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Eine überraschende Gelegenheit

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Malin saß schon eine Weile auf dem Fensterbrett. Sie hatte sich ein Guckloch freigewischt und schaute verträumt hinaus. Es dämmerte bereits und bald würde der Himmel voller leuchtender Sterne sein.

Hinter ihr in der großen, warmen Backstube duftete es himmlisch nach frischgebackenen Plätzchen. Überall standen riesige Backbleche mit Leckereien: Lebkuchen, Pfeffernüsse, Spritzgebäck oder bunt verzierte Stern-, Weihnachtsbaum-, Mond- und Herzplätzchen. Die mit Mehl bestäubten Wangen der Bäckerinnen ließen erahnen, dass es hier heiß herging.

„Malin?“

Keine Antwort.

„Malin?“ Adalie schaute ihre beste Freundin an. Sie kannte diesen Blick. Was auch immer Malin da ausheckte, es konnte nichts Gutes bedeuten.

„Adalie, wie glaubst du, ist es da unten auf der Erde? Wie sind die Menschen dort so?“ Malin sah weiter aus dem Fenster.

Oh, oh, dachte Adalie. Nicht schon wieder! Diese Frage stellte sich Malin jedes Jahr, wenn sie Weihnachtsplätzchen backten. Dann saß sie am Fenster und schaute auf die Welt, die weit unter ihnen lag. Sie selbst reizte es nicht unbedingt, diese Welt zu erkunden. Schön fand Adalie den Ausblick eigentlich erst, wenn es geschneit hatte. Das erinnerte sie dann immer ein wenig an die Lebkuchenhäuser, die sie mit Zuckerguss verzierten.

„Ich weiß nicht. Warum kannst du dich nicht einfach gedulden, wie wir alle. Wir kommen schon noch früh genug an die Reihe, die Erde zu besuchen. Die sechs Jahre kannst du doch bestimmt noch warten.“

***

Ihr müsst wissen, es gab verschiedene Stufen bei den Engeln. Ein bisschen so wie Schulklassen. In der ersten Stufe sind sie sieben Jahre lang für das Backen der Plätzchen zuständig, in der zweiten darf man sich fünf Jahre lang um die Geschenke kümmern und dann in der dritten und letzten ist es dann soweit: Es geht auf die Erde – die Wunschzettel einsammeln.

***

Für Malins Geschmack dauerten die ersten beiden Stufen viel zu lange: „Hast du eine Vorstellung, wie lange sechs Jahre sein können?“, seufzte sie. „Ich warte doch schon so lange darauf, endlich einmal auf die Erde zu kommen und die Menschen kennen zu lernen.“

„Wenn du es unbedingt wissen willst, warum fragst du dann nicht Dolores? Sie war im letzten Jahr an der Reihe und kann deine Fragen sicher beantworten.“

Malin sah ihre Freundin ungläubig an. „Dolores habe ich schon gefragt. Sie hat mir nichts verraten. Du weißt doch, wie sie ist. Sie hält sich genau an die Vorschriften.“

Das machte Adalie am liebsten auch; Malin dagegen eher nicht. Sie hatte da ihre eigenen Ideen und Vorstellungen und war schon manches Mal in Schwierigkeiten geraten, wenn auch niemals in ernsthafte.

„Da hat sie ja auch Recht. Sie würde dich und sich selbst auch nur in Schwierigkeiten bringen, wenn sie dir etwas erzählt. Und was würde es ändern? Nichts! Du würdest dann erst recht auf die Erde wollen, um dir alles selbst anzusehen.“

„Adalie! Du bist viel zu vernünftig! Willst du denn nicht wissen, wie es dort unten ist? Willst du nicht die Menschen kennen lernen und wissen, was sie denken?“

„Malin!“ Adalie ahnte Schlimmes. „Du willst doch nicht etwa Kontakt zu den Menschen aufnehmen? Du weißt, dass wir sie nicht ansprechen dürfen. Wir beobachten sie nur und wachen über sie. Aber NIEMALS nehmen wir direkten Kontakt zu ihnen auf. Das ist oberstes Gebot!“

Malin sah ihre Freundin nicht an.

