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Kapitel 3

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Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen in die Gassen von Valence, wo sich ihre Wege trennten, da Pierre bei einem Bekannten unterkam. Er setzte Jakob vor einer Herberge ab, die seiner Erfahrung nach sauber war und schmackhaftes Essen anbot, ohne dafür überteuerte Preise zu verlangen.

»Gute Weiterreise, Loup«, wünschte Pierre und schnalzte mit der Peitsche, damit der Ochse sich wieder in Bewegung setzte.

»Danke, Pierre. Viel Erfolg mit deinen Geschäften. Halte die Augen nach einer zweiten Weste offen, um dich an dein zukünftiges Leben zu gewöhnen.«

Pierres Lachen polterte über die Gasse und er hob grüßend die Hand.

Jakob sah dem Fuhrwerk einen Moment lang nach, ehe er in die Herberge einkehrte. In der Gaststube herrschte ein munteres Treiben, doch die Magd versicherte ihm, dass sie trotzdem reichlich freie Zimmer hätten, weil viele der Anwesenden nur auf einen Krug Wein eingekehrt seien. Erleichtert bat er um ein Abendessen und setzte sich an einen Tisch, an dem ein einzelner Mann betrübt in seinen Becher starrte.

Die Magd kehrte zurück und servierte Jakob einen Napf Gemüseeintopf, Brot und einen Krug Wein. Bereits beim ersten Bissen bemerkte Jakob, dass dem Eintopf Salz und eine ordentliche Fleischeinlage fehlte. Pierres Erfahrungen schienen veraltet zu sein. Doch gemeinsam mit dem Brot ließ sich das Gericht essen. So tunkte er es in den Napf und benutzte den bereitgelegten Löffel lediglich, um die letzten Gemüsestücke heraus zu löffeln. Er spülte mit Wein nach, der fruchtig und leicht schmeckte und ihn für den faden Gemüseeintopf entschädigte.

Jakob lehnte sich zurück und unterdrückte ein zufriedenes Seufzen. Morgen Vormittag würde er sein Ziel erreichen. Dann galt es, das Opfer ausfindig zu machen, um nicht zu lange am selben Ort zu bleiben. Je weniger Leuten er auffiel, umso besser konnte er nach dem Ritual verschwinden.

Sein Tischnachbar stöhnte und unterbrach seine Gedanken. Er rieb sich über das Gesicht und flüsterte: »Was soll ich tun?« Ein merkwürdiger Dialekt schwang mit.

Jakob fühlte sich unbeschwert. Trotzdem merkte er, dass der Mann sich sorgte, und sein Tischnachbar tat ihm leid. Zugleich wollte er wissen, welchen Landsmann er vor sich hatte. Er wirkte nicht wie jemand, der sich um seine Zukunft sorgen musste. Die Kleidung war sauber und gepflegt und entsprach der aktuellen Mode, ohne aufdringlich oder teuer zu erscheinen. Sie ließ jedoch keinen Schluss auf seine Nationalität zu.

»Kann ich dir helfen?«, fragte Jakob.

Blutunterlaufene Augen richteten sich träge auf ihn und benötigten einen Augenblick, um sein Gesicht zu fixieren. »Verzeihe, ich glaube nicht. Ich bin Arzt und fürchte, mir stirbt mein Patient weg, ohne dass ich etwas tun kann. Ich benötige eine zweite Meinung, aber hier in Valence arbeiten nur Pfuscher. Ich bin mir unsicher, ob diese überhaupt lesen können.« Missbilligung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und er schnaubte.

Jakob erkannte den italienischen Akzent nun deutlich und Neugierde regte sich in ihm. »Zufällig bin ich auf der Suche nach einer Anstellung als Arzt«, behauptete er und fügte hinzu, um dem Mann einen Grund zu geben, ihm zu vertrauen: »Mein Vater war Apotheker und ich wuchs mit der Heilkunde auf. Außerdem habe ich bei mehreren Ärzten gelernt, um die unterschiedlichsten Methoden kennenzulernen und mir ein breites Wissen anzueignen. Vielleicht kann ich dir und deinem Patienten helfen. Was fehlt ihm denn?«

Der Arzt nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher. Wein schwappte auf die Tischplatte, als er ihn zu abrupt absetzte. »Mein Patient ist Napoleon Bonapartes Gefangener«, entgegnete er und seine Zunge stolperte über den Namen.

Jakob wartete auf eine Erläuterung, aber es schien, als habe der Mann damit alles gesagt. Er zog verwirrt die Brauen zusammen. »Hat er deshalb kein Recht auf ärztliche Versorgung?«, bohrte er daher nach.

Wieder schnaubte sein Gegenüber. »Im Gegenteil. Es ist Napoleon sogar sehr daran gelegen, dass mein Patient soweit genest, dass ein Transport nach Paris möglich ist und man ihm dort den Prozess machen kann. Es ist nur so, dass man General Merque, der mit der Bewachung meines Patienten beauftragt wurde, kürzlich abberief. Bevor er ging, verdeutlichte er mir, dass er bei seiner Rückkehr keinen Toten vorfinden will. Er hat es nicht ausgesprochen, doch sein Ton genügte, um zu verstehen.«

»Ein Grund mehr, einen Kollegen zurate zu ziehen«, argumentierte Jakob.

