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5. Kapitel
ОглавлениеBetrogen zu werden, ist eine harte Sache. Das kratzt an der Ehre und macht wütend. Ich sollte es bald erfahren.
Wieder einmal stieg ich in unseren verwilderten Keller hinunter, um mir das schöne Geld anzusehen, mit dem ich mir eine neue Existenz aufbauen wollte. Es traf mich wie ein Schlag mit dem Hammer. Als ich den losen Ziegelstein aus der Mauer herausrückte, sah ich in ein schwarzes Loch, in dem sich außer jeder Menge Staub und Dreck nichts befand. Die vielen netten Scheinchen, die ich mir so mühevoll beschafft hatte, waren verschwunden. Nur eine kleine Spinne wedelte mir an einem ihrer Fäden entgegen. Wahrscheinlich lachte sie mich aus. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich es als wahr akzeptieren konnte. Jemand hatte das Versteck gefunden und geplündert.
Ich zermarterte mir das Hirn, wer dafür infrage kam. Das ältere Ehepaar aus dem dritten Stock befand sich auf einer Weltreise und schipperte gerade mit einem Ozeandampfer über die Weltmeere.
Womöglich die alte Frau Slomka im Parterre. Das war so eine, die tagsüber hinter der Gardine an ihrem Küchenfenster lauerte und alles und jeden beobachtete. Frau Slomka wusste Bescheid. Vor allem über Dinge, die sie nichts angingen. Also über die Verhältnisse anderer Leute. Manchmal horchte sie auch an den Wohnungstüren. Dabei hatte sie das eigentlich gar nicht nötig. Frau Slomka verfügte über ausreichend Fantasie, um sich die wildesten Geschichten über die Leute auszudenken.
Ich war ihr Liebling. Wenn sie mich im Hausflur erwischte, wurde ich in ein Gespräch verwickelt, aus dem es so bald kein Entrinnen gab. Ich übertreibe nicht, aber unter einer Stunde Redezeit kam ich nie davon. Ich erfuhr alles über jedes erlaubte und verbotene Techtelmechtel in der Nachbarschaft, das sich gerade anbahnte oder geendet hatte, ob ich wollte oder nicht. Dabei legte sie keinen besonderen Wert auf meine Kommentare. Wenn ich etwas erwiderte, übertönte sie einfach meine hilflosen Versuche mit einem lauten Redeschwall. Gegen die kräftige Stimme von Frau Slomka kam ich nicht an. Wenn einer redet und der andere hört zu, ist das auch genug.
Bald machte ich es mir zur Gewohnheit, mich von der anderen Straßenseite an das Haus heranzupirschen. Das bedeutete zwar, dass ich einen Umweg um den Häuserblock machen musste. Aber so konnte sie mich vom Fenster aus nicht sehen. Vor der Haustür zog ich die Schuhe aus. Möglichst geräuscharm schlich ich auf Strümpfen durchs Treppenhaus. Die Nachbarn hatten ihren Spaß daran. Sie schlossen sogar Wetten ab, wie oft es mir wohl gelingen würde, ungesehen an der Wohnungstür von Frau Slomka vorbeizukommen. Die auf mich setzten, verloren meisten. Es gelang mir selten.
Nur auf eines konnte man sich bei Frau Slomka verlassen. Freitags hatte sie ihren Frisörtermin. Den verpasste sie nie. Waschen, Legen, Föhnen. Manchmal auch Schneiden oder Dauerwellen. Hierbei konnte sie bestimmt auch Neuigkeiten erfahren, die ihr aus einem unverständlichen Grund entgangen waren. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Wie man so sagt.
Ich nutzte immer die günstige Gelegenheit, um ungesehen in den Keller zu steigen oder Wichtiges zu erledigen, bei dem ich nicht unbedingt gesehen werden wollte. Wen wundert es, dass eine gewisse Sparkasse in einem entfernten Ort bevorzugt freitags überfallen wurde.
Vielleicht konnte ich von Frau Slomka doch etwas erfahren. An diesem Nachmittag durchquerte ich bedeutend langsamer als sonst und unüberhörbar laut den Hausflur. Frau Slomka enttäuschte mich nicht. Sie war sofort zur Stelle. Unter den Neuigkeiten, die sie mir unbedingt unter die Nase reiben musste, interessierte mich nur eine: Die Nachbarin aus der ersten Etage hatte vor Kurzem alte Sachen in den Keller gebracht. Endlich hatte ich eine heiße Spur. Wie heiß, das sollte ich noch erfahren. Es reichte jedenfalls aus, um sich daran gehörig die Finger zu verbrennen.
Ich nahm mir vor, der Dame einen Besuch abzustatten. Aber ohne Anmeldung. Ironie des Schicksals, dass sie fast den gleichen Namen hatte wie ich. Eine Frau Becker, aber mit >e<.
