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Die Texte vom Sockel holen für die, die nicht am Sockel stehen

Die Replik von Irmtraud Fischer auf Johanna Haberer

Die heute in der Liturgie – und damit auch in der Predigt – verwendete Sprache ist häufig in unerträglicher Weise floskelhaft. Sie paraphrasiert dogmatische Aussagen, die in Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie entstanden sind und die heute niemand mehr versteht – außer wenige in antiker Philosophie Ausgebildete. Zu denen gehören im Normalfall aber nicht einmal die Absolvent*innen eines Theologiestudiums. Kein Wunder, dass Predigende Zuflucht in Phrasen suchen, die lehrmäßig zwar nicht falsch sind, aber mit denen ihre Zuhörer*innen nichts mehr anfangen können. Hier legt der Podcast Unter Pfarrerstöchtern den Finger präzise in die Wunde: Der „Tisch des Wortes“ ist mit Floskeln vollgeräumt, die in der ‚Echokammer der geistlichen Männer und Frauen‘ zirkulieren und kein Potential zur Sättigung mehr haben. Die Fragen der Menschen, insbesondere die großen Menschheitsfragen nach dem Leid und dem Tod, sind aber geblieben. Nur werden sie von den großen kirchlichen Institutionen, die sich vorrangig in moralischen Imperativen ergehen, nicht mehr so beantwortet, dass Menschen sie als hilfreich erfahren.

Johanna Haberer und Sabine Rückert haben es sich in ihrem Podcast zum Ziel gesetzt, biblische Texte „aus der klerikalen Fraglosigkeit“ zu befreien. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Die Texte haben ihr Potential offenkundig nicht verloren, schließlich ist die Bibel ja auch auf weiten Strecken große Weltliteratur – man denke hier nur an die Bücher Ijob oder das Hohelied. Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind. Das ist genau das, was Menschen in vergangenen Generationen auch taten und gerade damit die Bibel lebendig hielten. Wer, wie Haberer schreibt, meint, die Bibel in Watte packen zu müssen und deswegen Sonntag für Sonntag ins „Kinder-gartenformat“ presst, nimmt dem Text die kanonische Würde. Nicht jene, die keck fragen und ungeschönt realistische Antworten formulieren, sind die Totengräber*innen der Bibellektüre, sondern jene, die meinen, dass die Heilige Schrift nur „klein gemacht und handlich“ dem Gottesvolk – und vor allem der eigenen biederen Theologie – zumutbar ist. Wer aus der Bibel auf die Fragen von heute die Antworten von gestern herausliest, konserviert einen Glaubensstand (meist ist es der des 19. Jahrhunderts), der nur aus einem ganz bestimmten Kontext heraus verständlich wird. „Hermetische Antworten“ schützen nicht die Gläubigen mit ihren berechtigten Fragen individueller, aber auch gesellschaftspolitischer Natur, sondern die Predigenden vor dem Verlust ihres Kinderglaubens. Eine biblische fundierte Spiritualität kann es nur geben, wenn Menschen sich in ihrer je eigenen Situation vom Wort treffen lassen, seien sie Exeget*innen, Prediger*innen oder einfach an diesem wichtigsten Buch der europäischen Geistesgeschichte Interessierte. Weiter so mit dem ungezähmten Podcast – er ist wesentlich missionarischer als frommes Gewäsch!

Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind.

Lebendige Seelsorge 2/2021

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