Читать книгу Hauptsache die Frisur sitzt - Verena Ogris - Страница 5
ОглавлениеGaia’s
Reise
New York vor ein paar Jahren: Meine erste Fernreise …
Eine tolle Stadt, so viel zu erkunden und zu erleben. Wir, also mein Mann und ich, entdeckten dort einen Strampelanzug und haben beschlossen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Kind ist. Gesagt, getan. Ein Monat später war ich schwanger. In meiner unendlichen Unwissenheit stellte ich mir die Schwangerschaft und vor allem die Zeit danach wunderschön vor. Ich stellte mir vor, wie ich mit Freundinnen Kaffee trinke, während mein liebes Kind im Kinderwagen schläft. Wie ich stundenlang spazieren gehe, auf der Couch kuschle, am Abend mit meinem Mann noch ein Glas Wein trinke und wir glücklich unser Erstgeborenes betrachten. Wie gesagt, ich war unendlich unwissend …
Glaube vs. Realität: Zuerst war mir mal unglaublich schlecht. Ich war müde und hatte dezente Stimmungsschwankungen. Den Höhepunkte meiner Stimmungsschwankungen erlebte ich an dem Tag, an dem ich mit erhobenem Mittelfinger vor einem Auto stand. Der völlig perplexe Mann hinter dem Steuer sah mich mit großen Augen an, sah meinen Babybauch, schüttelte den Kopf und fuhr weiter. Ich bin mir heute noch sicher, dass er mich völlig zu Unrecht angehupt hat — mein Mann ist da etwas anderer Meinung. Oder war der Höhepunkt doch der Heulkrampf beim Abendessen, weil ein Frankfurter beim Kochen nicht in den Topf passte oder etwa der Nervenzusammenbruch, weil mein Mann Oregano in den Toast gegeben hat? No more words needed …
Trotz meiner dezenten Hormonschwankungen arbeitete ich natürlich genauso intensiv wie vor meiner Schwangerschaft, ging auf Messen, machte Außendienste und blieb mindestens zwölf Stunden am Tag im Büro. Ganz nebenbei machte ich noch bei einem High-Potential-Programm im Unternehmen mit, das dafür gedacht war, künftige Führungskräfte auszubilden. Keine Ahnung, wie ich diese Zeit überstanden habe. Mein Baby stand zu dieser Zeit jedenfalls nicht im Fokus. Eigentlich nur in der einen Stunde Schwangerschaftsyoga in der Woche. Muss doch reichen, oder?
Ich war ja unersetzlich und das bisschen Schwangerschaft konnte mir doch nichts anhaben … Ich werde sicher nicht SO eine Ober-Mutter sein, die ihr Leben komplett umkrempelt und nur noch für die Kinder lebt. Und meine Frisur wird immer super sein.
Die Kollegin, die mir erklärte, dass ich nie wieder meinen alten Job bekommen werde, sondern bestenfalls noch als eine besser bezahlte Sekretärin arbeiten kann (und damit möchte ich sicher nicht Sekretärinnen degradieren, im Gegenteil), schürte meine sowieso schon großen Ängste noch mehr. „Deine Karriere ist jetzt sicher vorbei. Du wirst künftig immer nur noch die sein, die nach Babykotze stinkt und immer früher gehen muss als alle anderen. Mütter stinken generell. Dein Körper wird für immer unförmig bleiben und deine Vagina aufs dreifache ausgedehnt. Dein Mann wird dich verlassen, wirst schon sehen.“ Ok, vielen Dank für die aufbauenden Worte …
ABGRENZUNG ist hier das Wort des Tages. Die Kollegin hat ihre Ängste auf mich projiziert – und ich hab ihre Probleme natürlich aufgesaugt wie ein Schwamm.
An meinem letzten Arbeitstag vor der Babypause machte ich noch schnell einen Businessplan für den Markteintritt eines neuen Produktes und war ganz stolz, dass ich es noch vor 19 Uhr aus dem Büro schaffte. Kleine Abschiedsparty inkludiert. Ich konnte mir noch gar nicht vorstellen, jetzt plötzlich für so lange Zeit nicht mehr ins Büro zu gehen. Nicht mehr Teil des Ganzen zu sein. Mein Chef wird mich sicher vergessen, dachte ich mir. Deshalb checkte ich natürlich regelmäßig meine Mails und meldete mich zwischendurch immer wieder. Braves Schäfchen – oder mit anderen Worten – DUMME KUH!