„Malin! Sieh mich an und versprich mir, dass du das nicht tun wirst. Du stellst nichts an!“

„Hmmm“, brummelte Malin. Adalie hatte ja Recht. Kontakt zu den Menschen aufzunehmen, würde sie in ordentliche Schwierigkeiten bringen.

Adalie dagegen hatte das Gebrummel ihrer Freundin nicht wirklich als Versprechen angesehen, kannte sie aber gut genug um zu wissen, dass sie eine andere Antwort nicht mehr erhalten würde. Malin war wieder mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und hörte sie gar nicht mehr. Adalies einzige Hoffnung war die, dass Malin sich diesen Unsinn in den nächsten sechs Jahren aus dem Kopf schlug und dann, wenn sie auf die Erde dürften, sich an die Vorschriften hielt. Sechs Jahre waren zwar für Engel keine lange Zeit, aber doch lang genug – so hoffte Adalie –, um Malin von ihren verrückten Ideen abzubringen.

Doch Malin dachte nicht daran. Ganz im Gegenteil. In ihr reifte schon seit einiger Zeit der Plan, sich schon früher als erst in sechs Jahren die Erde und die Menschen anzusehen. Sie hatte bisher nur noch keine Gelegenheit gefunden, diesen – nicht ganz ausgetüftelten, wie sie zugeben musste – Plan auszuführen. Niemand, der noch nicht auf der Erde war, wusste wie man dort hingelangte und, was ganz wichtig war, auch wieder zurück. Dort bleiben wollte sie ja nicht. Sie wollte sich ja nur mal kurz umsehen und einen Eindruck bekommen. Nur, wie stellte man das am besten an? Sie konnte ja niemanden fragen. Dolores nicht. Und Adalie würde sich furchtbar aufregen, wüsste sie, was Malin vorhatte. Ach ja, vielleicht musste sie wirklich nur geduldig sein, bis sie endlich auf die Erde geschickt werden würde.

Malin kehrte zurück zu ihrer Arbeit. Die Plätzchen für heute waren fertig, jetzt ging es ans Aufräumen. Schnell hatten alle zusammen das Mehl von Arbeitsfläche und Fußboden beseitigt, ebenso wie die Zuckergusskleckse und Schokoladenspuren. Sobald die Küche wieder blitzte und blinkte, und auch die Backspuren aus ihren Haaren, Gesichtern und Flügeln verschwunden waren, strömten die Engel Richtung Speisesaal. Den ganzen Tag über hatten sie den süßen Duft der Plätzchen in der Nase, nun hatten sie alle einen Riesenappetit auf etwas Deftiges. Heute gab es Malins Lieblingsessen: Spaghetti mit Tomatensauce.

„Malin, wartest du kurz auf mich“, fragte Adalie. „Ich muss mich nur noch schnell umziehen, ich habe mich auf ein Schokoladenplätzchen gesetzt.“

Malin musste kichern. Adalie hatte einen dicken braunen Kleks auf ihrer Kehrseite, was wirklich zu komisch aussah. Zumal sie, um den Fleck zu verbergen, ihr Kleid merkwürdig zusammenraffte und so den Flur zum Speisesaal entlangging.

„Das ist nicht komisch“, zischte Adalie zerknirscht, musste dann aber auch kichern. Irgendwie war es doch komisch.

„Du weißt, dass es heute Spaghetti mit Tomatensauce gibt, oder? Da bleibt dein Kleid doch sowieso nicht weiß.“

„Das ist mir egal. Ich werde auf keinen Fall mit der Schokolade am Po zum Essen gehen.“ Adalie huschte davon und beeilte sich, ein sauberes Kleid anzuziehen.

Während Malin auf ihre Freundin wartete, kam ein Engel nach dem nächsten an ihr vorbei. Alle waren in Gespräche vertieft und beachteten Malin gar nicht.

So auch Dolores, Josefine und Klarissa. Die drei gehörten schon zu den Engeln, die Stufe zwei hinter sich gebracht hatten und nun auf die Erde durften. Leise unterhaltend kamen sie den Flur entlang. Als sie auf Malins Höhe angekommen waren, fiel Klarissa etwas aus der Hand, so dass sie zum Stehen kamen. Dies hielt sie aber nicht davon ab, ihr Gespräch fortzusetzen und so hörte Malin, wie sich die drei über ihre kommende Reise auf die Erde unterhielten.