Am nächsten Freitagmorgen wartete ich mit Spannung darauf, dass die Nachbarin aus dem ersten Stock das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Fast wie Frau Slomka stand ich hinter der Gardine. Ich sah ihr nach, wie sie die Straße entlanglief und bald darauf um die nächste Ecke verschwunden war.
Ich setzte mich an den Küchentisch und schob ungeduldig eine bereits leer getrunkene Kaffeetasse von einer Seite der Tischplatte zur anderen. Manchmal stand ich auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich immer wieder auf meine Armbanduhr sah.
Endlich hörte ich die Haustür von Frau Slomka. Frisörtermin.
Ich holte die große Leiter vom Dachboden. Unter dem Balkon von Frau Becker hatte die alte Frau Slomka ihren Wintergarten. Über das mit Dachpappe gedeckte Flachdach konnte ich leicht am Balkongeländer hinaufklettern. Die Fenster waren nur gekippt. Kein Problem, eines davon zu öffnen. Kurz darauf stand ich im Wohnzimmer der Nachbarin.
Die Einrichtung war modern mit weißen Regalen und einem zweitürigen, weißen Kleiderschrank. Vor dem Wohnzimmertisch aus Plexiglas standen zwei Stühle mit Segeltuchbespannung, die zwar schick aussahen, aber weniger als Sitzgelegenheit geeignet zu sein schienen. Ein Regal war mit CDs gefüllt. Deutsche Schlager. Die ganze Palette. Wie konnte eine junge Frau so einen schlechten Geschmack haben. Ich durchsuchte Schrank und Regale und sah in jede Ecke. Aber ohne Erfolg.
Auf Zehenspitzen huschte ich in den Flur, der zu schmal war, um darin Möbelstücke unterzubringen. Nur ein Kleiderständer hatte noch in einer Ecke Platz gefunden. Von einem Plakat an der Wand sah mich einer dieser deutschen Schlagerfuzzis blöde an. Unhöflich streckte ich ihm die Zunge heraus.
Auf gut Glück öffnete ich eine der Zimmertüren und stand im Schlafzimmer. Das französische Bett verhüllte eine gehäkelte Tagesdecke. Richtig niedlich und spießig. Was hoffte ich, hier zu finden? Der Kleiderschrank hatte verspiegelte Schiebetüren. Ich fragte den Rudi, der mich aus dem Spiegel ansah. Aber er gab mir leider keine Antwort.
Hinter dem Bett stand eine Kommode. Als ich die unterste Schublade öffnete, machte mein Herz einen Hüpfer. Ob vor Aufregung oder Freude, weiß ich nicht mehr. Ich erkannte den blauen Stoffbeutel sofort. Ich benutzte ihn sonst für meine Wäscheklammern. Jetzt befand sich darin das ganze Geld. Das Aas hatte mich tatsächlich beklaut.
Mein Zorn überdeckte die Überraschung, als die Nachbarin plötzlich mit verschränkten Armen im Türrahmen stand. Sie war nicht zur Arbeit gefahren, sondern nur zu einem kurzen Einkauf in die Stadt. Ein freier Tag.
„Hab ich's mir doch gedacht“, sagte sie mit sichtlich zufriedener Miene. Sie genoss die Situation richtig.
„Der nette Herr Bäcker mit >ä< aus dem zweiten Stock. Lassen Sie mich raten. Das Geld stammt aus einem Lottogewinn. Oder haben wir etwa eine Sparkasse überfallen? Auch ich lese manchmal Zeitung. Und dann noch bei den Nachbarn einsteigen. Was sagt man dazu.“
Ich zischte zurück: „Warum geht die nette Frau Becker mit >e< aus dem ersten Stock eigentlich nicht zur Polizei und gibt das Geld dort ab? Will sie den Zaster etwa für sich behalten? Das ist aber nicht die feine Art.“
„Ich wollte es ja abgeben“, sagte sie mit einem Schmollmund. „Einen Finderlohn gibt es dafür bestimmt.“
„Das wird aber längst nicht so viel sein wie das, was in dem Beutel ist“, konterte ich. „Das hat sich die nette Nachbarin sicher auch schon gedacht. Deshalb liegt das Geld auch noch hier.“
Mit einem unschuldigen Blick entgegnete sie: „Die Versicherung wird den Schaden schon ersetzen. Dann muss man es nicht unbedingt zurückgeben. Ich will meinen Anteil. Sechzig Prozent.“
Ich konnte es nicht fassen. So ein ausgekochtes Früchtchen.
„Fünfzig Prozent und nicht mehr“, sagte ich kurz und bündig. „Das ist fair und lässt sich besser rechnen.“
„Einverstanden.“
Sie hielt mir ihre kleine Patschhand hin. Ich schüttelte dieselbe kräftig. Jetzt hatte ich eine Partnerin.
