Читать книгу Perry Rhodan 3077: Unter dem Weißen Schirm - Verena Themsen - Страница 9

Оглавление

2.

Orsaidd

Lionel Obioma hatte miserabel geschlafen.

Natürlich waren in ihrer Ausrüstung – klein zusammengefaltet – selbstaufblasende Matratzen gewesen, ebenso wie Schlafsäcke aus so hauchfeinem Stoff, dass sie problemlos in eine Hosentasche passten, und trotzdem reißfest und mit dem optimalen Mix aus Wärmeisolierung und Feuchtigkeitstransfer versehen. Aber es war trotzdem eine völlig andere Art, zu schlafen.

Außerdem machte er sich Sorgen um Chione.

»Achtung, wir kommen in hundert Metern auf freies Gelände«, warnte der TARA-Psi.

»Deflektoren aktivieren!«, befahl Schlafner, obwohl sie im beginnenden Morgengrauen vermutlich ohnehin mit der Umgebung verschmolzen.

Obioma gehorchte trotzdem, ohne nachzudenken. Unmerklich war Schlafner für ihn zum Anführer geworden. Er war lange genug auf Flottenschiffen geflogen und oft genug Teil eines Einsatzteams gewesen, um sich an Befehlsstrukturen zu gewöhnen, auch wenn es normalerweise nicht seine Art war.

Es war das Geschäft des Wissenschaftlers, zu hinterfragen. Aber ihm war klar, dass so etwas bei Einsätzen zu kritischen Verzögerungen führen konnte. Also verlegte er das Hinterfragen soweit es nicht sein Fachgebiet betraf, auf hinterher und ordnete sich so lange den Erfahreneren unter.

Sie folgten einer Route, die Dancer mit dem TARA-Psi ausgearbeitet hatte. Sie führte dort, wo sie sich nicht gut ohne technische Hilfsmittel verstecken konnten, unter selbst um diese Zeit viel beflogenen Gleitertrassen hindurch. Das gab ihnen gute Chancen, sich mit den Flugaggregaten für eine Weile gewissermaßen unter einen langsam fliegenden Gleiter zu kleben, um in dessen energetischen Emissionen zu verschwinden.

Mit etwas Glück würden sie irgendwann einen finden, der nach Orsaidd flog, wo die FONAGUR gelandet worden war. Der wie ein nach Osten offener Kreisbogen mit verlängerten Armen geformte Kontinent Maixon war nicht sonderlich groß, und die Hauptstadt nur zwei Flugstunden von ihrem Versteck entfernt. Ihre Überlegung war, das Chione dort gemeinsam mit den Báalols und Naats des Schiffes interniert worden sein könnte.

Gemeinsam hoben sie auf Schlafners Zeichen ab und jagten auf einen Lastengleiter zu. Obioma schlug das Herz bis zum Hals, als der Gleiter vor ihm immer weiter wuchs und ihm klar wurde, was sie da gerade taten. Wenn der Gleiter auch nur eine unerwartete Bewegung machte und dabei jemanden touchierte, konnte das für denjenigen das Aus bedeuten.

Die Anzugpositronik würde rechtzeitig reagieren, versuchte er sich zu beruhigen. Es kann gar nichts passieren, lalala ... nicht dran denken ...

Er lenkte sich damit ab, an den vorigen Abend zu denken. Dancer, Schlafner und der TARA-Psi hatten lange die Köpfe zusammengesteckt, um ihr Vorgehen zu planen. Obioma hatte dabei nicht zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass der Roboter für die Geschwister nicht nur wegen seiner Psi-Fähigkeiten etwas ganz Besonderes war.

Manchmal gingen sie auf eine fast freundschaftliche Weise mit ihm um. Aber er war auch ein sehr weit entwickeltes Modell, und es mochte sein, dass er sogar einen Plasma-Anteil hatte. Das würde ihn in die Nähe der Posbis rücken, die eigene Persönlichkeiten hatten und mit denen man durchaus Freundschaft schließen konnte.

Dancer packte ihn am Ärmel und riss ihn zurück. »Träum nicht, Lionel!«

Erschrocken fuhr er zusammen und bemerkte, dass er beinahe unter der Deckung des Gleiters herausgedriftet wäre.

»Entschuldige«, murmelte er. »Ich bin irgendwie nicht ganz auf der Höhe. Der Schlafmangel.«

»Dann lass dir vom Cybermed ein Aufputschmittel spritzen.«

Selbst über den Anzugfunk konnte Obioma den gereizten Tonfall hören. Klar, er gefährdet sie schließlich alle, wenn er nicht bei der Sache war. Wieder war er der Klotz am Bein.

