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3. Kapitel

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Untereschenbach schlummerte friedlich in der Mittagshitze. Nur wenige Reisende stiegen mit Kommissar Lesot aus. Ein Arbeiter der Stadtverwaltung kehrte in aller Seelenruhe den Bahnsteig. Er fluchte, als er zwischen den Holzbänken die Reste von aufgeklebten Kaugummis entdeckte.

„Schweinerei“, murmelte er. Sein Unmut steigerte sich noch und er ließ ein wütendes Geschimpfe los, als er einen Mann mit einem weißen Yorkshire-Terrier an der Leine sah. Der Hund hatte an einem der neuen Fahrkartenautomaten Gefallen gefunden und hob gerade das Bein, um seine Duftmarke daran zu hinterlassen. Der Besitzer schien das ganz in Ordnung zu finden.

„Wir haben alle Bedürfnisse“, sagte der Mann entschuldigend. „Das ist ganz natürlich.“

„Ich zeig dir, welche Bedürfnisse ich hab!“, rief der Arbeiter, während er drohend einen Wischmob über dem Kopf schwenkte. Kommissar Lesot schaffte es mit Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.

„Meinen Job würden Sie bestimmt nicht haben wollen“, sagte der Mann.

„Sie den meinen aber vielleicht auch nicht“, antwortete der Kommissar und hielt dem Arbeiter seinen Dienstausweis unter die Nase.

„Dann hätten Sie dem auch gleich einen Strafzettel geben können.“

„Ist leider nicht mein Ressort“, sagte der Kommissar. „Es sei denn, sie würden den Herrn erwürgen. Das fällt dann in mein Arbeitsgebiet. - Abteilung für Gewaltverbrechen.“

„Kann sein, dass ich es noch mache“, sagte der Mann. „Ich bin gerade in der richtigen Stimmung … Kommt einfach daher, in unser Städtchen, und versaut alles. Saubermachen darf ich hinterher.“

Der Dampf entwich langsam, und auch die Röte auf seinen Wangen verblasste. Er wurde wieder umgänglich.

Die beiden Männer mochten sich. Sie waren ungefähr im gleichen Alter. Zwei leicht ergraute Mittfünfziger. Am Nachmittag trafen sie sich zu einem Glas Weißwein im Gasthof.

„Für mich wäre eine Kleinstadt nichts“, sagte der Kommissar. „Sieht zwar alles ganz hübsch aus. Ist nur zu wenig Betrieb hier. Da würde ich bald vor Langeweile mit dem Kopf gegen die Wand rennen.“

„Sie irren sich“, entgegnete sein neuer Freund. „Im Moment ist es zwar ruhig. Aber das liegt nur an der Hitze. Wenn wir an die dreißig Grad haben, so wie heute, dann bleiben die Touristen weg. Sonst sieht man hier mehr Fremde als Einheimische. Das kann einem ganz schön auf den Wecker gehen. Außerdem ist unsere Sparkasse gerade überfallen worden. Und bei uns soll nichts los sein.“

Beide Männer lachten. Jetzt hatte der Kommissar einen Verbündeten in Untereschenbach. Von ihm erfuhr er alles über den Ort und seine Bewohner. Er ersparte sich einen Besuch in der Sparkasse. Die Aussagen der Angestellten kannte er zur Genüge aus den Akten. Lieber setzte er sich am Marktplatz auf eine Bank. Auch der Räuber hatte dort gesessen. Er atmete die gleiche Luft ein. Er versuchte, sich vorzustellen, was für ein Mensch das sein mochte. Ein junger Mann, das stand fest, und ein Meister der Verkleidung. Vielleicht ein Maskenbildner.

Die ausgefallene Maskierung des Räubers machte die Ermittlungen schwieriger. Aber Kommissar Lesot nahm diese Herausforderung an. Spontan fiel ihm dazu das Düsseldorfer Schauspielhaus ein.

Theater interessierten ihn nicht besonders. Dramen erlebte er im Dienst andauernd. Früher hatte er einmal mit einer Freundin eine Operette besucht. Bei der Vorstellung schlief er schon im ersten Akt ein. Jetzt gab es einen guten Grund, sich dafür zu interessieren.

Als er ins Präsidium zurückkehrte, ließ er sich mit dem Schauspielhaus verbinden und verlangte jemand von der Geschäftsleitung. Man war gerne bereit, dem Kommissar weiterzuhelfen.

Am nächsten Tag stand Kommissar Lesot vor dem Bühneneingang. Der Chefmaskenbildner erwartete ihn bereits. Durch ein System von Gängen und über eine Wendeltreppe führte er den Kommissar in die erste Etage und in einen Schminkraum.

