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Bernhard Körner | Graz

geb. 1949, Dr. theol., Prof. em. für Dogmatik

an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz,

Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

bernhard.koerner@uni-graz.at

Gott verloren?

„Jedes Mal, wenn die Menschheit ein Denksystem aufgibt, meint sie Gott zu verlieren.“ Mit diesen Worten beginnt der Jesuitentheologe Henri de Lubac (1896–1991) das letzte Kapitel seines Buches Auf den Wegen Gottes. Wie er selbst erklärt, war es seine Absicht, mit diesem Buch „einigen Menschen auf der Suche nach ihrem Gott eine brüderliche Hand zu reichen“. „Jedes Mal, wenn die Menschheit ein Denksystem aufgibt, meint sie Gott zu verlieren.“ Nicht zuletzt dieser Satz lässt ahnen, dass das Buch immer noch aktuell ist. Auch für die, die sich Gottes sicher sind, und die, die sich und anderen über ihren Glauben an Gott Rechenschaft ablegen wollen. Der Satz beschreibt eine bedrängende Wirklichkeit: den Eindruck, Gott geht mir (oder uns) verloren. Dass die Konturen Gottes verschwimmen. Dass Gott im Leben und Denken ortlos wird. Dass der Glaube an ihn – wie es einmal Karl Rahner formuliert hat – wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt. Und je mehr man ihn festhalten möchte, umso schneller verschwindet er. Am Ende, ob man es will oder nicht, steht ein Leben ohne Gott. Gott-los. Henri de Lubac spricht von der Menschheit, von einer epochalen Möglichkeit. Aber eingeschlossen ist auch die persönliche Möglichkeit, Gott zu verlieren.

Was de Lubac beschreibt, ist aber keine Sackgasse. Eingeschlossen in seine Feststellung ist auch die Richtungsangabe für einen Aus-Weg. Der Eindruck, dass Gott verloren geht, entsteht, wenn ein Denksystem aufgegeben wird oder werden muss. Mit dem Stichwort „Denksystem“ deutet er an: Immer wenn wir den Glauben an Gott verstehen wollen und zur Sprache bringen, geschieht das innerhalb unserer Denkkoordinaten, mit unserem Wissen, unseren Kategorien, unserer Sprache – mit unserem Denksystem. Die Gesellschaft und die Kultur, in die wir hineingeboren sind, und unsere eigene Lebensgeschichte prägen das Denken, mit dem wir nicht zuletzt im Sprechen oder Schweigen zum Ausdruck bringen, was wir meinen, wenn wir von Gott oder dem Glauben an ihn sprechen. Das aber heißt auch: Gott und unser Gott-Denken sind zwei verschiedene Dinge. Der Gott, den Menschen zu verlieren meinen, ist immer der innerhalb eines Denksystems gedachte Gott. Oder mit einem anschaulichen Beispiel, das Leon Bloy formuliert hat: Wenn einer aufhört, an seinen hölzernen Gott zu glauben, dann heißt das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern dass er nicht aus Holz ist.

Der Satz von Henri de Lubac eröffnet nicht nur einen Weg, er lädt auch ein, sich zu erinnern. An Brennpunkte in der großen und der persönlichen Geschichte des Glaubens, wo an die Stelle eines alten ein neues Denksystem getreten ist. Und schließlich auch Gott neu gedacht werden musste – und konnte! Vielleicht zum ersten Mal, als die Christen ihren „Gott Abrahams, lsaaks und Jakobs“ in der hellenistischen Kultur zur Sprache bringen mussten – als den göttlichen Urgrund, der freilich im Licht des Glaubens immer mehr zum lebendigen Gott wurde. Zu denken ist aber auch an Thomas von Aquin, der Gott in den Koordinaten der aristotelischen Metaphysik gedacht hat. Und heute ist es das Denksystem der modernen empirischen Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften, das uns prägt. Hier scheinen noch nicht alle Herausforderungen bewältigt. Die engagiert geführten Debatten zu den Themen „Monotheismus“ und „Panentheismus“ belegen es ebenso wie die unverkennbare Anziehungskraft fernöstlicher Gottes-Vorstellungen gerade auch bei spirituell Interessierten. Und schnell entsteht ausgesprochen oder unausgesprochen der Eindruck, dass beim Versuch, Gott auf neue Weise zu denken, der persönliche Gott verloren geht. Auf jeden Fall ist eine neue Aktualität der negativen Theologie unverkennbar: Gott, der kein Teil unserer Welt ist, sondern ihr Ursprung. Namenlos anwesendes heiliges Geheimnis – so hat ihn Karl Rahner genannt. Und wichtige Stimmen mahnen zu Recht die Mühe ein, den Gott, an den wir glauben, in unserem Weltbild angemessen zu denken – für uns und andere, denen wir Auskunft schulden.

Aber – so muss man hier wohl fragen – ist nicht auch in manchem heutigen Gott-Denken Gott verlorengegangen? Ist er nicht entschwunden in die Ferne abstraktester Gedanken? Wird dabei nicht die intellektuelle Respektabilität um den Preis religiöser Blutleere erkauft? Wo ist der lebendige und nahe Gott, der „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“? Freilich darf man an dieser Stelle nicht vorschnell polemisch werden. Schon das ipse esse subsistens, womit Thomas von Aquin Gott metaphysisch gedacht hat, hätte Anlass zu solchen Fragen gegeben. Vielleicht kann man mit einem Vergleich einen Weg bahnen: Wir sprechen von der Sonne und dass sie auf- und untergeht. Und vieles kann in einem solchen Satz mitschwingen. Er ist unverzichtbar und kann nicht einfach durch eine wissenschaftliche Auskunft ersetzt werden, auch wenn wir wissen, dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne bewegt. Und so kann und darf es neben dem abstrakten Gott-Denken innerhalb eines heutigen Denksystems auch die einfache Sprache des Glaubens geben: „Vater unser im Himmel (…)“. Mit Vertrauen, Dankbarkeit, ja mit Zuneigung gesprochen. Dass Gott immer größer ist als unser philosophisch aufwendiges und unser einfaches Sprechen über ihn, dieses Wissen hält alles zusammen. Und dieser je größere Gott geht nicht verloren.

Geist & Leben 3/2018

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