Er instruierte den Cybermed, und wenig später ging es ihm tatsächlich besser. Beinahe verdächtigte er die Medizinpositronik, einen Stimmungsaufheller beigemischt zu haben. Aber das war Unsinn. Solche Eigenmächtigkeiten waren völlig ausgeschlossen, solange der Träger des Anzugs bei klarem Bewusstsein war.

Sie wechselten den Gleiter im Flug, als ihrer zur Seite wegschwenkte. Noch zwei Mal wiederholten sie das Manöver, und langsam bekam Obioma ein Gefühl dafür und genoss den Flug. Dann mussten sie jedoch landen. Ein weiteres Waldstück, dann arbeiteten sie sich durch bewirtschaftete Felder, deren hochstämmige Pflanzen ihnen Sichtdeckung gaben.

Schließlich lagen sie wieder an einer Gleitertrasse auf der Lauer.

»Lionel Obioma?«, drang die Stimme des TARA-Psi aus Lionels Funk.

Verwundert registrierte er, dass der Roboter einen Privatkanal geschaltet hatte. »Ja?«

»Mir ist aufgefallen, dass du mich beobachtet hast.«

»Natürlich habe ich das. Technik fasziniert mich, und der Gedanke, dass unsere Technik inzwischen so weit ist, auch Psi-Fähigkeiten zu synthetisieren, ist ... faszinierend.«

»Ist das alles, was du dabei empfindest? Faszination? Es spielen keinerlei negative Gefühle mit?«

Obioma seufzte. »Vor allem Faszination, ja. Aber wenn du schon so fragst – es macht mir auch Angst. Keine Technologie kann auf Dauer exklusiv gehalten werden, und wenn ich mir vorstelle, dass du oder einer deiner späteren Nachfolger in die falschen Hände geraten könnte und dann Völker ohne die nötige Reife Roboter mit solchen Fähigkeiten wie deinen ins Feld schicken können ...«

Er schüttelte sich unwillkürlich.

»Ich habe mir das schon gedacht. Aber du musst keine Angst haben. Ich bin einzigartig, und es wird nie eine Kopie von mir geben können.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?«

»Weil die Umstände meiner ... Erschaffung sehr besonders waren. Das ist nicht ohne Weiteres wiederholbar.«

»Aber auch du allein bist schon ein mächtiges Werkzeug. Wenn nun jemand dich abschaltet und umprogrammiert ...«

»Das wird nicht geschehen.«

»Und wieder: Wie kannst du dir da so sicher sein?«

Obioma hörte etwas, das er nicht einordnen konnte. Erst im nächsten Augenblick erkannte er, dass es ein Seufzen gewesen war. Es war der Augenblick, in dem der TARA-Psi mit veränderter, warm modulierter Stimme sagte: »Weil ich kein Roboter bin. Oder nicht nur.«

*

Bevor Obioma sich von der Aussage erholt hatte und nachhaken konnte, rief Schlafner zum Start. Für eine Weile war seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Gleiter gerichtet, in deren Schatten sie flogen.

Unter ihnen veränderte sich das Land. Immer mehr typisch cairanische Wohnhäuser tauchten zwischen den Feldern und Nutzgebäuden auf, Kugeln in verschiedenen Größen auf Stielen von unterschiedlicher Höhe. Aber alle waren sie mattweiß.

Statt Robotern waren nun immer häufiger Cairaner am Boden zu sehen, die auf verspiegelten Wegen und Plätzen flanierten und sich unterhielten. Schließlich löste das Team sich über einer Kleinstadt voller dicht beieinanderstehender Kugelbauten von einem Gleiter, der zur Landung ansetzte. Sie gingen am befestigten Rand eines Kanals nieder, direkt unter einer breiten Brücke. In deren Sichtschutz ruhten sie eine Weile aus.

»Was meintest du damit, dass du nicht nur ein Roboter bist?«, setzte Obioma nach einer Verschnaufpause das unterbrochene Gespräch mit dem TARA-Psi fort.

»Die grünliche Maserung auf meinem Kopfelement ist aktiviertes PEW-Metall. Außerdem durchzieht ein PEW-Gerüst mein Neuronalplasma.«

Als Hyperphysiker wusste Obioma selbstverständlich, was PEW war: Der Parabio-Emotionale Wandelstoff war ein metallisches Material mit Hyperaktivität.