Ein langer Tisch mit Schminkutensilien füllte eine Seite des Raumes aus. Darüber hingen große Spiegel. In Regalen stapelten sich Perücken und Haarteile auf Kunststoffköpfen. Eine Perücke war noch nicht fertiggestellt. Nur von einer Seite hingen bereits lange, schwarze Haare von dem Kunststoffkopf herab.

Kommissar Lesot war beeindruckt. „Machen Sie die Perücken selbst?“

„Ja, das gehört zu unserer Arbeit“, antwortete der Maskenbildner. Liebevoll streichelte er über die halb fertige Perücke.

„Wir verwenden nur Echthaar und allerbestes Material für den Unterbau“, sagte er. „Der Tragekomfort ist für unsere Schauspieler ganz wichtig. Atmungsaktiv und sicher. Die Haarteile müssen sitzen, auch bei heftigen Bewegungen. Stellen Sie sich vor, ein Schauspieler tanzt und springt während der Vorstellung über die Bühne und verliert dabei sein Toupet. Das wäre doch peinlich.“

Der Maskenbildner deutete auf einen Stuhl vor einem der großen Spiegel. „Nehmen Sie Platz. Wir freuen uns immer, wenn sich Leute für unsere Arbeit interessieren. Und der Polizei zu helfen ist doch Ehrensache.“

Mit dem Blick des Kenners betrachtete er den Kommissar. „Oh, là, là, ein Charakterkopf. Das ist ja ein richtiges Theatergesicht. Darf ich Sie mal schminken?“

Bevor der Kommissar etwas erwidern konnte, hatte er ihn bereits auf den Stuhl gedrückt und ihm den üblichen Kleiderschutz umgelegt.

„Sie werden begeistert sein“, sagte er. „Es wird Sie garantiert niemand wiedererkennen. Aber als Kommissar wissen Sie ja, wie einfach man ein Gesicht verändern kann. Eine andere Frisur, ein Bart, eine Brille. Hier haben wir natürlich noch ganz andere Möglichkeiten.“

Während der Maskenbildner Farben und Pinsel zusammenstellte, holte der Kommissar das Bild des Sparkassenräubers und das gezeichnete Phantombild aus seiner Aktentasche und legte sie auf den Tisch.

„Was sagen Sie dazu? Das ist unser Täter.“

„Ja, habe ich bereits in der Zeitung gesehen. Das ist eine perfekte Maske. Gute Arbeit. Sicher ein Profi. Ein Amateur kriegt das nicht so hin. Bestimmt keiner von unseren Leuten. Ich kann bei den anderen Theatern nachfragen, ja? Schaden kann es jedenfalls nicht.“

Es dauerte fast eine Stunde, bis die neue Maske fertig war. Der Maskenbildner hatte nicht zu viel versprochen. Kommissar Lesot erkannte sich selbst nicht wieder. Sein Gesicht war jetzt übersät mit Falten und Warzen. Ein Auge sah dank roter Schminke blutunterlaufen aus. Über den Kopf verteilt standen Haarsträhnen nach allen Seiten ab, wie nach einem heftigen Stromschlag.

Ungläubig starrte er in den Spiegel. „Äh, was stellt das dar?“

„Das ist ein Kinderschreck“, antwortete der Maskenbildner. „Eine Figur aus unserem neuen Stück. Wir sagen auch Buhmann dazu. Sie sind der richtige Typ dafür. Einfach genial.“

„Für manche bin ich das auch ohne Schminke“, entgegnete der Kommissar.

Der Maskenbildner betrachtete zufrieden sein neues Werk. „Ach, lassen Sie das doch heute noch so. Wir können unten im Restaurant einen kleinen Snack einnehmen. Es wird sich niemand wundern. Bei uns ist das völlig normal.“

Dann saßen die beiden bei Kaffee und Croissants im Restaurant. Das neue Aussehen von Kommissar Lesot schien wirklich niemand zu stören. Der Kellner nahm die Bestellung auf, ohne ein Anzeichen von Verwunderung zu zeigen.

Ein Besucher kam an den Tisch und verlangte ein Autogramm.

„Zu dumm. Leider habe ich gerade kein Foto dabei“, sagte der Kommissar. „Die sind immer so schnell weg.“

„Macht nichts“, erwiderte der Mann. „Schreiben Sie einfach auf eine Serviette.“

So kam es, dass der Kommissar ein Autogramm gab. Auf eine Papierserviette schrieb er mit bedeutungsvoller Geste >Francois Lesot<. Der Name war ja auch beeindruckend und passte zum Theater.

