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Messe über die Welt

Wenn nach den langen Wochen der Ausgangssperre wieder erste Schritte unter freiem Himmel möglich sind, geben im 7. Pariser Arrondissement, im Innenhof der Missions Étrangères de Paris, wenige Treppenstufen Zugang zum Salle des Martyrs. Dort ist eine Abteilung Japan gewidmet, jenem Land, das 250 Jahre lang hermetisch abgeriegelt war und Christentum-immun sein wollte, bis weit ins 19. Jh. hinein. Doch 250 priesterlose Jahre lang haben die Taufe und das Gebet der Menschen den christlichen Glauben bewahrt und verborgen an die nächsten Generationen weitergegeben. Ausgestellt sind nicht nur persönliche Zeugnisse der Missionare und Leidensinstrumente ihres Martyriums. Man sieht auch gewöhnliche Alltagsgegenstände, die aber bei genauerem Hinsehen eine christliche Symbolik bergen. Unter extrem schwierigen Bedingungen versuchten die Getauften, das Leben, den Alltag zu heiligen. Mit großem Einfallsreichtum.

In unseren Tagen haben weltweit und zeitgleich nicht einfach diktatorische Systeme christliches Leben massiv eingeschränkt, hat auch nicht der so heftig debattierte Priestermangel die Feier der Sakramente verhindert. Nein, ein kleines, unberechenbares Virus hat uns sprichwörtlich und geistlich den Atem genommen. Wer hätte gedacht, dass von dieser Seite die Kampfansage käme? Was uns da wie aus dem Nichts überfiel, hat auch vor unseren Kapellen, Kirchen und Kathedralen nicht haltgemacht. So wurden die Türen aus Furcht verschlossen, wie zu einem nicht enden wollenden Karsamstag. Keine gottesdienstlichen Versammlungen; stark reduziertes soziales Engagement und noch stärker reduzierter Sakramentsempfang, keine Begleitung und kein letztes Geleit, kein Freudenfest und kein Trauergesang. Alles abgesagt. Alles geschlossen. Und bleiben Sie gesund!

Für die Grundvollzüge der Kirche gestaltete sich der Einfallsreichtum mehr oder weniger schwierig. Vielleicht am wenigsten für die Diakonia, denn plötzlich entwickelte sich ein neuer Blick für die sonst Übersehenen, erfand sich eine kreative Nachbarschaftshilfe, öffnete sich ein Priesterseminar mit seiner Küche und seinen Duschen für die Obdachlosen. Auch nicht so sehr im Blick auf die Martyria, denn sämtliche Medien und Kommunikationsmittel boten genügend Plattformen für Verkündigung und Glaubenszeugnis. Die große Verliererin, so scheint es, war die Leiturgia: Gemeinsam das Gedächtnis Jesu Christi, seinen Tod und seine Auferstehung zu feiern und sakramental am Sonntag, im Alltag und in wichtigen Momenten des Lebens zu empfangen, wurde zum verordneten No-Go. Auch hier musste schnell das Internet Abhilfe schaffen. Und so konnte, wer wollte, fast rund um die Uhr bei live gestreamten Eucharistiefeiern real präsent sein – vor dem häuslichen Bildschirm. Gemeindelos feierten Priester die Messe vor laufender Kamera und erhoben die Hostie für eine virtuell andockende Welt – im Wissen um die Vielen und zweifellos in innerer Gemeinschaft mit ihnen. Damit kein Missverständnis entsteht: Und wenn auch nur ein einziger Mensch in einsamen, kranken Tagen Trost und Halt darin gefunden hätte, verdiente dies unkommentierten Respekt. Aber wenn es doch stimmt, was das II. Vatikanum neutestamentlich gut fundiert mit dem königlichen Priestertum der Getauften meint, dann darf sich die Ausübung dieses Priestertums auch in Pandemie-Zeiten nicht auf Anbetung und Kniebeuge vor dem Bildschirm reduzieren. So wie es sich ja auch schon im Spätmittelalter nicht auf eine bloße Schaufrömmigkeit beschränken ließ.

Vor gut hundert Jahren schrieb der forschende Mystiker Teilhard de Chardin in einer Extremsituation ein langes, dichtes Gebet: Die Messe über die Welt. Als der Priester in der Einsamkeit der chinesischen Wüste weder über Brot noch Wein verfügte, brachte er auf dem „Altar der ganzen Erde“ die Materie, die Arbeit und die Mühsal der Welt, all ihr Werden und Vergehen auf der Patene und im Kelch seiner weltoffenen Seele dar. Zeugnis einer tiefen Glaubenseinsicht, dass Gott als die wirklichste Wirklichkeit in allem und alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen ist (Kol 1,16); berufen, mystischer Leib Christi zu werden. Sich mit seiner ganzen Existenz in den Dienst dieses Auf-ihn-hin zu stellen, ist letztlich die Umschreibung einer Weihe, ja, einer Konsekration der Welt, die dem Priestertum aller Gläubigen und gerade der Laien zu eigen ist, wie es das Konzil ausdrücklich formulierte: „So weihen [consecrant] auch die Laien, überall Anbeter in heiligem Tun, die Welt selbst Gott“ (LG 34). Die vom Priester über Brot und Wein gesprochenen Worte verwandeln diese in die Wirklichkeit Christi und überborden sie zugleich. Sie enden nicht im liturgischen Raum, sind vielmehr die alles durchdringende, verwandelnde Kraft der Welt, deren letztes Ziel Gott „alles in allem“ ist.

Die Hostie auf dem Altar der Kirche weitet sich, umfängt und trägt in sich die ganze Welt. Die Welt auf dem Altar ihres Werdens und Vergehens, ihres Leidens und Auferstehens verdichtet sich im einen unüberbietbaren Leib Christi. Gemeinsames Priestertum der Getauften und Dienstpriestertum der Priester sind herausgesandt aus der Enge verschlossener Türen hinein in die Weite des Lebens der Menschen in Gott. Nur so feiern wir die eine Messe über die Welt. Ohne Bildschirm. Und auch nach der Pandemie.

Geist & Leben 3/2020

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