Äußerlich ging sie ja glatt als Traumfrau durch mit ihren dunklen Mandelaugen und einer klasse Figur. Eine Traumfrau, die einem Bankräuber die Beute klaute und dann fünfzig Prozent als Schweigegeld verlangte. Ich fragte mich, ob die Haare auf ihren Zähnen auch schwarze Locken hatten wie die auf ihrem Kopf.
„Wollen wir uns nicht duzen?“, schlug sie vor. Ich nickte verlegen.
„Ich bin der Rudi“, sagte ich. „Du kannst auch Rudi zu mir sagen. Das machen alle.“
„Witz ist nicht gerade deine Stärke, wie?“, maunzte sie mich an. Und da hatte sie verdammt recht.
Ich überlegte, was das >T< vor dem Namen an ihrem Türschild bedeutete. Vielleicht Theodora oder Tarantella.
„Ich heiße Tamara“, sagte sie mit einem gekonnten Klimpern ihrer langen, künstlichen Wimpern. Sie versuchte sich an ihrem schönsten Lächeln. „Möchtest du Tee? Es ist türkischer. Der ist gut.“
Mit gequälter Miene stimmte ich zu. Ich war gerade um vierzigtausend Piepen erleichtert worden.
„Den kannst du ruhig trinken“, sagte sie, während sie das Tablett mit dem Teegeschirr auf den Tisch stellte. „Ich habe nichts hineingetan außer Tee. Leichen kann ich mir nicht leisten. Ich habe niemand, der den Dreck hinterher wegmacht.“
Ich lachte und trank den türkischen Tee, der zugegeben ausgezeichnet schmeckte. Hinterher brühte ich mir in meiner Wohnung doch noch einen starken Kaffee auf. Nichts kann mich davon abbringen.
Ich besuchte Tamara jetzt regelmäßig, aber nun kam ich durch die Eingangstür. Sie war meine Komplizin, und wir hatten einiges zu besprechen. Was sollte mit dem Geld passieren? Wir waren uns schnell einig, dass es vorläufig nicht angerührt werden sollte. Also musste es irgendwo versteckt werden, wo es nicht irgendein Schlaumeier finden konnte. Das mit dem Keller hatte jedenfalls nicht funktioniert.
Tamara kamen die hirnrissigsten Ideen, wie im Wald vergraben. Sie hatte zu viele Filme gesehen.
Ich saß eines Abends wieder in ihrem Wohnzimmer auf einem der unbequemen Segeltuchgestelle, die sich Sessel nannten. Tamara hatte auf einmal einen Gedankenblitz.
„Komm mal mit“, sagte sie und zog mich mit sich in die Küche. Sie deutete auf eine Wand. Die kannte ich bereits.
„Und was jetzt“, sagte ich leicht genervt.
„Da muss dringend eine neue Tapete her“, entgegnete sie.
„Und was dann?“
„Mann, das ist die Lösung für unser Problem. Du machst ein Loch in die Wand, und wir verstecken das Geld darin. Ich habe auch eine Zigarrenkiste, da können wir es reinstecken.“
Ich schlug mir heftig mit der Handfläche an die Stirn. „Das ist eine Mietwohnung. Da kann man nicht einfach Löcher in die Wand graben.“
„Mit der Tapete drüber macht es doch nichts“, sagte sie. „Und nützliche Einbauten müssen schon erlaubt sein. Hast du eine bessere Idee?“
Ich hatte keine. Vielleicht wäre es doch gut gewesen, die Lehre zum Maler und Lackierer zu machen. Und vorher hätte ich noch Maurer lernen können. Handwerker werden immer gebraucht.
Ich ließ mich breitschlagen. Am Wochenende suchten wir im Baumarkt eine neue Tapete aus. Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend schleppte ich die Tapetenrollen nach Hause, während Tamara vergnügt neben mir hertrabte.
Gemeinsam entfernten wir die alte Tapete in ihrer Küche, und mit Hammer und Meißel machte ich eine Vertiefung in die Mauer, gerade groß genug, dass Tamaras Zigarrenkiste darin Platz fand. So weit, so gut. Nur passte leider nicht alles Geld in die Zigarrenkiste. So sehr Tamara auch zerrte und drückte. Es waren einfach zu viele Scheine. Wir entschieden, nur Tamaras Anteil hineinzutun. Das ging gerade eben.
„Und bei dir tapezieren wir demnächst auch noch“, sagte Tamara fröhlich. „Eine Zigarrenkiste kann ich dir auch besorgen.“
Ich biss die Zähne aufeinander und sagte nichts mehr. Soll mal einer versuchen, Frauen zu widersprechen, die sich etwas in den Kopf gesetzt haben. Ich dachte lieber nicht weiter darüber nach, weil ich mir kein Magengeschwür einhandeln wollte. Und der Flur in meiner Wohnung konnte ohnehin eine neue Tapete gut vertragen.