»Ebenso, sich aus der Sache herauszuhalten.«

»Das mag stimmen«, lenkte Jakob ein. »Doch ein solches Denken und Handeln gehört sich für einen Arzt nicht. Verrate mir, was deinem Patienten fehlt.«

Der Mann seufzte, aber sein Blick wirkte nun klarer und verriet, dass er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Er streckte die Hand aus. »Bianchi«, stellte er sich vor.

Jakob ergriff sie und antwortete: »Loup.«

»Wenn du so klug wie hartnäckig bist, glaube ich wieder an Wunder.«

Jakob lächelte und Bianchi begann zu erklären.

»Er ist über achtzig Jahre alt und leidet an Rheuma. Als wäre das nicht schlimm genug, hat er sich eine Erkältung zugezogen, die er nicht auskurieren konnte. Egal, was ich tue, er fühlt sich nicht besser. Spätestens zum Nachmittag hin gleitet er in einen unruhigen Fieberschlaf, sodass mir nur wenige Stunden am Tag bleiben, um ihm Flüssigkeit einzuflößen. Sein Husten ist so stark, dass ich jedes Mal um ihn fürchte.«

»Was hast du ihm bisher gegeben?«, fragte Jakob.

»Ein Aufguss aus Lindenblüten.«

Jakob nickte. Die Blüten senkten das Fieber, förderten das Ausschwitzen der Krankheit, beruhigten den Hustenreiz und linderten Schmerzen. Bianchi war auf dem richtigen Weg, jedoch glaubte Jakob, dass hier eine stärkere Medikation notwendig war.

»Bianchi, du hast offensichtlich dein Bestes gegeben. Lindenblüten wären auch meine erste Wahl. Bei der Schwere der Erkrankung, die du schilderst, würde ich allerdings weitergehen und dem Aufguss Thymian hinzugeben, um den Schleimfluss zu fördern und den Hustenreiz zu mildern.«

»Thymian?« Bianchi rieb sich über das stoppelige Kinn. »Ich habe davon gehört, es aber noch nie ausprobiert.«

Jakob ließ dem Arzt einen Moment zum Nachdenken und trank etwas Wein. Dabei versuchte er die Informationen, die der Mann nebenbei ausgeplaudert hatte, zu verstehen. Ihn wunderte, dass Napoleon Bonaparte so viel Aufwand für einen Gefangenen betrieb. Er fand es merkwürdig, dass hierzu extra ein General abkommandiert wurde. Diese Aufgabe erledigten in der Regel Soldaten. Auch die ärztliche Versorgung war unüblich. Starb ein Gefangener vor seiner Verurteilung, störte das normalerweise niemanden.

Ich frage mich, wer dieser Patient ist. Es muss sich um jemanden mit großem Einfluss handeln. Vielleicht ist er ein geflohener Adliger, dem man Verrat vorwirft und der jetzt erst gefangen genommen wurde.

Unruhig konzentrierte er sich auf den Findungszauber. Er glaubte, dass das Zupfen an seinem Brustbein intensiver war. Vermutlich bedeutete es, dass sich sein Opfer in der Nähe befand. Er rechnete nach. Ihm blieben acht Tage, bis er das Ritual spätestens ausführen musste. Sicher genügte die Zeit, um einen Blick auf diesen mysteriösen Patienten zu werfen und anschließend seiner Wege zu gehen.

Selbst wenn es länger als erwartet dauert, wird sich hier in Valence mit Sicherheit jemand finden, den niemand vermisst, kam es ihm wie vom Leibhaftigen persönlich eingeflüstert in den Sinn. Er unterdrückte den Impuls, das Kreuz zu schlagen. Er sollte möglichst bald wieder eine Messe besuchen, um Gott seiner Seele gnädig zu stimmen.

»Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«, unterbrach Bianchi seine Gedanken.

»Worum geht es denn?«

»Da ich mich mit der Behandlung mit Thymian nicht auskenne und mir diese Fieberkrankheit Rätsel aufgibt, die ich nicht zu lösen vermag … wäre es zu viel verlangt, wenn du dir meinen Patienten ansehen würdest? Vielleicht kannst du ihm helfen. Du erscheinst mir zumindest ein erfahrener Arzt zu sein.«

»Natürlich«, antwortete Jakob und bemühte sich um einen neutralen Tonfall, um durch seine Vorfreude kein Misstrauen in Bianchi zu wecken.

Dieser trank seinen Becher aus und legte ein paar Münzen daneben. »Wunderbar. Komm morgen Vormittag in die Zitadelle. Die Leute hier nennen sie Hôtel du Gouvernement.« Er schnaubte abfällig. »Es ist ein heruntergekommenes Gemäuer, einem Gefängnis würdig, aber eine Beleidigung für meinen Patienten.« Er stemmte sich hoch, nickte Jakob zu und schwankte hinaus.

Jakob Wolff - Die Teufelshand

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