Deine Karriere ist jetzt vorbei. Du wirst künftig nur noch die sein, die nach Babykotze stinkt“
Die erste Schwangerschaftshose kaufte ich mir am ersten Tag meiner Karenz. Bis dato passte ich noch in meine Jeans in Größe 36 – zumindest tat ich so. Den offenen Hosenknopf hat sicher keiner bemerkt.
Zu Hause musste ich dann noch tausend urwichtige Dinge erledigen, denn ausruhen konnte ich mich ja schließlich dann, wenn das Kind da ist. Ich schmiss noch eine große Geburtstagsparty, ging mit Freundinnen in die Disko und fing sogar noch ein Studium an. Auf der Uni sitzen und lernen, geht mit Baby bestimmt voll super. Ach ja, Gitarre möchte ich auch lernen. Ich schwöre, ich lache heute noch des Öfteren über meine Unwissenheit. Aber es erzählt einem auch niemand, wie lebensverändernd so ein Kind sein kann. Im Geburtsvorbereitungskurs wird dir nur eingeredet, dass du ohne PDA die Geburt nicht überstehst und du mindestens zehn pädagogisch hochwertige Bücher lesen solltest, bevor dein Kind auf die Welt kommt. Sonst schaffst du das sicher nicht. Wenn du nicht die Pflegeprodukte von XY und die Kleidung von Z nimmst, stirbt dein Kind mit Sicherheit eines langsamen Todes. Nicht zu vergessen: die Bücher, die du deinem Kind schon im Mutterleib vorlesen und die Musik, die du ihm vorspielen sollst. Mozart (wohlgemerkt!) macht dein Kind mit Sicherheit zu einem Genie. Die Spicegirls wohl eher nicht. „I tell you what I want what I really really want …”
Abgerundet wird dieser Kurs noch mit der genauen Erklärung einer Dammmassage und den besten Techniken für einen Einlauf. Ich glaub, ich war im falschen Kurs …
Dann war es endlich soweit. Unser Engel kam mit einer Woche Verspätung zu uns. Die erste Nacht im Krankenhaus war ein absoluter Alptraum. Das Kind von der Frau im Nachbarbett hat seelenruhig geschlafen, mein kleines Mäuschen hat ununterbrochen geschrien. Die ganze Nacht. Zuerst dachte ich, dass das vielleicht nur einmalig wäre, aber nach 3 Monaten nahm ich zur Kenntnis, dass es wohl ein gewisses Verhaltensmuster meines Kindes ist. Spaziergänge im Sonnenschein? Fehlanzeige. Mein Kind bevorzugte es, getragen zu werden – und zwar ebenso ununterbrochen. Kaffee mit Freundinnen? Keine Chance. Ich konnte nicht einmal zehn Minuten in Ruhe frühstücken. Ein Gläschen Wein mit meinem Mann am Abend? Nope … Um spätestens 20 Uhr war ich fix und fertig. Die Brüste taten weh und tropften, mein Bauch war unglaublich schwabbelig und meine Tränensäcke hingen bis zum Boden. Und die gut gemeinten Ratschläge, die man bekommt, helfen da rein gar nichts. „Du musst konsequent sein. Wenn dein Kind jetzt bei dir im Bett schläft, bekommst du es nie wieder raus. Verwöhne dein Kind nur nicht zu sehr“. ABSOLUTER BLÖDSINN! Wie soll man ein zwei Monate altes Baby verwöhnen? Wenn es weint, muss man es trösten und nicht erziehen.
Ein besonderes Highlight meines Neo-Mutterseins war der Tag, als mein Mann mit einer Stillberaterin nach Hause kam, die mir erklärte, dass JEDE Frau stillen kann und mir das Gefühl gab, nicht ganz normal zu sein. Sie erklärte mir, dass die Frauen in Afrika den ganzen Tag oben ohne rumlaufen würden, und warum das für mich ein Problem sei … Ich sollte mich nicht so anstellen. Und die Krönung war die Milchpumpe, die sie dagelassen hat. Ich schwöre, man kommt sich vor wie eine Kuh, die gerade gemolken wird. Wirklich nicht gerade sexy. Und die Frisur? Ach, reden wir nicht davon …
Eine sehr intensive Zeit. Intensiv und anstrengend deswegen, weil ich zu dieser Zeit ganz weit weg von mir und meiner Kraft war. Ich folgte nicht meiner Intuition. Ich hörte viel zu sehr auf andere, wollte es jedem Recht machen und beweisen, dass ich eine super Mama bin, die das alles locker schafft. Jeden Tag Besuch, den ich von vorne bis hinten bediente, keine Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Keine Zeit, mich auf diese neue Situation einzulassen, mich daran zu gewöhnen. Auch wenn das viele schönreden, Mama zu werden, ist echt anstrengend. Für mich war es das zumindest. Das Leben hat sich von einem Tag auf den anderen komplett geändert. Man ist vollkommen fremdbestimmt und verantwortlich für eine kleine Seele, die ohne Hilfe noch nicht zurechtkommt. Überforderung ist für meinen damaligen Zustand noch ein Hilfsausdruck. Vor allem, wenn man dabei immer lächeln und gut aussehen möchte.
