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Notiz


Bernhard Körner | Graz

geb. 1949, Dr. theol., Prof. em. für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

bernhard.koerner@uni-graz.at

Sich von Habermas etwas sagen lassen

In einer Rede zum 80. Geburtstag des jüdischen Gelehrten Gershom Scholem (1897–1982) hat Jürgen Habermas darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Geisteswissenschaften bei der Auslegung von Texten der Vergangenheit „in jener merkwürdigen Ambivalenz“ bewegen „zwischen der Erhellung von Dokumenten, aus denen wir noch Lebenswichtiges lernen können, und der Entzauberung ihres dogmatischen Geltungsanspruches“. So werden die Weitergabe und Aneignung von Tradition „zugleich ermöglicht und vernichtet“1. Was heißt das? Dazu muss man wissen: Scholem, den Habermas mit seiner Rede ehrt, hat sich mit jüdischer Mystik befasst, er war aber selbst kein Mystiker. Er spricht also über etwas, wozu er in seiner eigenen Erfahrung keinen Zugang hat. Wie kann er dann mystische Texte verstehen und verständlich machen? Gerade im Blick auf die Mystik bleibt nur ein Ausweg – der Interpret muss die Texte im Licht seines Wissens über die Mystik, also in der Außenperspektive und nicht in der Innenperspektive lesen. Und das gilt nicht nur für die Mystik, sondern oft genug für Aussagen des Glaubens überhaupt.

Dieser Wechsel der Perspektive mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, ist es aber nicht. Denn in der Außenperspektive wird der Wahrheitsanspruch einer Glaubensüberzeugung in Klammern gesetzt. Nehmen wir ein Beispiel: Teresa von Avila spricht von ihrer mystischen Begegnung mit Christus. Diese ist für sie eine Wirklichkeit, eine Erfahrung. Religionswissenschaftler(innen) oder Theolog(inn)en, die keine mystischen Erfahrungen haben, können darüber nur in der Außenperspektive sprechen. Sie sagen – genau genommen – nicht: „Christus ist Teresa erschienen“, sondern nur „Teresa war überzeugt, dass ihr Christus erschienen ist“. Das kann sogar ein(e) Atheist(in) sagen, denn der Geltungsanspruch der mystischen Erfahrung ist in Klammern gesetzt, „entzaubert“ – wie Habermas sagt.

Was haben diese Überlegungen mit gelebter Spiritualität und Seelsorge zu tun? Ich meine: sehr viel. Dass in unserer Gesellschaft die religiöse Rede eine große Herausforderung darstellt, ist nicht neu. Was Jürgen Habermas anspricht, wird dabei allerdings kaum in Rechnung gestellt. Es ist zuzugeben, dass es manchmal gut, ja unumgänglich sein kann, in der Außenperspektive zu sprechen, einfach wiederzugeben, was andere im Glauben erfahren und erkannt haben. Oder was in der Bibel berichtet wird. Dabei kann die Frage, ob es das gibt, wovon erzählt wird, offenbleiben. Aber früher oder später stellt sich dann doch die Frage, wie es wirklich war, oder ob es das geben kann, wovon die Rede ist. Und das heißt: Man muss von der Außen- in die Innenperspektive wechseln.

Damit ist aber klar, dass eine universitäre Ausbildung für die Seelsorge, geistliche Begleitung, Exerzitien, Predigt usw. allein nicht genügt. Theologie an der Universität erhebt den Anspruch, Wissenschaft zu sein. Zumal heute will sie dadurch ihren Platz im Haus der Wissenschaften sichern. Deshalb wird sie über Gott in der Regel – nicht anders als die Religions- oder Kulturwissenschaften – in der Außenperspektive sprechen. Das schließt nicht aus, dass Vortragende dann und wann auch in der Innenperspektive ihren Glauben erkennen lassen. Das auch, weil es für Studierende manchmal irritierend ist, dass der Glaube so distanziert thematisiert wird. Erst recht gilt das für die Seelsorge. Wird nur in der Außenperspektive gesprochen, dann kann das Geglaubte nicht durch das Zeugnis als Wirklichkeit zur Sprache kommen. Ob es gilt, bleibt unklar.

Wo aber lernt man das Sprechen in der Innenperspektive? Manche werden ein solches Sprechen als Fundamentalismus zurückweisen. Zu Unrecht, denn in diesem Fall wäre ja auch die Bibel durch und durch fundamentalistisch. Andere werden sich mit einem wissenschaftlichen Studium begnügen und für die Seelsorge ungeeignet sein. Wer nur referiert, was andere im Glauben gesagt haben, bleibt im entscheidenden Augenblick das Wesentliche schuldig. Schließlich gibt es die Möglichkeit, dass Absolvent(inn)en eines Studiums zwar in der Innenperspektive des Glaubens sprechen, aber auf ungeübte, vielleicht auch peinliche Weise. Anders gesagt: Der Übergang von der Außenperspektive zur Innenperspektive ist ein entscheidender Ort, um sich klar zu werden, worum es im Glauben eigentlich geht und wie es um den eigenen Glauben steht. Die Suche nach den rechten Worten ist die Suche nach der „Sache“. Man darf sie sich nicht ersparen. Wenn es um Gott geht, genügt es nicht, sagen zu können, wie Thomas von Aquin von ihm spricht oder Henri de Lubac – auch ich selbst muss sagen können, wer Gott ist. Das wird mir durch den Glauben abverlangt und natürlich auch durch die Seelsorge.

Nur durch mein Sprechen in der Innenperspektive, also durch mein Zeugnis kann ich vermeiden, dass die Weitergabe und Aneignung unserer christlichen Tradition – mit den Worten von Jürgen Habermas – zugleich ermöglicht und vernichtet wird. Nur so gewinne ich Klarheit über meinen Glauben und kann ich für andere eine Stütze im Glauben werden.

1 J. Habermas, Politik, Kunst, Religion. Stuttgart 1978, 133.

Geist & Leben 2/2021

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