Obioma stutzte. »Moment – willst du behaupten, in deinem PEW-Metall habe sich eine Paradox-Intelligenz entwickelt? Brauchst du deshalb das Salkrit, um diese Wandlung aufrechtzuerhalten?«

Wieder hörte er etwas, das er nie von einem Roboter zu hören erwartet hätte – ein glucksendes Lachen. »Fast. Aber bei so wenig PEW, wie es in mir verbaut ist, wäre die Entwicklung eines Bewusstseins ausgeschlossen. Ich aber bin bewusst. Ich bin ein Bewusstsein, dem das PEW-Metall als Anker dient.«

Obiomas Gedanken überschlugen sich. Er erinnerte sich an irgendeine ganz, ganz alte Geschichte ... etwas von Leuten, die durch PEW-Metall reisten. An Menschen, von denen andere Besitz ergriffen hatten. An ...

»Die Bewusstseine von Mutanten können sich an PEW-Metall binden, war das nicht so?«

»Auch. Mutanten wie zum Beispiel Teleporter, Telekineten ... und so weiter.«

»Was ... oh. Boah! Ich meine ... wie ...?«

»Weiter geht's!«, unterbrach Schlafner ihr Gespräch. »Wir haben einen engen Zeitplan, also nicht trödeln.«

Nun fiel es Obioma äußerst schwer, sich auf den Flug zu konzentrieren. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Roboter ... nein, dem Bewusstsein im Roboterkörper ... zurück. Er wusste nicht, ob er glauben durfte, was er gerade erfahren hatte. Aber warum, und vor allem, wie hätte ein Roboter ihn anlügen sollen?

Es musste also wahr sein.

Ein Bewusstsein in einem Roboterkörper.

Obioma wusste nicht, ob die Vorstellung ihn faszinieren oder ihm Grauen einjagen sollte. Somit befand er sich immer noch im gleichen emotionalen Zwiespalt bezüglich des TARA-Psi, nur aus einem anderen Grund.

»Schaut euch das an!«, sagte Dancer und zeigte nach vorne.

Lionel registrierte, dass inzwischen zu ihrer Rechten das Meer aufgetaucht war. Die aufgehende Sonne erzeugte glitzernde Reflexe auf dem Wasser und Regenbögen in der am felsigen Ufer aufbrausenden Gischt.

Vor ihnen dagegen lag Nebel, der vom Meer hereingetrieben war, gefangen in einer hügeligen Landschaft und zwischen Tausenden und Abertausenden Kugelspießen. Sie zogen sich dahin, so weit das Auge reichte, die Oberflächen schimmerndes Gold im Morgenlicht.

Plötzlich erklang ein Kichern im Funk, und die Stimme des TARA-Psi erklang. »Wisst ihr, woran mich das erinnert?«

Dancer hüstelte. »Obioma ...«

»Er weiß Bescheid. Ich war der Meinung, wenn wir zusammen in einen Einsatz wie diesen gehen, sollte er es wissen. So habe ich es seit dem Gespräch mit Atlan bei jedem Einsatz gehalten.«

»Dann wird dein Geheimnis irgendwann keines mehr sein.«

»Es zu wissen und es fortlaufend zu thematisieren, macht den Unterschied. Die beiden kennen es und reden nicht weiter darüber. So sollte es sein. – Oh, schau mal!«

Einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte Obioma: »An was erinnert dich das denn jetzt?«

»Meine Frau Aura hat manchmal etwas gemacht, das sie Käseigel nannte. Das war irgendeine halbkugelige Frucht, in die sie dicht an dicht Spießchen mit Käsekugeln und Trauben drauf gesteckt hat.«

Obioma scheiterte an dem Versuch, sich das vorzustellen. Das lag aber vorrangig daran, dass ihn die Erkenntnis erschütterte, dass der TARA-Psi – Sallu – eine Frau gehabt haben sollte. Irgendwie machte diese Erkenntnis die ganze Sache für ihn noch bizarrer.

»Da drüben ist der Raumhafen«, unterbrach Dancer das erneute, fast peinliche Schweigen. »Wir müssen landen und uns Richtung Norden halten.«

*

In der Stadt war es nicht weiter schwierig, unbemerkt zu bleiben. Zwar lebten in Orsaidd im Gegensatz zu Kosmopolis nur relativ wenige Galaktiker, aber die Neuankömmlinge fielen trotzdem nicht sonderlich auf, nachdem sie ihre Deflektoren ausgeschaltet hatten.