Die knapp 30 Kilo, die ich während der Schwangerschaft zugenommen habe, habe ich ganz nebenbei in neun Monaten wieder abgenommen. Ich schwöre euch, ich war sooo hungrig. Aber natürlich musste ich zur Hochzeit in mein Kleid in Größe 34 passen. Alles andere wäre nicht akzeptabel gewesen. Also schleppte ich mich nach den schlaflosen Nächten noch zum Bauch-Beine-Po-Kurs, aß keine Kohlenhydrate mehr und machte ein tägliches Workout-Programm. Ich konnte mich selbst nicht mehr leiden, aber ich sah super aus.
Am Hochzeitstag, den wir Gott sei Dank nach unserem Geschmack ausgerichtet haben – klein aber fein — war ich schon wieder schwanger. Unser zweiter Engel war am Weg. Schlimmer konnte es ja nicht mehr werden, oder?
Die zweite Schwangerschaft verging wie im Flug. Ich wusste meistens nicht einmal in welcher Woche ich gerade war. Geschweige denn welches Entwicklungsstadium mein Baby gerade durchmachte. Ich machte nämlich – neben Kind Nummer eins – noch ein paar Kurse auf der Uni, nahm am Weiterbildungsprogramm teil, das ich durch dieses High-Potential-Ding in der Arbeit vor meiner Karenz noch zugeteilt bekommen habe und arbeitete nebenbei noch ein paar Stunden in der Firma meines Mannes. No problem …
TIPP!
Abgrenzung
Du kannst mitfühlend und empathisch sein, aber mach andere Probleme nicht zu deinen eigenen. Zieh ganz klar die Grenze. Bau dir ein Schutzschild auf.
Was ist denn mit der los?
Hm, was soll ich sagen. Ich war eigentlich nie so eine Eso-Tante, ein spiritueller Vogel, der mit Birkenstockschlapfen durch die Gegend rennt. Im Gegenteil. Yoga war für mich ein Bauch-Beine-Po-Ersatz und von Räucherstäbchen wurde mir schlecht. Wenn mir jemand erzählt hat, dass das Universum dir Zeichen gibt und Engel mit dir sprechen, hab ich heimlich schon die Nummer der Irrenanstalt gewählt. „Wir alle sind eins, du bist der Gestalter deiner Realität, schlag tiefe Wurzeln, um zu wachsen.“ – alles klar.
Doch ich sag dir was, ganz so falsch ist das alles nicht. Diese Abneigung war ein Schutzschild meines Egos (glaube nie deinem Ego), das mich daran hindern wollte, aus dem Wahnsinn auszubrechen, den ich tagtäglich mitgemacht habe. Ich meine, ich laufe jetzt immer noch nicht nackt durch den Vollmond oder blute in die Erde, aber ich erlaube es mir, anzunehmen, dass es Dinge gibt, die unser Geist nicht immer verstehen muss. Dinge, die über unsere Vorstellungskraft hinausgehen und die — wenn man dazu bereit ist — helfen, zu seiner Urkraft als Frau zurückzufinden, sich wieder an den schönen Dingen des Lebens erfreuen zu können. Und sich dafür auch Zeit zu nehmen. Dinge, die einen spüren lassen, dass man am Leben ist, dass man getragen wird von Mutter Erde. Dinge, die einem den Glauben an sich selbst wieder zurückgeben.
PLATZ FÜR DEINE GEDANKEN
Schaffe ich es, Grenzen zu setzen und auch einmal Nein zu sagen?
Wie wichtig ist mir Anerkennung von Außen?
Höre ich auf mein Bauchgefühl, mein Herz?