Kollegen suchten im Haus noch nach ein paar Hinweisen, fanden allerdings nichts. Dieser Einsatz endete also schnell. Gut so.

Mit den Händen auf den Rücken geschnallt, führte einer von Neves Kollegen Matt zu einem Polizeiwagen. Sie wandte den Blick zur Seite, als ein Wagen auf die Auffahrt fuhr. Sofort begann ihr Herz zu rasen. Es schlug hart und erbarmungslos. Der Abend verlief ja nicht schon mies genug. Mussten Sam und Precious unbedingt jetzt noch auftauchen? Hätten sie nicht noch ein paar Minuten warten können?

Sams Augen wussten nicht wo sie zuerst hinschauen sollten. Zu Neve, zu Matt, zum Haus? Hektisch blickte sie in sämtliche Richtungen. Neve konnte Angst und Panik in ihrem Gesicht ablesen. Etwas was sie, wegen so einer Situation, niemals dort sehen wollte.

Sie versuchte Sam zu ignorieren und konzentrierte sich wieder auf ihren Job. Sie hob einen Arm und kreiste ihn in der Luft.

»Abmarsch«, rief sie in die Runde. Mit einem letzten entschuldigenden Blick zu Sam, stieg sie in einen Wagen und fuhr mit ihrem Kollegen von diesem Höllentrip weg. Sie konnte nicht noch länger hier bleiben. Ihr war das im Moment zu viel. Zu viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

Auf der einen Seite war ihr so schlecht, dass sie sich am liebsten in einen von Matts Büschen übergeben hätte, auf der anderen Seite war sie stolz auf sich, diese Festnahme so routiniert und souverän wie jede andere durchgeführt zu haben. Sie hat sich nicht verraten. Das hoffte sie jedenfalls.

Closing Words

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