Dancer hatte ihr Aussehen moderat verändert, denn es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass nach den Ereignissen in der Tautmo-Aagenfelt-Akademie ihr Bild bekannt gemacht worden war und sie gesucht wurde. Dass sie in einer völlig anderen Gruppenzusammensetzung unterwegs waren, mochte helfen – allerdings nur, falls Chione nicht geredet hatte.

An allen Ecken konnte man kleine Schwebeplattformen aus einer Ladestation nehmen und an einer anderen Station wieder abgeben. Sie nutzten die Möglichkeit, um schneller Richtung Raumhafen zu kommen. Es war angenehm, dass durch die Bauweise der Häuser so viel Platz für Fortbewegung blieb.

Außerdem sorgte die weiße Farbe dafür, dass selbst dort, wo die Kugeln der Häuser ineinander gestaffelt standen, genug Licht bis zum Boden gestreut wurde. Die Allgegenwärtigkeit großflächiger Spiegel am Boden und den Wänden der wenigen bodengebundenen Häuser sorgte zusätzlich für eine gleichmäßige Ausleuchtung auch im Schatten der Gebäude.

»Du heißt also Sallu«, sagte Obioma über privaten Funk.

»Das war mein Name. Sallu. Sallu Brown.«

»Und wie soll ich dich jetzt nennen?«

»Man kennt mich als den TARA-Psi. Insbesondere wenn andere dabei sind, wäre ich dir dankbar, wenn du mich weiter so bezeichnen würdest. Sind wir unter uns, kannst du aber gerne Sallu sagen, wenn dir das angenehmer ist.«

»Wer kennt überhaupt dein Geheimnis?«

»Nicht sehr viele. Atlan und Reginald Bull, Dancer und Schlafner ... und Gucky, aber der ist ja tot.« Obioma hatte den Eindruck, aus der Stimme des Roboters eine traurige Note herauszuhören. »Dann zwei andere Leute, mit denen ich im Einsatz war und die du nicht kennst, und außerdem selbstverständlich meine beiden Betreuer. Ihnen verdanke ich, dass ich nicht mehr in einem PEW-Block eingeschlossen bin, sondern wieder so etwas wie einen Körper erhalten habe. Dieser ist mein neues Sein, und irgendein terranischer Philosoph hat einmal behauptet, das Sein bestimme das Bewusstsein. Vielleicht ist das ja so und ich bin immer weniger Sallu und immer mehr TARA-Psi.«

»Aber wie ...«

»Das ist eine sehr lange Geschichte, Lionel. Ich werde sie dir heute Abend in aller Ruhe erzählen. Aber mir war wichtig, dass du es erfährst, nachdem sich jetzt abzeichnet, dass wir länger zusammenarbeiten werden.«

»Danke für dein Vertrauen.«

Obioma war froh, dass der Verkehr zunehmend seine Aufmerksamkeit beanspruchte, je näher sie dem Raumhafen kamen. Zwar konnten die großen cairanischen Augenraumer nicht auf Planeten landen, aber es gab Shuttleschiffe, die zwischen der Flotte und dem Planeten pendelten. Zudem starteten regelmäßig Versorgungsgleiter zum inneren und den beiden äußeren Planeten, wo man sich nicht selbst versorgen konnte. Lediglich auf der dritten Welt, Aithuriad, war man autark.

Der allgemeine Verkehrsfluss führte die kleine Gruppe zu einem Terminal, das eines der wenigen bodengebundenen Gebäude war. Sie stellten ihre Schweber ab und betraten das Gebäude. Dort erregten sie mehr Aufmerksamkeit als auf den Straßen der Stadt.

»Wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten«, murmelte Schlafner. »Die Gefahr unserer Entdeckung steigt gerade exponentiell.«

Dancer hielt zügig auf ein Informationsterminal zu. In schneller Folge rief sie einen Plan des Raumhafens und des Terminals ab, dann einen Flugplan. Schließlich sagte sie: »Ich bin aus Kosmopolis und habe Bekannte auf der FONAGUR. Auf welchem Landeplatz steht sie?«

»Die FONAGUR steht in Sektor C auf den Landeplätzen acht-zweiunddreißig bis zehn-vierunddreißig. Der Zugang ist eingeschränkt.«

»Auf wen ist er beschränkt?«

»Nur offiziell berechtigte Personen und leitendes Raumhafenpersonal dürfen diesen Bereich des Landefeldes betreten.«

Dancer drehte sich um und grinste. »Wäre doch gelacht, wenn wir es nicht schaffen, leitendes Raumhafenpersonal zu werden.«

Perry Rhodan 3077: Unter dem Weißen Schirm

Подняться наверх