„Wir sind für heute Nacht eingeteilt und werden nach Leverkusen geschickt. Dolores, denk daran, dass wir die Kiste für die vielen Wunschzettel der Kinder mitnehmen müssen. Wir treffen uns um Mitternacht im Wunschraum, holen dort die Kiste, auf der „Leverkusen“ steht und werden zum Frühstück wieder zurück sein.“ Josefine hatte keine Ahnung, dass ein interessierter Zuhörer beinahe direkt neben ihr stand. Sie wäre wohl aus allen Wolken gefallen, wüsste sie, dass ausgerechnet Malin das Gespräch mit angehört hatte. Malin dagegen konnte noch gar nicht glauben, was sie da gerade erfahren hatte. Das musste Schicksal sein. Wie sonst könnte man so etwas nennen?

Das war DIE Gelegenheit, auf die Erde zu reisen. Dass sie keine Ahnung hatte, wie man wieder unbemerkt zurückkehrte, störte sie nicht. Darüber dachte Malin gar nicht nach. Wichtig war ihr nur eines: Sie hatte eine Möglichkeit gefunden, auf die Erde zu gelangen. Das, was sie bisher nur aus weiter Ferne von ihrem Fenster aus erahnen konnte, würde sie aus nächster Nähe erleben können.

„Malin? Was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz aufgeregt!“ Adalie war mittlerweile in einem (noch) sauberen Kleid zurückgekehrt und stand nun vor ihrer Freundin.

„Du wirst nicht glauben, was ich gerade zufällig mitbekommen habe.“ Eigentlich wollte sie es für sich behalten. Die Befürchtung, dass Adalie ihr dieses Abenteuer ausreden könnte oder sie gar davon abhalten, hatte Malin schon. Aber, wenn sie es ihrer besten Freundin nicht erzählen würde, würde sie auf der Stelle platzen vor lauter Aufregung. Und so erzählte Malin Adalie auf dem Weg in den Speisesaal von ihrem Plan, sich in die Kiste für die Wunschzettel der Kinder aus Leverkusen zu schmuggeln und so auf die Erde zu reisen.

„Du bist ja verrückt!“, flüsterte Adalie. „Das geht nie gut! Wie soll das denn funktionieren? Wir bekommen einen Riesenärger, wenn wir erwischt werden. Abgesehen davon: Hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, wie wir unbemerkt aus der Kiste und vor allem, wie wir wieder zurück nach Hause kommen sollen?“

„Wir? Wieso wir? Heißt das etwa, du willst mitkommen? Oh, Adalie!“ Malin juchzte vor Freude.

„Psst. Nicht so laut! Soll uns noch jemand hören?“

„Heißt das, du willst mitkommen?“, wiederholte Malin dieses Mal leiser.

„Ja, meinst du denn, ich lasse dich alleine auf die Erde? Wer weiß, was du da anstellst. Nein, da ist es doch besser, wenn ich dich begleite.“ Ohjemine! dachte sich Adalie. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?

„Oh, Adalie! Du bist wirklich die beste Freundin, die man sich wünschen kann! Aber jetzt lass uns essen gehen. Ich habe einen Riesenhunger! Und kein Wort mehr. Nicht, dass uns noch jemand hört und uns den Spaß verdirbt.“ Malin machte sich gut gelaunt und hungrig auf den Weg zu Spaghetti mit Tomatensauce. Adalie, nicht ganz so begeistert wie ihre Freundin, folgte ihr aber nicht weniger hungrig. Sie stand dem Ganzen mit gemischten Gefühlen gegenüber: Einerseits war es schon aufregend aber andererseits hätte sie nichts dagegen, wenn jemand von ihrem Plan hören würde und ihn dann vereitelte. Dann konnte wenigstens nichts schief gehen und sie würden morgen gut aufgehoben in ihrer Backstube stehen und leckere Plätzchen backen und verzieren.

Himmlische Abenteuer zur Weihnachtszeit

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