„Die Serviette klebe ich in ein Album. Mit Datum“, sagte der Besucher. „Vielleicht kommen Sie noch groß raus.“

Er zwinkerte dem Kommissar zu und der zwinkerte zurück.

Zu seiner großen Freude durfte der Kommissar an der Generalprobe für das neue Stück teilnehmen. Er lernte dabei seinen momentanen Zwillingsbruder kennen, den Mann, der den Kinderschreck spielte. Die beiden waren kaum voneinander zu unterscheiden. Die perfekte Maske machte es möglich.

Noch ein Erinnerungsfoto mit den Darstellern. Dann verabschiedete sich der Kommissar.

Auf dem Rückweg hoffte er, nicht in eine Polizeikontrolle zu geraten. Das Foto in seinem Dienstausweis hatte keine Ähnlichkeit mit seinem derzeitigen Aussehen.

Dann kam ihm eine verrückte Idee. Auf halbem Weg zum Präsidium gab es eine Radarfalle. Kurz davor drückte der Kommissar kräftig aufs Gaspedal und sauste mit der Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern daran vorbei. Erlaubt waren nur fünfzig. Die Kollegen von der Verkehrspolizei sollten auch mal ihren Spaß haben. Den Strafzettel nahm er dafür gern in Kauf. Bei Gelegenheit würde er neue Bilderrahmen besorgen.

Auf dem Flur im Präsidium begegnete ihm ein Kollege. Er stürmte vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Schlechter Polizist, dachte Kommissar Lesot. Rennt einfach an seinem Chef vorbei und erkennt ihn nicht. Nur weil der ein bisschen anders aussieht als sonst. Dem erzähl ich was.

Die Sekretärin im Vorzimmer betrachtete den Kommissar mit vor Schreck geweiteten Augen. „Wo sind Sie denn reingelaufen?“

„Ist doch toll, oder? Ich bin einem Täter auf der Spur und versuche, mich in ihn hineinzuversetzen.“

„Sicher doch. Aber deshalb muss man doch nicht gleich genauso aussehen.“

„Sie haben keine Ahnung“, sagte der Kommissar. „Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram … Und Vernehmungen geben Sie heute besser an einen anderen weiter. Ich kann gerade nicht.“

Die Sekretärin nickte verständnisvoll. „Habe ich mir schon gedacht.“

In seinem Büro vergrub sich der Kommissar in bester Stimmung in seine Arbeit. Ab und zu stand er auf, trat vor das Waschbecken und schnitt vor dem Spiegel Grimassen. Theater konnte doch ganz lustig sein.

Das Telefon klingelte. Am anderen Ende meldete sich der Chefmaskenbildner.

„Ich hatte es ganz vergessen. Mir ist da etwas eingefallen. Da unsere Sitzung so gut verlaufen ist, wollte ich Sie was fragen... Hätten Sie nicht Lust, bei uns als Statist auszuhelfen? Unser Hauptdarsteller kann nicht immer. Wir haben deshalb Aushilfen, die einspringen können. Es ist eine kleine Rolle ohne Text. Sie müssen nur während der Vorstellung mehrmals von einer Seite der Bühne zur anderen laufen und dabei finster dreinschauen. Das ist einfach und macht Spaß.

Der Kommissar räusperte sich. „Ja, ich weiß nicht. Eigentlich habe ich schon genug Arbeit. Davon liegt auf meinem Schreibtisch mehr, als einer alleine verkraften kann.“

„Ach, kommen Sie, Herr Kommissar. Jeder, der viel arbeitet, braucht auch einen Ausgleich. Das gibt Ihnen Gelegenheit, Spannung abzubauen. Hinterher sind Sie dann viel netter zu Ihren Mitarbeitern.“

Der Kommissar setzte sich empört kerzengerade auf. „Ich bin immer nett zu meinen Mitarbeitern. Aber wenn ich mir das so überlege. Die Idee ist eigentlich nicht schlecht.“

„Wunderbar. Kommen Sie zur nächsten Probe. Ich zeige Ihnen dann, wie man sich selber schminken kann. Vielleicht können Sie das ja auch noch privat verwenden. Ich freue mich schon.“

Amüsiert legte der Kommissar den Hörer auf. Er stellte sich vor, wie er jeden Schwerverbrecher in die Knie zwang. Er brauchte nur in diesem Aufzug zu erscheinen und das Gesicht zu verziehen. Dann wären die Brüder bereit, alles zu gestehen.

Spaghetti extra scharf

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