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Man kann die Bibel falsch verstehen – und manchmal will man es wohl auch

Die Replik von Johanna Haberer auf Irmtraud Fischer

Ich habe die Überlegungen der Kollegin Fischer mit Zustimmung, Freude und zugleich großer Betroffenheit gelesen. Etwas zugespitzt möchte ich auf den Aspekt resümieren, dass eine katholische Fakultät das Erkenntnisinteresse offenbar stärker auf systematische und rechtliche Disziplinen fokussieren kann, anstatt die Bibelwissenschaft als Königswissenschaft in der Theologie zu sehen. Irmtraud Fischer beschreibt die Folgen dieser Nichtachtung der jüdisch-christlichen Masterurkunde als einen Verlust der „Wurzeln“, als eine Entwicklung, die eine lebendige Dynamik zwischen den alten Texten und den zeitgenössischen Ausleger*innen „verdorren“ lässt.

Entsprechend dürr und schwach erscheinen demnach die Verstehensprozesse biblischer Texte in die kirchlichen Strukturen hinein und der Einfluss der Bibellektüre auf das Bewusstsein der Gemeinden und der Kirchenleitungen. Die radikalen und sensationellen machtkritischen Texte etwa im ersten und zweiten Testament (Amos, Nathan und David, Bergpredigt) werden durch die Steinbruchexegese kirchlicher Repräsentanten und Ausleger ausgeblendet. Damit wird ein hierarchisches Kirchenverständnis zementiert.

Alle Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils scheint versiegt. Dort hatte man sich vorgenommen, dem christlichen Grundtext in Exegese und Predigt eine fundamentale Rolle einzuräumen. Doch es wird der Leserin des Textes von Frau Fischer sehr deutlich, dass der Interpretationsprozess der biblischen Texte fest in den Händen von loyalen Auslegern in der Hierarchie liegt und der wissenschaftliche Ertrag biblischer Forschungen besonders in Fragen nach der Rolle der Frauen in Kirche und Gemeinde schlicht negiert wird.

Eine Kenntnisnahme vor allem der Genderforschung in der katholischen Exegese würde die Rolle der Frau in der katholischen Kirche völlig neu definieren und die Frage nach der Öffnung des Priesteramtes für Frauen in einen weiten Horizont stellen. Auch in den Themenkomplexen der Sexualethik könnte man Entscheidungsträger aus dem jüdisch-christlichen Masterdokument lernen. Denn mir wurde bei der Lektüre auch klar, dass die Bewegung Maria 2.0 und die immer lauter werdenden Debatten über neue Rollendefinitionen für kirchliche Ämter, sowie die Forderung nach der Mitwirkung von Frauen bei der Verkündigung und im geistlichem Amt, ihre Wurzeln zum Teil wohl auch in der Arbeit katholischer Bibelwissenschaftler*innen haben.

Ja, ich stimme Frau Fischer zu: Man kann die Bibel falsch verstehen. Ihren Beitrag verstehe ich aber auch so, als wollte sie sagen: Manche kirchlichen Würdenträger wollen die Bibel falsch verstehen.

Lebendige Seelsorge 2/2021

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